Italienische Automobilarbeiter im Stellantis-Werk Mirafiori streiken den dritten Tag

Arbeiter im Werk Stellantis Mirafiori im spontanen Streik, 8. Februar 2024 [Photo: Officine Maserati Grugliasco Fiom ]

Am Freitag kam es den dritten Tag in Folge zu spontanen Streiks und Protesten der italienischen Automobilarbeiter im historischen Stellantis-Werk Mirafiori in Turin als Reaktion auf die drohende Schließung des Werks. Die Arbeitsniederlegungen begannen am Mittwoch in der zweiten Schicht nach einer FIOM-CGIL-Gewerkschaftssitzung, als Stellantis-Chef Carlos Tavares bekannt gab, dass den Werken Mirafiori und Pomigliano d’Arco die Schließung droht.

Der nächste Schritt des transnationalen Unternehmens ist die Verlängerung einer „vorübergehenden Freistellung“ am heutigen Montag, die bis zum 30. März gilt und 2.260 Beschäftigte betreffen wird. Die Beschäftigten haben eine Abfindung erhalten. In den betroffenen Werken werden die Elektroversion des Kultwagens Fiat 500 sowie die hochpreisigen Modelle von Maserati hergestellt.

Die Befürchtungen, dass es sich nicht um vorübergehende Maßnahmen handelt, sind mehr als berechtigt. Der Schritt ist Teil eines beschleunigten Stellenabbaus in der gesamten globalen Automobilindustrie. Anfang Februar hat Stellantis bereits die dritte Schicht in seinem Werk Detroit Assembly Complex-Mack geschlossen, wobei die 2.455 Entlassungen nach eigenen Angaben nur vorübergehend sind. Auch im Jeep-Montagekomplex in Toledo, Ohio, wurden hunderte Arbeiter entlassen, die zwischen einer Versetzung in ein anderes Werk oder der Arbeitslosigkeit wählen mussten. Das französische Stellantis-Werk in Mulhouse plant ebenfalls die Streichung von 600 Arbeitsplätzen.

Der CEO von Stellantis, Tavares, hat die Regierungen der Länder, in denen das Unternehmen tätig ist, regelrecht erpresst. Er forderte massive Hilfe zur Subventionierung der Produktion von Elektrofahrzeugen, damit das Unternehmen mit der rasch expandierenden chinesischen Automobilindustrie konkurrieren kann.

In einer kürzlich abgegebenen Erklärung beschuldigte Tavares die italienische Regierung, den aufstrebenden Markt für Elektroautos nicht stärker zu fördern. Er drohte unverholen mit dem Abbau der Produktion des Unternehmens in Italien: „Wenn ihr nicht wollt, dass die E-Fahrzeuge vorankommen, müsst ihr einfach die Subventionen stoppen“, sagte er. „Es ist offensichtlich, dass die italienische Regierung so handelt. Der Markt für Elektroautos in Italien ist sehr, sehr klein. Das ist eine direkte Folge der Tatsache, dass die italienische Regierung den Kauf von E-Fahrzeugen nicht subventioniert.“

Unter den Beschäftigten von Mirafiori herrscht eine enorme aufgestaute Wut. Einer kommentierte auf der Facebook-Seite von FIOM: „Unser Streik ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen Autobahnen, Schnellstraßen usw. blockieren. Ein Streik vor dem Werk reicht nicht mehr aus. Schaut euch die Traktor-Aufmärsche [der Landwirte] an.“ Ein anderer schlug vor: „Sobald Herr Tavares auftaucht, müssen wir alles blockieren, um ihn zu stören.“

Ein anderer Arbeiter wies auf die zunehmend prekäre Situation vieler Arbeitsplätze hin: „2022 und 2023 haben Arbeiter nur 7-8 Wochen im Jahr gearbeitet, und niemand spricht darüber. Da sind Menschen mit gesundheitlichen Problemen, sie werden diskriminiert. Sie haben ein Recht darauf zu leben und nicht zu verhungern!“

In einem Interview berichtete ein Arbeiter: „Die Situation ist sehr ernst. Wir haben seit 17 Jahren mit Abfindungen zu kämpfen, die Produktion ist auf einem historischen Tiefstand, wir haben es wirklich satt. Eine als friedlich geplante Versammlung der Gewerkschaft hat sich in einen echten Streik verwandelt.“

Eine Analyse der Rolle des politischen Establishments in Italien sowie der Gewerkschaftsbürokratien unterstreicht die Notwendigkeit, dass sich Arbeiter unabhängig von all diesen feindlichen Kräften formieren müssen.

