Perspektive

Globale Nahrungsmittelkrise schürt internationalen Klassenkampf

Der Krieg in der Ukraine zwischen der Nato unter Führung der USA und Russland hat das Pulverfass des globalen Klassenkampfes entzündet. Innerhalb weniger Wochen haben der Krieg und die beispiellosen Sanktionen der USA und der EU gegen Russland die globalen Produktivkräfte zutiefst destabilisiert, die ohnehin schon schwachen weltweiten Lieferketten ins Wanken gebracht, die Inflation verstärkt und die weltweite Produktion von Nahrungsmitteln und Treibstoff gelähmt.

Eine wirtschaftliche und soziale Krise, die sich bereits vor Beginn des Kriegs verschärft hatte, breitet sich nun aus und bedroht Milliarden von Menschen mit Armut und Hunger.

Der Schock weicht allmählich dem Handeln. Überall auf der Welt brechen Streiks und Demonstrationen aus, die die größte Welle sozialer Proteste seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie darstellen.

Die imperialistischen Politiker und Geostrategen, die die Pläne für einen Krieg über Jahre hinweg ausgearbeitet haben, müssen feststellen, dass sie ihre blutigen Pläne trotz aller Sorgfalt auf dem Boden gewaltiger sozialer Spannungen in Gang gesetzt haben.

Hinsichtlich der ethnischen und religiösen Hintergründe ihrer Teilnehmer sind die Proteste heterogen, ihrem Wesen nach international und sie stützen sich auf eine Arbeiterklasse, die größer, urbaner und vernetzter ist als je zuvor. Sowohl in den fortgeschrittenen als auch in den weniger entwickelten Ländern drehen sich die Proteste um dieselbe Forderung: Die steigenden Lebenshaltungskosten sind unerträglich, die Bedingungen müssen sich ändern und zwar sofort.

Hier zeigt sich die gesellschaftliche Kraft, die die Macht hat, einen Weltkrieg und eine nukleare Katastrophe zu verhindern. Diese globale Bewegung entwickelt sich stündlich weiter.

Am Donnerstagabend blockierte eine große Demonstration in den Außenbezirken der srilankischen Hauptstadt Colombo die Straße zur Privatresidenz von Präsident Gotabaya Rajapakse und forderte seinen Rücktritt. Die rechte Regierung setzt ein rücksichtsloses Sparprogramm des IWF um, während Massen von Menschen verzweifelt versuchen, Medikamente, Lebensmittel, Milch und Treibstoff aufzutreiben.

Diesel ist ausgegangen, das Geld ist knapp und lange Stromausfälle verdunkeln das Land. Ein 31-jähriger Lehrer in Batticaloa erklärte gegenüber der Zeitung Indian Express: „Am Sonntag stand ich ab 4 Uhr morgens in einer Benzinschlange. Es herrscht ein Mangel an Milchpulver. Um Reis und Daal muss man kämpfen. Es gibt keine Kerzen und viele Medikamente sind verschwunden. Ich bekomme zwar Lohn, aber können wir Geld essen?“

Ähnliche Bewegungen entwickeln sich im gesamten Nahen Osten und in Nordafrika. Den Großteil ihres Weizens und Speiseöls erhalten diese Regionen aus der Ukraine und Russland. Am Wochenende hat dort der islamische Fastenmonat Ramadan mit dem allabendlichen Fastenbrechen begonnen.

Die Vereinten Nationen erklärten am Donnerstag, dass die sozialen Bedingungen in der gesamten Region aufgrund der Nahrungsmittelknappheit „die Belastungsgrenze“ erreicht haben. Die New York Times schrieb ebenfalls am Donnerstag, dass Knappheit und Preiserhöhungen „die Haushalte und Staatshaushalte in den Ländern, die schon jetzt keine Spielräume mehr haben, gleichermaßen belasten und das Potenzial von Massenunruhen befeuern, wie man sie seit den Protesten des Arabischen Frühlings vor zehn Jahren nicht mehr gesehen hat. Diese waren zum Teil auf die steigenden Lebensmittelpreise zurückzuführen.“

In Ägypten, so stellte die Times nervös fest, sind „Videos von einfachen Menschen, die sich über die Lebensmittelpreise aufregen, in den sozialen Medien unter dem Hashtag ,Revolution der Hungrigen‘ viral gegangen'.

