„Alle Probleme unserer Zeit sind globale Probleme.“

David North beantwortet Fragen zum Völkermord in Gaza und zum Kampf für Sozialismus an der Wayne State University

David North beantwortet Fragen von Studierenden zum Völkermord in Gaza und zum Kampf für Sozialismus bei einer Veranstaltung an der Wayne State University in Detroit (Michigan), 8. April 2024

Am 8. April beantwortete David North Fragen zum Völkermord in Gaza auf einer öffentlichen Veranstaltung an der Wayne State University (WSU) in Detroit, Michigan, die von der WSU-Sektion der International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) ausgerichtet wurde.

Die ausführlichen, historisch fundierten Antworten von North, der seit über 50 Jahren eine führende Rolle in der trotzkistischen Bewegung spielt, sollten von allen studiert werden, die den Völkermord in Gaza und den Sturz in den dritten Weltkrieg stoppen wollen.

Nachstehend veröffentlichen wir Videos von vier wichtigen Gesprächen des Treffens.

Drei Studierende auf dem Podium einer Diskussion über die Beendigung des Völkermords im Gazastreifen mit dem führenden Trotzkisten und Autor David North an der Wayne State University in Detroit (Michigan), 8. April 2024

Eröffnet wurde die Sitzung von Adham, dem Sprecher der WSU-Sektion der IYSSE, der erklärte, dass die IYSSE die Jugendbewegung der Socialist Equality Party sind, der amerikanischen Sektion des Internationalen Komitees der Vierten Internationale (IKVI), der trotzkistischen Weltbewegung. Er wies darauf hin, dass die IYSSE Schwesterorganisationen in verschiedenen Ländern haben, darunter im Vereinigten Königreich, Deutschland, Russland, der Ukraine, Australien und Sri Lanka.

„Wir beharren darauf, dass die soziale Krise, mit der die Menschheit konfrontiert ist – einschließlich Krieg, Völkermord, Armut, sozialer Ungleichheit, der Bedrohung durch den Klimawandel und Pandemien – verursacht wird durch das Wirtschaftssystem, in dem wir leben, den Kapitalismus“, schloss Adham. Er ermutigte die Anwesenden, sich bei den IYSSE auf dem Campus zu engagieren und sich ihrer Gruppe anzuschließen, um in den Autofabriken von Detroit für eine sozialistische Perspektive gegen Sozialkahlschlag und Krieg zu kämpfen.

Evan Blake, Mitglied des Nationalkomitees der Socialist Equality Party, moderierte die Diskussion. Zu Beginn warnte er die Anwesenden vor der anhaltenden Verbreitung von Covid-19 und dankte allen Anwesenden für das Tragen von Masken. Er teilte mit, alle Diskussionsteilnehmer hätten vorher Tests vorgenommen und die SEP habe für zusätzlichen Schutz des Publikums UV-Lampen und HEPA-Filter aufgestellt.

Blake verdeutlichte die lange Geschichte des Kampfes der trotzkistischen Bewegung gegen Krieg und Völkermord und verwies auf Norths führende Rolle im IKVI während eines halben Jahrhunderts. Blake besprach kurz acht von Norths Büchern, in denen brennende Fragen analysiert werden, mit denen Arbeiter und Jugendliche heute konfrontiert sind. Fast alle sind auch in deutscher Übersetzung im Mehring Verlag erschienen. Besondere Aufmerksamkeit widmete er Norths jüngstem Band Leo Trotzki und der Kampf für Sozialismus im 21. Jahrhundert, der sich auf das Leben, die politische Arbeit und die Bedeutung des Co-Führers der Russischen Revolution konzentriert und dessen Analyse für Jugendliche und Arbeiter, die dem Kapitalismus ein Ende setzen wollen, unverzichtbar ist.

