Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst: Eine Antwort auf die Lügen von Verdi

Diese Woche läuft noch die Mitgliederbefragung über das Tarifergebnis, das Verdi mit Bund und Kommunen vereinbart hat. Viele Mitglieder haben angekündigt, dagegen zu stimmen, weil die damit verbundene Reallohnkürzung für jedermann offensichtlich ist.

Statt der ursprünglichen Forderung nach einer echten – das heißt tabellenwirksamen – Tariferhöhung von 500 Euro oder 10,5 Prozent bei einer Laufzeit von zwölf Monaten hat Verdi für 14 Monate eine Nullrunde vereinbart und versucht, das durch eine gestückelte Inflationsausgleichszahlung in Höhe von 3000 Euro zu kaschieren.

Demonstration der streikenden öffentlich Beschäftigten in Berlin

Eine tabellenwirksame Lohnerhöhung kommt erst im März 2024, wenn die Preise weiter gestiegen sein werden, und fällt dann auch noch sehr gering aus. Statt der geforderten 500 Euro oder 10,5 Prozent bei zwölf Monaten Laufzeit – was schon viel zu wenig gewesen wäre, um die Verluste der vergangenen Jahre und die Inflation auszugleichen – sollen sich die Beschäftigten im öffentlichen Dienst jetzt mit 200 Euro plus 5,5 Prozent, mindestens 340 Euro mehr bei einer Laufzeit von 24 Monaten zufrieden geben. Auf zwölf Monate gerechnet sind das nur 170 statt 500 Euro!

Das gestückelte Inflationsausgleichsgeld von 3000 Euro dient ausschließlich dazu, die Reallohnkürzung und die zwei Jahre Laufzeit durchzuboxen, die ein Streikverbot von zwei Jahren bedeuten. Die ersten sechs Raten des Inflationsausgleichsgelds sollen im Juni mit einem Betrag von 1240 Euro ausgezahlt werden. Gegenwärtig gehen viele Verdi-Funktionäre mit dem provokativen Argument durch die Betriebe: „Ihr könnt ruhig gegen die Vereinbarung stimmen, dann bekommt ihr im Juni eben keine 1240 Euro steuerfrei ausgezahlt.“

Die Verdi-Bürokraten wissen sehr gut, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst – wie auch alle anderen Arbeiter – angesichts der drastischen Preis- und Mietsteigerungen auf jeden Cent angewiesen sind, und versuchen sie so zu erpressen.

In seiner demagogischen Rede auf der Mai-Kundgebung in Frankfurt rief Verdi-Chef Frank Werneke den versammelten Gewerkschaftsfunktionären zu: „Ein Leben in Städten wie Frankfurt wird immer unmöglicher. Im März sind die Lebensmittelpreise um 22 Prozent gestiegen. Diese Inflation hat eine harte soziale Schieflage. Sie belastet diejenigen, die nicht so hohe Einkommen haben, überproportional.“ Deshalb müssten jetzt „kräftige Lohnerhöhungen“ durchgesetzt werden.

Doch Werneke macht genau das Gegenteil. Seit Jahren sorgt Verdi dafür, dass die Löhne im öffentlichen Dienst gesenkt werden. Bereits 2020 hatte die Gewerkschaft für die Beschäftigung von Bund und Kommunen einen Tarifvertrag über 28 Monaten vereinbart, in dessen Verlauf die tabellenwirksamen Entgelte nur um 3,2 Prozent angehoben wurden.

Der Verbraucherpreisindex ist in diesem Zeitraum aber um 16,1 Prozent gestiegen, was einer Reallohnsenkung von knapp 13 Prozent entspricht. Nun hat Verdi – nachdem sich über eine halbe Million an Warnstreiks beteiligten – einen neuen Tarifvertrag vereinbart, der angesichts einer jährlichen Inflationsrate von 8 Prozent eine weitere Reallohnsenkung von 5 bis 10 Prozent zur Folge hat.

Die Beschäftigten von Bund und Kommunen verlieren so innerhalb von fünf Jahren dank der Tarifpolitik von Verdi bis zu einem Viertel ihres Realeinkommens!

