Japan stand im vergangenen Jahr mit einem Handelsvolumen von 45,7 Milliarden Euro nur auf Platz 18 der Handelspartner Deutschlands. Außerhalb Europas belegte es Platz 4. Das deutsche Handelsvolumen mit China war mehr als sechs Mal und das mit den USA mehr als fünf Mal so hoch, das mit Russland etwas höher.
Trotzdem reiste Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Wochenende in Begleitung von sechs Ministern und einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation zu den ersten deutsch-japanischen Regierungskonsultationen nach Tokio. Solche Konsultationen sind laut Regierungskreisen „engen und strategisch wichtigen Partnern“ vorbehalten, zu denen bisher China zählte. Der Bundeskanzler hatte Japan bereits im April letzten Jahres besucht und wird im Mai erneut zum G7-Gipfel hinfliegen. „Die japanisch-deutschen Beziehungen sind stärker und enger denn je,“ betonte der japanische Premierminister Fumio Kishida.
Die Annäherung der beiden Länder ruft historische Erinnerungen wach. Zum letzten Mal waren Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg so eng verbündet. Der Antikominternpakt von 1936 und der Dreimächtepakt von 1940 machten Japan neben Italien zum wichtigsten internationalen Verbündeten Nazi-Deutschlands. Während die Nazis ihren mörderischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion führten, eroberte Japan große Teile Chinas und Ostasiens und beging dabei bestialische Kriegsverbrechen.
Nach der Niederlage im Krieg mussten beide Länder abrüsten. Japan verzichtete in seiner – formal bis heute gültigen – Nachkriegsverfassung „für alle Zeiten auf den Krieg als ein souveränes Recht der Nation und auf die Androhung oder Ausübung von Gewalt als Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten“ sowie auf das Unterhalten von „Land-, See- und Luftstreitkräften oder sonstigen Kriegsmitteln“. Die deutsche Bundeswehr beschränkte sich – zumindest offiziell – auf defensive Aufgaben.
1955 nahmen Japan und die Bundesrepublik Deutschland wieder diplomatische Beziehungen auf und ab den 1970er Jahren entwickelten sich Handel und kultureller Austausch. Politisch waren die Beziehungen weitgehend spannungsfrei, aber nicht besonders eng. Spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges begannen beide Länder, ihre militärische Zurückhaltung abzulegen. Die erneute Annäherung erfolgt nun zu einem Zeitpunkt, an dem sie alle Hemmungen fallen lassen und wieder massiv aufrüsten.
Die deutsch-japanischen Regierungskonsultationen standen ganz im Zeichen der Eskalation des Ukrainekriegs gegen Russland und der Kriegsvorbereitungen gegen China. Hatte Deutschland bisher seine Außenpolitik in Asien vorrangig von wirtschaftlichen Interessen leiten lassen und enge Beziehungen zu China unterhalten, standen nun militärische und machtpolitische Gesichtspunkte und die Konfrontation mit China im Vordergrund.
Selbst die wirtschaftlichen Projekte, die in Tokio besprochen und vereinbart wurden, standen unter dem Aspekt der Kriegspolitik – oder der „Sicherheit“, wie es offiziell heißt. Die Themen reichten vom Zugang zu seltenen Mineralien und Rohstoffen über die Sicherung von Lieferketten bis zur Abwehr von Cyberangriffen. „Wir wollen Abhängigkeiten verringern und die Widerstandsfähigkeit unserer Volkswirtschaften erhöhen,“ erklärte Kanzler Scholz.
Man habe sich auf eine Stärkung der Lieferketten für Mineralien, Halbleiter, Batterien und andere strategische Bereiche geeinigt, um „wirtschaftlichem Zwang entgegenzuwirken“, ergänzte Premier Kishida unter Anspielung auf China, das bei der Förderung von seltenen Erden für Batterien und der Produktion von Solarmodulen eine führende Stellung einnimmt.
