Rassistische Kampagne für einen Polizeistaat nach „Berliner Silvesternacht“

Das neue Jahr beginnt in Deutschland mit einer üblen, rassistischen Kampagne für einen Polizeistaat. Als Vorwand dient die „Berliner Silvesternacht“, in der es – glaubt man der Darstellung in Politik und Medien – zu nie dagewesener Gewalt gegen die Sicherheitsbehörden gekommen sei.

Seit Tagen kennen die Medien kaum ein anderes Thema und überbieten sich in Hetze und Schilderung von Gewalt. „Die vergangene Silvesternacht wird wohl als eine der brutalsten und chaotischsten in die Geschichte Berlins eingehen“, schreibt die Berliner Zeitung. Die Süddeutsche schwadroniert von „Randale jenseits aller Grenzen“, und die Springer-Presse veröffentlicht einen Artikel nach dem anderen über die „Silvester-Schande“.

Die gleichen Medien und führende Politiker verbreiten rassistische Hetze und rufen nach dem starken Staat. „Diese Krawalle sind auch ein Migrationsproblem,“ kommentiert die Bild-Zeitung und fordert, den „deutschen Rechtsstaat endlich auch ehrlich [zu] verteidigen“.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erklärte am Mittwoch gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: „Wir haben in deutschen Großstädten ein großes Problem mit bestimmten jungen Männern mit Migrationshintergrund, die unseren Staat verachten, Gewalttaten begehen und mit Bildungs- und Integrationsprogrammen kaum erreicht werden.“ Der Staat müsse nun den „gewaltbereiten Integrationsverweigerern in unseren Städten klar die Grenzen aufzeigen: mit harter Hand und klarer Sprache“.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries, der von zahlreichen Medien zitiert wird, tweetete ebenfalls im Duktus der rechtsextremen AfD: „Wenn wir Krawalle in unseren Großstädten, Verachtung gegenüber dem Staat und Übergriffe gegen #Polizisten und #Feuerwehrleute wirklich bekämpfen wollen, müssen wir auch über die Rolle von Personen, Phänotypus: westasiatisch, dunklerer Hauttyp sprechen. Um es korrekt zu sagen.“

Die ehemalige Vorsitzende des Innenausschusses im Deutschen Bundestag, Andrea Lindholz (CSU), behauptete, die „Gewaltexzesse“ seien „das Ergebnis jahrelanger links-grüner Laissez-faire-Politik in der Hauptstadt“. Der rot-grün-rote Senat verteile „an die Polizei Anweisungen zum politisch korrekten Sprachgebrauch, anstatt die Einsatzkräfte mit optimaler Ausstattung und politischer Rückendeckung wirksam zu schützen“.

Das ist offensichtlich absurd. Tatsächlich haben die Senatsparteien die von rechtsextremen Kräften durchsetzte Berliner Polizei bereits in den letzten Jahren massiv aufgerüstet. Auch jetzt stellen sie sich an die Spitze der Kampagne und verwandeln den gerade begonnenen Berliner Wahlkampf gezielt in eine rechte Offensive für „Law and Order“.

Via Twitter verkündete die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) als Reaktion auf die Silvester-Ereignisse einen „Gipfel gegen Jugendgewalt“ und stärkte demonstrativ den Sicherheitskräften den Rücken. „In den Taten der Silvesternacht“ komme „eine unfassbare Respektlosigkeit gegenüber dem Staat und seinen Vertretern zum Ausdruck“. Ihre „volle Solidarität“ gelte „den Einsatzkräften von Polizei und Feuerwehr“.

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Weiter drohte sie: „Die Taten sind vorwiegend in sozialen Brennpunkten passiert, Täterstrukturen werden genau analysiert. Ich erwarte schnelle und konsequente strafrechtliche Ermittlungen und Bestrafungen durch Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte. Die Bestrafung muss unmittelbar den Taten folgen.“

Die grüne Spitzenkandidatin und amtierende Verkehrssenatorin, Bettina Jarasch, stellte sich umgehend hinter Giffeys Vorstoß. Man müsse nun der „Verrohung und Gewalt gegen Vertreter des Staates konsequent entgegentreten“. Ein Gipfel, wie von Giffey angeregt, könne dazu beitragen, „wenn er auf bestehenden Strukturen aufsetzt und sie stärkt“.

Auch der Kultursenator und Spitzenkandidat der Linkspartei, Klaus Lederer, sprach sich für Giffeys Polizeistaatsgipfel aus. „Wir sollten uns dabei sehr intensiv die Frage stellen, was wir versäumt haben, um diesen jungen Berlinern ein gutes Gefühl von Zuhause zu geben, von gleichberechtigter Teilhabe an unserer Gesellschaft, von Zugehörigkeit“, erklärte er.

Lederers Zynismus ist nur schwer zu überbieten. Als langjährige Regierungspartei hat Die Linke Berlin – gemeinsam mit den Hartz-IV- und Kriegsparteien SPD und Grüne – zur Hauptstadt der Armut, der explodierenden Mieten und der zerfallenden Krankenhäuser und Schulen gemacht. Laut dem jüngsten Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands weist Berlin eine der höchsten Armutsquoten unter den deutschen Bundesländern auf. Mit 19,6 Prozent lebt fast jeder fünfte Berliner in Armut.

