Perspektive

Der Oberste Gerichtshof und die Konterrevolution vom 1. Juli 2024

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in der Rechtssache Trump vs. Vereinigte Staaten ist die weitreichendste und reaktionärste Entscheidung in der Geschichte des Obersten Gerichtshofs. Sie wird als die Konterrevolution vom 1. Juli 2024 in die Geschichte eingehen.

Der Oberste Gerichtshof der USA in Washington [AP Photo/Alex Brandon]

Der Präsident hat die uneingeschränkte Befugnis, gegen die Verfassung zu verstoßen und jedes Gesetz zu brechen, wann immer er es will. Wie Richterin Sonia Sotomayor in ihrer von der Mehrheitsentscheidung abweichenden Stellungnahme feststellt, könnten zu den präsidialen Aktivitäten, die jetzt vor Strafverfolgung geschützt sind, auch Fälle gehören, in denen der Präsident dem Militär befiehlt, „einen politischen Rivalen zu ermorden“, „einen Militärputsch zu starten, um sich an der Macht zu halten“ und „sich im Austausch für eine Begnadigung bestechen zu lassen'.

In einer separaten abweichenden Stellungnahme betonte Richterin Ketanji Brown Jackson, dass Verbrechen bis hin zu Mord in den Bereich der „offiziellen Pflicht“ fallen können. Die Frage, die sich dem Gericht stelle, sei nicht, ob der Präsident den Generalstaatsanwalt entlassen könne, sondern ob „der Präsident die Möglichkeit hat, den Generalstaatsanwalt abzusetzen, indem er ihn zum Beispiel vergiftet“.

Der Präsident kann nun den Geheimdienst, das Federal Bureau of Investigation (FBI) oder das Militär anweisen, politische Feinde abzuschlachten, wie es Adolf Hitler in der Nacht der langen Messer im Juni 1934 getan hat, und er wird dafür nicht rechtlich zur Verantwortung gezogen.

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Die Entscheidung, die wenige Tage vor dem Unabhängigkeitstag und zwei Jahre vor dem 250. Jahrestag der Gründung der USA als Republik veröffentlicht wurde, stellt die amerikanische Verfassung in Frage, einschließlich zentraler republikanischer Grundsätze wie Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und Volkssouveränität. Trump gegen die Vereinigten Staaten legitimiert de facto und de jure eine unkontrollierte Präsidialdiktatur. Sie erhebt den Chef der Exekutive ausdrücklich über den Geltungsbereich des Gesetzes, wenn er oder sie behauptet, in amtlicher Eigenschaft zu handeln.

Ein Großteil der Medien versucht, sich selbst zu trösten und das Volk zu chloroformieren, indem sie behaupten, die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs lasse die Möglichkeit offen, dass die „persönlichen“ Verbrechen des Präsidenten nicht immun seien. Doch was persönlich und was offiziell ist, so das Urteil, liegt im Ermessen des Präsidenten. Allenfalls könnten präsidiale Straftaten von Gerichten, die durch die neue Entscheidung behindert werden, nachträglich überprüft werden - wobei der Präsident wiederum dieser Überprüfung zuvorkommen könnte, indem er die Ermordung der mit der Überprüfung beauftragten Richter anordnet. Donald Trump hat bereits einen Aufschub seiner Verurteilung in New York wegen „Schweigegeld“-Wahlmanipulationen im Zusammenhang mit einer angeblichen persönlichen Angelegenheit beantragt und erhalten.

Die Entscheidung geht in jedem Fall weit über Trump hinaus. Die gewaltigen Befugnisse, die der Gerichtshof hat, sind nicht einer Person, sondern einem Amt übertragen. Unabhängig davon, wer der Präsident ist, wird das Weiße Haus über diktatorische Befugnisse verfügen. Eine solche Befugnis ist der Entscheidung des Gerichtshofs eindeutig immanent. Die fragliche „Amtshandlung“ war schließlich Trumps heimliche Organisation eines Staatsstreichs am 6. Januar 2021, um das Ergebnis seiner Wahlniederlage zu kippen und damit die Verfassung außer Kraft zu setzen.

