Arbeitsgericht stellt sich gegen WISAG-Busfahrer

Das Frankfurter Arbeitsgericht hat am 29. Juni über die Kündigungsschutzklagen von 22 Flughafen-Busfahrern gegen den WISAG-Konzern verhandelt. Wie sich zeigte, sind die Arbeiter im Kampf gegen Ausgründung, Entlassungen und Lohnraub nicht nur mit den Kapitalisten, den etablierten Parteien und den Gewerkschaften konfrontiert, sie können auch nicht auf die Rechtsprechung bauen.

Im Oktober letzten Jahres hatten 31 Busfahrer ihre langjährige Festanstellung am Rhein-Main Airport verloren. WISAG hatte sie im Rahmen eines „Betriebsübergangs“ zu einer Strohmann-GmbH geschickt, die der Konzern kurz zuvor aus dem Hut gezaubert hatte: die Sky City Bus GmbH. Wer das nicht akzeptierte, dem wurde gekündigt und die Lohnauszahlung mit sofortiger Wirkung eingestellt.

Ein Kläger, der Busfahrer Peter M., der heute für Sky City Bus arbeitet, erklärte der WSWS, was der Wechsel für die Arbeiter bedeutet: „Bei Sky City Bus habe ich echte Nachteile“, sagte er. „Ich hatte bisher 30 Urlaubstage, jetzt nur noch 25. Das Urlaubsgeld ist weg, auch bekomme ich kein Weihnachtsgeld und kein 13. Jahresgehalt. Und der Monatslohn ist auch geringer.“

Sein Vertrag bei Sky City Bus läuft zunächst befristet auf ein Jahr. In diesem Jahr ist die Firma WISAG theoretisch verpflichtet, ihm den alten Lohn zu garantieren, bzw. die Differenz auszugleichen. Aber schon sein 13. Monatsgehalt musste er mit einklagen. Wie die andern klagt er auf Weiterbeschäftigung bei WISAG zu den alten Konditionen.

All dies interessierte die Richterin wenig. Ihr ging es an diesem Tag hauptsächlich darum, Teilvergleiche über ungeklärte Detailfragen zu verhandeln, um die entsprechenden Anträge zu bereinigen und das Verfahren so rasch wie möglich zum Abschluss zu bringen. Die Urteile sollen schriftlich erfolgen.

„Die Richterin und die Rechtsanwältin der Gegenseite stecken unter einer Decke“, so der bittere Kommentar mehrerer Arbeiter, die aus dem Gericht kamen. „Unsre Seite ist überhaupt nicht zur Anhörung gekommen. Es war wie gegen eine Wand gesprochen.“

„WISAG ist wohl in Frankfurt zu mächtig; vermutlich haben sie auch Einfluss auf das Gericht“, schlossen die Umstehenden daraus. Sie machten sich gegenseitig auf einen Aushang an der Gerichtskantine aufmerksam: Auch dort trägt eine offizielle Mitteilung das Logo des WISAG-Konzerns. Auch beim Arbeitsgericht, wie in der ganzen Stadt, ist WISAG als Dienstleister tätig.

Was die Richterin, Frau Dr. Jana Kraus, anbetrifft, so hat sie vor einigen Jahren noch als Arbeitgeberanwältin in einer der bekanntesten Anwaltskanzleien, bei Clifford Chance, gearbeitet. Wikipedia zählt Clifford Chance zum „Magic Circle“ der fünf umsatzstärksten Londoner Anwaltskanzleien.

Auch noch als Richterin am Frankfurter Arbeitsgericht nahm Jana Kraus gemeinsam mit ex-Kollegen von Clifford Chance als Referentin an Bildungsseminaren für Führungskräfte teil, wie aus einer Werbebroschüre des Management Forums Starnberg GmbH hervorgeht.

Dort wurde ausdrücklich ihre Praxiserfahrung als Arbeitsrichterin in Frankfurt hervorgehoben. Weiter heißt es dort: „Davor war sie mehrere Jahre als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht (…) im Frankfurter Büro der Sozietät Clifford Chance tätig, wo sie deutsche und internationale Unternehmen in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts beriet.“

Bei einem solchen Seminar ging es um „rechtliche Fallstricke für die Gestaltung von Arbeitsverträgen“, bei einem anderen um die „Beendigung des Arbeitsverhältnisses“, etc.

