Am Freitag legte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinem Kriegskabinett ein Dokument mit dem Titel „Prinzipien für den Tag nach Hamas“ vor. Dieses Dokument skizziert Pläne für die faktische Annektierung des Gazastreifens nach dem völkermörderischen Krieg gegen die Palästinenser und zur Verschärfung der Kontrolle über das von Israel besetzte Westjordanland.
Der Plan sieht vor, dass Israel auf unbegrenzte Zeit die militärische Kontrolle über „das gesamte Gebiet westlich des Jordan“ behält. Er sieht weiter eine Landnahme von Gebieten innerhalb von Gaza vor, um einen so genannten „Sicherheitsraum“ entlang der gesamten Grenze zu schaffen. Das israelische Militär hat im Norden des Gazastreifens bereits in großem Umfang Wohnhäuser und zivile Infrastruktur abgerissen, um die Schaffung einer solchen Pufferzone vorzubereiten.
Das Dokument sieht außerdem unter dem Vorwand, Waffenschmuggel zu verhindern, die Schaffung einer ober- und unterirdischen „Sicherheitsflanke“ entlang der Südgrenze des Gazastreifens zu Ägypten vor – der einzigen Grenze, die nicht unmittelbar von Israel kontrolliert wird. Auf diese Weise hätte Israel die vollständige Kontrolle über Gaza an Land, vom Meer und aus der Luft und würde die Verwandlung der Enklave in ein riesiges Gefangenenlager vollenden.
Das israelische Militär hat im gesamten Gazastreifen Städte und Ortschaften in Schutt und Asche gelegt. Laut einer Schätzung der BBC vom letzten Monat wurden in der Enklave zwischen 144.000 und 175.000 Gebäuden, d.h. zwischen 50 und 61 Prozent der gesamten Bausubstanz, entweder beschädigt oder ganz zerstört.
Netanjahus Plan erklärt die Entmilitarisierung des Gazastreifens zur Vorbedingung für jeglichen Wiederaufbau. Damit ist nicht allein die Beseitigung von Waffen, sondern auch die Aufsicht und Kontrolle Israels über die zivile Verwaltung und die Polizei gemeint. Im Plan wird ein „umfassendes De-Radikalisierungsprogramm in allen religiösen Bildungs- und Sozialeinrichtungen in Gaza“ gefordert.
Netanjahu beabsichtigt, die Hamas-Regierung in Gaza durch ein Marionettenregime zu ersetzen, das aus lokalen Vertretern besteht, die „keinen terroristischen Staaten oder Gruppen nahestehen und nicht finanziell von ihnen unterstützt werden“ – mit anderen Worten, aus lokalen Handlangern, die dem israelischen Regime genehm sind.
Die Polizei im Gazastreifen soll ebenfalls unter der Kontrolle Israels stehen. Nur „lokalen Akteuren mit Führungserfahrung“ werde es erlaubt sein, für öffentliche Ordnung zu sorgen. Eine entsprechende Institution werde „nicht mit Staaten oder Organisationen in Zusammenhang stehen, die den Terror unterstützen und von diesen Gehälter beziehen“. Natürlich wird allein Israel darüber befinden, welche Staaten und Organisationen angeblich den Terrorismus unterstützen.
Ein weiterer Hinweis darauf, dass Israel die Absicht verfolgt, die internationalen Beziehungen Gazas – mit anderen Worten: dessen Außenpolitik – zu bestimmen, ist die Erklärung in dem Dokument, dass Israel die wichtigste Hilfsorganisation für Palästinenser ersetzen werde. Das seit 75 Jahren bestehende Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge (UNRWA) solle abgeschafft und durch „verantwortungsbewusste internationale Hilfsorganisationen“ abgelöst werden.
Israel rechtfertigt dieses Vorgehen mit den haltlosen Behauptungen, dass ein Dutzend von insgesamt 12.000 UNRWA-Mitarbeitern in Gaza sich an der Militäroperation der Hamas in Südisrael am 7. Oktober beteiligt hätten. Das UNRWA hat wiederholt gewarnt, die Bevölkerung des Gazastreifens befinde sich in einer verzweifelten Lage, da ihr bewusst Grundgüter wie Nahrung, sauberes Wasser und Medizin vorenthalten werden.