Die von den USA unterstützte al-Sisi-Diktatur hat das Militär zur Verteilung von Lebensmitteln eingesetzt und Preiskontrollen für Brot eingeführt. Al-Sisi wandte sich an die Nation und forderte die Bevölkerung auf, den Lebensmittelkonsum während des Ramadan zu „rationalisieren“.

Zur Lage in Tunesien – dem Land, in dem die Arbeiter den Arabischen Frühling auslösten – schrieb die Nachrichtenseite Middle East Eye am Donnerstag, dass „die Streiks in der vergangenen Woche zunahmen“ und dass deshalb Uzra Zeya, die US-Staatssekretärin für zivile Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte, das Land besuchte.

In der vergangenen Woche brachen im Irak landesweite Lebensmittelunruhen aus, an denen Tausende von Menschen beteiligt waren. Das Land, in dem die Folgen der US-Invasion und der Besatzung, bei der eine Million Menschen ums Leben kamen, noch immer präsent sind, leidet unter einem ernsten Mangel an Lebensmitteln und Mehl.

Proteste entwickeln sich auch südlich des Maghreb, in afrikanischen Ländern, in denen die Arbeiterklasse an Größe und sozialem Gewicht stark zugenommen hat. Deren Rückgrat bilden viele junge Menschen, die massenhaft auf das Internet zugreifen können. Ein Einwohner Afrikas südlich der Sahara gibt durchschnittlich 65 Prozent seines Haushaltseinkommens für Lebensmittel aus. Am Mittwoch sagte der Leiter der Africa Development Bank über den durch den Krieg in der Ukraine verursachten Anstieg der Lebensmittelpreise: „Wenn wir das nicht schnell in den Griff bekommen, wird das den Kontinent destabilisieren.“

Die Proteste im Sudan wegen der durch den Krieg verschärften Knappheit fielen mit mächtigen Streiks von Lehrern und Jugendlichen zusammen. Am Donnerstag fand in der sudanesischen Hauptstadt Khartum ein Massenprotest gegen die Militärregierung statt, bei dem ein 23-jähriger Demonstrant getötet wurde. Der Protest richtete sich gegen die Unfähigkeit der Regierung, die steigenden Lebenshaltungskosten zu stoppen.

In der Demokratischen Republik Kongo haben laut einem am Donnerstag von Al Jazeera veröffentlichten Bericht „steigende Treibstoffpreise, die durch die Covid-19-Pandemie und die russische Invasion in der Ukraine noch verschärft wurden, Befürchtungen über zunehmende soziale Unruhen ausgelöst.“ Die Regierung sah sich gezwungen, das Kabinett umzubilden, um dem sozialen Unmut zuvorzukommen.

In Südafrika, wo es im vergangenen Sommer zu schweren Unruhen kam, beschrieb der Leiter einer großen gemeinnützigen Jugendorganisation die soziale Situation als „tickende Zeitbombe, die jederzeit vor unseren Augen explodieren kann“.

Diese Bewegung entwickelt sich auch in den imperialistischen Zentren der Welt. In Spanien hat ein wochenlanger Streik der Lkw-Fahrer den internationalen Frachtverkehr zum Erliegen gebracht und breite Unterstützung in der Arbeiterklasse wegen der steigenden Lebenshaltungskosten hervorgerufen. Die spanische Koalitionsregierung aus der sozialdemokratischen PSOE und der pseudolinken Podemos hat Lebensmittelgeschäfte und Einzelhändler angewiesen, die Einkaufsmöglichkeiten der Kunden einzuschränken, während die großen Wirtschaftsverbände Maßnahmen fordern, um eine drohende soziale Explosion zu verhindern.

In Deutschland und Österreich bereiten sich die Behörden darauf vor, Treibstoff zu rationieren. Im vergangenen Monat fanden in Albanien große Demonstrationen wegen der Lebenshaltungskosten statt.

In den Vereinigten Staaten, dem Zentrum des Weltimperialismus, wird die entstehende Streikbewegung vor allem durch die Inflation und die steigenden Lebenshaltungskosten angetrieben. Nach einem zweiwöchigen Streik von Lehrern in Minneapolis (Minnesota) im März streiken nun fünftausend Lehrer in Sacramento (Kalifornien).