Kishida hatte bereits nach seinem Amtsantritt im Herbst 2021 das weltweit erste Ministerium für wirtschaftliche Sicherheit geschaffen. Im vergangenen Jahr verabschiedete Japan dann ein Gesetz für Wirtschaftssicherheit, das weitgehende Eingriffe in Handel und Wirtschaft ermöglicht: Die Sicherung von Lieferketten für „strategische Güter“ wie Halbleiter und medizinische Produkte; die Geheimhaltung von Patenten für Technologien, die auch für militärische Zwecke genutzt werden können; eine enge Zusammenarbeit von Staat, Universitäten und Unternehmen bei der Entwicklung kritischer Technologien; und die staatliche Regulierung von Software im Bereich der Infrastruktur, die sich gegen chinesische Konzerne wie Huawei richtet.
Die deutsch-japanische Zusammenarbeit beschränkt sich aber nicht auf diese Themen. Die Regierungen vereinbarten auch eine enge Kooperation im militärischen Bereich und bei der Rüstungsproduktion.
Beide Länder haben ihren Rüstungshaushalt seit Beginn des Ukrainekriegs vor einem Jahr mehr als verdoppelt. Deutschland hat ein Sondervermögen für Aufrüstung von 100 Milliarden Euro und die sofortige Erhöhung des jährlichen Rüstungshaushalts von 1,5 auf 2 Prozent des BIPs beschlossen. Die Bundesregierung verfolgt das erklärte Ziel, zur „führenden Militärmacht Europas“ zu werden.
Japan plant bis 2027 militärische Ausgaben von 43 Billionen Yen (300 Milliarden Euro) und die Verdoppelung des Militärhaushalts von 1 auf 2 Prozent des BIP. Im Dezember 2022 veröffentlichte die Regierung eine neue Nationale Sicherheitsstrategie, die die letzten Hüllen der „pazifistischen“ Verfassung fallen lässt und das Land auf einen Krieg gegen China vorbereitet, das als „beispiellose und größte strategische Herausforderung“ bezeichnet wird.
Die Sicherheitsstrategie verfolgt das Ziel, in kurzer Zeit „Gegenschlagsfähigkeiten“ zu erlangen. Neue Kampfflugzeuge, Mittelstreckenraketen und andere Waffen sollen die japanische Armee in die Lage versetzen, Ziele tief im Innern Chinas anzugreifen.
Daraus ergäben sich neue Möglichkeiten für eine engere Zusammenarbeit auch in Rüstungsfragen, erklärte der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius in einem Pressegespräch. Als Beispiel nannte er U-Boot-Antriebe. Natürlich sei „Japan als starke Marine-Nation auch für uns ein interessanter Partner“.
Sowohl Japan als auch Deutschland haben militärisch und rüstungstechnisch bisher eng mit den USA zusammengearbeitet, deren militärischen Kapazitäten ihre eigenen um ein Vielfaches übersteigen. Aber beide sind bemüht, sich aus der Abhängigkeit von der Siegermacht des Zweiten Weltkriegs zu befreien.
Während Deutschland versucht, die Rüstungsproduktion und die militärische Schlagkraft Europas zu stärken, will Japan nach jahrzehntelanger Zurückhaltung die eigene Rüstungsindustrie wiederbeleben. Im Dezember vereinbarte es mit Italien und Großbritannien die gemeinsame Entwicklung eines neuen Kampfflugzeugs – die erste große Rüstungskooperation ohne Beteiligung der USA.
