Unmittelbar vor der Veröffentlichung des Koalitionsvertrags von SPD, Grünen und FDP in der vergangenen Woche zirkulierte online eine Fassung, in der Datei-Informationen sichtbar waren. An einer Stelle hieß es dort: „Zuletzt geändert von: Hoffmann, Reiner (DGB-GBV).“
Der Deutsche Gewerkschaftsbund teilte umgehend mit, sein Vorsitzender Reiner Hoffmann habe am Text keine Veränderungen vorgenommen. Doch auch ohne diesen Lapsus war klar, dass der DGB tief in die Koalitionsverhandlungen eingebunden war. Es ist keine Übertreibung, ihn als vierten Partner der Ampelkoalition zu bezeichnen.
Der Koalitionsvertrag ist von der ersten bis zur letzten Zeile vom Geist jenes Korporatismus durchdrungen, dem auch der DGB und seine Einzelgewerkschaften huldigen. Angesichts der globalen Pandemie, in der Leben und Gesundheit von Millionen Arbeitern dem Profit geopfert werden, der tiefsten Kluft zwischen Arm und Reich seit Jahrzehnten und dem wachsendem Widerstand der Arbeiterklasse, rücken die Gewerkschaften eng mit Regierung und Unternehmern zusammen.
Der erste sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert, den SPD und Gewerkschaften bis heute verehren, hatte zu Beginn der Novemberrevolution 1918 erklärt: „Ich will die soziale Revolution nicht. Ich hasse sie wie die Sünde.“ Die heutigen Sozialdemokraten und Gewerkschaftsführer hassen nicht nur die soziale Revolution, sondern selbst den geringsten Protest oder Streik. Sie reagieren mit Angst und Panik auf den wachsenden Druck von unten und verwandeln sich restlos in ein Werkzeug zur Unterdrückung der Arbeiter.
Die enge Zusammenarbeit von DGB-Gewerkschaften und Bundesregierung ist nicht neu. So feierte der damalige IG Metall-Chef Berthold Huber 2010 seinen 60. Geburtstag im Kanzleramt zusammen mit der Kanzlerin, den Konzernchefs von Siemens, VW und dem Arbeitgeberpräsidenten. 2015 verabschiedete der Bundestag das Tarifeinheitsgesetz, das dem DGB eine Monopolstellung einräumt und das grundgesetzlich geschützte Recht auf Streik und Koalitionsfreiheit aushebelt. Und in diesem Frühjahr erleichterte das sogenannte Betriebsrätemodernisierungsgesetz die Gründung von Betriebsräten, die gebraucht werden, um den Widerstand in den Betrieben zu unterdrücken.
Doch die gegenwärtige Integration der Gewerkschaften in die Regierung geht weit über die bisherige Zusammenarbeit hinaus. Ein Blick in den Koalitionsvertrag macht das deutlich.
Unter den Schlagwörtern Modernisierung, Transformation und Klimaschutz plant die Ampelkoalition „einen neuen Aufbruch“, nach dem von den Rechten und Errungenschaften, die sich die Arbeiterklasse in den Nachkriegsjahrzehnten erkämpft hat, nichts übrig bleiben wird. Dazu braucht sie den Schulterschluss von Staat, Unternehmen und Gewerkschaften.
„Im Dialog mit Wirtschaft, Gewerkschaften und Verbänden wollen wir eine ‚Allianz für Transformation‘ schmieden und in den ersten sechs Monaten des Jahres 2022 stabile und verlässliche Rahmenbedingungen für die Transformation besprechen,“ heißt es dazu im Koalitionsvertrag. Als „größte Industrie- und Exportwirtschaft Europas“ stehe Deutschland in den 2020er Jahren „vor tiefgreifenden Transformationsprozessen im globalen Wettbewerb“. „Wir sehen deshalb die Aufgabe, der ökonomischen Stärke unseres Landes eine neue Dynamik zu verleihen.“
So geht es seitenlang weiter. Die Ampelkoalition will „Raum für Innovation, Wettbewerbsfähigkeit und mehr Effizienz“ schaffen. „Dafür brauchen wir ein Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen und mehr Tempo.“
All das könnte auch aus den Computern von DGB-Chef Hoffmann und seinen Beratern stammen – und stammt möglicherweise auch von dort. Die gutverdienenden Gewerkschaftsbürokraten sehen die Zukunft der deutschen Wirtschaft vom selben Standpunkt wie die Konzernbosse und Aktionäre. Sie soll hohe Profite abwerfen und leistungsstärker und wettbewerbsfähiger werden, um im internationalen Konkurrenzkampf zu bestehen – auch wenn dies Massenentlassungen, Lohnsenkungen und unerträgliche Arbeitshetze bedeutet.
Die Gewerkschaften setzen ihr Heer von Betriebsräten und Vertrauenslauten ein, um jeden Widerstand dagegen zu unterdrücken. Allein die IG Metall verfügt nach eigenen Angaben über 50.000 Betriebsräte und 80.000 betriebliche Vertrauensleute. Eine gemeinsame Gegenoffensive der internationalen Arbeiterklasse, die auf der ganzen Welt denselben global operierenden Konzernen und Banken gegenübersteht, ist für die Gewerkschaftsbürokraten dagegen der schlimmste Albtraum.
DGB-Chef Hoffmann hatte schon während der Sondierungsgespräche, die unter großer Geheimhaltung stattfanden, die Beteiligung der FDP an der neuen Regierung begrüßt, obwohl die Liberalen allseits als Lobbyverband des Geldadels bekannt und verhasst sind.