Wenn ein faschistischer Aufstand zu den offiziellen Aufgaben des Präsidenten gehört, dann gibt es nichts, was nicht dazu gehört.

Der Oberste Gerichtshof hat sein Urteil gefällt. Er „stellt fest“, dass der amerikanische Präsident über dem Gesetz steht. Ein permanenter Zustand diktatorischer Herrschaft umgibt den Inhaber des Weißen Hauses, ähnlich der Autorität, welche die faschistischen Staaten des letzten Jahrhunderts in Mussolini und Hitler konzentrierten. Es gibt nichts, was der Präsident im Rahmen seiner „offiziellen Pflichten“ nicht tun könnte.

Die Arbeiterklasse hat ihr Urteil jedoch noch nicht gefällt.

Am 4. Juli feiern Millionen Arbeiter in den USA den Unabhängigkeitstag. Es ist vielleicht nicht allgemein bekannt, dass der Feiertag an die Ratifizierung des revolutionären Manifests Die Unabhängigkeitserklärung am 4. Juli 1776 erinnert und nicht an den Abbruch der Beziehungen zu Großbritannien, der durch die Lee-Resolution am 2. Juli 1776 erfolgte. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Arbeiter und Jugendliche sich mit der Unabhängigkeitserklärung vertraut machen, die viel über die Gefahr einer Diktatur aussagt, die jetzt vom Obersten Gerichtshof ausgeht.

John Trumbulls Gemälde „Declaration of Independence“ zeigt die Übergabe des Entwurfs der Unabhängigkeitserklärung an den Kontinentalkongress. Jefferson steht in der Mitte, Franklin zu seiner Linken und Adams zu seiner Rechten.

Das Dokument, das in Philadelphia von einem Ausschuss verfasst wurde, dem Thomas Jefferson, der Hauptautor, sowie Benjamin Franklin und John Adams angehörten, beginnt mit der Feststellung, dass „Anstand und Achtung für die Meinungen des menschlichen Geschlechts“ es erfordern, eine Erklärung für die Ursachen der Revolution zu geben, die seit einem Jahr im Gange war. Was nun folgt, ist vielleicht die revolutionärste Aussage der Weltgeschichte - mit all ihren weitreichenden und explosiven Auswirkungen, die heute noch genauso wirksam sind wie 1776: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, daß alle Menschen gleich erschaffen worden“.

Jefferson legt dann die Axiome dessen dar, was als „amerikanische Theorie“ oder „republikanische Theorie“ der Regierung bekannt geworden ist. Die Staaten „gewähren“ den Menschen keine Rechte. Die Menschen werden mit „unveräußerlichen Rechten“ geboren - Rechten, die der Existenz von Regierungen vorausgehen. Regierungen müssen ihre „Gewalt von der Einwilligung der Regierten herleiten“ - und kein Jota mehr. In der Tat haben die Staaten insofern eine Daseinsberechtigung, als sie diese Rechte aufrechterhalten; aus diesem Grund sind „Regierungen unter den Menschen eingeführt worden“.

Aus dieser Haltung heraus bekräftigt die Erklärung das Recht auf Revolution, „sobald einige Regierungsform diesen Endzwecken verderblich wird“. In einem Text, der als Warnung an den heutigen Obersten Gerichtshof und andere Zitadellen der konspirativen Macht verstanden werden könnte, schreibt Jefferson, dass das Recht auf Revolution erreicht ist, wenn „eine lange Reihe von Mißhandlungen und gewaltsamen Eingriffen“ die Absicht erkennen lässt, das Volk „unter unumschränkte Herrschaft zu bringen“. In diesem Moment „ist es ihr Recht, ja ihre Pflicht, solche Regierung abzuwerfen“.

