Einen Monat nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine unternimmt US-Präsident Joe Biden in dieser Woche eine Europareise, um die Nato-Mächte für eine weitere Eskalation des Konflikts gegen Russland zu gewinnen.
Die Spitzengespräche, auch das zwischen der Nato und dem Europäischen Rat, zielen darauf, „die internationalen Bemühungen zu verstärken, (...) Russland schwere und beispiellose Kosten aufzuerlegen“, so das Weiße Haus.
Im Vorfeld von Bidens Reise haben Nato-Militärs Pläne erörtert, die auf dem Gipfel bekannt gegeben werden sollen. Dabei ging es um die Aufstellung von Nato-Streitkräften an den europäischen Grenzen Russlands. Damit werden die Bestrebungen, Europa in einen Kriegszustand zu versetzen, erheblich verstärkt. Die Rede ist von einer Verdoppelung der US-Truppenpräsenz in Europa.
Die Treffen in dieser Woche sind regelrechte Kriegsratssitzungen:
- Am Montag telefonierte Biden mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz, dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi und dem britischen Premierminister Boris Johnson, um über „Sicherheitsunterstützung für die tapferen Ukrainer zu sprechen, die ihr Land gegen die russische Aggression verteidigen“ (wie das Weiße Haus mitteilte). Am selben Tag kündigte die EU an, dass sie der Ukraine zusätzliche Waffen im Wert von 500 Millionen Euro zur Verfügung stellt.
- Später, am Abend desselben Montags, sprach Biden vor den Vorstandsvorsitzenden der größten amerikanischen Unternehmen, um „die Reaktion der Vereinigten Staaten auf Russlands unprovozierten und ungerechtfertigten Krieg mit der Ukraine zu diskutieren“.
- Am heutigen Mittwoch wird Biden in Brüssel eintreffen, um an einer Sitzung des Europäischen Rates teilzunehmen. Trotz des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU wird auch der britische Premierminister Boris Johnson daran teilnehmen.
- Am Donnerstag wird Biden an einem Nato-Gipfel teilnehmen, bei dem es um „laufende Abschreckungs- und Verteidigungsmaßnahmen als Reaktion auf Russlands unprovozierten und ungerechtfertigten Angriff auf die Ukraine“ geht.
- Am Freitag reist Biden nach Warschau zu einem bilateralen Treffen mit Präsident Andrzej Duda. Letzte Woche schlug der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki die Entsendung einer Nato- „Friedensmission“ in die Ukraine vor.
Schon vor dieser ganzen Reihe von Treffen deuteten eindeutige Signale aus dem Weißen Haus darauf hin, dass die Vereinigten Staaten trotz der Erklärungen der Ukraine, sie strebe Verhandlungen mit Russland an, an einer diplomatischen Lösung des Kriegs überhaupt nicht interessiert sind.
Am 17. März sagte US-Außenminister Antony Blinken: „Aus meiner Sicht erfordert die Diplomatie natürlich, dass sich beide Seiten in gutem Glauben um eine Deeskalation bemühen.“ Er fügte hinzu: „Die Aktionen, die wir von Russland sehen (...) stehen in völligem Gegensatz zu allen ernsthaften diplomatischen Bemühungen, den Krieg zu beenden.“
Nach diesen Äußerungen unternahm Biden offenbar alles in seiner Macht Stehende, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin vor den Kopf zu stoßen und persönlich anzugreifen, indem er ihn als „Schläger“, „Diktator“ und „Kriegsverbrecher“ titulierte.
In einer Situation, in der ein Krieg außer Kontrolle gerät, Hunderte von Menschen getötet werden und die höchsten Spannungen zwischen Atommächten seit der Kubakrise von 1962 herrschen, kommen solche Äußerungen dem bewussten Versuch gleich, die Spannungen zu eskalieren. Der Kreml wird sie als Absichtserklärung der USA betrachten, einen Regimewechsel in Russland herbeizuführen oder die Beteiligung der USA am Krieg massiv auszuweiten.
Als Reaktion auf die von Russland als „Beleidigungen“ bezeichneten Äußerungen gab das russische Außenministerium bekannt, dass es den US-Botschafter John Sullivan einbestellt habe, um ihm klarzumachen, dass sich die „russisch-amerikanischen Beziehungen am Rande des Zusammenbruchs“ befinden. Der „Zusammenbruch“ von Beziehungen zwischen Staaten bedeutet im Allgemeinen, dass ein Krieg unmittelbar bevorsteht.
Seinen Parforceritt durch Europa, um die europäischen Verbündeten der Vereinigten Staaten für einen solchen Krieg zu gewinnen, bereitete Biden durch ausführliche Militärgespräche sorgfältig vor.