Im Gerichtssaal arbeitete Richterin Kraus an diesem Tag eng mit der Anwaltskanzlei der Beklagten, der WISAG Aviation Ground Service, zusammen. WISAG lässt sich durch die Kanzlei Schweibert Leßmann & Partner vertreten, über welche es auf der wirtschaftsjuristischen Website juve.de heißt: „Die in Frankfurt und Berlin tätige Arbeitsrechtsboutique hat sich zu einer der relevantesten Größen für die arbeitsrechtliche Begleitung großvolumiger Transaktionen entwickelt.“

Die Kanzlei hat schon Lufthansa beim Verkauf von LSG Sky Chefs vertreten und zahlreiche Konzerne, darunter Sanofi-Aventis, Unilever Deutschland, mehrere Banken, den German Marshall Fund, „Automobilzulieferer bei Werksschließung“ und eben auch WISAG Aviation beraten. Im Gerichtssaal führte die Spitzenkraft der Sozietät, die Fachanwältin Dr. Ulrike Schweibert, das Wort für das beklagte Unternehmen.

Ein „Speed-Dating“ nannten die Arbeiter die Massenabfertigung an diesem Vormittag, an dem 22 Busfahrer, die eigentlichen Kläger, unter Führung ihrer Anwälte wie Bittsteller vor die Richterin und die Wirtschaftsanwälte traten. Auch Schwerbehinderte wurden im Zuge dieses Schnellprozesses abgeurteilt. „Willkür im Dienst des Arbeitgebers“, nannte es einer der Rechtsanwälte.

Verschiedene Anwälte vertreten die Arbeiter einzeln oder zu mehreren. Einige sind im Auftrag der Spartengewerkschaft IGL tätig, andere sind privat von den Arbeitern beauftragt worden. Rechtsanwalt Hans Wüstehube, der an diesem Tag sechs Busfahrer vertrat, erklärte mehreren Außenstehenden: „Bei diesem Prozess geht es darum, Menschen loszuwerden, weil sie zu teuer sind. Die Richterin ist Herrin des Verfahrens, sie vertritt aber hier den Arbeitgeber, wie vor 100 Jahren, und die beiden Schöffen sitzen daneben und sagen nichts.“

Im dritten Prozess, den die Autorin dieses Artikels mit anhören konnte, tat die Richterin die Kündigungsschutzklagen fast nebenbei in wenigen Sätzen ab. Sie seien wohl durch den Betriebsübergang von WISAG zu Sky City Bus hinfällig. WISAG habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, keine Busfahrer am Flughafen mehr zu beschäftigen. Durch diese Entscheidung, so die Richterin, seien die Arbeitsplätze weggefallen, und die Arbeitsverhältnisse seien auf Sky City Bus übergegangen. „Das Gericht stellt sich schon die Frage: Fehlt dadurch nicht das Rechtsschutzbedürfnis?“

Rechtsanwalt Wüstehube warf im Gericht eine andere Frage auf, nämlich zu der Firma Sky City Bus: „Was ist das für eine Firma? Der Geschäftsführer kommt von WISAG, und die Aufträge kommen von WISAG. Sie hat keine eigenen Busse, kein eigenes Geld, auch keine eigenen Aufträge. Sie fährt die Busse von WISAG, die sie übernommen hat.“ Sky City Bus habe vor März 2020 nicht existiert. Selbst die Dienstpläne würden von WISAG erstellt und die Fahrten auf WISAG-Formularen protokolliert.

„Das ist keine ernsthafte wirtschaftliche Entscheidung“, schloss der Rechtsanwalt daraus. Aus seinen Worten wurde sehr klar, dass Sky City Bus eine Scheinfirma, eine inoffizielle WISAG-Tochter ist, deren einziger Zweck darin besteht, die Konditionen der Arbeiter zu drücken.

Wüstehube sagte auch: „Wir haben nicht das Gefühl, dass die Beklagte die Busfahrten tatsächlich aufgegeben hat.“ Er legte Stellenanzeigen der WISAG vor, in denen ausdrücklich Busfahrer für Bodenverkehrsdienste gesucht werden, daneben auch „Mitarbeiter für die Flugzeugabfertigung und Transportdienstleistungen“.

Über die Entlassenen sagte er: „Diese Arbeiter haben eine Vielzahl von Tätigkeiten am Flughafen ausgeübt. Sie kennen das ganze Geschehen an der Rampe – vom Passagiertransport in den Bussen, über das Laden von Koffern und Fracht bis zu den Pushback-Fahrten. Sie haben das alles seit vielen Jahren gemacht.“

WISAG sei dagegen „erst seit kurzer Zeit, erst seit drei Jahren am Flughafen, im Gegensatz zu den Arbeitern, die mit dem Flughafen seit vierzehn oder zwanzig Jahren vertraut sind“.

