Der Verdacht rechtsextremer Umtriebe in der nordrhein-westfälischen Polizei hat sich in 53 Fällen bestätigt. Das gab das Innenministerium in Düsseldorf auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur bekannt.
Vor einem Jahr hatten rechtsextreme Chats und Bilder, die auf Handys von Polizisten in Mülheim an der Ruhr/Essen gefunden und in Gruppen geteilt worden waren, die Öffentlichkeit schockiert.
Auf einem Video, das er dann an seine Kollegen versandte, sortiert ein Polizist die Patronen seiner Dienstmunition zu einem Hakenkreuz. Ein anderer teilte per WhatsApp Schnappschüsse von Weihnachtskugeln mit SS-Runen und der Aufschrift „Sieg Heil”. Ein Streifenpolizist stellte sich breitbeinig auf die Dächer zweier Dienstfahrzeuge und zeigte den Hitlergruß. Ein weiteres Video zeigt denselben und weitere Polizisten, wie sie bei einer Planwagenfahrt die verbotene erste Strophe des Deutschlandlieds singen.
In den folgenden Monaten weitete sich der Skandal um rechtsextreme Chat-Gruppen bei der Polizei mehr und mehr aus. So wurde auf beschlagnahmten Datenspeichern das verbotene Horst-Wessel-Lied gefunden, das Kampflied der SA und die spätere Parteihymne der NSDAP.
Bei den Ermittlungen kamen immer weitere Verdachtsfälle hinzu. Anfang November 2020 wurde gegen 147 Polizisten und vier Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen ermittelt. Bis Ende September dieses Jahrs steig die Zahl der gemeldeten Verdachtsfälle auf 275.
Bei der Auswertung von umfangreichem Datenmaterial, das bei der Durchsuchung der Verdächtigen beschlagnahmt wurde, kamen übelste strafrelevante Bilder und Filme zum Vorschein. Am 18. September 2020 bemerkten wir dazu auf der World Socialist Web Site, dass „deren Inhalt mit menschenfeindlicher Hetze gegen Flüchtlinge, faschistischem Schmutz und der Verharmlosung der Nazis nur unzureichend beschrieben wird“.
Gezeigt wurden unter anderem schreiende Flüchtlinge in einer Gaskammer und ein Mann auf einem Fahrrad, der mit einer Pistole auf einen schwarzen Jungen zielt, der ihm zu entkommen sucht.
Seither bemüht sich die Landesregierung von NRW, eine schwarz-gelbe Koalition unter Führung des gescheiterten CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet, das Ausmaß der rechtsextremen Netzwerke herunterzuspielen. Auf die Nachfrage von dpa antwortete das Innenministerium unter Leitung von Herbert Reul (CDU) mit folgender Bilanz:
Der Verdacht von Rechtsextremismus habe sich bei 53 der untersuchten Verdachtsfälle bestätigt. Sie seien bereits abschließend geprüft und geahndet worden. Bei 84 Hinweisen habe sich der Verdacht nicht bestätigt. Auch diese Fälle seien abschließend geprüft worden. Bei 138 Hinweisen dauere die Prüfung noch an.
Die Konsequenzen für die betroffenen Polizisten sind überschaubar. Sechs Kommissaranwärter sind entlassen worden. Bei arbeitsrechtlichen Verfahren kam es zu zwei Kündigungen und drei Abmahnungen.
Dass die entdeckten und strafrechtlich relevanten Fälle von Rechtsextremismus bei Polizisten und im Staatsapparat systematisch verharmlost und vertuscht werden, zeigen auch die Entscheidungen der Justiz. Die betroffenen Polizisten kamen strafrechtlich in der Regel mit weißer Weste davon, weil die Justiz die WhatsApp-Chats als private Kommunikation einstufte. Einschlägige Straftatbestände, wie das Verbreiten verfassungswidriger Kennzeichen, griffen dadurch nicht, heißt es im Bericht der dpa.
Bereits im letzten Jahr hatte eine Polizistin aus Mülheim/Essen erfolgreich gegen ihre Suspendierung geklagt. Das Gericht war in ihrem Fall zu dem Schluss gekommen, dass es sich bei dem Hitler-Video auf ihrem Handy um eine „Parodie“ handle.
Die bei der Polizei in NRW bekannt gewordenen Fälle von Rechtsextremismus, die jetzt zum größten Teil wieder unter den Teppich gekehrt werden, sind nur die Spitze des Eisbergs. Dasselbe gilt auch für viele ähnlich gelagerte Fälle in Hessen, Berlin und anderen Bundesländern.
Werden besonders krasse Fälle bekannt, gibt es von staatlicher Seite kurz geheuchelte Empörung. Dann wird versucht, sie als Einzelfälle herunterzuspielen und möglichst schnell darüber hinwegzugehen. Trotzdem geraten immer neue Fälle ans Licht.