Faksimile der Unabhängigkeitserklärung

Die Erklärung war der Höhepunkt einer langwierigen Entwicklung des menschlichen Denkens, deren Ursprünge auf die Aufklärung und ihre Infragestellung der göttlich sanktionierten Feudalordnung zurückgehen. Doch niemand konnte 1763, als der Sieg Großbritanniens über Frankreich im Siebenjährigen Krieg bejubelt wurde, ahnen, dass kaum mehr als ein Jahrzehnt später eine auf dem Prinzip der Gleichheit der Menschen basierende Revolution das Empire erschüttern würde.

Was hatte sich geändert? Es war die „lange Reihe von Mißhandlunegn“, welche die Erklärung beschreibt, die das Bewusstsein der Bevölkerung für die Revolution empfänglich machte. „Die Revolution“, schrieb John Adams später an Jefferson, „war in den Köpfen des Volkes, und das wurde im Laufe von fünfzehn Jahren, von 1760 bis 1775, erreicht, bevor ein Tropfen Blut in Lexington vergossen wurde.“

Das letzte Hindernis auf dem Weg zum „Verstand des Volkes“ wurde mit Tom Paines Werk Common Sense (Titel der ersten deutschsprachigen Ausgabe: Gesunder Menschenverstand an die Einwohner von Amerika gerichtet) beseitigt, das im Januar 1776 erschien. Bis zu diesem Stadium in der Krise des Empires kämpften die Kolonisten die ideologische Komponente des Kampfes mit England über die Frage der Repräsentation innerhalb des Empires aus. Im Jahr 1775 waren sie zu dem Schluss gekommen, dass ein Bruch mit dem Parlament notwendig war. Aber sie waren noch nicht bereit, mit dem König zu brechen. Viele stellten sich ein „dezentralisiertes amerikanisches Empire mit einem eigenen Parlament, aber mit dem König als Staatsoberhaupt vor - eine Idee, welche die reaktionäre Commonwealth-Theorie des Empire vorwegnahm, die später den Südasiaten, Kanadiern und Australiern aufgezwungen wurde.

Tom Paine, Portrait von Laurent Dabos 1792

Paine richtete sein Feuer auf den König und die königliche Autorität im Allgemeinen. Als englischer Einwanderer, Arbeiter und radikaler Geist – „gelernter Korsettmacher, von Berufs wegen Journalist und von der Neigung her Propagandist“ - war Paine 1774 mit Hilfe von Franklin in Philadelphia angekommen. Nach etwas mehr als einem Jahr hatte er sein Werk Common Sense geschrieben. Paine zerstreute die Angst vor einer Regierung ohne Monarchen. Er verurteilte die Idee eines Königs, der über dem Gesetz steht, und zwar mit Worten, die auch gegen den Obersten Gerichtshof von heute gerichtet werden könnten:

Aber wo bleibt, sagen einige, der König von Amerika? Ich sage dir, mein Freund, er regiert oben im Himmel und richtet keine Gemetzel unter der Menschheit an so wie der königliche Unmensch aus Großbritannien. Aber damit es nicht so aussieht, als ob es uns an irdischen Ehren mangelt, soll man einen Tag bestimmen, an dem feierlich die Charta proklamiert wird: Sie soll dann auf das göttliche Gesetz, das Wort Gottes, gelegt und herbeigebracht werden, darauf eine Krone, an der die Welt erkennen mag, daß, wenn wir eine Monarchie anerkennen, in Amerika ALLEIN DAS GESETZ KÖNIG IST.

Common Sense schlug wie ein Meteorit ein und überschwemmte die Bevölkerung mit revolutionären Ideen. Man schätzt, dass in den ersten beiden Monaten 100.000 Exemplare verkauft wurden, bis Ende 1776 waren es 500.000. Ein entsprechendes Manifest müsste heute in den USA in einer Auflage von 60 Millionen Exemplaren verbreitet werden - was angesichts der großen technologischen Fortschritte bei der Verbreitung des geschriebenen Wortes seit der Zeit von Paine durchaus machbar ist. Common Sense bereitete den Weg für die Unabhängigkeitserklärung, die noch weiter verbreitet wurde und im Juli 1776 der Kontinentalarmee und den staatlichen Milizen unter feierlichem Kanonenfeuer vorgelesen wurde