Acht ausgewählte Bücher von David North. Fast alle sind in auf Deutsch im Mehring Verlag erschienen und können dort bestellt werden (mehring-verlag.de)

Die in Norths Buch Die Logik des Zionismus: Vom nationalistischen Mythos zum Genozid in Gaza gesammelten Vorträge, so Blake, seien „die bedeutendste Untersuchung der historischen Wurzeln und der reaktionären ideologischen Grundlagen des Zionismus, die im gegenwärtigen Gemetzel gipfeln, das vom faschistoiden Netanjahu-Regime in Israel durchgeführt und von den Imperialisten unterstützt wird. Die Vorträge zeichnen die Entwicklung des Zionismus als nationalistische Bewegung nach, die stets in scharfem Konflikt mit dem sozialistischen Internationalismus und den fortschrittlichsten Schichten der jüdischen Arbeiterklasse und Intelligenz stand“. Das Buch wurde in diesem Jahr auf Englisch veröffentlicht und erscheint im Mai in deutscher Übersetzung.

Fragen und Antworten

Die erste Frage, die an North gerichtet wurde, kam von Adham, der fragte, ob es „während Ihrer Zeit in der sozialistischen Bewegung größere Veränderungen in Bezug darauf gegeben hat, was Ihrer Meinung nach die Rolle eines Sozialisten sein sollte?“

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North ging in seiner ausführlichen Antwort auf bestimmte Ereignisse der 1960er Jahre ein, als sich seine Generation radikalisierte, betonte aber auch die Verbindung dieser Zeit mit der vorangegangenen Weltgeschichte. Er habe 1970 begonnen, Trotzki zu studieren, als die Welt noch unter dem Eindruck des französischen Generalstreiks vom Mai 1968 stand. „Was als Studentenstreik in Paris an der Sorbonne begonnen hatte, entwickelte sich weiter und eskalierte zu einem Generalstreik der französischen Arbeiterklasse. Er erschütterte nicht nur Frankreich, er erschütterte die ganze Welt. Plötzlich, fast über Nacht, stand eine sozialistische Revolution der Arbeiterklasse auf der Tagesordnung“, erläuterte North.

Bei der Beschreibung des damaligen politischen Klimas auf der Welt wies North darauf hin, dass 1968 auch das Jahr der Tet-Offensive in Vietnam war, die die Antikriegsbewegung enorm anheizte und die US-Propaganda vom „unmittelbar bevorstehenden Sieg“ als Lüge entlarvte. US-Präsident Lyndon Johnson gab am 31. März bekannt, dass er nicht zur Wiederwahl antreten werde, und am 4. April wurde Martin Luther King ermordet.

North betonte, dass der Generalstreik von Mai-Juni 1968 „plötzlich deutlich machte, dass die grundlegenden Vorstellungen des Marxismus von der revolutionären Rolle der Arbeiterklasse als entscheidender Kraft nicht nur eine Frage der Geschichte, sondern der Realität waren“.

Parallel zu diesen Entwicklungen gebe es ein erneutes Interesse an Leo Trotzki, sagte er. North nahm Bezug auf die dreiteilige Trotzki-Biografie von Isaac Deutscher (Der bewaffnete Prophet: Trotzki 1879-1921, Der unbewaffnete Prophet: Trotzki 1921-1929, und Der verstoßene Prophet: Trotzki 1929-1940): „Es war ein außerordentlich wichtiges Buch, weil es einer ganz neuen Generation diese Figur vorstellte, die mit so vielen Lügen und Verzerrungen überzogen worden war – die am meisten verleumdete Figur der modernen Geschichte, Leo Trotzki“. North sagte, die Trilogie „stellte der Jugend eine echte marxistische Kritik des Stalinismus vor“.

Er stellte die Frage „Warum war meine Generation in den 1960er Jahren so radikal?“ und fügte hinzu: „Wenn man verstehen will, was das Denken meiner Generation prägte und die extreme Radikalität unserer Reaktion auf Vietnam bestimmte, muss man weiter zurückgehen. Es war der Zweite Weltkrieg. Es war der Erste Weltkrieg.“

North verwies auch auf die großen historischen Fragen, die damals wie heute beantwortet werden müssen. „Sie fragen, was sich seither geändert hat? Das große Problem, das wir damals hatten, war natürlich, herauszufinden... wer sind die Sozialisten?“ North erklärte: „Es gab viele Organisationen, die sich sozialistisch nannten – so viele Parteien, die behaupteten, sozialistisch zu sein. Da gab es natürlich die Kommunistische Partei. Es gab die vielen verschiedenen Organisationen, die sogar behaupteten, trotzkistisch zu sein.

