Perspektive

Pandemieprofiteure schüren Krise im weltweiten Luftverkehr

Mit Beginn der sommerlichen Hauptsaison ächzt die weltweite Luftfahrt unter extremer Belastung. Die Flugbesatzungen sind unterbesetzt und die Flughafenarbeiter überlastet und erschöpft. Vielen Gesellschaften fehlt es an Personal, Maschinen und Ausrüstung, und auf den Flughäfen bleiben gestrandete Passagiere zurück; in den Hallen stapelt sich verlorenes Gepäck.

In den Vereinigten Staaten wurden über das lange Wochenende von Fronleichnam/Vatertag bis Emancipation Day (16. – 20. Juni) mehr als 4.500 Flüge gestrichen. Analysten erwarten, dass es zum 4. Juli, einem besonders verkehrsreichen Wochenende, noch einmal schlimmer wird. Das Chaos könnte Monate, wenn nicht gar Jahre so weiter gehen.

Verständlicherweise halten sich Piloten und Flugbegleiter nur ungern an ihrem Arbeitsplatz auf. Gegen die Ausbreitung von Covid-19 werden keinerlei Maßnahmen mehr getroffen. Auf den Flughäfen und in den Maschinen sind sie mit Hunderten Passagieren zusammen eingepfercht. Diese sind nicht einmal mehr verpflichtet, Maske zu tragen. Die Piloten werden zu unmenschlich langen Arbeitszeiten gezwungen, was tödliche Folgen haben könnte, wenn sie aufgrund von Müdigkeit Fehler machen.

Am Dienstag, den 21. Juni, demonstrierten mehr als 1.300 Piloten der Southwest Airlines in Dallas (Texas), um gegen Übermüdung, Stress, Personalmangel und schlechte Arbeitsplanung zu protestieren. Wie die Delta-Piloten sagen, sind sie im Jahr 2022 mehr Überstunden geflogen als in den Jahren 2018 und 2019, ihren bisher arbeitsreichsten Jahren, zusammengenommen.

Müdigkeit der Piloten ist im Flugverkehr eine tödliche Gefahr. In ihren Händen liegt die Sicherheit der Passagiere, und so hat die Zahl der Piloten, die ihre Schicht wegen Übermüdung absagen, einen Rekordwert erreicht.

Französische Piloten klagten, dass hunderte von ihnen unter starkem Druck stünden, da der britische Billigflieger EasyJet einen vollen Sommerflugplan vorlegt, aber „mit weniger Flugpersonal, Kabinenpersonal oder Planungsoffizieren“ als bisher.

Die Krise ist auf die Art und Weise zurückzuführen, wie Fluggesellschaften und Regierungen überall auf der Welt auf die Pandemie reagierten. Ihre schamlose Profitgier hat dazu geführt, dass zehntausende Flugbeschäftigte an Corona erkrankten und eine unbekannte Zahl verstorben sind. Bei United Airlines starb jede Woche ein Mitarbeiter, ehe die Gesellschaft im Sommer 2021 eine Impfpflicht für das Personal einführte.

Bei einem Treffen in Doha (Katar) am Montag kritisierten die Führungskräfte der Fluggesellschaften die Beschäftigten, die sich weigern, ständig ihr Leben zu riskieren. „Diese Leute haben sich während der Pandemie angewöhnt, von zu Hause aus zu arbeiten“, sagte Akbar Al Baker, Chef der gastgebenden Fluggesellschaft Qatar Airways, den Medien. „Sie haben wohl nicht das Gefühl, dass ihre Branche wirklich Leute braucht, die zupacken können“, sagte er und fügte laut Reuters hinzu, der Mangel an Flughafenpersonal könnte womöglich „das Wachstum stören“.