Originalausgabe von Common Sense

Auf der Grundlage der revolutionären Grundsätze der Erklärung wurde der Unabhängigkeitskrieg geführt und schließlich 1783 gewonnen - zu einem sehr hohen Preis. Im Verhältnis zur Bevölkerung starben in diesem Krieg mehr Amerikaner als in allen anderen Kriegen außer der Zweiten Amerikanischen Revolution, dem Bürgerkrieg. Doch die Frage, wie sich die Amerikaner selbst regieren würden, blieb offen. Die vorherrschende Meinung war, dass es in jeder bestehenden Regierung einen letzten und unteilbaren Träger der Souveränität geben muss. Das monarchische System, das Europa ein Jahrtausend lang beherrscht hatte, fand diesen ultimativen Souverän im König, sei es das „King-in-Parliament“-System Großbritanniens oder die absolutistischen Monarchien in Frankreich, Österreich, Spanien und Russland. Darüber hinaus wurde sogar in der republikanischen Theorie die Auffassung vertreten, dass die Republiken aufgrund der Unteilbarkeit der Souveränität klein sein mussten, wie die der Niederlande und der italienischen Stadtstaaten.

Die britischen Tories machten sich diese Schwäche der amerikanischen Argumentation zu Nutze. Sie forderten die ehemaligen Siedler spöttisch heraus: In welchem der dreizehn neuen Staaten wird die Souveränität liegen? Wer wird in jedem Fall souverän sein? Die Amerikaner haben nach langem Ringen ihre Antwort im ersten Satz der Verfassung gegeben: „Wir, das Volk...“. Das „Volk“ war souverän, nicht der Präsident, nicht die Gerichte, nicht die gewählten Vertreter, nicht einmal die Verfassung - denn, wie Lincoln später betonte, wurde die Verfassung selbst vom „Volk“ auf der Grundlage der Unabhängigkeitserklärung ausgearbeitet.

Zu seiner Zeit war dies eine revolutionäre Doktrin.

Natürlich verdeckte der ungeheure Ideologieüberschuss der ersten bürgerlich-demokratischen Revolutionen die Klassenmotive so, dass sie selbst für die Beteiligten unklar waren. Die besitzenden Klassen glaubten, bei der Ausarbeitung der Verfassung von 1787 für „das Volk“ zu sprechen. Im Jahr 1789 sprachen ihre französischen Äquivalente für „die Nation“. Überall verkündete die bürgerlich-republikanische Ideologie Gleichheit, Brüderlichkeit und die Rechte des Menschen. Doch die Revolutionen ersetzten die alten Formen der Klassenherrschaft stets durch neue. Marx und Engels entwickelten den wissenschaftlichen Sozialismus durch die gründlichste Analyse und vernichtende Kritik - ökonomisch, historisch und politisch - dieser neuen kapitalistischen Ordnung, indem sie den explosiven Widerspruch zwischen ihren Gleichheitserklärungen und der tatsächlichen Existenz brutaler Ausbeutung, einschließlich der Sklaverei, aufdeckten, der zur zweiten amerikanischen Revolution, dem Bürgerkrieg, führte.

Die amerikanische Verfassung, Faksimile des Originals

Obwohl die Verfassung die Klassenherrschaft verbarg - oder besser gesagt, gerade weil sie es tat - erwies sie sich als wirksamer Rahmen für die bürgerliche Demokratie. Es ist eine bemerkenswerte Tatsache, dass Lincoln selbst in den Tiefen des Bürgerkriegs - in dem etwa 750.000 Amerikaner starben - gewissenhaft versuchte, die Verfassung aufrechtzuerhalten. Aus diesem Grund „befahl“ er beispielsweise nicht einfach die Befreiung der Sklaven, sondern berief sich auf besondere Befugnisse als Oberbefehlshaber der Armee im Krieg, um am 1. Januar 1863 die Emanzipationsproklamation zu erlassen - eine Entscheidung, die rassistische Geschichtstheorien bis heute verwirrt.