Er wies darauf hin, dass insbesondere die Pflicht zur Sozialauswahl verletzt worden sei. „Hier wurden Busfahrer gekündigt, die schon als Pushback-Fahrer tätig waren, erfahrene Kräfte. Es ist nicht nachvollziehbar. Das sind alles Langzeitbeschäftigte, und gerade diese Gruppe wurde für die Entlassungen herauskristallisiert.“

Darauf meldete sich ein Kläger, der Busfahrer Murat G., zu Wort und versuchte, diesen Tatbestand vor Gericht zu bezeugen. „Ich habe jahrelang als Busfahrer und Pushback-Fahrer gearbeitet, ich war auch schon Ladearbeiter an der Rampe.“ Er zählte seine Zusatzausbildungen auf und klagte dann WISAG an: „Uns kündigen sie, auf der anderen Seite stellen sie Leute ein!“

Ihn unterbrach die Richterin schroff: „Am Ende waren Sie Busfahrer“, belehrte sie ihn. Sonst müsse er „konkret benennen“, welche freie Stelle im Betrieb für ihn persönlich in Frage käme. Dann müssten andere dafür entlassen werden, denn „sonst wären ja nicht 283 Beschäftigte entlassen worden“.

Absurderweise gab sie vor, sie verstehe seinen Unmut, doch: „Sie wissen ja, Recht und Gerechtigkeit gehen selten Hand in Hand.“ All die vorgebrachten Argumente seien „für die Kündigungen nicht relevant“, so die Richterin. „Man kann ja finden, dass das nicht in Ordnung ist, das ist verständlich. Aber auf der juristischen Ebene ist es eine GmbH, die im Kettenauftrag arbeitet. So ist die Auftragslage.“ Daraus könne man „nicht zwingend“ ableiten, dass irgendetwas nicht rechtens sei. „Das erzeugt nur Emotionen und schlechte Gefühle.“

Die Richterin versuchte auch, die Demonstration zu stoppen, die vor dem Arbeitsgericht stattfand. Zur Unterstützung der Kläger waren mehr als dreißig Arbeiter, Kollegen und andere Beschäftigte des Flughafens zum Gericht gekommen, um die Solidarität aller Flughafen-Beschäftigten mit den Entlassenen auszudrücken. Aufgrund von Corona-Regeln durften sie den Verhandlungen nicht als Zuschauer beiwohnen, also demonstrierten sie mit Transparenten und Sprechchören vor dem Gericht und marschierten wiederholt rings um den Gebäudekomplex herum.

Ihnen ließ die Richterin ausrichten, sie werde die Verhandlungen abbrechen, wenn weiter vor den offenen Fenstern Lärm gemacht werde. Die Arbeiter sprachen darüber und entschieden, dass sie nicht bereit seien, sich nach Hause schicken zu lassen.

Ein Arbeiter sagte: „Wir bestehen auf unserm Recht und verlangen unsere Arbeitsplätze zurück. Die Richterin verlangt, dass wir leise sein und unsere Demonstration im Stillen durchführen sollen. Aber wenn wir nicht laut verkünden dürfen, warum wir hier sind und was mit uns passiert ist, dann möchte ich wissen, wie wir das Ganze publik machen sollen.“

Weiter sagte er: „Die Kündigungen gehen weiter. Bei WISAG wurden 283, bei ASG 92 und bei Lufthansa Technik 800 Mitarbeiter betriebsbedingt gekündigt. Im Raum stehen noch Fraport, Frasec, LSG und Cargo-Bereich. Alles in allem sind 20.000 Arbeiter betroffen. Wenn wir heute nicht dagegen kämpfen und laut sind, wann dann? Die Massenentlassungen werden mit der Pandemie begründet, aber WISAG sucht händeringend nach Mitarbeitern. Uns ist klargeworden, dass sie die Pandemie ausnutzen, um die alte Belegschaft loszuwerden und durch jüngere, billigere Arbeiter zu ersetzen, damit sie nach der Pandemie durchstarten und das Maximum an Profit herausholen können.“

Er fuhr fort: „Wir sind nicht die Ursache, und wir werden auch die Kosten nicht tragen. Das hier ist nur der Anfang, und es wird sich wie ein Buschfeuer ausbreiten. Dann sind Millionen betroffen.“ Er wiederholte den Slogan: „Heute wir – morgen ihr.“

Auch Arbeiter anderer Flughafenbetriebe waren gekommen, um ihre Solidarität mit den Entlassenen auszudrücken, und jeder bezog sich auf diesen Slogan: „Heute wir – morgen ihr“, der durch den Hungerstreik der WISAG-Arbeiter im Februar und März 2021 am Terminal 1 bekannt geworden war.