Die USA und ihre Verbündeten haben sich der Kampagne Israels gegen das UNRWA angeschlossen und die Finanzierung der UN-Organisation eingestellt. Deren Leiter Philippe Lazzarini erklärte in einem Brief an die UN-Vollversammlung von Donnerstag, die Organisation habe 450 Millionen Dollar an Geldmitteln verloren. Lazzarini warnte: „Ich befürchte, wir stehen am Rande einer monumentalen Katastrophe mit schwerwiegenden Folgen für den Frieden, die Sicherheit und die Menschenrechte in der Region.“
Lazzarini bezog sich auf eine Landkarte, auf der der Gazastreifen und das Westjordanland innerhalb der Grenzen Israels eingezeichnet sind und die der UN-Vollversammlung letzten September vorgelegt wurde, und erklärte, dass es bei Israels Forderung nach Abschaffung des UNRWA „nicht um die Frage der Neutralität des Hilfswerks“ gehe. Vielmehr sei „das Mandat des UNRWA, palästinensische Flüchtlinge in diesem Gebiet zu unterstützen, ein Hindernis für die Verwirklichung der Realität, die die Karte zeigt“.
Netanjahus Plan für die Zeit nach der Hamas macht genau das deutlich, was das zionistische Regime zu tun gedenkt: die israelische Kolonisierung des Gazastreifens und des Westjordanlands, gefolgt von ethnischer Säuberung und schließlich der Annexion. Der Plan wurde von der Ankündigung begleitet, Israel habe grünes Licht für den Bau von 3.000 neuen Wohneinheiten in Siedlungen im Westjordanland gegeben.
Netanjahu hat die so genannte Zwei-Staaten-Lösung immer wieder abgelehnt. In seinem jüngsten Dokument für „die Zeit danach“ lehnt er jede „einseitige Anerkennung“ eines palästinensischen Staats ab: „Israel weist die internationalen Diktate in der Frage einer endgültigen Statusregelung mit den Palästinensern entschieden zurück. Eine solche Vereinbarung wird nur in direkten Verhandlungen erzielt werden.“
Genauso wie Israel beabsichtigt, ein Marionettenregime in Gaza zu errichten, werden auch alle „Verhandlungen“ über eine endgültige Statusregelung nur mit Palästinensern geführt, die Israel dazu ausgewählt hat, seinen Zielen zu dienen.
Die Reaktion der Biden-Regierung auf Netanjahus Plan ist absolut heuchlerisch. Nachdem es die barbarische Militäroperation des zionistischen Regimes in Gaza politisch, finanziell und militärisch uneingeschränkt unterstützt hat, versucht das Weiße Haus nun, sich von den räuberischen Zielen des israelischen Kriegs zu distanzieren.
Während die USA die uneingeschränkte israelische Invasion des Gazastreifens unterstützen, wahren sie gleichzeitig den Schein, dass sie für eine Zwei-Staaten-Lösung eintreten würden. Zusätzlich erheben sie die Forderung, dass der Wiederaufbau des Gazastreifens – in welcher Form auch immer – nur unter Einbindung der konservativen Palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland erfolgen solle. Die USA lehnen Israels Pläne zur Einrichtung militärischer Pufferzonen um seine Grenzen herum zwar nominell ab, erklären jedoch, dass sie deren „vorübergehende“ Einrichtung potenziell unterstützen würden.
Von Bedeutung ist auch der Zeitpunkt, zu dem Netanjahu seine Pläne ankündigt: Dieser Schritt erfolgte am Vorabend von Verhandlungen über eine befristete Pause oder einen Waffenstillstand in Israels Blitzkrieg in Gaza, die in Paris stattfinden sollen. Die Veröffentlichung der Pläne hat den Charakter einer kalkulierten politischen Provokation mit dem Ziel, die Verhandlungen schon vor ihrem Beginn zu vergiften. Zuvor hatte Netanjahu die Vorschläge der Hamas für einen Waffenstillstand als „wahnhaft“ abgetan.
Gleichzeitig setzt Israel seine Bombenangriffe auf die Stadt Rafah fort, wo mehr als eine Million palästinensische Flüchtlinge ums Überleben kämpfen. Die Zahl der Todesopfer stieg am Freitag auf über 29.400. Laut Al Jazeera wurden zuletzt innerhalb von 24 Stunden mehr als 100 Menschen getötet, darunter mindestens 24 – hauptsächlich Frauen und Kinder – bei einem israelischen Angriff auf ein Haus in Deir el-Balah, in dem Dutzende palästinensische Vertriebene untergebracht waren.
Diese schrecklichen Opferzahlen werden noch dramatisch ansteigen. Das faschistische Netanjahu-Regime hat ein Ultimatum gestellt, laut dem alle israelischen Geiseln bis zum Beginn des Ramadan am 10. März freigelassen werden müssen. Andernfalls werde das Militär seine tödliche Bodenoffensive gegen Rafah beginnen und die Eroberung des Gazastreifens abschließen.