Am Samstag wurde der WikiLeaks-Gründer Julian Assange 50 Jahre alt. Wir nehmen das zum Anlass, das enorme Leid ins Blickfeld zu rücken, das die imperialistischen Regierungen dem heldenhaften Journalisten zugefügt haben und noch zufügen. Sie wollen ihn dafür bestrafen, dass er ihre Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen aufgedeckt hat.
Assange wird nun seit mehr als einem Fünftel seines Lebens vom amerikanischen Staat und seinen Verbündeten verfolgt. Es begann mit dem Einfrieren seiner Konten durch die Schweizer Bank PostFinance und der Einleitung einer fingierten Untersuchung wegen sexueller Übergriffe durch Schweden im November–Dezember 2010. Ab Juni 2012 saß er sieben Jahre lang in der ecuadorianischen Botschaft in London fest, und seit mehr als zwei Jahren ist er jetzt im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London inhaftiert.
In dieser Zeit hat er die Geburt und die ersten Lebensjahre zweier Söhne verpasst und ist seit sechs Jahren von seiner Verlobten Stella Moris getrennt. Assange ist jeder Möglichkeit des Reisens und der grundlegendsten Kommunikationsmittel beraubt. Damit hat man seine weltweit bedeutende Arbeit als Journalist stillgelegt. Auch ist ihm jede Möglichkeit verwehrt, sich gegen eine unerbittliche Kampagne von Verleumdungen und Beleidigungen zur Wehr zu setzen.
Die Auswirkungen auf Assange persönlich sind verheerend. Sowohl der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, als auch die Gruppe Ärzte für Assange haben sie als psychologische Folter definiert. Sein britischer Auslieferungsrichter musste zugeben, dass Assange unter schweren Depressionen leidet und ernsthaft suizidgefährdet ist.
Weitaus Schlimmeres ist geplant. Assange kämpft gegen seine Auslieferung an die USA, wo ihm eine Anklage nach dem Espionage Act droht, die zu einer lebenslangen Haftstrafe führen könnte. Assange würde dann unter Bedingungen inhaftiert werden, die nach den Worten zweier ehemaliger amerikanischer Gefängniswärter, die bei seinem Prozess aussagten, „nicht für die Menschheit gebaut sind“. Mit nahezu ständiger Einzelhaft und der Verweigerung fast jeglichen Kontakts mit der Außenwelt kommen diese Bedingungen praktisch dem lebendigen Tod gleich.
Nichts deutet darauf hin, dass diese bösartige Verfolgung aufhören wird. Die sorgfältig kalkulierte Entscheidung der Bezirksrichterin Vanessa Baraitser im Januar, dass Assange aus Gründen der psychischen Gesundheit nicht an die USA ausgeliefert werden könne, hat an seinen Haftbedingungen nicht das Geringste geändert. Er bleibt in Belmarsh in Untersuchungshaft. Das US-Justizministerium hat seine Entschlossenheit signalisiert, den Fall weiter zu verfolgen, auch wenn das Lügengebäude, das es gegen Assange aufgebaut hat, in sich zusammenfällt.
Offiziell liegen keine Informationen vor über den Status der Berufung der US-Regierung gegen Baraitsers Entscheidung oder über die Gegenberufung von Assanges Verteidigungsteam. Es bleibt unklar, wann diese Berufungen angehört werden. Das belässt den WikiLeaks-Gründer in einem rechtlichen Schwebezustand. Der entscheidende High Court geht Ende Juli in die Sommerpause und nimmt erst im Oktober die Arbeit wieder auf.
Sicher ist, dass die herrschende Klasse immer noch beabsichtigt, ein Exempel an Assange zu statuieren, dessen Arbeit mit WikiLeaks ihnen immensen politischen Schaden zugefügt hat. Sie hat auch zu einem Aufschwung antiimperialistischer Stimmungen in der ganzen Welt beigetragen. WikiLeaks deckte Zehntausende von nicht erfassten zivilen Opfern und den Einsatz von Todesschwadronen und Folter während der Besatzung im Irak und in Afghanistan auf. Die Organisation enthüllte die Unterstützung der USA für Militärputsche und brutale repressive Regime, die Überstellung von Unschuldigen und Minderjährigen nach Guantanamo Bay und veröffentlichte das berüchtigte Video „Collateral Murder“.
