Die Arbeiter in Griechenland protestieren gegen ein drakonisches neues Arbeitsgesetz, das die rechte Regierung unter Nea Dimokratia (ND) verabschieden will.
Anfang Mai fanden zwei landesweite Streiks statt. Zum ersten Streik am 4. Mai hatte der Allgemeine Gewerkschaftsbund des privaten Sektors (GSEE) aufgerufen und zum zweiten am 6. Mai der Gewerkschaftsverband des öffentlichen Sektors (ADEDY), unterstützt vom Athener Arbeiterzentrum, das die Beschäftigten des privaten Sektors in der Hauptstadt vertritt.
Die Streiks richteten sich gegen das arbeiterfeindliche neue Arbeitsgesetz, das am vergangenen Mittwoch dem Parlament vorgelegt wurde. Es soll den Arbeitgebern erlauben, den Arbeitstag von den üblichen acht Stunden auf zehn Stunden zu erhöhen, ohne zusätzliche Überstunden zu bezahlen. Die Regierung plant, das Gesetz im Juni zu verabschieden.
An beiden Tagen kam es zu Arbeitsniederlegungen im öffentlichen Nahverkehr. Der Regional- und Fernverkehr der Bahn wurde am 4. Mai komplett eingestellt, zwei Tage später standen die Athener U-Bahn, die Oberleitungsbusse und die Straßenbahnen still.
Der gesetzliche Achtstundentag ist in Griechenland schon lange ein toter Buchstabe. Eine Umfrage der GSEE Anfang des Jahres ergab, dass über die Hälfte der Befragten wöchentlich mehr als die Regelarbeitszeit arbeitet. Ein Viertel von ihnen arbeitet ein bis drei Stunden mehr und 17 Prozent sogar zwischen drei und sechs Stunden mehr. Bezeichnenderweise machen 40 Prozent von ihnen unbezahlte Überstunden.
Die Regierung stellt die neuen Änderungen als vorteilhaft für die Arbeiter dar, weil es sich nominell um eine „freiwillige“ Vereinbarung handelt und die Arbeiter die zusätzlichen Stunden mit „Freizeit“ ausgleichen können. In einem Gespräch mit Skai TV im letzten Monat sagte Arbeitsminister Kostis Chatzidakis: „Wir geben den Arbeitnehmern mehr Flexibilität, ohne ihr Einkommen zu senken.“
Die GSEE-Umfrage ergab, dass die neue Maßnahme bei den griechischen Arbeitern aber auf wenig Gegenliebe stößt. 73 Prozent gaben an, dass sie einen finanziellen Ausgleich für ihre Überstunden einem Freizeitausgleich vorziehen.
In seiner Rede zum 1. Mai warnte der ADEDY-Vorsitzende Dimitris Bratis, die Regierung bereite sich darauf vor, „die symbolträchtigste und wichtigste Errungenschaft der [Arbeiter-]Bewegung, den Achtstundentag, abzuschaffen“.
Das ist vor allem heiße Luft. Die Gewerkschaften haben schon vor langer Zeit eine zentrale Rolle dabei gespielt, die Verlängerung des Arbeitstags zu ermöglichen. 2011 wurde von der sozialdemokratischen PASOK-Regierung ein Gesetz verabschiedet, das die Verlängerung des Arbeitstages auf bis zu 10 Stunden in Betrieben erlaubt, in denen dies im Rahmen eines Tarifvertrags vereinbart wurde. Von PASOKs Partnern in den ADEDY- und GSEE-Gewerkschaften regte sich kein Widerstand. Zu den großen Unternehmen, bei denen die 10-Stunden-Regel durchgesetzt wurde, gehören das Telekommunikationsunternehmen OTE, die Alpha Bank, der Zigarettenhersteller Papastratos und der Getränkehersteller Ivi.
Was die Gewerkschaftsbürokratie jetzt auf die Beine bringt, ist die Tatsache, dass das neue Gesetz ihre eigene Machtposition untergräbt. Denn die Abschaffung des Achtstundentags kann nun den Arbeitern durch individuelle „Vereinbarungen“ sowohl in gewerkschaftlich organisierten als auch nicht organisierten Betrieben gleichermaßen aufgezwungen werden.
Letztlich zielt die Maßnahme darauf ab, neue Arbeitsmethoden festzuschreiben, um die Ausbeutung in Spitzenzeiten zu intensivieren und somit noch größeren Mehrwert aus der Arbeiterklasse zu pressen. Regelungen für Freizeitausgleich – anstelle der Bezahlung höherer Überstundensätze – sorgen dafür, dass noch mehr Profit in die Taschen der Konzerne fließt.
Diese Ausbeutung wird auch mit einer weiteren Maßnahme des neuen Gesetzes erleichtert: eine Erhöhung der Grenze für gesetzlich erlaubte Überstunden. Derzeit liegt sie bei 96 Stunden pro Jahr in der verarbeitenden Industrie und bei 120 Stunden in allen anderen Branchen. Künftig soll das Limit auf 150 Stunden pro Jahr für alle Unternehmen erhöht werden.
Der Gesetzentwurf untergräbt außerdem das Streikrecht. Er beinhaltet die Vorschrift, dass alle öffentlichen Versorgungsbetriebe – wie etwa die Athener Metro – während eines Arbeitskampfs einen „garantierten Mindestservice“ von 33 Prozent sicherstellen müssen.
