Perspektive

Die Trump-Anklage und die „nationalen Sicherheitsgeheimnisse“ des Staates

Dieses Bild, das in der Anklageschrift gegen den ehemaligen Präsidenten Donald Trump enthalten ist, zeigt Kisten mit Unterlagen, die auf der Bühne im White and Gold Ballroom in Trumps Anwesen in Palm Beach, Mar-a-Lago (Florida) gelagert wurden [AP Photo/US Department of Justice]

Die Anklage gegen Donald Trump nach dem Spionagegesetz wegen Verschwörung zur Zurückhaltung von Informationen gegenüber Bundesstaatsanwälten offenbart und beschleunigt eine beispiellose politische Krise in den Vereinigten Staaten.

Die Anklage gegen einen ehemaligen Präsidenten wegen „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ ist an sich schon außergewöhnlich, da es das erste Mal ist, dass das Justizministerium eine solche Maßnahme ergreift. Aber Trump ist nicht nur ein ehemaliger Präsident, er ist auch der Spitzenkandidat der Republikanischen Partei für die Wahlen des kommenden Jahres. Die Anklage wird die amerikanische Politik mindestens ein Jahr lang beherrschen und alle Institutionen der Regierung – vom Obersten Gerichtshof bis zum Kongress und den Bundesstaaten – betreffen. Wie die Wahlen unter diesen Umständen überhaupt ablaufen werden, ist unklar.

Bei der Entscheidung, Trump anzuklagen, geht es um weit mehr als um die individuellen Überlegungen des Sonderstaatsanwalts Jack Smith, der im November letzten Jahres von US-Justizminister Merrick Garland zum Leiter der Ermittlungen gegen Trump ernannt wurde, und der 23 Mitglieder der Grand Jury in Südflorida. Angesichts der bevorstehenden Wahlen im Jahr 2024 hofft ein bedeutender Teil des Staatsapparats offensichtlich, dass die Anklage dazu beitragen wird, Trump aus der Politik zu vertreiben. Dieses Bestreben wird insbesondere durch Trumps öffentliche Positionen zum Ukrainekrieg der USA und der Nato gegen Russland motiviert.

Für die Arbeiterklasse ist es von entscheidender Bedeutung, ein klares Verständnis der Auswirkungen und Triebkräfte des Konflikts zu haben.

Die Anklage gegen Trump auf der Grundlage des Espionage Act – eines reaktionären Gesetzes, das gegen Eugene Debs, die Rosenbergs, Daniel Ellsberg, Julian Assange und Edward Snowden angewandt wurde – hat keinen demokratischen Inhalt. Während der faschistische und erzimperialistische Trump kein Gegner der Kriegsmaschinerie ist, haben Arbeiter kein Interesse daran, die Geheimnisse der herrschenden Klasse und ihres Staates zu schützen.

Entscheidend ist, dass es bei der Anklage nicht um Trumps Bestrebungen geht, die Verfassung außer Kraft zu setzen und eine Präsidialdiktatur zu errichten, die in dem faschistischen Putsch vom 6. Januar 2021 gipfelten. Die Demokratische Partei und die Biden-Regierung haben jede ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Putsch und den dahinter stehenden sozialen und politischen Kräften vermieden, um eine parteiübergreifende Einigkeit mit den Republikanern herzustellen.

In den umfangreichen Medienkommentaren zur Anklageschrift wird kaum auf den Inhalt und die Auswirkungen der von Trump aus dem Weißen Haus entfernten Dokumente eingegangen, bei denen es sich um die gefährlichsten und brisantesten Geheimnisse des US-amerikanischen Militär- und Geheimdienstapparats handelt.

In der Anklageschrift selbst wird lediglich der allgemeine Gegenstand der fraglichen Dokumente aufgeführt, und zwar unter Überschriften wie „militärische Fähigkeiten eines fremden Landes und der Vereinigten Staaten“, „militärische Aktivitäten und Planungen fremder Länder“, „militärische Notfallplanungen der Vereinigten Staaten“, „Zeitplan und Einzelheiten von Angriffen in einem fremden Land“ und, was am wichtigsten ist, „Atombewaffnung der Vereinigten Staaten“.

Die Dokumente sind unter verschiedenen Sicherheitseinstufungen aufgeführt, z. B. TS (Top Secret), NF (no foreign, nur für die Verteilung innerhalb der US-Regierung), TK (Talent Keyhole, bezieht sich auf Bildmaterial, das von Satelliten oder bemannten Flügen stammt) und FRD (Formerly Restricted Data, das für nukleare Geheimnisse verwendet wird).

