Die Ampel-Regierung will im kommenden Jahr das Bürgergeld um 2,6 Milliarden Euro kürzen. Das haben mehrere Sozialverbände mit Verweis auf durchgesickerte Zahlen bekanntgemacht. Im Einzelnen sollen 1,6 Milliarden Euro für die Jobcenter und 900 Millionen Euro für die Förderung der beruflichen Weiterbildung und Reha-Leistungen für Sozialhilfeempfänger gestrichen werden.
Schon für das laufende Jahr hat Finanzminister Christian Lindner (FDP) einen doppelten Kriegshaushalt durchgesetzt: Auf der einen Seite werden Rekordsummen für Krieg und Aufrüstung ausgegeben; gleichzeitig erklärt er der Arbeiterklasse den Krieg, indem er die Sozialausgaben deutlich senkt. Um Deutschland zur militärischen Führungsmacht Europas aufzubauen, hat die Ampel mehr als 90 Milliarden Euro locker gemacht, das ist die bei weitem höchste Summe seit Ende des Zweiten Weltkriegs.
Infolgedessen – und weil die Ampel sich weigert, Aktionäre und Supereiche stärker zu besteuern – müssen Lindner, Scholz und Habeck nun auch für das kommende Jahr 2025 ein Haushaltloch in Höhe von mehreren Dutzend Milliarden Euro füllen. Dies tun sie durch Sparmaßnahmen in Milliardenhöhe.
Das Bürgergeld ist dabei immer das erste Zielobjekt. Mit dem Kriegsbeginn in der Ukraine vor zweieinhalb Jahren begannen auch die ständigen Angriffe auf diese kümmerliche Unterstützung, die mit monatlich 563 Euro zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ist. Zum Jahresbeginn 2024 drohte Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) allen, die nicht „zufriedenstellend kooperieren“, mit monatelangem Entzug des Bürgergeldes.
Leidtragende sind dabei „Menschen mit besonderen Problemen“, wie der evangelische Sozialverband erklärt, „zum Beispiel jene, die nicht gut lesen und schreiben können, oder Personen mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen“. Es dauerte nicht lange, und der Angriff wird auf breitere Schichten der Arbeiterklasse ausgeweitet.
Derzeit beziehen etwa fünfeinhalb Millionen Menschen Bürgergeld über ein Jobcenter, Tendenz steigend. Insgesamt wächst die Armut. Laut Statistischem Bundesamt ist jedes vierte Kind, bzw. jeder vierte junge Erwachsene in Deutschland von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. Mehr als die Hälfte der gesetzlichen Renten (10,1 Millionen) liegen mit weniger als 1100 Euro monatlich unter der Armutsgrenze.
Die Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit (LAG Arbeit), die jetzt Alarm schlägt, ist ein Zusammenschluss von Einrichtungen, die sich um sozial benachteiligte Jugendliche, Migranten und Geflüchtete, arme Senioren oder behinderte Menschen kümmern. Zusammengefasst im Bundesnetzwerk für Arbeit und soziale Teilhabe haben diese Verbände einen Offenen Brief an Finanzminister Christian Lindner (FDP) und Sozialminister Heil gerichtet.
Dieser Offene Brief stellt der Ampel-Regierung ein vernichtendes Zeugnis aus. Er weist darauf hin, dass die Aufgaben der Jobcenter schon bisher „längst nicht mehr in ausreichendem Umfang finanzierbar“ sind. Tatsächlich ist trotz ständig steigender Arbeitslosenzahlen ihr Budget schon im laufenden Jahr 2024 um eine halbe Milliarde gekürzt worden. Wie es im Offenen Brief heißt, brechen dadurch „erprobte und sinnstiftende Maßnahmen für Langzeitarbeitslose bundesweit massiv weg“; und „soziale Teilhabe und die Chance zur Arbeitsmarktintegration wird verwehrt“.
In dieser Situation werden sich die geplanten Kürzungen verheerend auswirken. Die Jobcenter können sich künftig um viele Menschen überhaupt nicht mehr kümmern, die absehbar in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutschen. „Die Kürzung von Eingliederungsleistungen hat faktisch die Ausgrenzung von als ‚arbeitsmarktfern‘ geltenden Menschen zur Folge“, heißt es im Offenen Brief.
Massiv bedroht seien davon außerdem „wichtige soziale Angebote wie Tafeln, Stadtteilprojekte und Sozialkaufhäuser“. Diese Einrichtungen hätten bisher schon einen großen Teil der kommunalen Daseinsvorsorge übernommen: „zum Beispiel Übernahme von Wohnungseinrichtung, Erstausstattung und Beratung Geflüchteter, die Versorgung von Rentnern mit Lebensmitteln oder auch die Versorgung einkommensschwacher Familien mit Kindern mit weiteren sozialen Angeboten“.
Letzteres zeigt, zu welch morschem Wrack die bundesdeutsche Gesellschaft verkommen ist. In der vielgepriesenen „sozialen Marktwirtschaft“ sind Funktionen der Daseinsvorsorge, wie beispielsweise „die Versorgung von Rentnern mit Lebensmitteln“, auf Einrichtungen angewiesen, die sich großenteils auf ehrenamtliche Helfer stützen. Ausgerechnet ihnen soll nun der staatliche Geldhahn zugedreht werden.
Parallel zu diesem Kurs sozialer Angriffe haben Politiker eine üble Hetze gegen „Drückeberger“ und „Sozialschmarotzer“ entfacht.
Während sie die Vermögen der Superreichen und ihre eigenen Privilegien verschweigen, verorten sie das Problem arrogant bei denjenigen, die angeblich „nicht arbeiten wollen“. Beispielsweise beklagte sich Finanzminister Lindner im Portal The Pioneer: „Wir wenden Milliarden Euro auf, um Menschen zu unterstützen, die nicht arbeiten.“ Notwendig sei „eine Arbeitsmarktpolitik, die ihren fordernden Charakter stärkt“. Der bayrische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wiederholt penetrant: „Wir müssen wieder mehr arbeiten“ (mit „wir“ meint er: „ihr“).
Im ARD-Sommerinterview sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) zu den geplanten Bürgergeld-Änderungen, die Regierung werde „die Treffsicherheit erhöhen“: „Niemand darf sich [vor der Arbeit] drücken.“ SPD-Parteichefin Saskia Esken drohte in einem Interview mit der Rheinischen Post, man werde „Bürgergeld-Bezieher, die beim Schwarzarbeiten erwischt werden“, nicht länger tolerieren: „Bei Schwarzarbeit darf es keine falsche Toleranz geben.“
Die Kürzungen haben indes Methode. Sie dienen dem Zweck, den bereits riesigen Niedriglohnbereich weiter auszudehnen. Denn wer nicht in die Abwärtsspirale der Langzeitarbeitslosigkeit rutschen will, ist gezwungen, einen (oder mehrere) der immer schlechter bezahlten Jobs anzunehmen. Das dient gleichzeitig dazu, Druck auf die Arbeiterklasse auszuüben und die Reallöhne weiter zu senken. Dies ist auch Bestandteil der von der Regierung jetzt angepeilten „Wirtschaftswende“.
Eine Karikatur kommt in den Sinn: Ein Regierungspolitiker brüstet sich: „Ich habe eine Million Arbeitsplätze geschaffen“; eine Arbeiterin antwortet: „Ich habe drei davon.“
Vor diesem Hintergrund sind die arroganten Appelle führender Politiker, die Deutschen müssten wieder „mehr arbeiten“, eine ernste Bedrohung. Es läuft auf neue, systematische und brutale Angriffe auf die Rechte und Errungenschaften der gesamten Arbeiterklasse hinaus. Dies wird heftige Klassenauseinandersetzungen provozieren, von denen die bisherigen Warnstreiks beispielsweise der Lokführer nur ein Vorgeschmack sind.
In dem Zusammenhang erhält es seinen Sinn, dass die etablierten Parteien mit ihrer eigenen rechten Politik der AfD den Weg bereiten und ihr gleichzeitig die Möglichkeit verschaffen, Frustration und Wut auf ihre eigenen Mühlen zu lenken. Wenn es darum geht, im Interesse imperialistischer Kriege soziale und demokratische Angriffe durchzusetzen, dann wird eine faschistische Partei gebraucht.
Die Arbeiterklasse kann in den kommenden Kämpfen nur gewinnen, wenn sie sich unabhängig von allen etablierten Parteien, einschließlich der Linken und der Wagenknecht–Partei, organisiert und den Kampf international und antikapitalistisch führt. Das Ziel muss es sein, die Gesellschaft nach den Grundsätzen eines sozialistischen Programms zu reorganisieren. Für dieses Programm Kämpfen die Sozialistische Gleichheitspartei, das Internationale Komitee der Vierten Internationale und ihr Organ, die World Socialist Web Site.