Am Dienstag hielt US-Präsident Joe Biden eine Fernsehansprache über die Omikron-Variante, die mittlerweile in den USA vorherrschend geworden ist. Er behauptete, das Land befinde sich in einer deutlich besseren Position als im März 2020, doch diese offenkundige Falschbehauptung wurde bereits einen Tag später durch die Mitteilung der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) widerlegt, wonach die Lebenserwartung der Amerikaner im Verlauf des Jahres um 1,8 Jahre gesunken ist – 0,3 Jahre mehr als ihre vorläufige Schätzung vom Juli 2021. Die Corona-Pandemie war damit verantwortlich für den deutlichsten Rückgang der Lebenserwartung in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg vor 75 Jahren.
Letztes Jahr sind in den USA mehr als 3,3 Millionen Menschen gestorben, so viele wie nie zuvor in der Geschichte des Landes. In den Jahren 2019 und 2018 starben 2,85 bzw. 2,84 Millionen Menschen. Todesfälle durch Covid-19 waren für drei Viertel des Niedergangs der Lebenserwartung im Jahr 2020, und für elf Prozent der jährlichen Todesfälle verantwortlich.
Im Vergleich dazu ist die Lebenserwartung in China von 76,91 Jahren im Jahr 2019 auf 76,96 im Jahr 2020, und auf 77,13 im Jahr 2021 angestiegen. Aufgrund einer streng eingehaltenen dynamischen Zero Covid-Politik konnte die Zahl der Toten auf 5.000 während des ersten Ausbruchs beschränkt werden. Seit April 2020 starben offiziell nur drei Menschen an Covid-19. Deshalb wird China, obwohl es noch immer ein relativ armes Land ist, vermutlich die USA bei der Lebenserwartung seiner Einwohner überholen.
Die Pandemie ist ein auslösendes Ereignis der Weltgeschichte. Sie verschärft alle sozialen Widersprüche des Kapitalismus in dessen fortgeschrittenem Verfallsstadium. So stieg die Zahl der Toten durch die seit zwei Jahrzehnten andauernde Betäubungsmittelkrise während der Pandemie von 2019 bis 2021 um 30 Prozent, die Zahl der Toten durch versehentliche Überdosen stieg auf über 100.000 an.
Doch so erschütternd diese Statistiken auch sein mögen, hat sich das Jahr 2021 als noch tödlicher erwiesen. Bis zur letzten Woche im Dezember 2020 sind laut dem Economist in den USA 340.878 Menschen gestorben, die Übersterblichkeit lag bei 528.185. Ein Jahr später war die Zahl der Toten durch Covid-19 laut dem Magazin auf 810.000 gestiegen, die Übersterblichkeit auf zwischen einer und 1,1 Millionen Menschen. Das bedeutet, dass der Rückgang der Lebenserwartung im ersten Jahr der Biden-Regierung noch deutlicher ausfallen wird als im letzten Jahr der Trump-Regierung.
USA Today veröffentlichte am Mittwoch einen Bericht, laut dem „landesweit fast eine Million mehr Menschen in Amerika gestorben sind als in normalen Jahren vor der Pandemie, doch davon werden lediglich etwa 800.000 Todesfälle offiziell Covid-19 zugeschrieben. Eine Mehrheit der zusätzlichen 195.000 Todesfälle sind unidentifizierte Covid-19-Fälle. Gesundheitsexperten haben das seit langem behauptet und auf den ungewöhnlichen Anstieg von natürlichen Todesfällen hingewiesen.“
Das Coronavirus ist die dritthäufigste Todesursache in den USA nach Herzkrankheiten und Krebs geworden. Mehr als 203.000 Menschen zwischen 18 und 65 sind während der Pandemie gestorben, in der Altersgruppe zwischen 45 und 54 Jahren war Covid-19 die häufigste Todesursache. Insgesamt ist in allen Altersklassen einer von 400 Menschen gestorben, in der Altersklasse über 65 waren es einer von 100.
Seit dem 12. August 2021 haben sich jede Woche mehr als 100.000 Kinder mit Covid-19 infiziert, das entspricht durchgängig fast einem Viertel aller Infektionen. Seit Beginn der Pandemie wurden fast 7,4 Millionen Kinder positiv auf Covid-19 getestet. Mehr als 790 Kinder unter achtzehn Jahren sind an Covid-19 gestorben, damit ist die Sterblichkeit fast doppelt so hoch wie diejenige einer durchschnittlichen Grippe, und eine der zehn häufigsten Todesursachen in dieser Alterskategorie. Die Zahl der schweren multisystemischen Syndrome bei Kindern (MIS-C) steigt weiterhin an. Fast 6.000 Kinder sind in den USA von dieser gefährlichen Krankheit befallen, 52 sind verstorben.
