Sechs Wochen nach Beginn der Tarifrunde haben die Arbeitgeber in der Metall- und Elektroindustrie letzte Woche in der dritten Verhandlungsrunde ein erstes Angebot vorgelegt, das die rund 3,8 Millionen Beschäftigten berechtigterweise als Provokation auffassen.
Die IG Metall reagiert seit letzten Samstag auf den Unmut der Belegschaften bundesweit mit Warnstreiks und Protesten. Doch während die Arbeiterinnen und Arbeiter angesichts einer aktuellen Inflationsrate von über zehn Prozent selbst die ursprüngliche Forderung von acht Prozent in zwölf Monaten für zu niedrig halten, bereitet die Gewerkschaft noch viel krassere Reallohnsenkungen vor.
Nach den Vorstellungen des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall sollen die Beschäftigten mit einer einmaligen Zahlung von 3000 Euro „Inflationsprämie“ für 30 Monate abgespeist werden. Gleichzeitig wollen sie andere Sonderzahlungen wie das Weihnachtsgeld kürzen. Eine wirkliche, dauerhafte – sogenannte tabellenwirksame – Lohnerhöhung boten sie nicht an, eine solche sei „in Aussicht gestellt“.
Der Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf lehnte im Interview mit der Süddeutschen Zeitung eine Abmachung wie in der Chemieindustrie ab. Dort hatte die IGBCE Reallohnsenkungen vereinbart, wie es sie in Deutschland seit den 30er Jahren nicht mehr gegeben hat. Neben der 3000-Euro-Einmalzahlung steigen dort die Löhne und Gehälter um lediglich 6,5 Prozent innerhalb der nächsten knapp zwei Jahre.
Wolf fordert sogar, dass „Firmen, in denen es schlecht läuft, vom Tarifvertrag abweichen können“, also die Reallohnkürzungen noch weiter treiben dürfen. So wie die Unternehmen die aktuelle Situation beschreiben, dürfte es wenige unter ihnen geben, bei denen es „gut“ läuft: „Krieg in der Ukraine, drohende Energieknappheit, Lockdown in China, Rohstoffmangel, rasante Preisanstiege für Energie und Rohstoffe, fehlende Fachkräfte und Bewerber für Ausbildungsplätze“, heißt es in einer Verlautbarung des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Hinzu kämen die „Investitionen in den Strukturwandel“, das heißt Geld für den Abbau von Arbeitsplätzen: „Eine Rückkehr zum Vorkrisenniveau von 2018 ist derzeit ausgeschlossen.“
In Wirklichkeit fahren die großen Unternehmen hohe Gewinne ein. Sie kürzen kontinuierlich ihre Lohnkosten durch anhaltenden Arbeitsplatzabbau und Lohnsenkungen. Ihre gestiegenen Kosten geben sie zum Großteil an ihre Kunden weiter.
Roman Zitzelsberger, Verhandlungsführer und IG Metall-Bezirksleiter für Baden-Württemberg und voraussichtlicher IGM-Vorsitzender erklärte, mit dem Angebot der Arbeitgeber sei „die Tarifrunde nicht zu lösen“. Eine tabellenwirksame Erhöhung der Entgelte habe in dieser Tarifrunde oberste Priorität. Dabei hat die IG Metall längst angekündigt, Reallohnsenkungen nach dem Modell der IG BCE zu organisieren. Wenn sie jetzt über Verhandlungen und Streiks sprechen, dienst das nur dazu, diese gegen die Arbeiter durchzusetzen.
Doch die Wut in den Belegschaften ist enorm. In Baden-Württemberg, Bayern, im IGM-Bezirk Küste (Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Hamburg, Bremen) sowie in Berlin, Brandenburg und Sachsen haben sich in den letzten vier Tagen mehr als 10.000 Beschäftigte in der Auto- und Zulieferindustrie, in Maschinenbauunternehmen, Aluminiumhütten usw. an Warnstreik-Aktionen beteiligt. In der Nacht auf Mittwoch haben sich auch die Beschäftigten in Nordrhein-Westfalen den Protesten angeschlossen. Als erste verließen Fordarbeiter in Köln um Mitternacht das Werk.