Auch gemeinsame militärische Manöver sollen künftig häufiger stattfinden. Bereits vor zwei Jahren hatte das deutsche Kriegsschiff „Bayern“ auf einer mehrmonatigen Fahrt durch den Indo-Pazifik und das Südchinesische Meer in Japan Station gemacht. Im vergangenen Sommer hatten sich dann sechs Eurofighter der deutschen Luftwaffe an einem Manöver in Australien beteiligt und ebenfalls Japan besucht. Nun soll für die gegenseitige logistische Hilfe und Unterstützung ein rechtlicher Rahmen geschaffen werden und erneut eine Fregatte der deutschen Marine in Japan anlegen, als „Bekenntnis zur Freiheit der Meere“, wie Kanzler Scholz sagte. Er meinte damit jene Teile des Südchinesischen Meeres, die von China beansprucht werden.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Wie sehr auch in der Asienpolitik Deutschlands eine „Zeitenwende“ stattfindet, bestätigte am Dienstag der erste Taiwan-Besuch eines deutschen Regierungsmitglieds seit 26 Jahren.
Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) besuchte die Insel, um über die Zusammenarbeit bei Halbleitern, Elektroauto-Batterien, Wasserstoff und künstlicher Intelligenz zu sprechen. Der Besuch, der laut Stark-Watzinger in enger Abstimmung mit dem Kanzleramt und dem Außenministerium erfolgte, war eine gezielte Provokation Pekings. Das chinesische Außenministerium protestierte scharf gegen diese Verletzung der Ein-China-Politik, zu der sich Deutschland in Worten nach wie vor bekennt.
Die Wiederbelebung der militärischen Achse Berlin-Tokio bestätigt, dass der Krieg der Nato in der Ukraine der Auftakt zu einer gewaltsamen Neuaufteilung der Welt unter den imperialistischen Mächten ist, die in eine nukleare Katastrophe mündet, wenn sie nicht rechtzeitig durch eine Massenbewegung der Arbeiterklasse gestoppt wird.
Der Ukrainekrieg begann nicht mit dem Angriff Russlands, sondern mit der Auflösung der Sowjetunion und der systematischen Expansion der Nato nach Osten. Nun nutzt die Nato den reaktionären Angriff des Putin-Regimes, um den Krieg zu eskalieren. Ihr Ziel ist nicht Frieden für die Ukraine, sondern die Unterwerfung Russlands mit seinen riesigen Rohstoffreserven und die Umzingelung Chinas.
Der japanische Premier Kishida reiste unmittelbar nach dem Treffen mit der deutschen Regierung „spontan“ nach Kiew, um Präsident Selenskyj seine Aufwartung zu machen und seine uneingeschränkte Unterstützung für die Kriegspolitik der Nato zu demonstrieren. Zwischenhalt machte er in Neu-Delhi, um den Druck auf die zögernde indische Regierung zu erhöhen, sich der Kriegsfront gegen Russland und China uneingeschränkt anzuschließen.
Eine Hand wäscht die andere: Deutschland unterstützt Japan, das nicht bereit ist, Chinas Aufstieg zur dominierenden Wirtschaftsmacht Asiens zu akzeptieren; und Japan unterstützt Deutschland, das den Ukrainekrieg als Chance betrachtet, sich zur europäischen „Führungsmacht“ aufzuschwingen.
Es mag als Zufall erscheinen, dass sich Deutschland und Japan erneut verbünden. Doch die Geopolitik folgt bestimmten geografischen Mustern. Deutschland hatte als dominierende Wirtschaftsmacht Europas im Ersten und Zweiten Weltkrieg versucht, sich den Kontinent zu unterwerfen, Japan unterwarf aus demselben Grund gewaltsam große Teile Ostasiens. Beide gerieten schließlich in Konflikt mit den USA, die nicht zulassen wollten, dass in Europa und Ostasien konkurrierende Weltmächte entstehen.
Triebkraft der wahnsinnigen Kriegspolitik ist die tiefe globale Krise des Kapitalismus, die in der jüngsten Bankenkrise erneut sichtbar wurde, und die Eskalation des Klassenkampfs auf der ganzen Welt. Wie im letzten Jahrhundert reagiert die herrschende Klasse darauf mit Krieg und Diktatur.