Erstens hat die jüngste Kritik der Regierung der faschistischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni an den Führungskräften von Stellantis nichts mit der Verteidigung der Interessen von Arbeitern in Italien zu tun. Melonis Regierung ist vielmehr bestrebt, einen größeren Teil der Gewinne von Stellantis, die von den Automobilarbeitern weltweit erwirtschaftet werden, an die italienische herrschende Klasse weiterzuleiten.

Der Minister für Wirtschaft und Made in Italy, Adolfo Urso, erklärte, dass Stellantis eine „unausgewogene, absolut nicht gleichberechtigte“ Aktionärsstruktur zwischen seinen französischen und italienischen Anteilseignern habe. Mit anderen Worten: Solange das italienische Kapital für die Ausbeutung der Arbeiter zuständig ist, ist alles in Ordnung.

Die so genannte Opposition ist damit völlig einverstanden. Die Sekretärin der Demokratischen Partei (PD), Elly Schlein, appellierte an die Regierung von Meloni, Aktionär zu werden: „Tavares hat eine Herausforderung gestellt: Die Regierung muss sie annehmen und darf der Provokation von Stellantis nicht ausweichen. Die Option einer italienischen Beteiligung an Stellantis muss als Gegengewicht zu derjenigen Frankreichs ernst genommen werden.“

Die Gewerkschaft FIOM-CGIL schlug einen ähnlichen Ton an. Giorgio Airaudo, Leiter der CGIL in der Region Piemont, in der sich Mirafiori befindet, beurteilt die Zukunft des Werks als unrentabel: „Nach heutigem Kenntnisstand wird Mirafiori bis 2027 keine einzige Model-Linie mehr produzieren. Wenn keine neuen Produkte auf den Markt kommen und sich die Tendenz auf dem europäischen Markt nicht ändert, wird das Werk nur noch ein flackerndes Lämpchen sein.“

In ähnlicher Weise appellierte Samuele Lodi, nationaler Sekretär der Automobilarbeiter der CGIL, an die faschistische Regierung Meloni und an Tavares: „Nach der gemeinsamen Aufforderung von FIOM, FIM und ULIM [alle Automobilarbeitergewerkschaften] an den Ministerpräsidenten und den Vorstandsvorsitzenden Tavares bitten die Arbeiter um Initiativen, die die Institutionen zum Schutz der Produktion und der Arbeitsplätze drängen.“ FIOM-Nationalsekretär Michele De Palma forderte in ähnlicher Weise ein gemeinsames Treffen zwischen den Gewerkschaften, der Regierung und den Führungskräften von Stellantis.

Die Arbeiter von Mirafiori wissen nur zu gut, was sie von einer faschistischen, ultranationalistischen Regierung zu erwarten haben: Loyalität gegenüber dem Großkapital und Unterdrückung der Arbeiter. Melonis politischer Vorfahre, Benito Mussolini, leitete 1939 die Eröffnung des Werks vor 50.000 Arbeitern. Diese verachteten seine Rede und zwangen den „Duce“ zum Verlassen der Bühne.

Melonis Regierung führt rücksichtslose Angriffe auf die Arbeiterklasse und die Armen durch und setzt sich für die weitere Finanzierung des Krieges in der Ukraine ein. Vor einigen Tagen wurde die Premierministerin von allen europäischen Staats- und Regierungschefs dafür gelobt, dass sie den ungarischen Präsidenten Victor Orban davon überzeugt hatte, einem Fonds der Europäischen Union für die Ukraine zuzustimmen. Während Mittel für Krieg und Völkermord reichlich vorhanden sind, würde ein Eingreifen des italienischen Staates bei Stellantis nur die Unterordnung der Arbeiter unter härteste Sparmaßnahmen im Namen des „nationalen Interesses“ bedeuten.

Arbeiter wissen auch, was sie von Stellantis zu erwarten haben, wenn man die zahlreichen Entlassungen bedenkt, die in praktisch allen Werken weltweit stattfinden. Im Kapitalismus wird die Umstellung auf Elektroautos ebenso wie der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) auf Kosten der Arbeiter erfolgen: unterbesetzte Fließbänder, kleinere Belegschaften und flexible Verträge sind in den Firmenbüros von Stellantis bereits geplant.