Schauen Sie sich die heutige Situation an. Was ist aus all diesen großen Massenbewegungen geworden? Als ich mich der sozialistischen Bewegung anschloss, sprachen die Kommunisten über sich selbst als vom ‚real existierenden Sozialismus‘. Die trotzkistische Bewegung sagte, das sind konterrevolutionäre Parteien. Sie repräsentieren nicht die Kontinuität der marxistischen Tradition. Sie sind die schlimmsten Feinde der Arbeiterklasse, und ‚von ihnen wird kein Stein auf dem anderen bleiben‘. Wir betonten, dass Stalin der Totengräber der Arbeiterklasse sei und dass die UdSSR mit der Restauration des Kapitalismus enden würde, wenn die Arbeiterklasse nicht eine politische Revolution gegen die Sowjetbürokratie durchführe.

Wie konnte man feststellen, was der wahre Sozialismus war? Trotzkis Kritik war deshalb so grundlegend, weil das, was Trotzki vorlegte, eine revolutionäre Konzeption für die ganze Welt war.“

Abschließend sagte North: „Hier kommen wir, glaube ich, zum grundlegendsten Aspekt dessen, was sich verändert hat. Es ist das Ausmaß, in dem die Welt in jeder Hinsicht globalisiert worden ist. Jedes Ereignis ist ein Weltereignis. Die Produktion ist ein globaler Prozess, und Wandel muss auf globaler Ebene stattfinden. Die Kraft des Trotzkismus besteht darin, dass er dies zum Ausdruck bringt; unser Programm entspricht der objektiven Entwicklung der Weltwirtschaft.

Es gibt keine nationale Lösung für die Probleme unserer Zeit. Alle Probleme sind globale Probleme. Das ist die größte Veränderung.“

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David, IYSSE-Mitglied an der WSU und Amazon-Arbeiter, sagte, er habe Norths Vortrag über Aaron Bushnell gesehen und fragte: „Bushnell nahm sich tragischerweise das Leben, um gegen den Völkermord in Gaza zu protestieren. Welche progressive Rolle kann die Jugend bei der Beendigung des Völkermords in Gaza spielen?“

North beschrieb Jugendliche als „politisches Barometer der Gesellschaft“. Er fuhr fort: „Sie sind nicht desensibilisiert gegenüber Heuchelei, gegenüber dem Widerspruch zwischen den verkündeten Idealen und der Realität, die sie sehen. Und deshalb protestieren sie gerne.

Aber junge Menschen allein können die Welt nicht verändern. Sie können eine katalytische Kraft sein, die Veränderung anregt. Aber wenn Jugendliche keinen Kontakt herstellen und ihren Protest nicht an eine Kraft richten, die in der Lage ist, Veränderung zu bewirken, dann wird der Protest, wie so oft, in die Irre geführt.“

North beschrieb, wie er sich an Bushnell gewandt und aufgefordert hätte, eine politische Bewegung in der Arbeiterklasse aufzubauen. North wandte sich vehement gegen die Haltung von Individuen wie dem Journalisten Chris Hedges, die Selbstmord und Verzweiflung verherrlichen.

An die jungen Leute im Publikum gewandt, sagte North: „Auch wenn wir vielleicht nicht alle eure Fragen beantworten konnten, hoffe ich, dass wir euch jetzt ermutigen konnten zu beginnen, die großen und oft tragischen revolutionären Erfahrungen des letzten Jahrhunderts zu studieren und von ihnen zu lernen. Wenn ihr das verinnerlichen könnt, werdet ihr euch und die Arbeiterklasse auf das vorbereiten können, was kommen wird.“

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Die letzte Frage vom Podium kam von Amanda: „Ich konnte kürzlich an einer Ihrer Vorlesungen an der Universität von Michigan über den zionistischen Mythos teilzunehmen. Was mich wirklich beeindruckt hat, war Ihre Auffassung, dass die Gründung des Staates Israel eine Verhöhnung und ein Verrat am jüdischen Volk war. Ich habe mich gefragt, ob Sie mehr über diese Auffassung und andere Aspekte der trotzkistischen Haltung zur Gründung des Staates Israel sagen könnten.“

