Donald Trump hat in einem Ausbruch auf seiner Social-Media-Plattform Truth Social die „Außerkraftsetzung“ der amerikanischen Verfassung gefordert, um das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2020 für ungültig zu erklären und ihn an die Macht zurückzubringen.
Trump reagierte damit auf einen Bericht des neuen Twitter-Besitzers Elon Musk, wonach die Social-Media-Plattform im Oktober 2020 die Verbreitung eines Berichts der New York Post über Joe Bidens Sohn Hunter Biden blockiert hatte. Trump behauptete, das Vorgehen von Twitter hätte das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen entschieden.
Er schrieb: „Erklärt ihr das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen von 2020 für UNGÜLTIG und ruft den RECHTMÄSSIGEN GEWINNER aus, oder gibt es eine NEUWAHL? Ein massiver Betrug dieser Art und Größenordnung erlaubt die Außerkraftsetzung aller Regeln, Vorschriften und Artikel, selbst derjenigen der Verfassung... Unsere großartigen ,Gründerväter‘ wollten keine falschen und betrügerischen Wahlen und hätten sie nicht gebilligt!“
Sowohl der Artikel in der Post als auch die Entscheidung von Twitter, seine Verbreitung mehrere Tage lang zu blockieren, sind bekannt. In den Tagen vor der Wahl im November 2020 wurde umfangreich darüber berichtet. Trumps Behauptung, dies sei eine Art entscheidender Intervention der Medien und des FBIs gewesen mit dem Ziel, das Wahlergebnis zu beeinflussen, ist nicht nur betrügerisch, sondern auch absurd.
Trump behauptet bereits seit zwei Jahren, die Auszählung der Stimmen sei manipuliert worden – entweder durch das Ausfüllen von Stimmzetteln durch Vertreter der Demokraten oder durch den Einsatz von Software, die Trump-Stimmen auf Biden übertragen hätte. Die Behauptung, Berichte über Hunter Biden seien unterdrückt worden, war bisher nicht Teil des Narrativs von der „gestohlenen Wahl“, wodurch Trumps plötzliche Aufwertung dieses Themas einen bizarren und verzweifelten Eindruck macht.
Viel wichtiger als die Frage, was genau ihn dazu veranlasst hat, ist jedoch Trumps Erklärung, man solle die Verfassung außer Kraft setzen, um ihm die Rückkehr an die Macht zu ermöglichen – und die offiziellen Reaktionen aus Washington, sowohl von den Republikanern und Demokraten als auch von den bürgerlichen Medien.
Durch seinen Verweis auf die Verfassung gibt Trump in gewisser Weise zu, dass seine Forderung vom Januar 2021 an Vizepräsident Pence, die Wahlmännerstimmen in sechs „Battleground States“ unberücksichtigt zu lassen, verfassungswidrig war. Pence weigerte sich, die Wahlmännerstimmen in den sechs Staaten, in denen Biden knapp gewonnen hatte, entweder Trump zuzusprechen oder ganz zu streichen. Er erklärte zu Recht, wenn auch erst in letzter Minute, dass er dazu gemäß der Verfassung nicht die Befugnis habe.
Wie es für dreiste Lügner üblich ist, die beim Lügen erwischt werden, erklärt Trump nun: Ja, meine Forderung hat gegen die Verfassung verstoßen. Na und? Daraus wird deutlich, dass Trump in den letzten Tagen seiner Präsidentschaft bewusst gegen die demokratischen Rechte der amerikanischen Bevölkerung konspiriert hat, indem er versuchte, seine Präsidentschaft zu verlängern und als präsidialer Diktator jeden Widerstand gegen seine Herrschaft mit Gewalt zu unterdrücken.
Dass Trump offen erklärt, er wolle die Verfassung „außer Kraft setzen“, ist von historischer Bedeutung. Es versteht sich von selbst, dass sich kein amerikanischer Präsident jemals so geäußert hat. Alle 45 US-Präsidenten, einschließlich Trump, haben zu Beginn ihrer Amtszeit einen Eid abgelegt, die amerikanische Verfassung, das grundlegende Dokument, auf dem alle politischen Institutionen Amerikas basieren, zu wahren und zu verteidigen.
Die USA als politisches Gebilde sind nicht auf ethnischer Grundlage, aufgrund einer gemeinsamen Sprache oder durch eine langsame und schrittweise historische Entwicklung entstanden. Sie wurden durch die amerikanische Revolution gegründet, mit der eine neue Ära der globalen – nicht nur der amerikanischen – Entwicklung begann. Sie waren das erste Land, das auf der Grundlage einer schriftlichen Verfassung gegründet wurde, die im Jahr 1789 verabschiedet wurde.
