Am 7. Mai bestätigte die britische Gesundheitsschutzbehörde UKHSA erstmals eine Infektion mit Affenpocken bei einem britischen Staatsbürger, der aus Nigeria zurückkehrte. Seither ist die Zahl der Mensch-zu-Mensch-Übertragungen schnell auf dreistellige Höhe angestiegen. Fälle werden in mehreren Ländern Europas, Nord- und Südamerikas, im Nahen Osten und in Ozeanien entdeckt. In Deutschland sind bisher Patienten in München, Berlin und Köln betroffen.
Bis zum 21. Mai 2022 wurden der Weltgesundheitsorganisation (WHO) 92 laborbestätigte Fälle und 28 Verdachtsfälle in insgesamt zwölf Ländern gemeldet. Bis zum 24. Mai hat sich das geografische Ausmaß der Affenpocken-Infektionen auf mindestens zwanzig Länder ausgedehnt, in denen sie nicht endemisch sind. Die Zahl der bestätigten und mutmaßlichen Infektionen liegt bei mindestens 300. Die derzeitige Epidemie ist der größte Ausbruch des Virus außerhalb von Subsahara-Afrika, der jemals gemeldet wurde. Bisher kam es glücklicherweise noch nicht zu Todesfällen.
In Zentral- und Westafrika ist das Affenpockenvirus endemisch, seitdem 1970 die erste Infektion bei einem Menschen gemeldet wurde (bei einem Jungen aus der heutigen Demokratischen Republik Kongo). 1958 hatte der Virologe Preben von Magnus in Kopenhagen das Virus erstmals von Makaken isoliert, die als Labortiere benutzt wurden.
Das Affenpockenvirus besteht aus zwei DNA-Strängen und ist eines von vier menschlichen Orthopoxviren, die den Pockenerreger beinhalten. Es ist in elf afrikanischen Staaten endemisch: in Benin, Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik, der Demokratischen Republik Kongo, Gabun, der Elfenbeinküste, Liberia, Nigeria, der Republik Kongo, Sierra Leone und dem Südsudan.
In den letzten Monaten hat die WHO in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Nigeria 77 Fälle und weniger als zehn Todesfälle dokumentiert. In der Demokratischen Republik Kongo gab es von Januar bis Mai dieses Jahres 1.238 Fälle mit 57 Todesopfern, da dort der tödliche Kongobecken-Unterstamm der Affenpocken endemisch ist. Im Gegensatz zu den derzeitigen Mensch-zu-Mensch-Übertragungen in Ländern, in denen das Virus nicht endemisch ist, verläuft die Ausbreitung in den endemischen Regionen typischerweise durch Übertragungen von infizierten wilden Nagetieren und Primaten auf Menschen.
Bis zum 25. Mai wurden aus folgenden Ländern bestätigte Fälle gemeldet: Australien, Österreich, Belgien, Kanada (23), Tschechien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Israel, den Niederlanden, Portugal (37), Schottland, Slowenien, Spanien (101), Schweden, der Schweiz, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Großbritannien (57 in England) und den USA (7). Bei dem Fall in den VAE handelt es sich um eine Frau, die aus Westafrika eingereist war.
In Argentinien gibt es einen Verdachtsfall. In Pakistan hat das Nationale Gesundheitsinstitut in Islamabad klargestellt, dass dort keine Affenpocken-Fälle diagnostiziert worden seien, obwohl der Economist von zwei Fällen berichtete. Obwohl unklar ist, ob es einen Verdachtsfall gibt, haben die Gesundheitsbehörden eine Warnung herausgegeben.
Portugal veröffentlichte am 19. Mai die erste Teilsequenz des Affenpockenvirus von einem infizierten Patienten. Einen Tag später veröffentlichte Belgien die vollständige Sequenz. Basierend auf einer Analyse der DNA des Virus, die aus Hautläsionen extrahiert wurde, scheint das für die derzeitige Epidemie verantwortliche Virus mit dem Genom identisch zu sein, das 2018 in Großbritannien, Singapur und Israel sequenziert wurde und im Zusammenhang mit aus Nigeria exportierten Fällen steht.
Die Analyse bestätigt auch, dass das Virus dem westafrikanischen Unterstamm angehört, dessen Sterblichkeitsrate mit etwa einem Prozent deutlich niedriger liegt als diejenige des virulenteren Unterstamms aus dem Kongobecken, deren Sterblichkeitsrate bei zehn Prozent liegt.