So gab es fast zur gleichen Zeit, zu der die Ermittlungsergebnisse über die rechtsextremen Chat-Gruppen in der NRW-Polizei bekanntgegeben wurden, es eine Razzia in Aldenhoven, Kreis Düren. Bei einem 32 Jahre alten Mann, bei dem es sich um einen Führungsoffizier und Sprengstoffexperten der Bundeswehr handeln soll, wurde ein riesiges Waffenlager entdeckt, darunter Schusswaffen, Granaten, Handgranaten und Minen.
Gegen den Mann war ursprünglich nur wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz ermittelt worden, weil er ein Paket mit Schalldämpfern versandt hatte. Jetzt kommt der Vorwurf des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz hinzu. Er wurde in Untersuchungshaft genommen. Über seine politische Motivation ist bisher nichts bekannt. Da in dem Haus auch unbekannte Chemikalien entdeckt wurden, wurden Experten des Bundesamts für Strahlenschutz zur Bewertung hinzugezogen. Ein Teil des gefundenen Sprengstoffs wurde noch vor Ort gesprengt.
Anfang Oktober wurde bekannt, dass es auch im Wachbataillon der Bundewehr, der „Garde der Bundesrepublik“, zu rechtsextremistischen Vorfällen gekommen sein soll. Dieses Bataillon steht u.a. bei Staatsbesuchen Spalier. Im Zentrum steht eine Gruppierung innerhalb der 2. Kompanie, die sich „Wolfsrudel“ nennt. Es geht um rechtsextremistische Vorfälle, abstoßende Aufnahmerituale, sexualisierte Gewalt und Übergriffigkeit.
Bereits zuvor war der Kontakt eines Soldaten zur Identitären Bewegung aufgefallen. Auch soll ein Mannschaftssoldat des Bataillons sich in der Uniform von Hitlers Wehrmacht fotografieren haben lassen. Beiden sei die Ausübung ihres Dienstes untersagt worden.
Bevor überhaupt eine ausführlichere Untersuchung stattfinden konnte, erklärte die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) nach einem Besuch bei dem Wachbataillon, sie habe „einen guten Eindruck“ von den Ermittlungen. „Bisher gibt es keine Bestätigung einer verfestigten rechtsextremen Gruppe innerhalb des Wachbataillons.“
In diesem Monat hat der Mediendienst Integration eine Recherche zum Thema „Rechtsextreme in Sicherheitsbehörden“ veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass die Zahl der Ermittlungen wegen rechtsextremer Verdachtsfälle in den Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren stark zugenommen hat.
So gab es seit Anfang 2017 bei den Behörden der Länder (Polizei, Landeskriminalämter, Verfassungsschutz) in 319 Fällen Ermittlungen wegen des Verdachts des Rechtsextremismus. Bei den Bundesbehörden (u.a. Bundespolizei, Bundeskriminalamt, BKA und Zoll) waren es 58, beim Militärischen Abschirmdienst (MAD) 1064 Verdachtsfälle. Die Ermittlungen des MAD bezogen sich vor allem auf die Bundeswehr, wo die Zahl der rechtsextremen Verdachtsfälle vom Jahr 2018 auf 2019 um ein Drittel gestiegen ist.
Der Bericht des Mediendiensts Integration führt zahlreiche rassistische und rechtsextremistische Vorfälle in den Sicherheitsbehörden zwischen 2017 und Oktober 2021 an. Immer wieder geht es um rechtsextreme Chatgruppen bei der Polizei. Außer den Fällen in NRW wurden ähnliche Gruppen in Mecklenburg-Vorpommern, Hessen und Berlin und fast allen anderen Bundesländern bekannt. Immer wieder werden auch rassistische Vorfälle erwähnt.
Angeführt werden Verbindungen von Polizisten zu Reichsbürgern, Querdenkern, der AfD und anderen rechtsextremen und faschistischen Parteien, rechtsextreme und rechtsterroristische Netzwerke bei der Bundeswehr, Verbindungen zur Gruppe Nordkreuz sowie zum „Hannibal-Netzwerk” und zum Verein „Uniter”. Einige dieser Gruppen bereiten sich auf den sogenannten Tag X vor, führen Feindeslisten und haben Leichensäcke für ihre politischen Gegner organisiert.
Der Bericht bemerkt: „Über manche Netzwerke, von denen in Medien berichtet wird, liest man nur wenig in den offiziellen Lagebildern.”
Allein die Zusammenstellung der bekannten rechtsextremistischen und rechtsterroristischen Vorfälle mit Bezug zu den Sicherheitsbehörden zeigt, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt. Die rechtsextremistischen Gruppen bei der NRW-Polizei sind Teil eines rechtsextremen Geflechts, das sich über alle Sicherheitsbehörden erstreckt und von den Geheimdiensten gefördert und gedeckt wird.
Diese rechtsextremen Strukturen dienen der Vorbereitung des Staates zur Unterdrückung des wachsenden Widerstands der Arbeiterklasse gegen Massenentlassungen, Sozialabbau, Durchseuchungspolitik und Militarismus. Arbeiter müssen sich politisch vorbereiten und die Sozialistische Gleichheitspartei aufbauen.