Seit Montag eskaliert der seit sieben Monaten andauernde Krieg zwischen der Nato und Russland in der Ukraine, nachdem Russland eine Reihe von Angriffen auf größtenteils zivile Infrastrukturen in der gesamten Ukraine geführt hat.
Laut ukrainischen Angaben wurden 14 Menschen getötet und weitere 97 verwundet; in mehr als der Hälfte aller Regionen des Landes kam es zu Stromausfällen. Das Wall Street Journal berichtete, die meisten Angriffe hätten „Umspannwerke und andere Ziele außerhalb der Stadtzentren, weit weg von zivilen Wohngebieten, getroffen“.
Am Freitag verübten ukrainische Spezialeinheiten einen terroristischen Selbstmordanschlag auf die Kertsch-Brücke, die Russland mit der Krim verbindet. Zuvor hatte der ehemalige Kommandierende General der US Army Europe, Ben Hodges, die Ukraine aufgefordert, die Brücke zu zerstören. Auch aktive US-Regierungsvertreter gaben grünes Licht für den Angriff auf die Brücke.
Einige Tage nach dem Angriff wird das Ziel des Bombenanschlags auf die Kertsch-Brücke deutlicher. Er sollte Russland zu einer militärischen Reaktion gegen zivile Infrastruktur in der Ukraine provozieren, die dann als Rechtfertigung für eine massive Ausweitung des US-Nato-Engagements in dem Konflikt dienen soll.
US-Regierungsvertreter hatten sich seit Monaten unzufrieden darüber gezeigt, dass es nicht gelungen war, Russland zu einer Ausweitung des Kriegs auf die Westukraine zu „provozieren“. Sie war in den letzten Monaten weitgehend verschont geblieben.
Letzten Monat beklagte sich der ehemalige amerikanische Botschafter in der Ukraine, William Taylor, in der Zeitung The Hill, die Russen hätten „nicht reagiert“, obwohl das Weiße Haus der Ukraine „immer größere, leistungsfähigere und schwerere Waffen mit immer größerer Reichweite geliefert hat“. Bis jetzt, so Taylor, haben die Russen „geblufft und getobt, aber sie haben sich nicht provozieren lassen“.
Mit dem Angriff von Montag haben sich die russischen Streitkräfte nun doch „provozieren“ lassen, und damit die Voraussetzungen für eine noch massivere Eskalation des US-Nato-Engagements in diesem Krieg geschaffen.
Der Angriff auf die Kertsch-Brücke fand nur wenige Tage vor dem Treffen der Nato-Verteidigungsminister am 12. und 13. Oktober statt, bei dem eine Ausweitung der direkten Nato-Beteiligung an dem Konflikt erwartet wird.
Ein hochrangiger Vertreter der Biden-Regierung, der von der Washington Post interviewt wurde, bezeichnete die Eskalation des Kriegs als „Wendepunkt“.
Laut Washington Post werfen die Angriffe die Frage auf, „ob die USA und ihre Partner möglicherweise über das Konzept hinausgehen müssen, der Ukraine bei der Selbstverteidigung zu helfen, und stattdessen energischer für einen ukrainischen Sieg sorgen sollten“.
Die Post schrieb: „Bisher war die Unterstützung durch die USA vorsichtig und prozessorientiert, was die Waffenlieferungen und deren Geschwindigkeit angeht, um ihre oberste Priorität nicht zu beeinträchtigen – einen direkten Zusammenstoß zwischen Russland und dem Westen zu verhindern. Diese Strategie wird wahrscheinlich auch bei der Krisensitzung der G7-Staats- und Regierungschefs am Dienstag und des Treffens der Nato-Verteidigungsminister Ende der Woche auf der Tagesordnung stehen.“
Mit anderen Worten: dominante Teile des politischen Establishments der USA und der Nato werden die Angriffe als Vorwand für eine seit langem geplante Eskalation des Kriegs benutzen.
Damit spielen die von Putin angeordneten Angriffe auf die zivile Infrastruktur den USA und der Nato direkt in die Hände. Sie haben darauf gehofft, durch die Provokation Russlands einen Vorwand zu erhalten, um direkter in den Krieg einzugreifen und Russlands militärische Niederlage sicherzustellen.