Besonders dramatisch ist die Situation in migrantisch geprägten Stadtteilen wie Neukölln, wo der Anteil armutsgefährdeter Einwohner über 27 Prozent liegt. Wenn dort einige Jugendliche in der Silvesternacht Polizeiwagen mit Böllern beworfen und die Feuerwehr bei Löscharbeiten behindert haben, ist dies ein verzweifelter Ausdruck der Wut über die dramatische Lage und Perspektivlosigkeit, in die sie die Regierungsparteien gestürzt haben.

Entgegen der ohrenbetäubenden Propaganda in Politik und Medien stellen die Ereignisse in diesem Jahr keine völlig neue Qualität der Gewalt dar, sondern ähneln denen früherer Jahreswechsel. In Bezug auf die Festnahmen lag die Zahl mit 145 sogar weit unter der von 2020/21, als es 700 Festnahmen gab. Laut einem Bericht der Berliner Zeitung wurden vor zwei Jahren Einsatzkräfte „mit Pflastersteinen und Feuerwerkskörpern beworfen“, „mit einer Schreckschusspistole auf die Zivilfahnder geschossen“ und Polizisten sogar mit „mehreren Molotowcocktails“ attackiert. Trotzdem sprach die Polizei damals von einer „ruhigen“ Silvesternacht.

Mittlerweile ist klar, dass die Ereignisse in diesem Jahr massiv aufgebauscht werden und dabei auch rechtsextreme Kräfte eine Rolle spielen. So musste selbst der Spiegel, der sich wie die anderen „Leitmedien“ an der rassistischen Hetzkampagne beteiligt, zugeben, dass sich Videos über die Berliner Silvesternacht „als Fake“ entpuppt haben. Ein Video, das von einem Vertreter der faschistischen NPD als angeblicher Beleg für Gewaltexzesse geteilt worden sei, entstand in Wirklichkeit „bereits 2019 in der chinesischen Sonderverwaltungszone Hongkong“.

Auch die Zahl der Festnahmen wurde von der Polizei in den letzten Tagen weiter nach unten korrigiert. Statt der ursprünglich behaupteten 159 Festgenommenen seien es in Wirklichkeit nur 145 gewesen, gab ein Sprecher der Polizei zu. Insgesamt seien 18 verschiedene Nationalitäten erfasst worden. Dabei hätten 45 der Verdächtigen die deutsche Staatsangehörigkeit, 27 die afghanische und 21 die syrische. Vieles spricht dafür, dass die meisten auf Grund ihrer Herkunft festgehalten wurden. Inzwischen befinden sich alle wieder auf freiem Fuß.

Die üble Kampagne erinnert an frühere „Silvesternacht-Kampagnen“. 2015/16 lancierten Medien und Polizei Falschmeldungen über Migranten und Flüchtlinge, die in Großstädten wie Köln und Hamburg massenhaft deutsche Frauen sexuell belästigt und vergewaltigt hätten. 2020 wurden Fake News über linke Gewalt und sogar Mordtaten in Leipzig verbreitet. In beiden Fällen bestand das Ziel darin, rechtsextreme Kräfte zu stärken und den Polizeistaat aufzurüsten.

Darum geht es auch jetzt. Die herrschende Klasse weiß, dass ihre Politik des Militarismus, der sozialen Verwüstung und der Durchseuchung verhasst ist und dass sich Arbeiter und Jugendliche radikalisieren. „Vor allem bei den Jungen, unter 30-Jährigen“ kämen „ganz andere Emotionen hoch: Frust, Resignation, Wut. Und eine neu entdeckte Liebe für sozialistische Ideen“, warnt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe mit dem Titel: „Hatte Marx doch recht?“

Während das Nachrichtenmagazin dafür plädiert, den Kapitalismus „weiterzuentwickeln“, braut sich unter der Oberfläche ein gesellschaftlicher Sturm zusammen. Die Regierungsparteien – vor allem auch in der Hauptstadt – bereiten sich darauf vor, indem sie den staatlichen Unterdrückungsapparat stärken und immer offener auf autoritäre Methoden setzen. Zunächst hatte der rot-rot-grüne Senat mit allen Mitteln versucht, eine Wiederholung der formal und politisch völlig illegitimen Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus zu verhindern. Nun, wo die Wahlen stattfinden, lautet der Hauptslogan „Law and Order“.

Arbeiter und Jugendliche – egal welcher Herkunft – dürfen sich davon nicht einschüchtern lassen. Um der rechten Offensive entgegenzutreten, brauchen sie ihre eigene Partei. Die Sozialistische Gleichheitspartei tritt zur Berlinwahl an, um der enormen Opposition in der Bevölkerung eine Stimme und eine sozialistische Perspektive zu geben. Die Kriegspolitik kann nicht gestoppt, die soziale Verwüstung nicht beendet und die Gefahr von Faschismus und Diktatur nicht abgewendet werden, ohne die Macht der Banken und Konzerne zu brechen und sie unter demokratische Kontrolle zu stellen.

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