Innerhalb eines halben Jahrhunderts nach der Ermordung Lincolns nahm das Amt des Präsidenten seine moderne, imperiale Form an. Präsidenten von William McKinley an abwärts haben die Expansion eines amerikanischen Imperiums orchestriert, das die „Einwilligung der Regierten“ für Völker in der ganzen Welt negierte. In den Vereinigten Staaten setzten sie das Militär ein, um Streiks zu brechen, und setzten Polizeispitzel ein, um radikale Gegner zur Strecke zu bringen.

Der Vorläufer des FBI, eine dem Präsidenten unterstellte Polizeibehörde, deren Gründungszweck die Verfolgung von Sozialisten und militanten Arbeitern war, wurde 1908 gegründet. Im Jahr 1947 gründete Präsident Harry Truman die CIA und beauftragte sie mit der Unterwanderung von Revolutionen in der ganzen Welt. In den 1960er Jahren konnte Präsident Johnson sagen, dass sein Vorgänger, Präsident Kennedy, mit der CIA eine „verdammte Mörder-AG“ vom Weißen Haus aus geleitet hatte. Der amerikanische Präsident saß nun an der Spitze eines ausufernden Repressionsapparates, was Präsident Eisenhower dazu veranlasste, in seiner Abschiedsrede 1961 zu warnen:

Die Verbindung eines immensen Militärapparats mit einer großen Rüstungsindustrie ist ein Novum in der amerikanischen Geschichte. Der gesamte Einfluss - wirtschaftlich, politisch und sogar geistig - ist in jeder Stadt, jedem Bundesstaat und jedem Amt der Bundesregierung zu spüren. Wir sind uns der dringenden Notwendigkeit dieser Entwicklung bewusst. Dennoch dürfen wir die schwerwiegenden Folgen nicht übersehen.

Der ein halbes Jahrhundert andauernde Niedergang des amerikanischen Kapitalismus, der in den 1970er Jahren begann und bis heute andauert, ging einher mit der bösartigen Zunahme der sozialen Ungleichheit, die wiederum mit demokratischen Herrschaftsformen immer weniger vereinbar ist. Die Präsidentschaft spielte in dieser Zeit zwei untrennbar miteinander verbundene Rollen. Erstens, als Cockpit der globalen imperialistischen Konterrevolution. Und zweitens, als Sitz der Verschwörung gegen die Rechte des Volkes. In dieser Zeit hat die „imperiale Präsidentschaft“ immer offener und rücksichtsloser agiert.

Präsident Reagan wurde nicht für den Iran-Contra-Skandal bestraft, bei dem eine geheime Finanzierungsoperation für mittelamerikanische Todesschwadronen vom Weißen Haus aus geleitet wurde, was gegen ein Gesetz des Kongresses verstieß. Präsident George W. Bush berief sich auf die „Theorie der einheitlichen Exekutive“, um den so genannten Krieg gegen den Terror zu führen, der es seiner Regierung angeblich erlaubte, das gewaltsame Verschwindenlassen von Verdächtigen in einem internationalen Gulag von Foltergefängnissen zu organisieren, darunter Abu Ghraib im Irak und Guantanamo Bay auf Kuba. Präsident Obama machte 2010 das Vorrecht der Exekutive geltend, US-Bürger, die er zu feindlichen Kämpfern erklärt, zu ermorden (ein Präzedenzfall, den Richterin Amy Coney Barrett in ihrer zustimmenden Stellungnahme in der Rechtssache Trump positiv zitiert.) Präsident Trump hat sich im Jahr 2020 offen damit gebrüstet, die Ermordung eines amerikanischen Demonstranten, Michael Reinoehl, in Portland angeordnet zu haben.

Gefangene des „Kriegs gegen den Terror“ in Guantanamo Bay, Kuba, im Jahr 2002. Nach Ansicht der Bush-Regierung unterlagen die Häftlinge weder der Verfassung noch der Genfer Konvention.