Hüseyin Önal, ein Cargo-Arbeiter und Betriebsrat von Handling Counts, sagte: „Ich bin hier, weil am Flughafen derzeit alle Unternehmer die gleiche Politik durchsetzen. Es ist wie die WISAG-Arbeiter sagen: ‚Heute wir, morgen ihr‘. Bei uns zum Beispiel ist die Zahl der Mitarbeiter in fünf Jahren halbiert worden, aber die Arbeit ist noch die Gleiche. Jeden Tag verlieren wir Rechte und Errungenschaften.

Unsere Firma, die Handling Counts, begann vor 14 Jahren als 100-prozentige Lufthansa-Tochter, aber heute werden wir als drittklassige Beschäftigte behandelt. Seit 2007 kämpfen wir für die gleichen Rechte wie alle Lufthansa-Beschäftigten. Aber durch Verdi wurde bei uns ein Haustarif eingeführt, der niedriger als der LH-Tarif ist. Gesetzlich ist das alles erlaubt, obwohl es nichts mit Gerechtigkeit zu tun hat.

Wie wird es bei Handling Counts weitergehen? Wir wissen es nicht. Unsere sozialen Rechte und Arbeitsplätze sind in Gefahr. Die Lufthansa hat bereits ihre Tochter LSG verkauft und die Eurowings abgebaut. Der Lufthansa-Konzern hat sich auf höchster Ebene mit der Gewerkschaft geeinigt, und dabei haben sie auch eine neue Tarifschiene zum Mindestlohn eingeführt, und Verdi hat allem zugestimmt.

Letztes Jahr haben sie sich wegen der Pandemie auf Konzernebene darauf geeinigt, dass bis 2022 Weihnachts- und Urlaubsgeld gestrichen werden, angeblich um die Arbeitsplätze zu sichern. Jetzt verhandeln sie absolut nicht mehr mit uns. Der Arbeitgeberverband lässt sich bis 2022 auf nichts mehr ein.“

Zu Verdi sagte Hüseyin: „Die Gewerkschaft rührt sich nicht; man sieht es bei WISAG. Der Arbeitgeber kann alles allein entscheiden, die ‚teureren‘ Arbeiter entlassen und durch billigere Leiharbeiter ersetzen. Für mich ist das ganz ungerecht, und ich hoffe sehr, dass die gekündigten Arbeiter vor Gericht Recht bekommen.“

Auch Harald, ein Betriebsrat bei LSG, ist zur Unterstützung der WISAG-Arbeiter zum Arbeitsgericht gekommen. Er hat die Erfahrung gemacht, dass der Lufthansa-Konzern mit Unterstützung von Verdi LSG halbiert und verkauft hat.

Über die Verdi-Spitzenfunktionärin Christine Behle sagte Harald: „Sie sitzt gleichzeitig im Verdi-Vorstand und im Lufthansa-Aufsichtsrat. Wie macht sie das dann bei Tarifverhandlungen? Verhandelt sie mit sich selbst? Sie steht doch in einem starken Interessenkonflikt.“

Er fuhr fort: „Am Flughafen schließt die Gewerkschaft mittlerweile Tarifverträge ab, die die Mitarbeiter schlechter stellen, anstatt um Verträge zu kämpfen, die die Schlechteren den Bessergestellten angleichen. Ich bin seit 30 Jahren im Betrieb. Immer hieß es, wir wollen Arbeitsplatzsicherung betreiben, und immer mussten wir irgendetwas dafür abgeben.

Aber kein Arbeitsplatz ist gesichert worden. Denn jeder Vollzeitarbeitsplatz ist ersetzt worden durch: Mitarbeiter auf Abruf, befristete Arbeitsverträge, 40-Stunden-Verträge, Leiharbeit, Outsourcing. Welche Arbeitsplätze wurden denn da gesichert? Wir waren fast 3000 Mitarbeiter und sind jetzt nur noch 1700, und davon sind wahrscheinlich auch noch 400 ‚zuviel‘. Da frage ich mich: Wo bewegt sich unsre ganze Gesellschaft hin?“

Angesprochen auf den Kampf der Volvo-Arbeiter in den Vereinigten Staaten, die seit Wochen gegen den Willen ihrer Gewerkschaft UAW streiken, sagte Harald: „Super, die machen es richtig“, aber hier höre man nichts von solchen Arbeitskämpfen.

Er stellte fest: „Wir müssen international viel mehr über uns erfahren. Bei LSG war das auch so, da haben wir einiges über die Bedingungen in den USA gehört, was wir überhaupt nicht wussten. Zum Beispiel, dass die LSG eine Lebensmittelproduktion in Bor, Tschechien, aufbauen wollte, aber die Arbeit sollten Billigarbeiter aus den Philippinen machen! Es ist moderne Sklaverei.“

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