Das neue Gesetz reiht sich ein in zahlreiche ähnliche Maßnahmen weltweit, die von der herrschenden Klasse ergriffen werden, um die Ausbeutung der Arbeiterklasse zu intensivieren. So wollen sie das Geld für die Rettungspakete wieder reinholen, die in der Pandemie an Unternehmen geflossen sind. Griechenlands Wirtschaft, die stark von der Tourismusindustrie abhängt und von der Pandemie besonders hart getroffen wurde, schrumpfte im Jahr 2020 um 10 Prozent. Im gleichen Zeitraum ist die Staatsverschuldung auf 205,6 Prozent des BIP angestiegen, die höchste in der Eurozone und über 25 Prozent höher als Ende 2014 – auf dem Höhepunkt der griechischen Schuldenkrise.
Griechenlands herrschende Elite wird in den nächsten sechs Jahren 31 Milliarden Euro aus dem 750 Milliarden Euro schweren EU-Konjunkturfonds für die Zeit nach der Pandemie erhalten. Das Geld ist Teil des sogenannten Investitionsprogramms „Griechenland 2.0“, das insgesamt 57 Milliarden Euro umfasst.
Die EU stellt den Mitgliedsstaaten über einen Zeitraum von sieben Jahren Gelder für die Zeit nach der Pandemie zur Verfügung, die aber an Sparmaßnahmen geknüpft sind – ähnlich wie bei der Austeritätspolitik in Griechenland in den letzten zehn Jahren. Die EU und der Internationale Währungsfonds hatten nach der globalen Finanzkrise 2008/09 Spardiktate angeordnet und Griechenland in ein Testlabor für die brutale Sparpolitik in ganz Europa verwandelt.
Die griechische herrschende Klasse ist mittlerweile Meister beim Durchsetzen brutaler Sozialkürzungen. Deshalb lobte ein EU-Beamter sogleich den „Griechenland 2.0“-Plan gegenüber der Financial Times als „einen der besten, den wir bisher gesehen haben“. Er fügte hinzu, dass „die Erfahrung mit dem [Rettungsprogramm] sehr geholfen [hat]“.
Die pseudolinke Oppositionspartei Syriza (Koalition der radikalen Linken) unterstützte den Streik am 6. Mai. Der Parteivorsitzende und ehemalige Premierminister Alexis Tsipras sowie andere hochrangige Syriza-Funktionäre nahmen an der Hauptkundgebung in Athen teil. Tsipras erklärte, „das wird ein monumentaler Kampf sein, um das Recht der Arbeiter und der Μehrheit der Bevölkerung auf Leben und Würde zu verteidigen. Und es ist ein Kampf, den wir bis zum Ende führen werden.“ Diese Worte kamen aus dem Mund desselben Verbrechers, der im Januar 2015 aufgrund seiner Versprechen, die Sparpolitik zu beenden, an die Macht gebracht wurde, nur um dieses Mandat in nur wenigen Wochen zu brechen.
Nach dem Referendum im Juli 2015, bei dem die Arbeiter mit überwältigender Mehrheit ein drittes Sparpaket ablehnten, stimmte Syriza zusammen mit ihrem Junior-Koalitionspartner, den rechtsextremen Unabhängigen Griechen, ein paar Wochen später einem Rettungspaket mit der EU und dem IWF zu. In den folgenden vier Jahren setzte Syriza einen Sparkurs durch, der noch brutaler war als der ihrer Vorgängerregierungen unter PASOK und ND. 2018 führte Syriza ein Gesetz ein, das die Schwelle für eine Streikabstimmung von einem Drittel auf mindestens 50 Prozent der Mitglieder einer Gewerkschaft anhob.
Die stalinistische Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) unterstützte ebenfalls den Streik am 6. Mai, ihre Gewerkschaften der Militanten Arbeiterfront (PAME) nahmen an der Kundgebung teil. In einem Interview erklärte der Generalsekretär der KKE, Dimitris Koutsoumbas, dass „der massive Streik zum Maifeiertag die erste Antwort der Arbeiter war, die keine ‚Sklaven des 21. Jahrhunderts‘ werden wollen“.
Tatsächlich haben die griechischen Arbeiter in den letzten zehn Jahren schon viele „Antworten“ gegeben – mit unzähligen Generalstreiks gegen die Sparpolitik, die aber systematisch von den Gewerkschaften verraten wurden. PAME spielte dabei eine entscheidende Rolle. Indem sie sich als kämpferischer Flügel der Gewerkschaftsbürokratie aufspielte, sorgte sie dafür, dass kein Streik der Kontrolle der Bürokratie entglitt. Die Arbeiter durften Dampf ablassen, während die Maßnahmen trotzdem durchgesetzt wurden.
Das vergangene Jahrzehnt in Griechenland hat gezeigt, dass man der Gewerkschaftsbürokratie und ihren pseudolinken Cheerleadern kein Vertrauen schenken darf. Um den Kampf voranzutreiben, müssen die Arbeiter ihre eigenen Aktionskomitees gründen – unabhängig von den Gewerkschaften und in Solidarität mit ihren Kollegen auf dem ganzen Kontinent, die den gleichen Angriffen auf ihren Lebensstandard und ihre Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind.