EU-Gipfel sagt Ukraine mehr Waffen gegen Russland zu

Am Freitag endete ein zweitägiger Gipfel der Staatschefs der Europäischen Union im französischen Versailles, der sich mit dem russischen Überfall auf die Ukraine befasste. Die Teilnehmer heizten die Kriegshysterie weiter an und beschlossen mehrere Maßnahmen gegen Russland: weitere Waffenlieferungen an das ukrainische Militär und die nationalistischen Milizen sowie die Verpflichtung, die Importe von russischem Öl, Gas und Getreide einzustellen, die für die Nahrungs- und Energieversorgung Europas und Afrikas von entscheidender Bedeutung sind.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (links) mit der Europäischen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen während einer Pressekonferenz nach dem EU-Gipfel im Château de Versailles westlich von Paris, 11. März 2022 (AP Photo/Michel Euler)

Die Europäische Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, EU-Ratspräsident Charles Michel und der französische Präsident Emmanuel Macron, der derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat, traten am Freitagnachmittag auf einer Pressekonferenz auf. Obwohl sich jede Woche mehr als vier Millionen Menschen in Europa mit Covid-19 infizieren und über 15.000 Menschen sterben, fiel kein Wort über die Pandemie. Ebenso wenig erwähnten sie die wachsende internationale Streikwelle gegen die steigenden Treibstoffpreise.

Stattdessen forderten sie eine massive, nicht näher spezifizierte Erhöhung der EU-Militärausgaben, um „die volle Bandbreite von Operationen und Missionen“ durchführen zu können, darunter Kriege im Weltraum und im Cyberspace.

Angekündigt wurden weitere Waffenlieferungen der EU an die Ukraine im Wert von einer Milliarde Euro. Der EU-Außenpolitikbeauftrage Josep Borrell hatte zuvor erklärt, die EU werde 500 Millionen Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine ausgeben, nun wurde diese Summe nochmals um 500 Millionen Euro erhöht. Michel erklärte nicht, wofür dieses Geld verwendet werden soll.

Die Ukraine hatte zuvor von der EU die Lieferung von Flugabwehrraketen, Drohnenabwehrwaffen, Minensuchgerät, Funk- und Radarausrüstung, Nachtsichtgeräten und Krankenwagen gefordert.

Die Vertreter der EU wollten die Ukraine zwar nicht als Mitglied aufnehmen, stimmten aber der – vorübergehenden – Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge zu. Macron erklärte: „Der Weg in unser Europa steht den Ukrainern offen. Ihr Kampf für Demokratie und die Werte, die uns verbinden, hat uns gezeigt, dass die Ukraine tatsächlich zu unserer europäischen Familie gehört.“ Er fügte jedoch hinzu: „Kann es für ein Land, das Krieg führt, ein außerordentliches und beschleunigtes Verfahren für den Eintritt [in die EU] geben? Die Antwort lautet Nein.“

In der Resolution des Gipfels kündigte die EU an, „unsere Abhängigkeit von russischen Gas-, Öl- und Kohleimporten so schnell wie möglich abzubauen“, als möglicher Termin wurde 2027 genannt. Diese Störung der weltweiten Energiemärkte würde die bereits jetzt stark ansteigenden Öl- und Gaspreise noch weiter in die Höhe treiben. Zudem würden die Bestrebungen Washingtons und der europäischen Mächte, Russland und Belarus aus dem in Dollar abgewickelten internationalen Handel auszuschließen, zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise führen, da die Region ein wichtiger Exporteur von Getreide ist.

Macron machte deutlich, dass diese Politik verheerende Folgen für den Lebensstandard der Arbeiter haben wird, die EU sie aber dennoch umsetzen wird. Er erklärte, die Ernährungslage in Europa und Afrika würde im nächsten Jahr „zutiefst destabilisiert werden. Wir müssen unsere Produktionsstrategien überdenken, um unsere Nahrungssouveränität zu verteidigen... als Europäer, aber wir müssen auch unsere Strategie für Afrika neu bewerten. Andernfalls werden die afrikanischen Staaten in den nächsten 12 bis 18 Monaten betroffen sein... weil derzeit nichts angepflanzt werden kann.“

Um diese Maßnahmen zu Lasten der Arbeiterklasse zu rechtfertigen, enthielt die Resolution des EU-Gipfels eine einseitige Verurteilung Russlands: „Vor zwei Wochen hat Russland den Krieg nach Europa zurück gebracht. Russlands grundlose und ungerechtfertigte militärische Aggression gegen die Ukraine ist ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht und die Prinzipien der UN-Charta und untergräbt die globale Sicherheit und Stabilität. Sie fügt der ukrainischen Bevölkerung unaussprechliches Elend zu. Russland und sein Komplize Belarus tragen die volle Verantwortung für diesen Angriffskrieg...“

Die Entscheidung des Kremls, die Ukraine zu überfallen, war zweifellos skrupellos und reaktionär. Doch dass die EU Russland für Militarismus, die Durchseuchung mit Covid-19 und den Austeritätskurs verantwortlich macht, ist nichts als Lug und Trug.

Erstens war es nicht der Kreml, der „den Krieg nach Europa zurückgebracht hat“, sondern die imperialistischen Nato-Mächte. Die stalinistische Auflösung der Sowjetunion 1991 hat die Grundlagen für eine Welle blutiger Nato-Kriege geschaffen, nicht nur im Nahen Osten – u.a. im Irak und Afghanistan – sondern auch in Europa selbst. Die Jugoslawien-Kriege in den 1990ern wurden von den Nato-Mächten angezettelt und unterstützt, indem sie die jugoslawischen Teilrepubliken dazu brachten, sich abzuspalten. 1999 bombardierten sie Serbien und den Kosovo.