Bereits im Vorfeld des Treffens fordern Vertreter der US-Regierung eine Ausweitung der Waffenlieferungen an die Ukraine. Der Vorsitzende des Außenpolitikausschusses des Senats, Robert Menendez, erklärte: „Ich verspreche, alle mir zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um die Unterstützung für das ukrainische Volk zu beschleunigen und Russlands Kriegsmaschinerie auszuhungern.“
Die Abgeordnete und CIA-Demokratin, Elissa Slotkin, erklärte auf Twitter, die Lieferung zusätzlicher Luftabwehrsysteme an die Ukraine sei „dringend erforderlich“, und sie fügte hinzu: „Die Lieferung dieser Systeme ist ein defensiver, kein eskalierender Schritt. Unsere europäischen Freunde müssen das mit uns zusammen beschleunigen, um den Ukrainern zu liefern, was sie brauchen.“
Das Wall Street Journal forderte in einem Leitartikel, die USA sollten der Ukraine „mehr Waffen, darunter bessere Luftabwehrsysteme liefern“. Weiter hieß es: „Putin wird seinen Krieg erst beenden, wenn klar wird, dass die Kosten für eine Fortsetzung zu hoch sind.“
In einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj versprach Biden am Montag, „der Ukraine weiterhin die zu ihrer Verteidigung notwendige Unterstützung zukommen zu lassen, einschließlich hochmoderner Luftabwehrsysteme“ – wie es in einer Zusammenfassung des Gesprächs durch das Weiße Haus heißt.
Am Dienstag sprach Selenskyj auf einem Treffen der G7-Staaten, die zusätzliche militärische Unterstützung für den Konflikt ankündigten - darunter Luftabwehrsysteme. In einer Erklärung bezeichneten die G7-Staaten die russischen Militärschläge als „Kriegsverbrechen“ und drohten: „Wir werden Präsident Putin und die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg verkündete in Brüssel, die Mitgliedsstaaten der Nato würde ihre Produktionskapazitäten für Munition und Ausrüstung erhöhen. „Je länger sich dieser Krieg hinzieht, desto wichtiger ist es, dass wir dann auch in der Lage sind, Vorräte wieder aufzufüllen“, erklärte er. Das Land brauche im Krieg gegen Russland eine „breite Palette unterschiedlicher Systeme. Sie brauchen fast alles.“
Ukrainischen Regierungsvertretern zufolge hat Russland mehr als 20 Städte mit Raketen angegriffen, darunter auch die Hauptstadt Kiew. Laut dem ukrainischen Generalstab haben russische Streitkräfte mehr als 84 Marschflugkörper abgeschossen und 24 Drohnenangriffe durchgeführt.
Das Institute for the Study of War berichtete: „Russische Streitkräfte haben mit Raketen angegriffen, die von zehn strategischen Bombern, die im Kaspischen Meer und von Nischni Nowgorod aus operierten, sowie von Iskander-Kurzstreckenraketen-Systemen und sechs Raketenträgern im Schwarzen Meer abgefeuert wurden.“
In einer nüchternen Einschätzung der militärischen Konsequenzen der Angriffe von Montag schrieb das Institute for the Study of War: „Ukrainische und westliche Geheimdienste haben zuvor berichtet, dass Russland einen beträchtlichen Teil seiner Hochpräzisionsraketen verfeuert und Putin vermutlich besser als Medwedew und die Militärblogger weiß, dass er Angriffe mit dieser Intensität nicht sehr lange aufrechterhalten kann.“
Weiter hieß es: „Mit den Angriffen vom 10. Oktober hat Russland einen Teil seiner schwindenden Bestände von Präzisionswaffen auf zivile Ziele verschwendet, statt sie für militärisch bedeutende Ziele aufzuheben.“
Der Bericht fügte hinzu, die „ukrainische Luftabwehr hat außerdem die Hälfte der russischen Drohnen und Marschflugkörper abgeschossen. ... Dass Russland seine begrenzten Bestände an Präzisionswaffen in dieser Weise einsetzt, könnte Putin der Möglichkeit berauben, die laufenden ukrainischen Gegenoffensiven in den Gebieten Cherson und Lugansk aufzuhalten.“
Michael Kofman, der Direktor für Russland-Studien bei CNA, erklärte gegenüber der New York Times: „Während des gesamten Kriegs hatte das russische Militär immer Probleme mit der Wahl der Ziele und der Genauigkeit ihrer Raketen. Im weiteren Verlauf des Kriegs ist ihr Vorrat an präzisionsgelenkten Waffen zur Neige gegangen, und sie benutzen Waffen, die nicht für Landziele geeignet oder alt und unzuverlässig sind.“
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko erklärte unterdessen, er habe Truppen angewiesen, gemeinsam mit den russischen Streitkräften in der Nähe der ukrainischen Grenze zu operieren. Lukaschenko erklärte: „In der Ukraine werden heute nicht nur Angriffe auf das Staatsgebiet von Belarus diskutiert, sondern auch bereits geplant.“
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