Perspektive

Zwei Jahre nach Trumps Putschversuch vom 6. Januar: Faschistische Republikaner blockieren US-Repräsentantenhaus

Am Donnerstag erreichte der Republikaner Kevin McCarthy auch im elften Wahlgang nicht die notwendige Mehrheit. Das US-Repräsentantenhaus hatte sich bereits am Mittwochabend vertagt, nachdem die Wahl seines Sprechers zum wiederholten Male gescheitert war. Eine Gruppe von 20 faschistischen Republikanern verweigerte dem Kandidaten ihrer eigenen Partei, McCarthy, die Unterstützung, sodass er nicht auf die erforderlichen 218 Stimmen kam. In den Wahlgängen am Dienstag und Mittwoch war die Zahl der Stimmen für McCarthy von 203 auf 201 gesunken. Angesichts der knappen Mehrheit der Republikaner im neuen Repräsentantenhaus (222 republikanische Abgeordnete gegenüber 213 Demokraten) hätte McCarthy auf die Stimmen von vier Republikanern verzichten können, doch die Zahl der Abtrünnigen erwies sich als fünfmal so hoch.

Entgegen der gängigen Darstellung ist McCarthy kein Gemäßigter. Er wird von Trump unterstützt und stimmte selbst nach der Erstürmung des US-Kapitols durch einen rechten Mob am 6. Januar 2021 noch gegen die Bestätigung der Wahl von Joe Biden. Politische Differenzen sind nicht der Grund, weshalb McCarthys Gegner seine Wahl zum Sprecher blockieren. Vielmehr geht es Teilen der herrschenden Elite darum, die Republikanische Partei und die gesamte Struktur der amerikanischen Politik noch weiter nach rechts zu verschieben.

Abgeordnete im Plenarsaal des Repräsentantenhauses in Washington, 4. Januar 2023 [AP Photo/Andrew Harnik]

Die Wahl eines Sprechers bzw. einer Sprecherin ist für den Kongress und die gesamte amerikanische Regierung von enormer Bedeutung. Das Amt ist keineswegs zeremonieller Natur. Der Sprecher ist der oberste politische und administrative Leiter des Repräsentantenhauses. Das Amt ist in der US-Verfassung verankert, die dem „Speaker“ nach dem Präsidenten und Vizepräsidenten die dritte Position in der Rangfolge der Macht zuweist. Ohne Sprecher ist das Parlament nicht handlungsfähig. Die Abgeordneten können noch nicht einmal vereidigt werden und ihre Sitze einnehmen, geschweige denn Ausschüsse bilden oder Anhörungen abhalten.

Der Sprecher ernennt die Mehrheit der Mitglieder des Rules Committee, d.h. des mächtigen Ausschusses, der die Geschäftsordnung für die Aussprache, die Änderung und die Abstimmung über jeden Rechtsakt festlegt. Der Sprecher legt fest, in welchem Ausschuss Gesetzesvorlagen bearbeitet werden und wann sie zur Debatte und Abstimmung kommen. Er wählt die Mitglieder der Sonder- und Vermittlungsausschüsse aus, überwacht die Auswahl der Mitglieder aller regulären Ausschüsse und ist Vorgesetzter des Sergeant-at-arms, d.h. des Bediensteten, der für die Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit des Kongresses sowie für zahlreiche administrative Aufgaben zuständig ist.

McCarthys Gegner verlangen, dass die Regularien des Repräsentantenhauses in einer Weise geändert werden, die ihnen de facto die Kontrolle über dessen Gesetzgebungs- und Untersuchungstätigkeit verschaffen würde. McCarthy hat bereits ihrer Forderung nach Wiedereinführung einer Regel zugestimmt, wonach während der zweijährigen Legislatur mit Unterstützung von lediglich fünf Abgeordneten jederzeit ein Antrag auf Neuwahl des Sprechers gestellt werden könnte.

Des Weiteren stimmte McCarthy der Forderung zu, dass ein Sonderausschuss zum „Missbrauch der Bundesregierung als Waffe“ („Weaponization of the Federal Government“) eingesetzt werden soll. Ein solcher Ausschuss soll Maßnahmen der Bundesregierung untersuchen, die von der faschistischen Rechten als politischer Angriff gedeutet werden, zum Beispiel die Strafverfolgung von Trump oder von Kongressabgeordneten wegen ihrer Beteiligung am Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021. Außerdem könnte ein solcher Ausschuss die Verfahren gegen Hunderte von faschistischen Schlägern „untersuchen“, die bereits strafrechtlich verfolgt und inhaftiert wurden.