Im kalifornischen Richmond streiken aktuell 600 Arbeiter einer Ölraffinerie. Die Streikenden erklären, dass sie es sich nicht leisten können, ihre eigenen Autos mit dem von ihnen hergestellten Benzin zu betanken.

50.000 Beschäftigte von Lebensmittelgeschäften in Kalifornien werden in den nächsten Tagen streiken und in wenigen Wochen wird ein Tarifvertrag für Zehntausende von Hafenarbeitern an der Westküste auslaufen.

In den USA und Kanada hat die Regierung größere Streiks der Eisenbahner bei BNSF und Canadian Pacific verboten oder blockiert.

Mit der Fortsetzung des Krieges in der Ukraine werden steigende Preise in den wichtigsten imperialistischen Ländern den Klassenkampf weiter verschärfen. Nach den Daten, die das US-Handelsministeriums am Donnerstag veröffentlicht hat, wird die Inflation die Haushalte im nächsten Jahr durchschnittlich 5.200 Dollar bzw. 433 Dollar pro Monat zusätzlich kosten. Angesichts der Tatsache, dass die Hälfte der Bevölkerung in den USA über weniger als 500 Dollar Ersparnisse für Notfälle verfügt, werden die Arbeiter aus dringender Not heraus zum Kampf getrieben.

Die Auswirkungen des Krieges auf die Lebensbedingungen werden sich in den kommenden Wochen in allen Ländern dramatisch verschärfen. Die strategischen Nahrungsmittelreserven sind in allen Ländern mit Ausnahme von China völlig unzureichend.

Erschwerend kommt hinzu, dass die Ukraine und Russland nicht nur führende Produzenten von Grundnahrungsmitteln und Öl sind. Russland und Weißrussland stehen zudem an der Spitze der weltweiten Produktion der meisten Düngemittel, für die Putin als Reaktion auf die Sanktionen der USA und der EU strenge Ausfuhrbeschränkungen angekündigt hat. Die weltweiten Ernteerträge könnten dadurch um die Hälfte reduziert werden.

Vor dem Hintergrund der Pandemie und des drohenden Weltkriegs ist eine gesellschaftliche Abrechnung von historischem Ausmaß überfällig. Nach dem Arabischen Frühling und den weltweiten Protesten von 2018/19 hat die herrschende Klasse bei ihrer Reaktion auf die Covid-19-Pandemie den Profiten Vorrang vor dem Leben eingeräumt und den Tod von 20 Millionen Menschen verursacht.

Den Krieg zu beenden, heißt, den Kapitalismus zu beenden, und das erfordert politische Führung. Anders als in früheren Zeiten schuldet die internationale Arbeiterklasse den Parteien des Stalinismus, der Sozialdemokratie und des bürgerlichen Nationalismus, die die Arbeiter als unmittelbar Verantwortliche für die bestehenden Bedingungen von Armut und Ungleichheit sehen, keinerlei politische Loyalität.

Für diese wachsende Bewegung sind die Gewerkschaften in jedem Land ein Hindernis. Sie dienen den kapitalistischen Regierungen und Unternehmen, indem sie die Arbeiter isolieren, Streiks verhindern und von ihnen fordern, dass sie die Kriegstreiberei der USA und der Nato unterstützen, ungeachtet der Gefahren und der Kosten für die Arbeiter.

Vertreter der bürgerlichen Pseudolinken, die sich früher in Worten zum Sozialismus bekannten, sind heute Befürworter der Nato-Kriege und eifrige Verteidiger der Gewerkschaften.

Die Gefahren des Weltkriegs sind groß, doch der trotzkistischen Bewegung steht der Weg offen, diese objektive Bewegung in eine selbstbewusste Bewegung für die sozialistische Revolution zu verwandeln.

Spontane Proteste, auch wenn sie noch so militant sind, reichen nicht aus, um die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern. In jedem Land muss eine Sozialistische Gleichheitspartei aufgebaut werden und die historischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse müssen in die sich entwickelnden Kämpfe getragen werden, um ihnen einen selbstbewussten sozialistischen und gegen den Krieg gerichteten Charakter zu verliehen. Auf diese Weise kann sich eine Strategie der Arbeiterklasse für die sozialistische Revolution noch schneller entwickeln als die Strategie der herrschenden Klasse für die imperialistische Zerstörung.

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