Die Zeitschrift New Scientist veröffentlichte diese Woche einen Bericht, in dem es hieß: „Es ist noch unklar, ob sich dieses Virus so verändert hat, dass es leichter auf Menschen übertragbar ist. Falls es so wäre, würde es erklären, warum der derzeitige Ausbruch so weitläufig und der bisher größte außerhalb von Zentral- und Westafrika ist, wo sich das Virus unter Affen ausbreitet. Da das Genom der Affenpocken groß und komplex ist, könnte es einige Zeit dauern, dies festzustellen.“
Das Genom des Affenpockenvirus besteht aus 200.000 DNA-Buchstaben; das Sars-CoV-2-Virus besteht im Vergleich dazu nur aus 30.000 RNA-Buchstaben.
Sylvie Briand, die Direktorin der WHO für die Vorsorge bezüglich globaler Infektionskrankheiten, sprach vor kurzem bei der Weltgesundheitsversammlung, auf der Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus für eine zweite Amtszeit als Generaldirektor der WHO gewählt wurde. Sie versicherte der Presse, dass eine Mutation des Virus unwahrscheinlich sei. Stattdessen sei „menschliches Verhalten“ der Treiber bei den derzeitigen Infektionen. Mit anderen Worten, die vollständige Aufhebung aller sozialen Einschränkungen, die den Menschen größere Möglichkeiten zu Zusammenkünften gegeben hat, ist mitverantwortlich für den Ausbruch der Affenpocken.
Laut dem US-Epidemiologen Professor David Heymann, der auf Infektionskrankheiten spezialisiert ist und an der London School of Hygiene and Tropical Medicine arbeitet, könnten die Affenpocken in geringem Ausmaß seit mehreren Jahren in Großbritannien und Europa präsent gewesen sein.
Er erklärte: „Wenn man sich anschaut, was in den letzten Jahren auf der Welt passiert ist, und was jetzt passiert, könnte man sich leicht fragen, ob dieses Virus nicht schon vor zwei Jahren in Großbritannien eingetroffen ist und sich mit kleinen Übertragungsketten unter dem Radarschirm ausgebreitet hat. Und dann wurde plötzlich alles geöffnet, und die Leute haben angefangen, zu reisen und sich untereinander zu mischen.“
Heymann erklärte, die „führende Theorie“ verbinde die Ausbrüche mit großen Partys in Spanien und Belgien, wo enger Kontakt zwischen Menschen die derzeitigen Übertragungen verstärkt habe. Viele hätten beobachtet, dass ein Großteil der Infizierten Männer sind, die Sex mit Männern hatten. Allerdings sind die Affenpocken keine anerkannte sexuell übertragbare Krankheit, da jeder enge Kontakt mit einem Infizierten oder dessen Kleidung oder Bett die Infektion übertragen kann.
Das hat das ultrakonservative und reaktionäre Brownstone Institute for Social and Economic Research nicht daran gehindert, zu behaupten, das Affenpockenvirus verbreite sich „nur im Schwulenmilieu“. Brownstone hat enge Verbindungen zu den Gruppen, die die Great Barrington Declaration herausgegeben haben, welche schon früh die Aufhebung aller Einschränkungen für junge und gesunde Menschen gefordert hat und die Herdenimmunität für die Bevölkerung propagiert. Solche Äußerungen sind gehässig, völlig unbegründet und zielen darauf ab, eine bestimmte Gruppe aus politischen Gründen zu stigmatisieren.
US-Präsident Joe Biden hat den globalen Ausbruch derweil heruntergespielt, indem er andeutete, Pockenimpfstoffe könnten nachweislich schwere Erkrankungen wirksam verhindern, weswegen es keinen Grund für eine stärkere Reaktion gebe.
Genauer gesagt, wurde er Anfang der Woche bei einer Pressekonferenz in Tokio gefragt, ob mit Affenpocken infizierte Amerikaner mit einer 21-tägigen Quarantäne rechnen müssten. Er antwortete darauf: „Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube nicht, dass es so Besorgnis erregend wird wie bei Covid-19, und der Pockenimpfstoff ist wirksam. Aber ich denke, die Menschen sollten vorsichtig sein.“ Das bedeutet, die Menschen sollten diese Entscheidungen individuell treffen.
Aufgrund der Ähnlichkeit mit dem Pockenerreger sind Pockenimpfstoffe laut Beobachtungen aus Afrika zu etwa 85 Prozent wirksam gegen schwere Infektionen mit Affenpocken. Weil die Pocken seit 1980 ausgerottet sind, hat jedoch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung keine Antikörper. Wer vor über 40 Jahren als Kind eine Pockenimpfung erhalten hat, muss davon ausgehen, dass seine Immunität heute erheblich zurückgegangen ist.
Die Länder beginnen, ihre Pockenimpfstoffreserven zu kontrollieren. Die USA haben einen Notvorrat von 100 Millionen Dosen des ursprünglichen Impfstoffs, doch aufgrund der Nebenwirkungen dieser Impfstoffe und der Risiken beim Einsatz für immungeschwächte Menschen, werden sie nur vorsichtig in einem Ringimpfungsverfahren eingesetzt werden. Das bedeutet, die Kontaktpersonen von bestätigten Affenpockenfällen werden den Impfstoff erhalten, um das Virus zu eliminieren.