Zudem ist die Selbstdarstellung der EU als vorläufige Zuflucht für ukrainische Immigranten eine wahrlich atemberaubende Heuchelei. Nach den Nato-Kriegen im Nahen Osten und Afrika während der letzten 30 Jahre sind weltweit mehr als 80 Millionen Menschen zu Flüchtlingen geworden. Die EU hat ihre Grenzen vor ihnen abgeriegelt, Millionen in Flüchtlingslagern interniert und Zehntausende im Mittelmeer ertrinken lassen. Doch um jetzt Russland zu verteufeln und ihre rechte Politik zu rechtfertigen, heucheln sie auf diskriminierende Weise Besorgtheit, jedoch nur um ukrainische Flüchtlinge.

Außerdem sollen die Pläne für Aufrüstung und Krieg gegen Russland überwiegend auf Kosten der Arbeiterklasse umgesetzt werden. In der EU kursieren Pläne, Darlehen in Höhe von 200 Milliarden Euro für die Aufrüstung aufzunehmen, die eindeutig durch massive soziale Angriffe auf die Arbeiter in Europa finanziert werden sollen. Macron hat bereits angekündigt, das Rentenalter in Frankreich um drei Jahre zu erhöhen.

Kriegslüsterne Artikel in den bürgerlichen Medien verdeutlichen die weitreichenden und im Kern faschistischen Implikationen dieser Aufrüstungsoffensive. Kurz vor Beginn des Gipfels veröffentlichte der Spiegel einen Artikel des belgischen Philosophen Luuk van Middelaar mit dem Titel „Ein Engel mit einem Schwert ist immer noch ein Engel“. Der ehemalige Berater des Europäischen Kommissionspräsidenten Hermann Van Rompuy lobte darin die Rückkehr des deutschen Militarismus.

Er schreibt: „Nach Jahren der Zögerlichkeit beabsichtigt die Bundesrepublik nun, ernsthaft aufzurüsten. Außerdem hat sie angefangen, Kiew militärisch zu unterstützen. Berlin bricht mit seiner Wirtschaftspolitik gegenüber Moskau, erkennt seine Abhängigkeit von Gas als strategischen Fehler... Was die östlichen Nachbarn und mehrere US-amerikanische Präsidenten in vielen Jahren nicht geschafft haben, hat Putin mit einem Schlag vollbracht: Deutschland ist geopolitisch erwacht.“

Middelaar fordert, die EU zu einer militärischen Großmacht zu entwickeln, die Kriege gegen andere Großmächte führen kann: „Wenn Europa als eine Macht unter Mächten auftreten will, die irgendwann sogar in der Lage ist, zerstörerische militärische Kräfte zu befehligen, wird es eine andere politische Sprache brauchen, um über sich selbst und seinen Platz in der Welt zu sprechen. Die Europäische Union wird ihr Ethos und ihr Auftreten ändern müssen. Sie muss verstehen, dass sie dann nicht mehr der Engel ist, der den Kontinent und die Welt vom Bösen und der Tyrannei befreit – sondern ein sterblicher, strategischer und realpolitischer Akteur...“

Das ist eine Warnung für die Arbeiter in Europa und der Welt. Nachdem die herrschenden Klassen Europas bereits im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege entfacht haben, werden sie vor nichts haltmachen, um ihre imperialistischen Interessen im 21. Jahrhundert durchzusetzen. Die deutsche Bourgeoisie hat Putins reaktionären Überfall als Vorwand für das größte Wiederaufrüstungsprogramm seit Hitler benutzt, jetzt debattiert sie über die Anschaffung von Atomwaffen.

Der Focus veröffentlichte einen Kommentar mit dem Titel: „Keine Angst vor Atomwaffen: Warum Deutschland jetzt über nukleare Aufrüstung reden muss.“ Und der deutsche EU-Parlamentarier Manfred Weber schrieb in einem Gastbeitrag für die Welt: „Die Grundlage echter europäischer Souveränität ist die Fähigkeit Europas, sich selbst zu verteidigen - irgendwann auch mit Atomwaffen.“

Die Alternative zur reaktionären Politik der EU ist der zunehmende internationale Klassenkampf dagegen. In Italien haben die Fischer einen landesweiten Streik gegen die steil ansteigenden Treibstoffkosten organisiert. Laut der Fischereisparte des italienischen Bauernverbands Coldiretti Impesapesca sind die Treibstoffpreise für Fischerboote im Vergleich zum letzten Jahr um 90 Prozent gestiegen.

Die spanischen Lastwagenfahrer werden am 14. März in einen unbefristeten Streik für die Senkung der Steuer auf Treibstoff und eine Entschädigung für die steigenden Treibstoffkosten treten.

In Albanien kam es zu Massenprotesten gegen die Treibstoffpreise. Am Mittwoch wurden 16 Menschen wegen „illegalen Auflaufs“ verhaftet. Zuvor kam es in der Hauptstadt Tirana und anderen Städten zu Straßenprotesten gegen den 30-prozentigen Anstieg der Öl- und Gaspreise in einer Woche.

Auch in Deutschland finden Streiks statt. Am Dienstag traten die Beschäftigten von Kindergärten in den Streik, die besonders stark von der Pandemie betroffen sind. Auch die Piloten der Frachtfluggesellschaft Aerologic stimmten für Streik.

Die europäischen Sektionen des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI) kämpfen dafür, den wachsenden Widerstand der Arbeiter und Jugendlichen mit einem sozialistischen Programm zu bewaffnen. Die Gefahr eines Weltkriegs, der Tod von Millionen durch die Pandemie und massive gesellschaftliche Verarmung können nur durch den Aufbau einer unabhängigen Massenbewegung gegen den Kapitalismus und den Kampf für Arbeitermacht als Teil der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa abgewendet werden.

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