Immer wieder haben die Gerichte der Ausweitung der Macht des Präsidenten zugestimmt. Aber noch nie vor dem Urteil vom Montag wurde ein so dreister Angriff auf die Verfassung von genau der „erhabenen Instanz“ unternommen, die angeblich mit der Wahrung der Verfassung beauftragt ist. Ein Rubikon wurde überschritten. Unter Bedingungen, in denen eine Oligarchie von 1.000 Milliardären den größten Teil des gesellschaftlichen Reichtums kontrolliert, entscheidet der Oberste Gerichtshof nun, dass eine präsidiale Diktatur notwendig ist, um die Politik der amerikanischen herrschenden Klasse durchzuführen: Krieg und soziale Konterrevolution.

Die amerikanische Verfassung ist die älteste geschriebene Verfassung der Welt; die amerikanische Republik ist die älteste ununterbrochen bestehende Republik der Welt. Es ist eine Entwicklung von immenser revolutionärer Tragweite, dass die amerikanische herrschende Klasse das Gebäude, von dem aus sie fast 250 Jahre lang regiert hat, mit der Abrissbirne angreift.

Doch so grundlegend die Gründungsdokumente der Vereinigten Staaten für die Klassenherrschaft auch waren - die heute gefeierte Unabhängigkeitserklärung, die Verfassung und die Bill of Rights - so wichtig ist es, dass sie zu einem tief verwurzelten demokratischen Bewusstsein in der amerikanischen Arbeiterklasse beigetragen haben. Die Verteidigung der demokratischen Grundrechte, die untrennbar mit dem Kampf gegen den imperialistischen Krieg verbunden ist, obliegt nun der Arbeiterklasse. Nur die Arbeiterklasse hat sowohl das Interesse als auch die Mittel, die Demokratie zu verteidigen.

Der britische Parlamentarier Edmund Burke sagte 1775 über die Amerikaner, dass sie „in jeder verdorbenen Brise das Herannahen der Tyrannei erschnüffeln“. Heutzutage kommt die Tyrannei nicht mit einer Brise, sondern mit Sturmstärke. Nach 250 Jahren müssen die amerikanischen Arbeiter ihre revolutionären Traditionen wiederentdecken.

Das republikanische System in den Vereinigten Staaten war die fortschrittliche und revolutionäre Antwort auf die jahrhundertelangen dynastischen Bürgerkriege und religiösen Konflikte, die den Aufstieg der modernen Welt in Europa begleiteten. Ermöglicht wurde dies durch die außerordentlichen sozialen und technologischen Entwicklungen, die mit dem Aufkommen des Kapitalismus einhergingen und welche die sozialen Formen der mittelalterlichen Welt angriffen und „in Luft auflösten“.

Heute erlebt die Welt den schnellsten und explosivsten technologischen Wandel in der gesamten Menschheitsgeschichte, der die Voraussetzungen für die Beseitigung aller Probleme schafft, die die Menschheit seit Anbeginn der Geschichte geplagt haben: Soziale Ungleichheit, Klassenunterdrückung, Krieg, Armut, Krankheit und alle anderen Formen der sozialen Barbarei. Der Kapitalismus reagiert auf diese fortschrittlichen und revolutionären gesellschaftlichen Tendenzen, indem er die „unverdaute Barbarei“ der Jahrhunderte erbricht: Er erklärt Krieg, Diktatur und massenhaftes Sterben zu seinen höchsten Prinzipien.

Es ist die Aufgabe der Arbeiterklasse, die grundlegend fortschrittlichen und revolutionären Veränderungen in der Struktur der Gesellschaft von den Fesseln zu befreien, die ihnen die kapitalistische Barbarei angelegt hat. An diesem 4. Juli wird deutlicher denn je, dass die Arbeiter die wahren Erben der Amerikanischen Revolution sind und dass ihre Aufgabe darin besteht, die Erklärung, dass „alle Menschen gleich erschaffen“ wurden, durch die sozialistische Revolution wieder in Kraft zu setzen.

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