In den USA wird in den kommenden Jahren eine große Zahl von Piloten in den Ruhestand gehen. Deshalb drängen Lobbyisten der Branche nun darauf, das Rentenalter von 65 auf 67 Jahre anzuheben. Man greift sich an den Kopf, aber sie fordern tatsächlich die Abschaffung der Bestimmung, dass neue Piloten 1.500 Flugstunden absolvieren müssen, bevor sie sich als Verkehrspiloten qualifizieren und als erste Offiziere fliegen dürfen. Seit diese Anforderung im Jahr 2013 von 250 Stunden auf 1.500 Stunden erhöht wurde, ist die Zahl der tödlichen Unfälle im Luftverkehr um 99,8 Prozent zurückgegangen.

Aufgrund dieser Bedingungen wächst die Unruhe unter Piloten, Kabinencrews und Bodenbeschäftigten der Fluggesellschaften in Europa, den USA und auf der ganzen Welt.

  • Für Samstag, den 25. Juni, hat die Pilotengewerkschaft von Air France-KLM zu einem eintägigen Streik aufgerufen.
  • Vom 23. bis zum 25. Juni legen Piloten und Kabinencrews von Brussels Airlines die Arbeit nieder, um gegen die zu hohe Belastung zu protestieren.
  • Das Kabinenpersonal von Ryanair in Belgien, Frankreich, Italien, Portugal und Spanien will am kommenden Wochenende streiken.
  • Bei EasyJet in Spanien wird ab dem 1. Juli neun Tage lang für eine Lohnerforderung von 40 Prozent gestreikt.
  • An den Pariser Flughäfen Charles de Gaulle und Orly wird am 2. Juli für bessere Löhne gestreikt. Dort haben Bodenpersonal und Feuerwehr schon letzte Woche einen Tag lang die Arbeit niedergelegt.
  • Auf den norwegischen Flughäfen mussten am Dienstag und Mittwoch aufgrund eines Streiks der Flugzeugtechniker mehr als 50 Abflüge gestrichen werden.
  • In den USA lehnten 6.100 Kundendienstmitarbeiter von Southwest zum zweiten Mal einen Vertragsvorschlag ab, den die International Association of Machinists vorgelegt hatte. Er sah magere Erhöhungen unterhalb der Inflationsrate vor.
  • Weiter haben die Piloten der Alaska Airline für Streik gestimmt, und Piloten und weitere Beschäftigte von Southwest, Delta, United, American und anderen US-Fluggesellschaften sind in der Verhandlungsphase.

Als die Pandemie ausbrach, forderten Manager der US-Fluggesellschaften staatliche Konjunkturhilfen über rund 63 Milliarden Dollar und erhielten diese auch, angeblich um Entlassungen zu verhindern, als der Flugverkehr einbrach. Stattdessen vernichteten sie daraufhin 80.000 Arbeitsplätze, indem sie die Beschäftigten über „freiwilliges Ausscheiden“ und Frühpensionierungen hinausdrängten. Dasselbe taten auch Lufthansa, KLM und andere europäische und internationale Fluggesellschaften. Auch sie waren zuvor von ihrer Regierung „gerettet“ worden.

Letzte Woche zitierte die Financial Times aus einer Studie der Unternehmensberater Oxford Economics. Demnach gab es im September 2021 im Vergleich zum Stand vor der Pandemie 2,3 Millionen weniger Arbeitsplätze im Luftverkehr. „Diese Zahlen beinhalten einen 29-prozentigen Rückgang des Vertragspersonals an den Flughäfen, z. B. der Bodenabfertiger. Dort gingen 1,7 Millionen Arbeitsplätze verloren“, schrieb die Financial Times.

Mit den staatlichen Rettungsgeldern in der Hand drängten die Führungskräfte der Fluggesellschaften aggressiv darauf, Reisebeschränkungen und alle Maßnahmen zum Schutz von Arbeitnehmern und Passagieren wieder aufzuheben, die ihrer Meinung nach ihre Gewinninteressen beeinträchtigten.