Das dänische Pharmaunternehmen Bavarian Nordic hat seit 2010 einen gefrorenen Flüssig- MVA-BN-Impfstoff gegen Pocken und Affenpocken hergestellt, der auf einem lebendigen abgeschwächten Vaccinia-Virus basiert (der vermutlich eine Mischung aus Pocken- und Rinderpockenerregern ist). Im Jahr 2019 genehmigte die amerikanische Lebensmittel- und Arzneibehörde den Impfstoff unter dem Markennamen Jynneos für die Prävention von Pocken und Affenpocken.
Das Unternehmen teilte am 18. Mai 2022 mit, dass die BARDA, eine Abteilung des US-Gesundheitsministeriums, die ersten Optionen (119 Millionen Dosen) im Rahmen eines 2017 geschlossenen Zehnjahresvertrags getätigt habe. Die stellvertretende CDC-Direktorin, Dr. Jennifer McQuiston, erklärte, derzeit befänden sich mehr als 1.000 Dosen in Beständen. Sie erklärte gegenüber der New York Times, diese Zahl werde in den kommenden Wochen schnell ansteigen, da das Unternehmen ihnen weitere Dosen liefern werde.
Angesichts der Tatsache, dass sich das Affenpockenvirus über Kontakt und Tröpfchen verbreitet (mit einem theoretischen Risiko der Übertragung durch die Luft) versichern die Gesundheitsbehörden der Öffentlichkeit, dass der Ausbruch trotz seines beispiellos globalen Ausmaßes begrenzt sei und schnell eingedämmt werden könne.
Dr. Scott Gottlieb, äußerte sich gegenüber CNBC offener: „Ich glaube nicht, dass es zu einer ähnlichen unkontrollierten Ausbreitung kommen wird, wie wir sie bei Covid-19 erlitten haben. Aber da es unter die Bevölkerung geraten ist, besteht jetzt die Möglichkeit, dass es hartnäckiger ist, als wir bisher ermessen konnten, und schwerer auszurotten ist.“
Allerdings haben bisher nur wenige die Frage nach den Auswirkungen des derzeitigen Ausbruchs der Affenpocken gestellt. John Vidal, ein Umweltschützer und Redakteur des Guardian, wies darauf hin, dass parallel zu den global verbreiteten Krankheiten Covid und Aids noch weitere Tierpandemien existieren.
Die weltweiten Schweinepopulationen sind durch die afrikanische Schweinepest gefährdet. Wegen mehrerer Ausbrüche der Vogelgrippe mussten hunderte Millionen Hühner und anderes Geflügel getötet werden. In Australien hat man Pilzkrankheiten in Meereslebewesen entdeckt. Vidal schrieb: „Wir leben in unsicheren Verhältnissen; unter anderen Spezies zirkulieren tausende potenziell tödlicher Viren, aber es ist bemerkenswert, dass viele derjenigen, die Menschen betreffen, vor nur 70 Jahren unbekannt waren. Pathogene springen nicht nur öfter von Tieren auf Menschen über, sondern viele davon stehen auch in Verbindung mit den Veränderungen der globalen und lokalen Umwelt.“
Das plötzliche Auftauchen eines globalen Ausbruchs der Affenpocken bestätigt in objektiver Weise diese Bedenken. Das Virus ist zwar weniger tödlich und überträgt sich viel langsamer als Covid-19, muss aber trotzdem als Warnung vor den Auswirkungen der Globalisierung gesehen werden, für die sich die Wirtschaftsoligarchen nicht interessieren.
Vidal warnte: „Die große Lehre aus Covid – und jetzt aus den Affenpocken – ist, dass viele Infektionskrankheiten ihre Wurzeln in ökologischen Veränderungen haben. Das bedeutet, die Gesundheit des Planeten und die Gesundheit der Menschen muss ebenso berücksichtigt werden, wie diejenige der Tiere. Es bedeutet auch, dass wir uns jetzt auf das Unerwartete vorbereiten und in einem Ausmaß wie nie zuvor in die öffentliche Gesundheit investieren sollten. Wir dürfen keine Wälder mehr abholzen und müssen auf den Klimawandel reagieren und die intensive Landwirtschaft abschaffen. Eine 'ganzheitliche' planetare Herangehensweise an die Gesundheit ist die beste – und vielleicht die einzige –Hoffnung, die wir noch haben.“
Genau in dieser Formulierung liegt die Lösung, und der Kapitalismus kann sie nicht bieten, obwohl die Wissenschaftler seit Jahrzehnten vor den großen Gefahren für die menschliche Zivilisation warnen.