Die Tarifverhandlungen für die 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Diensts von Bund und Kommunen beginnen zwar erst im Januar, aber mit der Bekanntgabe ihrer Forderungen haben die Gewerkschaften sie eingeleitet.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die Lehrergewerkschaft GEW, die IG Bau, der Beamtenbund dbb und die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangen eine Anhebung der Einkommen um 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro monatlich bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Die Ausbildungsvergütungen und Praktikantenentgelte sollen um 200 Euro monatlich erhöht werden.
Diese Forderungen, die etwas höher liegen als die anderer Gewerkschaften, sind das Ergebnis des wachsenden Drucks von unten. Die Beschäftigten des öffentlichen Diensts mussten in den Jahren der Corona-Pandemie massive Verluste ihrer Einkommen hinnehmen, die nun angesichts einer offiziellen Inflationsrate von 10 Prozent regelrecht dahinschmelzen. Hinzu kommt in vielen Bereichen eine unerträgliche Erhöhung der Arbeitsbelastung. In einer Umfrage, an der sich 200.000 beteiligten, sprachen sich 97 Prozent dafür aus, die Tarifrunde auf eine massive Lohnerhöhung zu konzentrieren.
Die Forderung der Gewerkschaften deckt allerdings noch nicht einmal die Reallohnverluste der letzten zwei Jahre, die sich auf mehr als 12 Prozent belaufen. Sie hatten 2020 einem Tarifvertrag zugestimmt, der die Entgelte über einen Zeitraum von 28 Monaten um insgesamt nur 3,2 Prozent erhöht. Selbst wenn die neue Forderung in vollem Umfang durchgesetzt würde, sänken die Realeinkommen im kommenden Jahr bezogen auf 2020 um mindestens zehn Prozent.
Doch die Gewerkschaft Verdi, die bei den Verhandlungen federführend ist, hat nicht die geringste Absicht, für diese Forderung zu kämpfen. Im Gegenteil, sie bildet eine geschlossene Front mit der Bundesregierung, die entschlossen ist, die Kosten der militärischen Aufrüstung, des Ukrainekriegs und der Sanktionen gegen Russland den Beschäftigten des öffentlichen Diensts und der gesamten Arbeiterklasse aufzubürden.
Die Abwehr dieses Angriffs setzt drei Dinge voraus:
- erstens können die Beschäftigten des öffentlichen Diensts ihre Interessen und Forderungen nur im Kampf gegen die Ampel-Regierung und ihre Kriegspolitik durchsetzen;
- zweitens kann dieser Kampf nicht mit Verdi und den anderen Gewerkschaften geführt werden, weil sie als Teil der Regierung handeln und die Kriegspolitik unterstützen;
- drittens müssen deshalb in allen Betrieben und Verwaltungen unabhängige Aktionskomitees gebildet werden, die den Tarifkampf selbst in die Hand nehmen, Verbindung zu den Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie aufbauen, die sich ebenfalls im Lohnkampf befinden, und eine breite Bewegung gegen die Ampel-Regierung entwickeln.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Sommer die Konzertierte Aktion ins Leben gerufen, um die Angriffe auf die Löhne und sozialen Errungenschaften zwischen Unternehmerverbänden, Gewerkschaften und Regierung zu koordinieren und jeden Widerstand dagegen zu unterdrücken. Verdi-Chef Frank Werneke spielt darin eine führende Rolle.
Bereits vor einem Jahr hatte Verdi für den öffentlichen Dienst der Länder eine massive Senkung der Reallöhne vereinbart. Sie stimmten einem 14-monatigen Lohnstopp zu, lediglich im März gab es eine Einmalzahlung in Höhe von 1300 Euro. Die Tariflöhne werden erst am 1. Dezember dieses Jahres um 2,8 Prozent erhöht und danach bis zum Vertragsende im September 2023 nicht mehr.
Letzte Woche preschte die Gewerkschaft IG BCE vor und vereinbarte für die 580.000 Beschäftigten der Chemiebranche einen Tarifvertrag, der auf eine Reallohnsenkung von 15 Prozent innerhalb von zwei Jahren hinausläuft. Die Tariflöhne steigen Anfang der kommenden beiden Jahre um jeweils 3,25 Prozent. Außerdem gibt es zwei Einmalzahlungen, die sich aber nicht auf das zukünftige Tarifniveau auswirken, das im Lauf von 27 Monaten trotz Rekordinflation nur um 6,5 Prozent steigt!
Der Chemieabschluss war in der Konzertierten Aktion abgesprochen worden. Er soll als Maßstab für die 3,8 Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie und die 2,5 Millionen von Bund und Kommunen dienen. Er zeigt, was die Beschäftigten des öffentlichen Diensts zu erwarten haben.
Für die Tarifverhandlungen sind bereits drei Termine in Potsdam angesetzt: am 14. Januar, vom 22. bis 23. Februar und vom 27. bis 29. März. Das entspricht dem üblichen Ritual. Verdi wird wie immer große Töne spucken und zum Dampfablassen nach der ersten Verhandlungsrunde einige Warnstreiks und vor der dritten eine Demonstration in Potsdam organisieren – und dann einen Ausverkauf nach dem Vorbild der Chemiegewerkschaft durchführen.