Am 21. Dezember 2021 schrieb der Vorstandschef von Delta Airlines, Ed Bastian, an die US-Gesundheitsbehörde CDC, dass eine Verkürzung der Quarantänezeit für infizierte Beschäftigte „signifikante Auswirkungen auf unsere Belegschaft und unseren Betrieb“ haben würde. Kaum eine Woche später verkürzte Bidens CDC-Direktorin Rochelle Walensky die Quarantänezeit von zehn auf fünf Tage und zwang damit erkrankte Mitarbeiter, zu früh an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren.

Im April 2022 forderte Nicholas Calio, Präsident von Airlines for America, die Regierung auf, die Maskenpflicht für alle Flugreisenden aufzuheben und die Corona-Tests für internationale Flüge abzuschaffen. Airlines for America ist der größte Lobbyist der amerikanischen Fluggesellschaften. Calio behauptete in seinem Brief: „Keine der beiden Einschränkungen kann sich im heutigen Umfeld der öffentlichen Gesundheit derzeit auf Daten und wissenschaftliche Erkenntnisse stützen.“

Im Mai ließ die Biden-Regierung die Aufhebung der Maskenpflicht in Zügen und Flugzeugen zu. Daraufhin ließ die CDC am 10. Juni die Anforderung für Flugreisende fallen, bei der Einreise in die USA einen negativen Test vorzuweisen.

Obwohl sich in den Vereinigten Staaten neue, tödlich gefährliche Untervarianten des Virus ausbreiten, verfolgt die Biden-Regierung mittlerweile eine offene Durchseuchungspolitik.

Wie die britischen Eisenbahner und andere Teile der Arbeiterklasse sagen auch die Beschäftigten der Fluggesellschaften: „Es reicht!“ Der wachsende Widerstand benötigt jedoch Organisation und eine politische Strategie.

Die Gewerkschaften verfolgen eine nationalistische und pro-kapitalistische Politik. Der mörderische Wettlauf nach unten, bei dem sie Arbeiter gegeneinander ausspielen, hat die Beschäftigten der Fluggesellschaften in eine Sackgasse geführt. Neue Organisationen, die von der Basis selbst kontrolliert werden, sind notwendig. Sie müssen die Kämpfe gegen die globalen Konzerne über nationale Grenzen hinweg gemeinsam führen. Aus diesem Grund wurde im vergangenen Jahr die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) gegründet.

Die Gegenoffensive der Arbeiterklasse muss mit einem bewussten politischen Kampf gegen den Kapitalismus verbunden werden.

Die Krise im Luftverkehr ist das Ergebnis einer Politik seit Jahrzehnten, bei der die kapitalistischen Regierungen auf der ganzen Welt die „freie Marktwirtschaft“ an die erste Stelle setzten und die ganze Luftfahrt deregulierten. Als die Reagan-Regierung im Jahr 1981 den PATCO-Fluglotsenstreiks zerschlug, gab sie damit in einem Krieg gegen die Beschäftigten der Luftfahrtindustrie die ersten Schüsse ab. Darauf folgten Privatisierung staatlicher Fluggesellschaften in einem Land nach dem anderen, eine Welle von Konkursen, Fusionen und Massenentlassungen, sowie das Aufkommen der Billigflieger, die den Verdrängungswettbewerb antrieben und die Arbeitssicherheit und vernünftige Arbeitsbedingungen unterhöhlten.

Heute ist die Krise und das Versagen des Kapitalismus für jeden sichtbar: In der rekordverdächtigen Inflation, der Verknappung lebenswichtiger Güter, der anhaltenden Pandemie und der Verschwendung gesellschaftlicher Ressourcen zur Bereicherung der Konzern- und Finanzoligarchie. Ganz besonders zeigt es sich an ihren wahnwitzigen Plänen, einen dritten Weltkrieg zu führen.

Die weltweite Luftfahrt muss in ein öffentliches Versorgungsunternehmen umgewandelt werden, das demokratisch kontrolliert wird und sich im kollektiven Besitz der Arbeiterklasse befindet. Dies wird Teil einer sozialistischen Neuorganisation der Weltwirtschaft sein.

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