Nach der verheerenden Flutkatastrophe, die in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 das Ahrtal in Rheinland-Pfalz und Gebiete in Nordrhein-Westfalen zerstörte, versprachen Politiker großzügige und „unbürokratische Hilfe”. Bundekanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Kanzlerkandidat Olaf Scholz, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet und zahlreiche andere Politiker bereisten die Flutgebiete und versprachen vollmundig, die Betroffenen „nicht im Stich zu lassen”.
„Alles, was durch Geld wieder aufgebaut und ersetzt werden kann”, sollte mit staatlicher Hilfe erneuert werden. Ein Fonds über 30 Milliarden Euro sollte dafür bereitgestellt werden: 28 Milliarden je zur Hälfte von Bund und Ländern, wobei der Bund das Geld zunächst einmal vorstrecken sollte, und 2 Milliarden vom Bund für bestimmte Infrastrukturmaßnahmen.
Zum Jahrestag der Flutkatastrophe verkündeten Steinmeier und Dreyer im Ahrtal und in Erftstadt erneut: „Wir haben Sie nicht vergessen!” Doch die meisten Opfer der Flut, die Angehörige, Freunde und Nachbarn verloren haben – allein im Ahrtal gab es 134 Todesopfer – und deren Häuser, Wohnungen und Hab und Gut zerstört worden sind, warten bis heute vergeblich auf die zugesagte finanzielle Unterstützung.
Am Jahrestag der Flut war nur ein kleiner Bruchteil der zugesagten 30 Milliarden Euro ausbezahlt worden. Insgesamt waren 1,17 Milliarden Euro an die vier betroffenen Bundesländer geflossen. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums vom 22. Juli auf eine Anfrage der Linken-Bundestagsfraktion hervor.
Aus dem Topf, der geschädigten Privathaushalten und Wohnungsunternehmen zugutekommen sollte, waren zum Zeitpunkt der Antwort knapp 410 Millionen Euro ausgezahlt worden. Für Selbständige, gewerbliche Unternehmen und Angehörige freier Berufe hatte der Bund etwa 150 Millionen an die Länder überwiesen.
Wieviel davon bei den dringend auf Hilfe wartenden Menschen angekommen war, wusste das Innenministerium nicht zu sagen. Dazu müssten die Länder befragt werden. Man habe auch keine Kenntnisse, wie viel von der zerstörten Infrastruktur in den Ländern und Kommunen wiederaufgebaut worden sei.
Die Länder wiederum beklagen, dass sie für die Hilfen in Vorleistung gehen müssen. Nordrhein-Westfalen, das Anspruch auf etwa ein Drittel des Hilfspakets hat, hatte bis Ende Juli erst etwa 1,6 der verfügbaren 12,3 Milliarden Euro in der Auszahlung.
Die Süddeutschen Zeitung, die am 17. August 2022 über die Zahlen berichtete, bemerkt dazu: „Und auch wenn Geld sich in der Auszahlung befindet, bedeutet das noch nicht, dass es auf den Konten der Antragsteller eingegangen ist.“ Die Antragstellung sei so kompliziert, dass viele Betroffene die ihnen zustehende Hilfe gar nicht beantragen könnten oder irgendwann kapitulierten.
Auch der Wiederaufbau von Schulen, Kindergärten und anderen kommunalen Bauten kommt nur schleppend voran. Ein Pressesprecher des Innenministeriums von Rheinland-Pfalz sagte, dass sich hier noch vieles in der Planungsphase befinde. Jeder Landkreis muss seinen eigenen Maßnahmenplan erstellen. Auch dies macht es schwierig bis unmöglich, wirklich mit dem Wiederaufbau voranzukommen.
Dazu kommt, dass Gelder meist erst dann ausgezahlt werden, wenn ein Nachweis für Baumaterial vorliegt. Da Baumaterial derzeit infolge des Ukrainekriegs, von Material- und Lieferengpässen und der hohen Inflation nur schwer zu beschaffen ist, stellt dies eine weitere Hürde dar, an die benötigten Gelder zu kommen. 15 Milliarden Euro waren für Rheinland-Pfalz vorgesehen. Ausgegeben wurden bisher erst 1 Milliarde Euro.
Wie schwer es ist, an die Unterstützungsgelder zu kommen, ist in den betroffenen Gebieten augenscheinlich. Insbesondere im Ahrtal sieht es großenteils immer noch so aus, wie kurz nach der Flut. Viele Bewohner erklärten Monate später: „Es sieht hier immer noch aus wie in einem Kriegsgebiet.“
Ein weiteres Hindernis für den Antrag auf Hilfsgelder ist in Rheinland-Pfalz der Mangel an Gutachtern, die Versicherungsschäden bewerten können. In NRW sind von 280 vorgesehenen Stellen für die Bearbeitung der Anträge auf Wiederaufbauhilfe nur etwa 70 besetzt.
Für die Opfer der Flut – allein in Rheinland-Pfalz sind es 65.000 – sind das teils unüberwindliche Hürden. Viele Betroffene sind frustriert und wütend über das Ausbleiben der versprochenen Hilfen. Über die genaue Zahl der Privatpersonen, Unternehmen und Selbständigen, die aufgrund der Probleme ihre Ansprüche gar nicht stellen konnten oder den Versuch aufgegeben haben, gibt es keine Angaben.
Aus den geschilderten Problemen und Schwierigkeiten kann eigentlich nur der Schluss gezogen werden, dass die verantwortlichen Politiker und Behörden gar nicht vorhatten, die notwendigen finanziellen Hilfen auszuzahlen. Merkel, Steinmeier, Scholz und Co. heuchelten in den Flutgebieten ihre Betroffenheit, nun zeigt sich ihre wahre Haltung: Verachtung gegenüber den Opfern.
Den Konzernen und Banken wurden während der Finanzkrise und der Pandemie hunderte Milliarden Euros in den Rachen geschüttet. Die Reichen und Superreichen haben sich auf Kosten der Arbeiterklasse bereichert. Weitere hunderte Milliarden werden in die Aufrüstung der Bundeswehr und den Krieg gegen Russland in der Ukraine gesteckt, der sich zu einem nuklearen Inferno auszuweiten droht. Wenn es um die grundlegenden Bedürfnisse der Arbeiterklasse geht – Gesundheit, Bildung, Unterstützung in Notsituationen – ist dagegen kein Geld da, oder es wird nicht ausgezahlt.
Angesichts der Kostenexplosion bei den Energiepreisen, Mieten und Lebensmitteln wissen Millionen von Arbeiterfamilien nicht, wie sie diese bezahlen sollen. Viele nähern sich der persönlichen Überschuldung. Die sogenannten „Entlastungspakete“ sind weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Die Erfahrungen der Flutopfer sind eine Warnung für die gesamte Arbeiterklasse. Sie kann sich nicht auf die leeren Versprechungen der kapitalistischen Politiker verlassen. Sie benötigt eine unabhängige sozialistische Perspektive, die die Bedürfnisse der Mehrheit über die Profitinteressen einer winzigen Minderheit stellt. Und sie muss sich international zusammenschließen, um den Kampf gegen Armut und Not, soziale Ungleichheit, Diktaturvorbereitungen und Krieg weltweit gemeinsam zu führen.