Bei den zahlreichen Protesten wurde klar, dass selbst die Anfangsforderung der Gewerkschaft nach acht Prozent mehr Lohn in zwölf Monaten Reallohnsenkungen bedeuten würde, die verheerende Konsequenzen für Arbeiter und ihre Familien hätte. Die World Socialist Web Site sprach mit Teilnehmern, die ihr Misstrauen gegenüber der IG Metall und ihrer „Verhandlungsführer“ zum Ausdruck brachten und einen gemeinsamen Kampf der ganzen Arbeiterklasse unterstützten – insbesondere ein einheitliches Vorgehen aller sieben Millionen Arbeiter, deren Tarifverträge in diesen Monaten auslaufen.
BMW und Stadler
Um eine breite Mobilisierung zu verhindern, hatte die IG Metall die vorab angekündigten „Warnstreiks“ auf zwei Stunden begrenzt und sowohl zeitlich als auch räumlich voneinander getrennt. Nachdem im Süden Berlins bereits um Mitternacht Mercedes-Benz-Arbeiter gestreikt hatten, deren Werk geschlossen werden soll, fanden im Norden und Nordwesten der Stadt erst am Mittag kleinere Protestaktionen statt. Den Streiktag selbst hatte die Gewerkschaft auf einen Feiertag terminiert, an dem in sämtlichen nördlichen Flächenbundesländern ohnehin nicht gearbeitet wird.
Am BMW-Motorradwerk bei Spandau beteiligten sich am Vormittag rund 150 Arbeiter an einer Kundgebung und einer „Menschenkette“. Die meisten Arbeiter, die sich daran nur halbherzig beteiligten, befürchteten eine schlussendliche nominelle Lohnerhöhung von 6 Prozent. Ein Leiharbeiter, mit dem WSWS-Reporter sprachen, rechnete vor, dass dies bei seinem Lohn vor Steuern lediglich 120 Euro zusätzlich bedeuten würde. Angesichts von dreißigprozentigen Preissteigerungen bei Lebensmitteln und Energie sei dies „lächerlich“ und in Wirklichkeit eine massive Reallohnsenkung. Bei BMW machen Leiharbeiter mittlerweile 50 Prozent der Belegschaft aus.
Ein älterer Leiharbeiter, der seit erst seit Kurzem bei BMW arbeitet, hatte seinen langjährigen Arbeitsplatz bei Osram verloren, nachdem Siemens das Unternehmens verkauft hatte. Über die Funktionäre der IG Metall und ihre Betriebsräte sagte er: „Ich habe erlebt, wie es bei Osram immer weiter bergab ging. Nur die Betriebsräte der IG Metall hatten einen sicheren Arbeitsplatz, verdienten gut und waren von der Arbeit freigestellt. Einen richtigen Kampf gegen die Entlassungen zur Verteidigung aller Arbeitsplätze haben sie nie organisiert. Hier bei BMW warte ich auf eine Vollzeitstelle – aber ob das passiert, ist wegen meines Alters unsicher.“
WSWS-Reporter verteilten einen Aufruf gegen das Arbeitsplatz-Massaker bei Mercedes-Benz in Ludwigsfelde. Das Flugblatt ruft Arbeiter zu einem Bruch mit den Gewerkschaften und zum Aufbau unabhängiger Aktionskomitees auf, die aus vertrauenswürdigen Kolleginnen und Kollegen bestehen. Arbeiterin Jasmin unterstützte den Aufruf, begrüßte gemeinsame Streiks und zeigte sich solidarisch mit den Mercedes-Arbeitern: „Es geht nur gemeinsam. Wir müssen alle zusammenhalten.“
BMW-Arbeiter Cem reagierte erschrocken darauf, dass das Mercedes-Benz-Werk in Ludwigsfelde geschlossen werden soll und warf die Frage auf, weshalb dies nicht von der IG Metall thematisiert werde. Ein Kollege von Cem betonte, dass die Gewerkschaften „auf der anderen Seite“ stehen, und verwies auf den Korruptionsskandal bei VW. Dort war bereits vor Jahren bekannt geworden, dass IGM-Funktionäre vom Management zu Luxusreisen und Sexpartys eingeladen worden waren. „Das ist überall so. Ich will gar nicht wissen, was die hier so treiben.“
Ein Leiharbeiter türkischer Herkunft zeigte sich begeistert darüber, dass die World Socialist Web Site für den internationalen Zusammenschluss aller Arbeiter kämpft. Auf Ludwigsfelde angesprochen sagte er: „Die großen Konzerne sind international organisiert, da müssen sich Arbeiter auch international solidarisieren.“ Mit Blick auf den jetzigen Nato-Krieg in der Ukraine erinnerten andere Arbeiter an die mörderische Kriegspolitik der rot-grünen Schröder-Regierung gegen Serbien und wandten sich gegen das Bundeswehr-Sondervermögen von 100 Milliarden Euro – „während Schulen verfallen, Pflegepersonal unterbezahlt wird und Krankenhausbetten gestrichen werden“.
