Während jeden Tag durchschnittlich fast 80 Menschen der Pandemie zum Opfer fallen und sich bereits eine neue Corona-Welle anbahnt, bauen die Bundes- und Landesregierungen die letzten verblieben Maßnahmen ab und promoten das „Leben mit dem Virus“. Das Oktoberfest – ein Super-Spreader-Event par excellence – ist dabei nur das erschreckendste Beispiel.
Seit dem 17. September findet das Oktoberfest in München statt, bei dem sich Millionen von Menschen ohne jegliche Corona-Schutzmaßnahmen aufeinander gedrängt in Zelten treffen. Dass dies zu einer massenhaften Verbreitung des Virus führt, stand von Anfang an außer Frage.
So erklärte beispielsweise Florian Geyer, der Leiter des Gesundheitsamts Miesbach in Oberbayern, im Münchner Merkur: „Eines ist klar: Ein Bierzelt kann man nicht ausreichend belüften. Und es ist ein internationaler Treffpunkt – beste Voraussetzungen also für das Virus, sich zu verbreiten, zu mutieren und sich zu verändern. Ob und wie es das tun wird, können wir nicht vorhersehen.“
„Natürlich wird es dazu führen, dass eine Erhöhung der Fallzahlen auftreten wird“, erklärte Johannes Bogner, der Leitende Oberarzt am LMU-Klinikum der Uni München. Und der Münchner Virologe Oliver Keppler sagte gegenüber dem Bayrischen Rundfunk: „Auf einer Skala von eins bis zehn liegt die Wahrscheinlichkeit einer Sars-CoV-2-Exposition nach mehreren Stunden im Zelt nach meiner Einschätzung bei neun bis zehn.“
Das deckt sich mit den katastrophalen Folgen ähnlicher Volksfeste, die an verschiedenen Orten Bayerns ohne Corona-Auflagen gefeiert wurden. In Rosenheim beispielsweise kam es rund eineinhalb Wochen nach Beginn der dortigen Wiesn zu einem Anstieg der Inzidenzwerte auf weit über 1000.
In München selbst ist die 7-Tage Inzidenz innerhalb von zehn Tagen bereits von 225 auf über 695 angestiegen. In der letzten Woche wurden dort mehr als 10.000 neue Coronafälle gemeldet und damit etwa 6500 mehr als in Hamburg, wo in den letzten sieben Tagen die zweitmeisten Fälle registriert wurden. Stichproben mit PCR-Tests haben ergeben, dass zwei Prozent der Besucher bereits infiziert auf das Oktoberfest gehen.
Diese Entwicklung ist den Bundes- und Landesregierungen nicht nur bekannt, sondern sie wird bewusst befördert. Zahlreiche Politiker aller Parteien veröffentlichten Bilder von sich ohne Maske auf dem Fest. Nach dem neuen Infektionsschutzgesetz sind selbst kleine behördliche Auflagen, wie Zugangsbeschränkungen, verpflichtende Hygienekonzepte oder eine Maskenpflicht nicht mehr möglich. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) erklärte vor Beginn der Wiesn: „Wahrscheinlich wird die Zahl der Infektionen steigen, das ist die Erfahrung der bisherigen Feste“.
Das Veranstalten von riesigen Volksfesten ohne jeden Schutz dient vor allem einem Ziel: Das „Leben“ oder besser „Sterben mit dem Virus“ soll normalisiert werden. Während in den USA jüngst Präsident Biden, die Pandemie als „beendet“ bezeichnete, fordern auch in Deutschland immer mehr Politiker, die letzten verbliebenen Maßnahmen aufzuheben.
So erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Tino Sorge gegenüber dem Spiegel: „Es wird Zeit, den Tunnel der Angst zu verlassen. Immer mehr Staaten kehren zurück zur Normalität. Bei aller nötigen Vorsicht: Der Ausnahmezustand darf nicht zum Dauerzustand werden. Auch unsere Bundesregierung wird den Menschen erklären müssen, wie lange wir uns noch im Pandemiemodus bewegen werden.“
Der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Fraktion Andrew Ullmann äußerte sich ähnlich: „Ich kann absolut nachvollziehen, was Joe Biden meint. Als Wissenschaftler und Kliniker würde ich behaupten, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist, sie befindet sich aber in der Endphase.“
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht Deutschland im „Übergang von der Pandemie zur Endemie“ und erklärt, dass er keine weiteren Schutzmaßnahmen für nötig hält.
Zusätzlich forderten vor wenigen Tagen die Bundesländer Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein in einem gemeinsam Schreiben die Isolationspflicht für Coronainfizierte zu beenden.
Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne) sagte: „Wir sollten nach und nach in den Modus kommen, eine Coronainfektion wie eine andere Infektionskrankheit zu behandeln, bei der gilt: Wer krank ist, bleibt zu Hause.“
Dabei werden diese Pläne bereits umgesetzt. Die Baden-Württembergische Landesregierung schaffte am Mittwoch das verpflichtende Freitesten für Kinder und Jugendliche nach einer Corona-Infektion ab. Kinder und Jugendliche können somit infiziert und ohne Maskenpflicht zurück in die Schulen kommen und das Virus unter Mitschülern verbreiten.
Infizierte können arbeiten, lautet auch die Botschaft von Kanzler Olaf Scholz, der sich vor einigen Tage mit Corona infiziert hat. Scholz hat sich im Kanzleramt „isoliert“, weil er „von hier aus [s]einer Arbeit gut nachgehen“ könne. Um wieder schnell fit zu werden, nehme er auf Rat seiner Ärzte Paxlovid. Für die große Mehrheit der Bevölkerung ist das Corona-Medikament so gut wie nicht erhältlich.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist damit beschäftigt, die Situation herunterzuspielen und gegen ernsthafte Maßnahmen zu agitieren. Er rechne nur mir einer „mittelschweren Welle im Herbst“ erklärte er in einem Interview mit der Rheinischen Post. Lockdowns seien „nicht mehr vertretbar“ und auch „Schließungen von Schulen oder des Gastgewerbes“ werde es nicht mehr geben.
Tatsächlich ist die Situation dramatischer als zur gleichen Zeit in den letzten Jahren.
Nach einem leichten Rückgang der Infektionen in den letzten Wochen beginnen die Zahlen wieder zu steigen. Die offizielle 7-Tage Inzidenz lag am Donnerstag bei 410. Vor einer Woche betrug sie noch 281,1. Damit ist die Inzidenz binnen einer Woche um 46 Prozent gestiegen. Und die Zahl der aktuellen Neuinfektionen liegt rund viermal so hoch wie vor einem Jahr zu selben Zeit.
Die tatsächlichen Zahlen liegen jedoch weit höher, da ein Großteil der Testinfrastruktur abgebaut wurde und nur PCR-Tests in die Statistik eingehen. Auch die enorme Testpositivrate von 33,9 Prozent verdeutlicht die hohe Dunkelziffer bei den Fallzahlen.
In Krankenhäusern und Pflegeheimen kommt es zu einer wachsenden Anzahl von Infektionen. In medizinischen Behandlungseinrichtungen gab es in der vergangenen Woche 51 Ausbrüche (49 in der Vorwoche) und in Alten- und Pflegeheim 178 (120 in der Vorwoche). Durch die Ausbrüche in den vergangenen Wochen sind mindestens 24 Menschen in medizinischen Behandlungseinrichtungen und 99 in Alten- und Pflegeheimen gestorben.
Insgesamt nimmt die Zahl der schweren Verläufe wieder stark zu. Mittlerweile werden jede Woche 6.000 Menschen hospitalisiert. 705 Menschen liegen auf Intensivstationen und rund 80 Menschen sterben jeden Tag. Das ist knapp doppelt so hoch wie vor einem Jahr zur selben Zeit.
Besonders besorgniserregend in der aktuellen Entwicklung ist die Verbreitung der Omikron Sublinie BA 2.75.2, die eine bislang ungekannte Immunflucht zeigt. Laut dem Assistenz-Professor Ben Murell am Karolinska Institut in Stockholm zeigen sowohl das Covid-Medikament Evusheld als auch Sotrovimab keinerlei nennenswerte Wirkung auf isolierte Proben der Mutation.
Einer Studie einer Forschergruppe der Universität Peking zufolge setzt sich die Subvariante auch mühelos gegen das Medikament Bebtelovimab durch. Alle drei Medikamente bestehen aus isolierten Antikörpern, die eine Sofortwirkung beim infizierten Patienten auslösen sollen.
Die Entstehung immer neuer Mutationen verdeutlicht den völligen Bankrott der offiziellen Politik. Wie immer klarer sichtbar wird, führt die Durchseuchung der Bevölkerung nicht zu harmloseren Mutationen, sondern zur Entstehung von infektiöseren und ressistenteren Varianten.
Die einzige Strategie zur Beendigung der Pandemie ist die Eliminierung des Virus. Da dies aber unvereinbar ist mit den wirtschaftlichen Interessen der herrschenden Klasse, ist der Aufbau einer sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse notwendig, die das Leben und die Gesundheit der Bevölkerung höher stellt, als die Profite der Kapitalisten.