In den letzten Wochen haben sich die Konflikte um China zwischen Washington und den europäischen Mächten verschärft. Australien war im September plötzlich von einem Kaufvertrag mit Frankreich über die Lieferung von U-Booten im Wert von 56 Milliarden Euro zurückgetreten und hatte stattdessen mit Großbritannien und den USA das anti-chinesische Militärbündnis AUKUS gegründet. Die europäischen Staaten hatten sich daraufhin in diesem Monat erfolgreich über die Vorwürfe der USA hinweggesetzt, die IWF-Chefin Kristalina Georgijewa habe in offiziellen Berichten China in unangemessener Form beworben.
Als der französische Finanzminister Bruno Le Maire zum Gipfeltreffen der Finanzminister der G20-Staaten in Washington eintraf, wurde er von der New York Times ausgiebig zu China befragt. Die Times schrieb, die „krassen Differenzen [zwischen den USA und Frankreich] beim Thema China und anderen Fragen ließen sich unmöglich verbergen. Le Maire betonte, die Haltungen der USA und der Europäischen Union zu China seien fundamental unvereinbar.“
Er erklärte: „Die USA wollen die Konfrontation mit China, die Europäische Union will China einbinden.“ Weiter erklärte er, Washington sehe China als Bedrohung und wolle nicht, „dass China in ein paar Jahren die oberste Supermacht auf der Welt wird.“ Auf die Frage, ob das eine Divergenz zwischen Amerika und Europa bedeute, erklärte er: „Es könnte eine sein, wenn wir nicht vorsichtig sind.“ Um einen Konflikt zwischen den USA und der EU zu vermeiden, müsse Washington Europa auf einer Stufe mit den USA und China „als eine der drei weltweiten Supermächte des einundzwanzigsten Jahrhunderts anerkennen“.
Arbeiter müssen gewarnt werden: Die tiefen, historisch verwurzelten Konflikte zwischen den mächtigsten imperialistischen Staaten der Welt, die im zwanzigsten Jahrhundert zu zwei Weltkriegen führten, drohen wieder auszubrechen. Vor 30 Jahren verloren die Nato-Mächte nach der Auflösung der Sowjetunion 1991 durch die stalinistische Bürokratie ihren gemeinsamen Feind. Heute treiben die tiefgreifenden Konflikte um wirtschaftliche und militärische Interessen angesichts der grauenhaften sozialen und wirtschaftlichen Krise, die durch die kriminelle offizielle Reaktion auf die Corona-Pandemie ausgelöst wurde, den US-Imperialismus und die europäischen Mächte auseinander.
Le Maire erklärte, die „wichtigste Aufgabe für die Europäische Union“ sei jetzt „die Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten, um die Fähigkeit, ihre eigenen wirtschaftlichen und strategischen Interessen zu verteidigen.“ Er fügte hinzu, diese Unabhängigkeit bedeute, „in der Lage zu sein, größere Verteidigungskapazitäten aufzubauen, ihre eigenen Ansichten über den Kampf gegen den Klimawandel und ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu verteidigen, Zugang zu Schlüsseltechnologien zu haben und nicht zu sehr von amerikanischer Technologie abhängig zu sein.“
Die Times nannte eine Liste von Forderungen, die Paris Washington durch Le Maire übermittelt hat. Eine davon ist, dass die Biden-Regierung die von der Trump-Regierung eingeführten Zölle auf Stahl und Aluminium aufhebt. Weiter heißt es in der Times, Frankreich wolle von den USA außerdem „mehr Engagement für die Bestrebungen zu einer unabhängigen europäischen Verteidigungspolitik... sowie Beweise für den Respekt der USA vor den strategischen Zielen der Europäer in der Indopazifikregion.“
Dass Washington das AUKUS-Bündnis hinter dem Rücken der EU unterzeichnet hat, verdeutlicht jedoch nur, dass es die Ambitionen der EU ebenso wenig respektiert wie seine Rolle als gleichwertiger Partner. Tatsächlich war es in der ganzen postsowjetischen Zeit das Ziel der USA, ihre globale Vorherrschaft zu wahren.
Ein Strategiepapier des Pentagon von 1992 war zu dem Schluss gekommen, dass Washington zur Wahrung seiner nationalen Sicherheit „potenzielle Konkurrenten davon überzeugen muss, keine größere Rolle einzunehmen“ und „sie davon abzubringen, unsere Führungsrolle herauszufordern oder die etablierte politische und wirtschaftliche Ordnung zerstören zu wollen.“
Bereits nach Trumps Wahlsieg hatten die EU-Mächte eine feindlichere militärische Haltung angedeutet. Im Jahr 2017 erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel während Trumps erster Reise durch Europa als Präsident, die EU müsse selbst für ihre eigene Zukunft kämpfen. Die EU kündigte milliardenschwere Pläne zur Entwicklung unabhängiger Waffen und Streitkräfte an.
Seither wurde Washington durch seine Rolle als Vorkämpfer der katastrophalen Politik der „Herdenimmunität“ auf die Corona-Pandemie geschwächt, die weltweit zu Millionen Toten geführt hat, sowie durch den demütigenden Zusammenbruch seines afghanischen Marionettenregimes in Kabul in diesem Sommer. Dass der französische Finanzminister die Politik der USA kritisiert, ist angesichts der seit langem bestehenden Kritik Frankreichs am Umgang der USA mit dem Dollar kein Zufall. Die Corona-Pandemie hat diese Kritik nur noch weiter verschärft.