Beim Schienenfahrzeughersteller Stadler organisierte die IG Metall einen „Warnstreik“ in einer Betriebszufahrt, sodass keine Passanten von ihm Kenntnis nehmen konnten. Die Aktion war von lauter Musik geprägt, um Diskussionen zu verhindern, und wurde nach 90 Minuten beendet. Auf der Webseite „Kununu“, die anonyme Erfahrungsberichte über Unternehmen sammelt, berichten Arbeiter von „Samstagsarbeit“, „ständig überhöhter Arbeitsbelastung“, Überstunden und Verhältnissen „wie im 19. Jahrhundert“. Andere weisen auf ein „ständiges Kommen und Gehen von befristet eingestellten Mitarbeitern“ hin, die „nicht integriert und auch nicht fair behandelt“ würden. Kaum einer dieser Missstände wurde von der IG-Metall-Kundgebung auch nur beiläufig angesprochen.
Die IG Metall hat nicht vor, auf die Forderungen ihrer Mitglieder einzugehen – im Gegenteil. Bei der Kundgebung vor dem BMW-Werk reagierten IG-Metall-Funktionäre mit extremer Feindseligkeit auf die WSWS-Reporter und versuchten, sie von der Kundgebung zu verbannen und sie an Gesprächen mit Arbeitern zu hindern. Als dies nicht gelang, schalteten zwei IG-Metall-Männer die umstehende Polizei ein, um sie von der öffentlichen Versammlung zu entfernen.
Der Vorfall unterstreicht, dass die IG Metall keinen Konflikt mit den Unternehmen oder der Regierung, sondern mit den Mitarbeitern führt. So hat die Gewerkschaft seit 2018 für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie nur eine einzige tarifliche Zusatzzahlung vereinbart. Obwohl die Arbeiter in der Corona-Pandemie wegen Kurzarbeit Lohneinbußen erlitten, gab es bei den Tabellenentgelten 2020 und 2021 Nullrunden. In der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie zementierte die IG Metall die Lohnspaltung zwischen Ost- und Westdeutschland auf Jahre hinaus – mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung.
Auch jetzt ist sie Teil der konzertierten Aktion der Bundesregierung unter Olaf Scholz und hat sich zum Ziel gesetzt, die Kosten des Kriegs gegen Russland und der gigantischen Aufrüstung der Bundeswehr auf die Arbeiterklasse abzuwälzen. Sofort nach Beginn des Kriegs in der Ukraine stellte sich die IG Metall an die Seite der Regierung und unterstützte die massive Aufrüstung der Bundeswehr. Eine gemeinsame Erklärung der IG Metall Baden-Württemberg unter Zitzelsberger und von Südwestmetall unter Wolf kündigte dazu an: „Diese Maßnahmen werden uns allen Opfer abverlangen.“
Die hohe Bereitschaft in den Belegschaften, sich gegen ihr Abrutschen in Armut und Existenznot zu stemmen, muss zum Ausgangspunkt für eine Offensive gegen den Krieg und seine sozialen Folgen gemacht werden. Um die aktuelle Inflation und frühere Reallohnsenkungen auszugleichen, müssen hohe zweistellige Lohnzuwächse erkämpft werden, nicht nur acht Prozent.
Dazu ist es notwendig, mit der IG Metall und den anderen Gewerkschaften zu brechen und unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, die den Kampf gegen Arbeitsplatzabbau, Lohnsenkungen und Krieg in den Betrieben organisieren und sich international vernetzen.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale hat die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) ins Leben gerufen, um diesen Aktionskomitees eine Orientierung zu geben und sie international zu koordinieren.
Nur so kann sowohl die Kriegsgefahr gebannt als auch die Auswirkungen des Kriegs in Form von Arbeitsplatzabbau und gewaltigen Reallohnsenkungen abgewehrt werden. Wir rufen alle Arbeiterinnen und Arbeiter auf, sich per Whatsapp-Nachricht bei folgender Nummer zu melden: +491633378340 oder sich gleich hier unten für die Aktionskomitees zu registrieren.
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