Um die erneute Lohnsenkung gegen wachsenden Widerstand durchzusetzen, hat Verdi ihren gesamten Propagandaapparat mobilisiert. Mit drei Dutzend „Fragen & Antworten“ versucht die Gewerkschaft, Transparenz vorzugaukeln. Doch die Antworten sind entlarvend, sie werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten.

Frage Nummer eins: Stimmt es, dass 2023 eine Nullrunde ist? Antwort Verdi: „Richtig ist, dass für 2023 keine tabellenwirksame Erhöhung durchgesetzt werden konnte.“

Das ist falsch! Es wäre sehr wohl möglich gewesen, für das laufende Jahr die volle Forderung durchzusetzen, wenn Verdi nicht mit allen Mitteln einen Vollstreik verhindert hätte. Die richtige Antwort müsste lauten: Es wurde für 2023 keine tabellenwirksame Erhöhung durchgesetzt, weil Verdi das nicht wollte.

Der Verdi-Vorstand hat im Rahmen der Konzertierten Aktion mit dem Kanzleramt vereinbart, die Reallöhne im öffentlichen Dienst weiter zu kürzen, um die Kosten der militärischen Aufrüstung auf die Beschäftigten abzuwälzen. Damit ihm dies leichter fällt, ist die Bundesregierung bereit, einen einmaligen Inflationsausgleich von bis zu 3000 Euro steuer- und abgabenfrei zu stellen.

Frage Nummer zwei: Wie lange geht die Laufzeit und warum so lange? Antwort Verdi: „Die Laufzeit beträgt 24 Monate, vom 1. Januar 2023 bis zum 31. Dezember 2024. Die Arbeitgeber hatten auf einer langen Laufzeit von 27 Monaten bestanden, insbesondere aufgrund der aktuell angespannten kommunalen Haushaltslage. Hier war nur ein Kompromiss auf 24 Monate machbar.“

Falsch: Mit einem Vollstreik wäre schnell eine zwölfmonatige Laufzeit erzwungen worden. Fakt ist: Der Verdi-Vorstand wollte selbst eine lange Laufzeit und damit ein Streikverbot. Er befürchtet nämlich, dass die Preise weiter steigen und die Mitglieder bald erneut auf hohe Lohnforderungen drängen, dass sich der Krieg verschärft und sich die Lohnkämpfe mit dem Widerstand gegen Krieg verbinden, und dass sich in Frankreich der Aufstand gegen die Macron-Regierung ausweitet und sich zu einem europaweiten Flächenbrand entwickelt, wenn in Deutschland im nächsten Winter erneut 2,5 Millionen Beschäftigte des öffentlichen Diensts für höhere Löhne kämpfen.

Im Rahmen ihrer engen Zusammenarbeit mit der Bundesregierung setzt die Verdi-Führung ihren umfassenden Apparat mit vielen Tausend hauptamtlichen Funktionären ein, um den Klassenkampf zu unterdrücken. Tarifverträge dienen nicht mehr dazu, die Einkommen nach und nach zu verbessern, es sind Knebelverträge zur Unterdrückung des Widerstands der Arbeiterklasse.

Auch Verdis Behauptung, die Krise der öffentlichen Haushalte und die „aktuell angespannte Haushaltslage der Kommunen“ lasse keinen Spielraum für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, ist verlogen. Verdi ist seit vielen Jahren aufs Engste mit den kommunalen Unternehmen verbunden, war direkt an der Privatisierung vieler kommunaler Betriebe beteiligt, sitzt mit hunderten Funktionären in den Aufsichtsräten, kassiert Tantiemen, nickt die hohen Vorstandsgehälter ab und beteiligt sich an einer hemmungslosen Bereicherungsorgie, die die Kommunen ausplündert.

Nach offiziellen Angaben verbuchten die Kommunen im Jahr 2022 trotz höherer Ausgaben einen Überschuss von 2,6 Milliarden Euro. In 2021 hatte der kommunale Überschuss sogar 4,6 Milliarden Euro betragen. Das war mit massivem Sozialabbau, schlechteren Arbeitsbedingungen und Reallohnkürzung verbunden, für die Verdi mitverantwortlich war.