Es gab nur ein Ansinnen, dem McCarthy nicht zustimmte, und zwar, dass der Abgeordnete Scott Perry zum Vorsitzender besagten Sonderausschusses bestimmt werden und in dieser Position die eigentlich dem Sprecher zustehende Befugnis erhalten sollte, alle anderen Ausschussmitglieder zu bestimmen. Perry ist einer der 20 republikanischen Abgeordneten, die gegen McCarthy stimmten, und gehört zu den Organisatoren des Staatsstreichs vom 6. Januar.

Kevin McCarthy auf dem Weg zu seinem Büro, 4. Januar 2023 [AP Photo/Jose Luis Magana]

Wie der von den republikanischen Abweichlern geforderte Sonderausschuss unterstreicht, besteht ein direkter Zusammenhang zwischen dem Putschversuch vom Januar 2021 und der aktuellen Krise im Repräsentantenhaus. Dieselben Abgeordneten, die an dem Putschversuch beteiligt waren und nach dessen Scheitern um pauschale Begnadigung flehten, stehen nun an der Spitze der Kampagne gegen McCarthy: Andy Biggs aus Arizona, Matt Gaetz aus Florida, Perry aus Pennsylvania und andere.

Bezeichnenderweise gab der erzreaktionäre Interessenverband Conservative Action Project am Dienstag eine Erklärung ab, in der er McCarthy verurteilte und seine 20 republikanischen Gegner unterstützte. Diese Erklärung wurde von Dutzenden Führern ultrarechter Gruppen unterschrieben. Zu den Unterzeichnern zählten drei Hauptbeteiligte an dem Putschversuch vom 6. Januar 2021: Virginia Thomas, die Ehefrau des Richters am Obersten Gerichtshof Clarence Thomas; der Anwalt John Eastman, der die „Theorie“ entwickelte, dass Mike Pence als Vizepräsident zur Annullierung der Wahl 2020 befugt sei; und Trumps Anwältin Cleta Mitchell, die das berüchtigte Telefonat einfädelte, in dem Trump verlangte, dass der Innenminister von Georgia, Brad Raffensperger, genügend Stimmen „auftreiben“ sollte, um ihm den Wahlsieg zu sichern.

Das erneute Auftrumpfen der ehemaligen Putschisten widerlegt den Bericht des Sonderausschusses des Repräsentantenhauses über die Ereignisse vom 6. Januar 2021. Darin wurde die alleinige Schuld auf Trump geschoben. Die Rolle der wichtigsten Institutionen des kapitalistischen Staats, einschließlich des Militär- und Geheimdienstapparats, und der Republikanischen Partei wurde beschönigt.

Zwar hat sich Trump selbst zumindest vorläufig hinter McCarthy gestellt, konnte damit aber die Krise für die Republikaner nicht lösen. Die Faschisten ließen sich durch das Scheitern des Staatsstreichs vom Januar 2021 keineswegs entmutigen, sondern fühlen sich bestärkt, weil weder die Regierung Biden noch die Demokraten ernsthaft gegen sie vorgehen. Eigentlich sollten sie wegen ihrer Verschwörung gegen die Verfassung und das Wahlergebnis im Gefängnis sitzen. Stattdessen versuchen sie nun, die Arbeitsweise des Repräsentantenhauses zu diktieren.

Wieder herrscht auf dem Capitol Hill eine Atmosphäre von Chaos, Unsicherheit und potenzieller Gewalt. Besonders unheilverkündend war die Entfernung der Metalldetektoren an den Eingängen des Sitzungssaals des Repräsentantenhauses am Mittag des 3. Januar. Zu diesem Zeitpunkt lief eine befristete Regelung aus, die nach dem Angriff vom 6. Januar 2021 getroffen worden war. Faschisten wie die Abgeordnete Lauren Boebert aus Colorado, die öffentlich gegen das Waffenverbot im Repräsentantenhaus wetterte, werden nun zweifellos bewaffnet zu den Debatten und Abstimmungen erscheinen. Damit sind Gewalttätigkeiten möglich, wie sie vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg in den Räumlichkeiten des Kongresses ausbrachen, diesmal mit weitaus blutigeren Folgen.

Die Krise im Kongress, für die es in den letzten hundert Jahren keinen Präzedenzfall gibt, birgt enorme Gefahren. Es geht nicht nur um das Schicksal von McCarthy oder um die Lähmung des Kongresses, einer der wichtigsten Institutionen des kapitalistischen Staats. Vielmehr tritt die wachsende Macht und Aggressivität der faschistischen Kräfte hervor, die letztlich gegen die Arbeiterklasse und demokratische Rechte insgesamt gerichtet ist.