Das Wall Street Journal berichtete: „US-Verteidigungsminister Lloyd Austin traf letzte Woche im Nato-Hauptquartier mit seinen Amtskollegen aus anderen Bündnisstaaten zusammen, um eine weitere Verstärkung der Streitkräfte zu erörtern. Sie wiesen die Militärplaner aller Nato-Mitglieder an, Pläne zu entwerfen, die wahrscheinlich diskutiert werden, wenn Präsident Biden diese Woche mit anderen Regierungschefs der Allianz in Europa zusammentrifft.“
„Ich gehe davon aus, dass sich die US-Präsenz in etwa verdoppeln wird“, sagte Douglas Lute, ehemaliger US-Botschafter bei der Nato und Generalleutnant im Ruhestand, dem Journal.
Seit Ausbruch des Krieges haben die Vereinigten Staaten mehr als 15.000 zusätzliche Soldaten nach Europa entsandt, und die Gesamtzahl der US-Soldaten in Europa ist auf über 100.000 gestiegen - zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges wurde diese Zahl überschritten. Wenn, wie Lute vorschlägt, die Zahl der in Europa stationierten US-Truppen verdoppelt wird, bedeutet dies die Entsendung von 100.000 weiteren US-Soldaten an die Grenzen Russlands.
Das Journal schreibt: „Die in Osteuropa stationierten Truppen werden wahrscheinlich mit mehr Bodeneinheiten aufgestockt, die mit Panzern, anderen gepanzerten Fahrzeugen, Artillerie und Kampfhubschraubern ausgerüstet sind, anstatt der hauptsächlich leichten Infanteriekräfte, die bereits in der Nähe der östlichen Nato-Grenzen stationiert sind. Das sagen derzeitige und ehemalige Regierungsvertreter.“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Die größere Bedeutung und die Auswirkungen eines Krieges werden in der Regel erst im Laufe seiner Entwicklung deutlich. Auch wenn es den USA gelungen ist, die russische Regierung dazu zu bringen, den ersten Schuss abzugeben, so ist doch klar, dass der Krieg in der Ukraine die erste Phase eines viel umfassenderen Konflikts ist. Nachdem sie die russische Regierung zu einer verzweifelten und katastrophalen Invasion in der Ukraine provoziert haben, nutzen die Vereinigten Staaten den Krieg, um ihre globale Hegemonie wiederherzustellen. Sie bauen dafür eine Kriegskoalition auf für das, was die Vereinigten Staaten als „Großmachtkonflikt“ bezeichnen, der nicht nur Russland, sondern auch China umfasst.
Am 18. März drohte Biden bei einem Treffen mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit nicht näher bezeichneten „Konsequenzen“, sollte China Russland materiell unterstützen. Einen Tag zuvor hatte Blinken erklärt, die USA würden „nicht zögern, China Kosten aufzuerlegen“.
Diese einschüchternde Sprache wurde in offene militärische Drohungen umgewandelt, als Biden sich auf seine Reise nach Europa vorbereitete. Der indopazifische Befehlshaber der USA, Adm. John C. Aquilino, gab an Bord eines militärischen Überwachungsflugzeugs über dem von China beanspruchten Gebiet eine Pressekonferenz für die Associated Press. „Sollte die Abschreckung scheitern“, erklärte er, „besteht meine zweite Aufgabe darin, auf den Kampf und den Sieg vorbereitet zu sein“.
Die Vorbereitungen für den Weltkrieg finden hinter dem Rücken der amerikanischen Bevölkerung statt. Biden hat versprochen, Amerikas „ewige Kriege“ zu beenden und „diese Zeit des unerbittlichen Kriegs“ nicht fortzusetzen. Er wollte angeblich „eine neue Ära der unerbittlichen Diplomatie“ einleiten. Stattdessen führt die Regierung Biden jetzt die größte militärische Eskalation seit Beginn des „Kriegs gegen den Terror“ im Jahr 2001 durch.
In den Vereinigten Staaten wird der Militärhaushalt 2023 voraussichtlich 800 Milliarden Dollar betragen: 60 Milliarden Dollar mehr als die für das Haushaltsjahr 2022 bewilligten 740 Milliarden Dollar. Es wird gefordert, noch schneller Geld in die US-Kriegsmaschinerie zu pumpen.
Die Rechnung für diese massive Ausweitung der Militärausgaben wird die Arbeiterklasse bezahlen. Ihr Lebensstandard wird massiv angegriffen, und jeder Widerstand aus der Arbeiterklasse wird kriminalisiert werden. Dies soll gleichzeitig die Aufmerksamkeit vom massiven Anstieg der Covid-19-Infektionen ablenken.
Die rücksichtslose militärische Eskalation droht außer Kontrolle zu geraten. Sie könnte den ersten Einsatz von Atomwaffen seit der Bombardierung von Hiroshima und Nagasaki im Zweiten Weltkrieg zur Folge haben.
Im Rahmen der kapitalistischen Politik gibt es keinen Ausweg aus dieser Krise. Nur eine Kraft kann die drohende Katastrophe aufhalten: die internationale Arbeiterklasse, vereint im Kampf gegen Imperialismus, Militarismus, das historisch überholte nationalstaatliche System und die kapitalistische Gesellschaftsordnung.