Ein Blick auf Gelsenkirchen, eine der ärmsten Städte, zeigt, wie korrupt das Geflecht aus kommunalen Unternehmen, SPD und Verdi ist. Hier ist Karin Welge (SPD), die Verhandlungsführerin der Kommunen bei den jüngsten Tarifverhandlungen, Oberbürgermeisterin. Trotz der hohen Verschuldung der Stadt bereichert sich eine Seilschaft von Managern, SPD- und Verdi-Funktionären.

Karin Welge bezieht als Oberbürgermeisterin eine Besoldung nach B 10, das sind 14,157 Euro monatlich oder knapp 170.000 Euro im Jahr. Zusätzlich ist sie Mitglied des Aufsichtsrats der Gelsenwasser AG, eines bundesweit tätigen Versorgungsunternehmens mit 6 Milliarden Euro Jahresumsatz, was ihr weitere 30.000 Euro im Jahr einbringt. Gelsenwasser-Chef Henning R. Deters kassierte 2021 745.000 Euro, das sind 62.000 Euro im Monat.

Ähnlich hoch werden die Vorstandsmitglieder der Nahverkehrsgesellschaft Bogestra bezahlt, in deren Aufsichtsrat Welge ebenfalls sitzt. So führt der Geschäftsbericht für Finanzvorstand Andreas Kerber im Jahr 2021 feste und variable Vergütungen von 327.000 Euro plus einen Versorgungsaufwand von 432.000 Euro auf, was zusammen 759.000 Euro oder monatlich 63.250 Euro ergibt.

Die Gewerkschafts- und Kommunalvertreter in den Aufsichtsräten stimmen diesen Gehältern zu und werden dafür ihrerseits fürstlich entlohnt.

Wer behauptet, dieser korrupte Sumpf könne reformiert und der Verdi-Apparat im Interesse der Arbeiter eingesetzt werden, ist entweder völlig naiv oder – und das ist viel öfter der Fall – ein politischer Scharlatan, der selbst einen luxuriösen Posten im Gewerkschaftsapparat hat oder anstrebt.

Um gegen die systematische Reallohnkürzungen und die Verhinderung von Streiks durch den Verdi-Apparat zu kämpfen, ist es notwendig, sich völlig unabhängig zu organisieren. Es müssen neue Organisationen aufgebaut werden, die demokratisch sind, konsequent die Interessen der Beschäftigten vertreten, diese höher stellen als die Profitinteressen der Konzerne und Aktionäre und eine internationale Zusammenarbeit der Arbeiterklasse anstreben. Arbeiter sind überall mit denselben oder ähnlichen Problemen konfrontiert und brauchen eine internationale Strategie.

Deshalb ist die Gründung des Aktionskomitees öffentlicher Dienst so bedeutsam. Auf der nächsten öffentlichen Sitzung am Dienstag, dem 9. Mai um 20 Uhr wird es die Diskussion fortsetzen, die auf dem Treffen vor einer Woche begonnen hat. Damals standen die Streiks und Straßenschlachten in Frankreich im Zentrum der Diskussion. Die Arbeiter in Frankreich sind damit konfrontiert, dass die Gewerkschaften einen gemeinsamen Kampf zum Sturz der verhassten Macron-Regierung verhindern wollen.

Die Nein-Stimme zum Verdi-Abschluss muss der Auftakt zu einer intensiven Kampagne sein, in allen Bereichen des öffentlichen Diensts und der Privatwirtschaft Aktionskomitees aufzubauen. Nur so ist es möglich, sich auf unvermeidlich kommende Kämpfe vorzubereiten. Die Ankündigung von Finanzminister Lindner und der Ampel-Koalition, in allen sozialen Bereichen 20 Milliarden Euro einzusparen, macht deutlich, dass die Auseinandersetzungen in Frankreich den Auftakt für große Klassenschlachten in ganz Europa bilden.

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