Der damalige Verteidigungsminister unter Obama, Leon Panetta, CIA-Direktor von 2009 bis 2011, fasste die Reaktion der amerikanischen Regierung so zusammen: „Man kann nur hoffen, dass etwas gegen diese Leute getan wird, die so etwas veröffentlichen. Und dass man ein Exempel statuiert, damit andere nicht das Gleiche tun.“
Abgesehen davon, dass die Vendetta gegen Assange seine Gesundheit zerstört hat und ihm die Freiheit vorenthält, schafft sie einen abschreckenden Präzedenzfall der Missachtung juristischer und demokratischer Grundrechte. Der Fall für seine Auslieferung ist durch den routinemäßigen Missbrauch eines ordnungsgemäßen Verfahrens gekennzeichnet, einschließlich der Verweigerung des ordnungsgemäßen Zugangs zu seinen Anwälten und wichtigen Dokumenten und der Einführung einer neuen Anklageschrift in elfter Stunde. Der amerikanische Staat hat Assange und sein Anwaltsteam ausspioniert, und es sind Pläne aufgedeckt worden, ihn zu entführen und sogar zu ermorden. Die Anklagen gegen Assange kriminalisieren grundlegende journalistische Praktiken und stellen sie unter den Espionage Act und den Official Secrets Act.
Die britischen Gerichte haben jeden Schritt dieser pseudo-juristischen Hexenjagd bestätigt. Die liberalen Medien haben diese juristische Farce höchstens mit einem leisen Raunen begleitet, und die offizielle „linke“ Politik nimmt sie hin. Diese Schichten lassen nichts mehr von ihrem allfälligen früheren Engagement für demokratische Rechte erkennen. Nur eine kleine Handvoll Parlamentarier und nur sehr wenige Zeitungen lassen sich herbei, Assange – meist nur symbolisch – zu unterstützen.
Trotz hartnäckiger Bemühungen der offiziellen „Don't Extradite Assange“-Kampagne (DEA), sich diesen Kreisen anzudienen, können sie bisher in Großbritannien gerade mal eine parteiübergreifende Mannschaft von 24 Parlamentariern aufweisen. Die Anwesenheit des konservativen Abgeordneten David Davis in dieser Gruppe bestätigt ihren völlig zahnlosen Charakter. Dieser rechte Unterstützer von Boris Johnson fühlt sich in Gesellschaft der Labour-„Linken“ Jeremy Corbyn, Richard Burgon und John McDonnell vollkommen wohl. Diese haben sich für den britischen Staat und seine Interessen als völlig harmlos erwiesen.
Die 24 heucheln nicht einmal Vertrauen in ihre Fähigkeit, Assange zu befreien, oder eine Bewegung aufzubauen, die dazu in der Lage wäre. Stattdessen richten sie ihre Aufmerksamkeit darauf, unterwürfige Appelle an Assanges hauptsächlichen Verfolger herauszugeben: Am 11. Juni haben sie einen offenen Brief an US-Präsident Joe Biden publiziert, in dem sie ihm zu seiner Wahl gratulierten und schrieben: „Wir appellieren an Sie, diese Strafverfolgung fallen zu lassen. Das wäre ein deutlicher Akt der Freiheit, der rund um den Globus widerhallen würde.“ In dem Brief heißt es: „Wie wir waren sicher auch Sie enttäuscht davon, dass Ihr Vorgänger eine Strafverfolgung mit einer 175-jährigen Haftstrafe gegen einen weltweit bekannten Verleger eingeleitet hat.“
Dies zu dem Mann, der Assange als „HighTech-Terroristen“ bezeichnete hatte, und der die Anklage der Trump-Regierung gegen den WikiLeaks-Gründer nahtlos fortsetzt. Biden erweist sich gleichzeitig als treibender Faktor der Kriegsvorbereitungen der USA.
Soweit die DEA eine internationale Kampagne durchführt, geht es darum, ähnliche, politisch heterogene Gruppen in verschiedenen Parlamenten auf der ganzen Welt aufzutreiben, die die gleichen lahmen Appelle an Biden richten. Am Donnerstag forderte ein offener Brief, unterzeichnet von Bundestagsabgeordneten der Linken, der FDP, der Grünen und der Regierungsparteien CDU und SPD, Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, „sich beim bevorstehenden Besuch von US-Präsident Biden in Washington mit Nachdruck für ein Ende der Verfolgung von Julian Assange einzusetzen und auf die Achtung von Presse- und Meinungsfreiheit zu pochen“.
Das alles ist weder politisch seriös noch glaubwürdig. Assange wird nicht durch Appelle an das Gewissen der herrschenden Klasse befreit werden. Der Kampf für seine Freiheit hängt von der Mobilisierung einer sozialen Massenbewegung der internationalen Arbeiterklasse zur Verteidigung demokratischer Rechte und gegen Krieg ab. Deshalb ist es so wichtig, auf Assanges Notlage aufmerksam zu machen und alles zu tun, um seine Verteidigung in die Wege zu leiten.
Inmitten eines Wiederauflebens des Klassenkampfs als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen, sowie auf die gefährliche Eskalation des Militarismus auf der ganzen Welt ist die britische Socialist Equality Party zuversichtlich, dass diese Perspektive bei den Massen Gehör finden wird.