North erinnerte an die Tatsache, dass das jüdische Volk seit vielen Jahrhunderten zutiefst unterdrückt wurde. Aber er merkte an: „Alle Phänomene, auch die des Hasses, müssen untersucht und historisch betrachtet werden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhielt der Judenhass eine neue Dimension, einen neuen Charakter. Dies stand in engem Zusammenhang mit den Veränderungen in der sozioökonomischen Struktur der Gesellschaft, dem Aufkommen des modernen Industriekapitalismus, dem Aufkommen der Arbeiterklasse als revolutionäre Kraft und dem Aufkommen des Sozialismus. Mehr und mehr verband sich der traditionelle Judenhass mit einer gegen den Sozialismus gerichteten politischen Bewegung.“

Mit anderen Worten, so North: „Die herrschenden Eliten versuchten, den traditionell religiösen Antagonismus auszunutzen, um ihn politisch gegen die sozialistische Bewegung zu richten.“ North erläuterte dann die Ursprünge des Zionismus und die Entwicklung dieser Ideologie, einschließlich Formen einer „Holocaust-Industrie“ und dem reaktionären Einsatz von Identitätspolitik.

North sagte zum Publikum: „Wenn etwas den Bankrott des Nationalismus zeigt, dann ist es das zionistische Projekt.“ Die Geschichte zeige, so North weiter, „dass der Zionismus als nationales imperialistisches Projekt konstruiert wurde. Aber es war von Anfang an falsch. Und jetzt werden die schrecklichen Folgen des Nationalismus, der Verteidigung des Nationalstaatensystems, der künstlichen Konstruktion von Nationalität als Prinzip zur Rechtfertigung von Unterdrückung entlarvt.

Der Zionismus als Bewegung hat sich im Grunde eine Ideologie zu eigen gemacht, die bereits dabei war, sich zu diskreditieren oder durch den tatsächlichen Prozess der sozioökonomischen Entwicklung überholt zu werden. Die Hochzeit des Nationalismus lag zwischen seinem Aufkommen als mächtige Kraft im 17. Jahrhundert bis ins 18. und sicherlich bis ins 19. Jahrhundert hinein. Die Periode der Konsolidierung der großen Nationalstaaten geriet in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts immer mehr unter Druck.

Marx definiert dies bereits 1847-48. Die Arbeiterklasse hat kein Vaterland. Die Arbeiterklasse ist eine internationale Kraft und, so sagt er, die nächste Stufe der historischen Entwicklung wird nicht die Konsolidierung der Nationalstaaten sein, sondern die internationale Vereinigung der Menschheit in einer sozialistischen Bewegung. Und das sollte sich im Wachstum des internationalen Sozialismus bestätigen und bewahrheiten.“

Während der offenen Diskussion stellten mehrere Zuhörer Fragen zu den Präsidentschaftskandidaten der Socialist Equality Party, Joseph Kishore und Jerry White, und fragten, ob eine Stimmabgabe für die SEP Donald Trump Tür und Tor öffne oder ob sie ihre Stimme damit „wegwerfen“ würden.

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North verurteilte daraufhin die Politik des „kleineren Übels“.

„Wenn ihr Arbeitern empfehlt, für Biden zu stimmen, tragt ihr damit Verantwortung für die Folgen. Wenn also Biden am Tag nach der Wahl oder sogar mitten in der Wahl den Krieg gegen die Ukraine eskaliert und mehr Bomben schickt oder sich mit Israel in einem Krieg gegen den Iran verbündet, worin besteht dann das Versäumnis? Ihr wärt in diesem Fall dafür mitverantwortlich. Was habt ihr getan, um die Arbeiterklasse auf diese Eventualität vorzubereiten?“, antwortete er.

Er schloss mit den Worten: „Wenn eine Wahl ansteht, lassen wir unsere Prinzipien nicht fallen. Unsere Politik während einer Wahl entspricht unserer Politik vor der Wahl. Wir sind eine Partei, die sich von Prinzipien und historischen Betrachtungen leiten lässt, nicht von kurzfristigen pragmatischen Ergebnissen... Für uns sind die Wahlen also eine Chance. Wir nutzen sie, um die absolut notwendige Arbeit der politischen Bildung zu leisten. Das ist unsere Methode. Wie Trotzki sagte, müssen Arbeiter darüber aufgeklärt werden, was sie retten und was sie stürzen müssen.“

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