Letztes Jahr geriet der IWF in den Fokus einer Auseinandersetzung zwischen Washington und der EU. Letztere forderte vom IWF Subventionen zur Pandemiebekämpfung für Afrika, was Vertreter der USA als Gefahr für ihr Monopol auf die Herausgabe von Dollars ablehnte. Schließlich konnten die EU- und afrikanischen Staaten mit Unterstützung von Georgijewa den Widerstand der USA überwinden. Diesen Monat unterzeichneten fünfzehn afrikanische Staaten, darunter Nigeria, Ägypten, die Elfenbeinküste, Senegal und die Demokratische Republik Kongo, einen Brief, der in der Pariser Zeitschrift Jeune Afrique erschien und Georgijewa gegen Washington den Rücken stärkte.
Sie bezeichneten Georgijewa als „unschätzbare Partnerin“ und schrieben, sie habe eine „entscheidende Rolle bei der beispiellosen Vergabe von Sonderziehungsrechten (SDR) im Wert von umgerechnet 650 Milliarden Dollar gespielt, was vielen bedürftigen Staaten Liquidität und Geldreserven verschafft hat. Sie hat für Multilateralismus gekämpft...“
Die inner-imperialistischen Rivalitäten um die Profite, die aus China, Afrika und weiteren Ländern extrahiert werden, nehmen jedoch immer offener ein militärisches Ausmaß an, und die Gefahr eines Krieges steigt rapide. Der französische Thinktank Fondation pour la Recherche Stratégique (FRS) veröffentlichte vor kurzem einen Bericht über das AUKUS-Bündnis im Indopazifik, laut dem AUKUS „das Misstrauen der USA gegenüber Europa (nicht nur Frankreich) zeigt. Europa wurde von Washington zur Seite gedrängt, weil es nicht hart genug gegenüber Peking auftritt und außerdem dazu neigt, auf dem chinesischen Markt wirtschaftlich zu konkurrieren.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Das Papier wies die Versuche der USA zurück, die Beziehungen zu Frankreich wieder zu kitten: „US-Außenminister Antony Blinkens Versuch, Seite an Seite mit australischen Regierungsvertretern Frankreichs Empörung zu beschwichtigen (‚Frankreich ist ein wichtiger Partner... wir wollen jede Gelegenheit ergreifen, die transatlantische Zusammenarbeit im Indopazifik zu verbessern‘), täuscht niemanden. Die USA verfolgen einen strategischen Kurs mit dem Ziel, die Marginalisierung der Europäischen Union zu verstärken.“
Die FRS wies auf das „Ungleichgewicht zwischen Europas Mitteln und Ambitionen“ hin und forderte eine militärische Aufrüstung: „Die Förderung einer effektiven strategischen Autonomie (bei gleichzeitiger Wahrung der notwendigen transatlantischen Solidarität), der europäischen Souveränität in ihren verschiedenen Dimensionen und des Willens zur Macht in einem Universum, in dem Gewalt und Stärke regieren, ist jetzt absolut dringend. Sich mit Worten zu täuschen ist sinnlos, das haben wir gerade erfahren... Frankreich braucht eine globale China-Strategie, die nicht auf den Indopazifik beschränkt bleibt (Paris hat aufgrund fehlender Koordination zwischen den Ministerien keine klare Haltung zum Programm ‚Neue Seidenstraße‘).“
Weiter machte die FRS deutlich, dass dies auch zu zunehmenden strategischen Spannungen innerhalb Europas führen werde, vor allem mit Großbritannien: „Die Vorstellung, dass Großbritannien noch immer an die EU gebunden ist, weil Europa auch nach dem Brexit noch immer Englands führender Handelspartner ist, wurde (zumindest teilweise) widerlegt... Londons Rolle in AUKUS und seine industrielle Teilnahme am künftigen australischen Atom-U-Bootprogramm muss zu einer breiteren Reflexion über die strategischen Beziehungen zwischen Frankreich und Großbritannien führen. ... [Dies] könnte Auswirkungen auf die Beschlüsse von Lancaster House von 2010 [über die militärische Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und Frankreich] haben.“
Die gesellschaftliche Kraft, die sich als Alternative zur Auflösung der internationalen Institutionen des Weltkapitalismus entwickelt, ist die internationale Arbeiterklasse. Weltweit kommt es zu Streiks und Protesten gegen die extreme Ausbeutung, soziale Ungleichheit und das unnötige Massensterben in Folge der offiziellen Reaktion auf die Corona-Pandemie. Bezeichnenderweise erklärte Le Maire gegenüber der Times, er fürchte „spaltende Ungleichheit“ und warnte: „eine neue Protestbewegung wie die der Gelbwesten ist überall in Europa möglich.“
Arbeiter sind nicht nur mit dem Bankrott einzelner Politiker und Regierungen konfrontiert, sondern mit dem eines ganzen Gesellschaftssystems. Die Kriegsdrohungen der USA gegen China sind zwar die aggressivsten und rücksichtslosesten Elemente der imperialistischen Außenpolitik, doch die EU-Mächte sind nicht grundlegend anders. Sie planen die Umverteilung von hunderten Milliarden Euro in Waffenprogramme, soziale Angriffe auf die Arbeiter und für die Kultivierung des militaristischen „Willens zur Macht“, wie es die FSR formuliert.
Die entscheidende Aufgabe für Arbeiter und Jugendliche, die Widerstand gegen die Angriffe auf Löhne, Arbeitsbedingungen, die reaktionäre offizielle Reaktion auf die Pandemie und Polizeistaatsmaßnahmen leisten, ist es, ihre Kämpfe in einer internationalen sozialistischen Antikriegsbewegung zu vereinigen.
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