Die Hospitalisierungsraten unter Kindern, die weitgehend den größten Teil der Ungeimpften ausmachen, sind auf den höchsten Stand seit Beginn der Pandemie angestiegen. Bei Kindern sieht die Situation zwar besser aus als bei Erwachsenen, doch auch sie sind dem Risiko chronischer Komplikationen durch Long-Covid ausgesetzt, von denen ein kleiner Teil betroffen ist. Durch das schiere Ausmaß der Infektionen mit Omikron wird dies beträchtliche Herausforderungen mit noch unbekannten langfristigen Folgen bedeuten.
Biden und das Pressekorps um ihn herum gingen nicht einmal auf die Auswirkungen der Pandemie auf Kinder ein, die zu Waisen geworden und ihre Feiertage nicht mit ihren Angehörigen und Erziehungsberechtigten verbringen können. Ganze 120.000 Kinder haben ein Eltern- oder Großelternteil verloren, das die wichtigste Bezugsperson oder Quelle finanzieller Unterstützung war. Weitere 22.000 haben eine sekundäre Betreuungsperson verloren.
Eine angemessene Frage nach Bidens Rede wäre gewesen: „Geht es diesen Kindern besser, Mr. President? Ginge es ihnen jetzt nicht besser, wenn wir Covid im März 2020 ein für alle Mal ausgerottet und diesen kolossalen Verlust von Menschenleben verhindert hätten?“ Dies wären angemessene Nachfragen gewesen. Doch niemand stellte sie.
Tatsächlich wurde Omikron noch vor drei Wochen in weniger als einem Prozent aller sequenzierten Stämme nachgewiesen, mittlerweile ist die Variante für mehr als 73 Prozent aller Covid-19-Fälle im Land verantwortlich. Nach allen Maßstäben liegen die USA zwei Wochen hinter Großbritannien zurück, was bedeutet, dass die Ereignisse dort dem entsprechen, was die Bevölkerung in den USA bald erwarten kann.
In London, dem Epizentrum der Omikron-Welle in Großbritannien, hat sich die Zahl der Hospitalisierungen innerhalb eines Monats verdreifacht. Das bedeutet, dass in den USA ein Bundesstaat nach dem anderen mit einem plötzlichen und alarmierenden Anstieg der Aufnahmen in Intensivstationen rechnen muss. Nach zwei Jahren in der Pandemie und wiederholten Angriffen auf ihre Kapazität zur Behandlung von Patienten befinden sich die Gesundheitssysteme in den USA in einem desolaten Zustand.
Die Cleveland Clinic in Ohio, wo aufgrund des Anstiegs der Infektionen eine Katastrophe droht, verschickte vor kurzem eine E-Mail an ihr medizinisches- und Hilfspersonal mit folgender ernüchternder Einschätzung:
Der vergangene Monat war für viele von uns in der Pflege ernüchternd. Fast zwei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie erleben wir einen der stärksten Anstiege der Patientenzahlen durch die Ausbreitung der Krankheit im mittleren Westen. Hier in Cleveland sind wir für mehr als 800 Patienten mit Covid-19 zuständig, von denen sich mehr als 200 in Intensivstationen befinden. Die Mehrheit dieser Patienten ist ungeimpft. Unsere Notfallabteilungen in Ohio sind überfüllt. Menschen warten auf die Aufnahme in unsere Krankenhäuser. Benachbarte Krankenhäuser in unseren Kommunen sind mit den gleichen Problemen konfrontiert. Wir mussten viele nicht dringliche Operationen in Ohio verschieben, weil wir genug Platz für Patienten mit Covid-19 lassen müssen. Unsere Ärzte, Pflegekräfte und Betreuer sind rund um die Uhr mit diesen Patienten beschäftigt. Sie sind erschöpft.
Trotz der grauenhaften Nachrichten über die Lebenserwartung stiegen die Aktienkurse, nachdem der Präsident angekündigt hatte, dass wenig getan werden würde, um den Anstieg der Infektionen zu beeinträchtigen. Der Dow Jones konnte die Verluste ausgleichen, die er am Montag erlitten hatte, als bekannt wurde, dass Omikron die dominierende Variante ist, und stieg um 261 Punkte auf 35.753.
Wie der Vergleich zwischen China und den USA zeigt, ist das Absinken der Lebenserwartung ein rein politisches Phänomen, das direkt auf die Politik der herrschenden Elite zurückzuführen ist. Die von der Finanzaristokratie angehäuften Billionen verdeutlichen, dass Profite in dieser Politik mehr zählen als Menschenleben.