Dass ein ehemaliger Präsident, der selbst geschworen hat, die Verfassung zu wahren, jetzt erklärt, sie müsse außer Kraft gesetzt werden, damit er wieder die Macht erlangen könne, verdeutlicht die Tatsache, dass sich die kapitalistische Demokratie in Amerika in einer tödlichen Krise befindet. Entweder werden die faschistischen Kräfte, für die Trump spricht und welche die Republikanische Partei zunehmend dominieren, eine kapitalistische Diktatur der ungeheuerlichsten Art errichten, oder die Arbeiterklasse wird im Rahmen der sozialistischen Weltrevolution die Macht übernehmen. Es gibt keinen Mittelweg.
Ebenso bedeutsam ist die Reaktion der Demokraten und Republikaner in Washington. Mehrere republikanische Kongressabgeordnete traten am Sonntagmorgen in Fernsehinterviews auf, und alle versuchten, jeder Forderung der Medien nach einer direkten Antwort auf Trumps Äußerungen über die Verfassung auszuweichen.
Die „gemäßigten“ Republikaner David Joyce und Mike Turner, beide aus Ohio, und Mike Lawler, der neu gewählte „gemäßigte“ Republikaner aus New York, distanzierten sich von Trumps Äußerungen und kritisierten sie sogar. Allerdings weigerten sie sich, daraus irgendwelche politischen Schlüsse zu ziehen. Joyce erklärte ausdrücklich, er würde für Trump stimmen, wenn dieser im Jahr 2024 als Präsident kandidieren würde.
Auf die Frage, wie er für einen Kandidaten stimmen könne, der dazu aufgerufen hat, die US-Verfassung außer Kraft zu setzen, antwortete Joyce lapidar, Trump habe viele Dinge gesagt, mit denen er nicht einverstanden sei.
Kein konservativer Republikaner und kein Angehöriger des Freedom Caucus trat in den Interviewsendungen auf. Doch der Fraktionsführer der Republikaner im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, der vermutlich der künftige Sprecher des Repräsentantenhauses wird, trat in Maria Bartiromos Sendung auf Fox News auf. Im Verlauf von acht Minuten verurteilte er eine – in Bartiromos Worten – „geheime Absprache zwischen den Medien, dem FBI und allen gegen uns gerichteten Kräften“ und bezog sich damit offenbar auf die Frage nach Hunter Biden.
Bartiromo fragte nicht danach, und McCarthy äußerte sich nicht von sich aus zu Trumps Antwort auf das gleiche Thema: dass die US-Verfassung ausgesetzt werden sollte, um ihn wieder an die Macht zu bringen. Stattdessen gab McCarthy bekannt, dass er die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses des Repräsentantenhauses zu China fordern wird, dem Demokraten und Republikaner angehören werden und der Behauptungen über das systematische Eindringen von Agenten der Kommunistischen Partei Chinas in amerikanische Unternehmen und Regierungskreise untersuchen solle.
Die Reaktion der Demokraten auf Trumps Äußerung war passiv und oberflächlich. Ein Junior-Pressesprecher des Weißen Hauses gab eine kurze Stellungnahme heraus, in der es hieß: „Man kann Amerika nicht nur lieben, wenn man gewinnt.“
Bei einer Wahlkampfveranstaltung vor Geldgebern der Demokratischen Partei am Samstagabend in Boston hielt sich Biden strikt an das Manuskript und erwähnte Trumps Äußerungen mit keinem Wort.
Diejenigen Demokraten, die am Sonntag in Interviewsendungen auftraten, darunter die drei neuen Führungsfiguren des Repräsentantenhauses, kritisierten Trumps Äußerungen. Allerdings bekräftigten sie ihren Wunsch, mit der neuen republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus zusammenzuarbeiten, auch mit dem zukünftigen Sprecher McCarthy.
Mit anderen Worten: Die Demokraten kritisieren den faschistischen Parteichef Trump, wollen aber die Kongressführung der gleichen Partei umwerben, darunter McCarthy, Mitch McConnell und Elise Stefanik.
Inzwischen haben Biden und die Demokraten im Kongress ihre wahren Prioritäten gezeigt, indem sie ein Gesetz durchgepeitscht haben, das einen Streik der Eisenbahner verbietet und den 115.000 Beschäftigten die Bedingungen der Eisenbahnkonzerne aufzwingt. Vor Beginn der „Lame Duck“-Zeit im Kongress steht als Nächstes der National Defense Authorization Act an, der mehr als 900 Milliarden Dollar für das Pentagon vorsieht, darunter weitere Milliarden für den von den USA unterstützten Nato-Krieg gegen Russland in der Ukraine.