Verdi arbeitet nicht nur in der Konzertierten Aktion eng mit der Ampelkoalition zusammen, die Tarifverhandlungen finden gewissermaßen im engen politischen Familienrahmen statt. Die Verhandlungsführerinnen für den Bund (Innenministerin Nancy Faeser) und für die Kommunen (die Präsidentin der Kommunalen Arbeitgeberverbände (KAV) und Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen, Karin Welge) sind beide Mitglied der SPD, der auch Verdi-Chef Frank Werneke seit 40 Jahren angehört.
Die Zustände im öffentlichen Dienst zeigen wie in einem Brennglas die verheerenden Folgen dieser Form der „Sozialpartnerschaft“. Nie zuvor seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Lage derart zugespitzt wie jetzt. Zur Erhöhung der Preise, die für Grundnahrungsmittel und Energie das Doppelte und Vielfache der offizielle Inflationsrate von zehn Prozent beträgt, kommen die Folgen der Sparprogramme und Kürzungen der öffentlichen Haushalte hinzu.
Die Reallohnsenkung der vergangenen Jahre und die Verschärfung der Arbeitshetze haben dazu geführt, dass immer mehr Beschäftigte aus dem öffentlichen Dienst flüchten und keine neuen gefunden werden. Eine Studie von PwC Deutschland konstatiert nicht nur einen Mangel an Arbeitskräften in einzelnen Bereichen, sondern sagt bis 2030 einen Personalbedarf von rund einer Million Beschäftigten im gesamten öffentlichen Dienst voraus. Im Wettbewerb mit privaten Unternehmen sei der öffentliche Dienst bei der Arbeitskräftegewinnung aufgrund von schlechter Bezahlung und Arbeitsbedingungen häufig nicht attraktiv genug.
Die Corona-Pandemie und die rücksichtslose Durchseuchungspolitik der Regierung verschärfen die Situation weiter. Beschäftigte von Verkehrsbetrieben, Verwaltungen, Kliniken und anderen Bereichen werden verpflichtet, unter äußerst gesundheitsgefährdenden Umständen zu arbeiten. Mit dem erneuten Anschwellen der Corona-Welle wächst der Krankenstand und die Arbeitsbelastung nimmt weiter zu.
Verdi und die anderen Gewerkschaften nehmen das nicht nur tatenlos hin, sie bereiten einen weiteren Angriff auf die Löhne vor und tun alles, um das Desaster in eine gesellschaftliche Katastrophe zu verwandeln.
Deshalb ist es dringend nötig, die Kontrolle von Verdi und der anderen Gewerkschaften zu durchbrechen und unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die den Tarifkampf selbst in die Hand nehmen. Sie müssen den Widerstand gegen Lohnsenkung und unerträgliche Arbeitsbelastung mit dem Kampf gegen Krieg und militärische Aufrüstung verbinden.
Die neue Organisationsform, der Aufbau unabhängiger Aktionskomitees, ist notwendig, um die gegenwärtigen Tarifkämpfe als Teil einer internationalen Mobilisierung der Arbeiterklasse zu führen. Auf der ganzen Welt beteiligen sich immer mehr Arbeiter an Streiks und Protesten. Sie kämpfen gegen Arbeitsplatzabbau, Lohndumping, Gesundheitsgefährdung durch Corona und die Folgen der Inflation. In Großbritannien bahnt sich ein Generalstreik an, und in Frankreich weiten sich Streiks und Proteste gegen die Macron-Regierung aus, die streikende Raffinerie-Arbeiter zwangsverpflichtet hat.
Die Kämpfe stoßen jedoch immer und überall an Grenzen, die ihnen die Gewerkschaften setzen. Das haben in Deutschland zuletzt die Pflegekräfte der NRW-Uniklinken erlebt, deren zwölf Wochen langer Streik durch Verdi übel ausverkauft wurde. In Saarlouis organisieren IG Metall und Betriebsrat die Stilllegung des Ford-Werks und sabotieren einen Kampf zur Verteidigung der Arbeitsplätze.
Als Antwort auf den vollständigen Übergang der Gewerkschaften ins Lager der Regierung und Unternehmen haben das Internationale Komitee der Vierten Internationale und die Sozialistische Gleichheitspartei die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC) ins Leben gerufen. Sie baut ein Netz unabhängiger Komitees unter demokratischer Kontrolle der Arbeiter auf. Solche Aktionskomitees sind bereits in vielen Ländern von Arbeitern in unterschiedlichen Branchen gegründet worden. In Deutschland haben u.a. Autoarbeiter, Pfleger und Verkehrsarbeiter begonnen, unabhängige Aktionskomitees aufzubauen.
Der Aufbau von Aktionskomitees der Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist die wichtigste Vorbereitung auf den kommenden Tarifkampf. Wir rufen alle Arbeiterinnen und Arbeiter auf, sich per Whatsapp-Nachricht bei folgender Nummer zu melden: +491633378340 oder sich hier für den Aufbau von Aktionskomitees zu registrieren.