Auf den Einwurf des Tagesspiegels, die FDP habe in der Vergangenheit „Tarifverträge verbrennen“ wollen und in den Koalitionsverhandlungen den Verzicht auf höhere Steuern für Reiche, die Beibehaltung der Schuldenbremse und die Fortsetzung der Minijobs durchgesetzt, antwortete Hoffmann: „Die FDP mit Christian Lindner ist eine andere als die FDP mit Guido Westerwelle und Philipp Rösler.“
Hoffmann fügte hinzu, um den „Industriestandort Deutschland zu sichern“, sei ein „massiver Ausbau erneuerbarer Energien“ nötig und ein „Bundesminister Christian Lindner könnte dafür sorgen, dass schnelle Verwaltungs-, Planungs- und Genehmigungsverfahren realisiert werden“.
Wie brutal die Ampel die Arbeiterklasse angreifen wird, zeigt schon jetzt ihre Corona-Politik. Am Tag der Bekanntgabe des Koalitionsvertrags stieg die offizielle Zahl der Corona-Toten in Deutschland über 100.000. Und spätestens seit der Wutrede von RKI-Präsident Lothar Wieler ist bekannt, dass diese Zahl nicht der Wahrheit entspricht, sondern mindestens doppelt so hoch liegt.
Trotzdem beschlossen die Ampel-Parteien mit ihrer Mehrheit im Bundestag eine Neufassung des Infektionsschutzgesetzes, das die Mittel zur Pandemiebekämpfung massiv einschränkt. Die neue Regierung ist entschlossen, die mörderische „Profite-vor Leben-Politik“ der Großen Koalition weiter zu verschärfen. Sie nimmt lieber zehntausende Tote und die Durchseuchung der Jugend in Kauf, als die Profite der Wirtschaft zu gefährden.
Auch dabei spielen der DGB und seine Einzelgewerkschaften eine wichtige Rolle. Mit ihrem engmaschigen Netz von betrieblichen Funktionären sorgen sie dafür, dass die Betriebe offenbleiben und Informationen über die Ausbreitung des Virus verheimlicht werden.
Obwohl es in den Großbetrieben und vielen Mittelstandsunternehmen Sicherheitsbeauftragte und Betriebsärzte gibt, werden alle Informationen über das Infektionsgeschehen in den Betrieben und auf dem Weg zur Arbeit geheim gehalten. Die Gewerkschaften sind ein zentraler Teil der Corona-Verschwörung in den Betrieben.
Der DGB unterstützt auch die Aufrüstungs- und die Kriegspolitik der kommenden Regierung. Bereits 2014 hatte der DGB begeistert reagiert, als der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) dazu aufrief, dass Deutschland eine Großmachtpolitik verfolgen und international mehr militärische Verantwortung übernehmen müsse.
Um für seine Großmachtpolitik zu werben, richtete Steinmeier damals die Website „Review 2014“ ein. Zu ihren Autoren zählte auch der neu gewählte DGB-Chef Hoffmann, der sich uneingeschränkt hinter die militärische Aufrüstung stellte.
Schon sein Vorgänger Michael Sommer hatte enge Kontakte zur Bundeswehr gepflegt. Der DGB hatte in einer gemeinsamen Erklärung mit der Bundeswehr allen Ernstes behauptet, Gewerkschaften und Bundeswehr seien beide Teil der Friedensbewegung. Kurze Zeit später beteilige sich der DGB an den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Gründung der Bundeswehr.
Die Integration des DGB in die Regierung macht deutlich, wie wichtig der Aufruf der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) ist, sich unabhängig von den Gewerkschaften in Aktionskomitees zur organisieren. Der Koalitionsvertrag lässt keinen Zweifel daran, dass ein Konflikt mit der kommenden Regierung unausweichlich ist. Es ist aber nicht möglich, gegen die Regierung und ihre Politik der sozialen Angriffe, der militärischen Aufrüstung und Corona-Durchseuchung zu kämpfen, ohne mit den korrupten Gewerkschaften zu brechen und ihre Kontrolle in den Betrieben zu überwinden.
Die Behauptung, unter dem wachsenden Druck der Arbeiter könnten die bestehenden Gewerkschaften erneuert oder reformiert werden, ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Je mehr sich der Widerstand in den Betrieben, Verwaltungen und Krankenhäusern entwickelt, desto stärker integrieren sich die Gewerkschaften in den Staatsapparat und unterstützen die Regierung gegen die Arbeiterklasse.
In den USA entwickelt sich derzeit die stärkste Streikwelle seit Jahrzehnten. Arbeiter auf der ganzen Welt sind begeistert und unterstützen sie. Auch in vielen anderen Ländern – einschließlich Deutschland – wächst die Streikbereitschaft. Der DGB fühlt sich durch diese Entwicklung bedroht, fürchtet um seine Privilegien und verschmilzt mit der Regierung.
Deshalb ist es absolut dringend, dass die Beschäftigten selbst aktiv werden und sich in unabhängigen Aktionskomitees organisieren, um die Verteidigung ihrer Gesundheit, ihres Lebens und ihrer Arbeitsplätze selbst in die Hand zu nehmen.
Die Aktionskomitees müssen alle Informationen über die Entwicklungen im Betrieb, insbesondere auch zu Corona-Infektionen, zusammentragen, auswerten, die notwendigen Schlussfolgerungen daraus ziehen und wenn nötig die Schließung der Betriebe veranlassen. Wir rufen Arbeiter auf, Kontakt mit uns aufzunehmen und euch an unseren globalen Ermittlungen der Arbeiter in Sachen Corona-Pandemie, dem Global Workers‘ Inquest, zu beteiligen.