Die Gewerkschaftsbürokratien spielen eine entscheidende Rolle dabei, die Konzerne und kapitalistischen Staaten bei der Durchsetzung von Arbeitsplatzabbau und Angriffen auf den Lebensstandard der Arbeiter zu unterstützen. Die Lehren aus dem Ausverkaufsvertrag der United Auto Workers (UAW) vom letzten Jahr sollten von allen Arbeitern ernst genommen werden.

Der UAW-Gewerkschaftsvorstand des selbsternannten „Reform“- Präsidenten Shawn Fain inszenierte einen betrügerischen „Standup“-Streik, der die überwältigende Mehrheit der Autoarbeiter bei Ford, GM und Stellantis bei der Arbeit hielt und den Unternehmen Profite bescherte. Die UAW-Führung beendete dann die begrenzten Streiks, nachdem sie vorläufige Vereinbarungen mit den Unternehmen angekündigt hatte, bevor sie Abstimmungen darüber durchführte oder den Beschäftigten die Verträge überhaupt zeigte.

Die zwischen den Unternehmen, dem Gewerkschaftsapparat und der Biden-Regierung hinter dem Rücken der Arbeiter ausgehandelten Vereinbarungen wurden von der UAW-Führung als „historisch“ und „Arbeitsplätze rettend“ gepriesen. Doch nur Wochen später hat eine Welle von massivem Stellenabbau und Entlassungen von Zeitarbeitern begonnen.

„Wir sollten weltweit streiken“

IYSSE-Mitglieder verteilen Erklärungen gegen den Völkermord im Gazastreifen an Stellantis-Beschäftigte im Warren Truck Montagewerk in Warren (Michigan) am 21. Dezember 2023

Die Stellantis-Beschäftigten in den Vereinigten Staaten reagierten mit Begeisterung auf die Nachricht von den Arbeitsniederlegungen in Italien. „Die italienischen Arbeiter zeigen echte Solidarität“, sagte Hannah, eine ehemalige Arbeiterin bei Warren Truck in einem Vorort von Detroit. Sie gehört zu den Hunderten von Zeitarbeitern, die letzten Monat entlassen wurden. „Die Arbeiter im Mirafiori-Werk suchen nach Antworten und bekommen keine von den Gewerkschaftsführern, genau wie wir. Also nehmen sie die Sache selbst in die Hand.“

Hannah ist Mitglied des kürzlich gegründeten Aktionskomitees gegen Stellenabbau und sagte: „Als ich die Nachricht über den Streik auf unserer Facebook-Seite gepostet habe, haben viele Arbeiter die Beiträge geliked. Sie posteten Antworten wie ‚Lasst uns auch rausgehen‘, ‚Warum waren wir nicht die Ersten, die gestreikt haben?‘ und ‚Nur wenn wir ihnen unsere Stärke zeigen, können wir etwas erreichen‘.

Die UAW-Funktionäre sagen: ‚Das ist in Italien, das hat mit uns nichts zu tun.‘ Aber... hallo... wir arbeiten alle für dasselbe Unternehmen! Wir sollten weltweit streiken. Es war die Entscheidung der Arbeiter in Italien zu kämpfen, nicht die des UAW-Apparates. Die UAW-Funktionäre versuchen immer, die Mitglieder mit falschen Hoffnungen zu benebeln. Aber diese Stellenstreichungen sind nicht nur Drohungen, sie finden überall statt, und die Arbeiter stehen kurz davor, die Dinge auch hier in die Hand zu nehmen.“

Die italienischen Automobilarbeiter sind wie ihre Kolleginnen und Kollegen in den USA bereit zu kämpfen. Aber die Gewerkschaftsbürokratien schränken den Kampf auf das ein, was für Tavares und die Faschistin Meloni akzeptabel ist. Die einstündigen spontanen Streiks in drei aufeinanderfolgenden Schichten anstelle eines Generalstreiks sind der Versuch der Gewerkschaften, eine Situation zu kontrollieren, die sich ihrem Zugriff zu entziehen droht.

Nie war es dringender als heute, dass sich die Arbeiter auf der Grundlage ihrer gemeinsamen Interessen als internationale Klasse unabhängig zusammenschließen.

Eine neue, globale Form des Kampfes wird von der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees (IWA-RFC), einem Netzwerk kämpfender Arbeiterorganisationen, angeführt. Die IWA-RFC koordiniert den Kampf gegen Stellenabbau und für die Interessen der Arbeiter über nationale Grenzen hinweg.

Loading