Diese Gefahren werden von den Leitmedien ignoriert und von der Demokratischen Partei vertuscht. Die Demokraten behandeln die Krise mit extremer Leichtfertigkeit entweder als schlechten Witz, der den Republikanern politisch schaden wird, oder als Hindernis für die parteiübergreifende Zusammenarbeit, zu der sich Biden und die Führung der Demokraten im Kongress verpflichtet haben.

Biden verbrachte den Mittwoch auf einer PR-Veranstaltung, auf der er und der Führer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, das von beiden Parteien getragene Infrastrukturgesetz feierten, mit dem eine Brücke über den Ohio River zwischen Covington (Kentucky) und Cincinnati (Ohio) finanziert wurde. Auf dem Weg zu diesen Festivitäten beklagte Biden die Auswirkungen des Stillstands im Repräsentantenhaus auf die Stellung der Vereinigten Staaten in der Weltpolitik. „Ich weiß, dass Sie sich mit internationalen Beziehungen auskennen“, erklärte er gegenüber Reportern. „Das macht keinen guten Eindruck, das ist nicht gut. Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika, und ich hoffe, dass sie die Kurve kriegen.“

Die einzige Sorge von Biden und den Demokraten – und der Finanzaristokratie, die beide Parteien repräsentieren – besteht darin, dass die Turbulenzen im Repräsentantenhaus den Stellvertreterkrieg der USA in der Ukraine stören oder den Abbau der Staatsverschuldung gefährden könnten. Solange diese Interessen gewahrt werden, sind bereit, den Rechtsextremen immer mehr Zugeständnisse zu machen.

Das aggressive Auftreten der faschistischen Rechten ist nicht darauf zurückzuführen, dass sie in der amerikanischen Bevölkerung an Unterstützung gewinnen würden. Bei den Zwischenwahlen 2022 haben die Kandidaten, die mit Trumps Behauptungen über eine „gestohlene Wahl“ und dem gewaltsamen Angriff auf das Kapitol in Verbindung gebracht wurden, auffallend schlecht abgeschnitten – und das, obwohl der Putschversuch von den Demokraten kaum thematisiert worden war.

Vielmehr bekommen die Faschisten Oberwasser, weil sie innerhalb der herrschenden Klasse an Unterstützung gewinnen. Die Klassenspannungen entladen sich in einer Streikwelle, die durch ausufernde Lebenshaltungskosten ausgelöst wird. Die Arbeiterklasse sieht sich von einer neuen Coronawelle, der Ausbreitung weiterer Infektionskrankheiten und von der Eskalation des imperialistischen Kriegs in der Ukraine bedroht.

Der kapitalistische Staat hat bereits zu offen autoritären Maßnahmen gegriffen: Letzten Monat verabschiedete der Kongress mit den Stimmen beider Parteien ein Gesetz, um einen Streik im Schienengüterverkehr zu unterbinden. Den 115.000 Beschäftigten wurde ein Tarifvertrag aufgezwungen, den sie abgelehnt hatten und mit dem ihre Reallöhne gesenkt und die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden.

Bei ihrem Rückgriff auf die Methoden von Repression und Diktatur ist die herrschende Klasse auf die Mobilisierung rechtsextremer Kräfte gegen die Arbeiterklasse angewiesen. Um sich gegen diese Gefahr zu verteidigen, muss die Arbeiterklasse die Lehren aus den Erfahrungen vom 6. Januar 2021 bis heute ziehen.

Die Reaktion der Demokratischen Partei auf den Putschversuch, mit dem Trump an der Macht gehalten werden sollte – der erste Versuch in der amerikanischen Geschichte, das Ergebnis einer Präsidentschaftswahl zu kippen – bestand darin, die Verantwortung der Republikanischen Partei zu vertuschen und die Schuld allein Trump zuzuschieben. Biden erklärte, er wünsche sich eine „starke republikanische Partei“, um das Zweiparteiensystem zu erhalten, von dem die politische Herrschaft des Großkapitals abhängt.

Demokratische Rechte können nur verteidigt werden, wenn die Arbeiterklasse gegen alle Institutionen des kapitalistischen Staates mobilisiert wird: gegen die Demokratische und die Republikanische Partei, den Militär- und Geheimdienstapparat, den Kongress und die Gerichte.

Die Arbeiter müssen ihre enorme Macht als Klasse zum Tragen bringen, indem sie eine eigene politische Massenbewegung aufbauen, die auf einem sozialistischen Programm und Antikriegsprogramm basiert.

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