Einige Analysten haben damit begonnen, den wahrscheinlichen Inhalt der Dokumente anhand ihres Datums und ihres allgemeinen Themas genauer zu untersuchen. Matt Tait schreibt beispielsweise in Lawfare, dass das Dokument 19 in der Anklageschrift („Undatiertes Dokument über Atomwaffen der Vereinigten Staaten“) als FRD eingestuft ist, was bedeutet, dass es vom Präsidenten nicht freigegeben werden kann, selbst während er Präsident ist, da es unter das Atomenergiegesetz fällt. Was den Inhalt betrifft, so gibt Tait an, dass „einige kanonische Beispiele“ dafür, was unter diese Kategorie fallen würde, „die Mengen der US-Lagerbestände, die Sicherheit und Lagerung von Atomwaffen, die Reichweite von Atomwaffen und die Standorte von US-Atomwaffen“ umfassen.

Dokument 5 wird als „die nuklearen Fähigkeiten eines fremden Landes betreffend“ aufgeführt und ist auf Juni 2020 datiert. Tait kommt zu dem Schluss, dass es sich bei dem ungenannten Land wahrscheinlich um Russland handelt, da Russland seine nukleare Abschreckungspolitik erstmals am 2. Juni 2020 veröffentlicht hat. Dokument 11 ist als „Undatiertes Dokument über die militärische Notfallplanung der Vereinigten Staaten“ aufgeführt. Ausgehend von den Angaben in der Anklageschrift zu Trumps Gespräch mit einem Autoren, bei dem er ein Dokument in seinem Besitz zeigte, handelt es sich wahrscheinlich um eine detaillierte Darstellung der Optionen für einen Krieg gegen den Iran.

Andere Dokumente befassten sich wahrscheinlich mit Militäroperationen in Syrien unter Beteiligung des Nato-Mitglieds Türkei, mit US-Militäroperationen in Palästina gegen die Hisbollah und mit der Kommunikation mit Russland über Trumps Ausstieg aus dem INF-Vertrag (Intermediate-range Nuclear Forces) im Oktober 2018.

Trump war sich der Brisanz der Dokumente durchaus bewusst, als er beschloss, sie aus dem Weißen Haus zu entfernen. Für die militärischen Nachrichtendienste war dies ein unerträglicher Bruch der „Sicherheit“ – also der Geheimhaltung – des Staatsapparats. Die Dokumente handeln von der permanenten und andauernden Verschwörung des amerikanischen Imperialismus gegen die Bevölkerung der ganzen Welt.

Abgesehen von den unmittelbaren Themen der Anklageschrift besteht ein eindeutiger Zusammenhang mit den tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten, die innerhalb der herrschenden Klasse über die Außenpolitik und insbesondere in Bezug auf die Politik gegenüber Russland existieren. Dies war immer der Schwerpunkt der Opposition der Demokraten gegen Trump während seiner Präsidentschaft und Gegenstand seines ersten Amtsenthebungsverfahrens von 2019-2020.

Die Biden-Regierung ist fest entschlossen, den Krieg gegen Russland in der Ukraine weiterzuführen. Die Einleitung der ukrainischen „Gegenoffensive“ in der vergangenen Woche ist der Vorläufer einer massiven Eskalation der US- und Nato-Beteiligung an diesem Krieg. Eine direkte Intervention unter Beteiligung von Nato-Truppen steht bevor und ist vielleicht nicht einmal mehr weit entfernt. Unter diesen Bedingungen ist die herrschende Klasse der USA – oder zumindest ein wesentlicher Teil von ihr – nicht bereit, Trump als Führer ihrer Außenpolitik zu akzeptieren.

Trump hat auf die Anklage reagiert, indem er seinen innerstaatlichen Gegnern seinen eigenen „Krieg“ erklärt hat. Er richtet seinen Appell an Teile der herrschenden Klasse, die unter Bedingungen eskalierender sozialen Konflikte in den Vereinigten Staaten die Entfesselung politischer Gewalt in großem Stil unterstützen. „Entweder gewinnen die Kommunisten und zerstören Amerika“, erklärte Trump am Samstag in einer faschistischen Tirade, „oder wir zerstören die Kommunisten“.

Der Konflikt innerhalb der herrschenden Klasse besteht seit langem. Während sich die Anfangsphase eines Weltkriegs abzeichnet und sich der Klassenkampf in den USA und auf internationaler Ebene explosiv entwickelt, erreicht er jetzt eine qualitativ neue Stufe. Die Institutionen des Staates brechen unter dem Druck dessen zusammen, was die WSWS Anfang des Jahres als „kritische Masse“ von sich überschneidenden globalen und nationalen Krisen bezeichnete, die die herrschende Klasse nicht in den Griff bekommen kann.

Eine revolutionäre Situation, so erklärte Lenin, entsteht in Verhältnissen, in denen die herrschende Klasse nicht auf die alte Weise herrschen und die Arbeiterklasse nicht auf die alte Weise leben kann. Beide Faktoren offenbaren sich in der gegenwärtigen Krise.

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