Am Donnerstag wies das Verwaltungsgericht Berlin die Klage der Zeitung Junge Welt (JW) gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht ab. Das Gericht gibt damit dem deutschen Inlandsgeheimdienst recht, der die Zeitung als „linksextremistisch“ beobachtet. Ein entsprechender Eilantrag war bereits im März 2022 abgelehnt worden.
Es handelt sich um einen drastischen Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit mit weitreichenden Implikationen. Im Raum steht, dass jegliche linke Publikation, die nicht die Meinung der herrschenden Klasse vertritt, verboten werden könnte.
Das Urteil zielt darauf ab, gerichtlich festzustellen, dass die Zeitung „verfassungsfeindlich“ sei und „zurecht“ unter geheimdienstlicher Beobachtung stehe. Welche weitreichenden Folgen dies haben kann, zeigt das Verbot des rechtsextremen Magazins Compact, das am Dienstag mit sofortiger Wirkung gesperrt und vom Innenministerium eingezogen wurde.
Bereits jetzt sind die Grundrechte der Jungen Welt enorm eingeschränkt. Ihre Nennung im jährlichen Bericht des Geheimdiensts hat zur Folge, dass Interviewpartner und Leser abgeschreckt und die Berufsausübung der Journalisten und Herausgeber allgemein erschwert und behindert wird. Die Klägerin hatte daher gefordert, die Nennung der Zeitung in 23 Verfassungsschutzberichten seit 1998 aufzuheben. Verlagsgeschäftsführer Dietmar Koschmieder erklärte im Anschluss an das Urteil, man werde einen Antrag auf Zulassung der Berufung stellen und gegebenenfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof ziehen.
Der Vorsitzende Richter Wilfried Peters argumentierte von Anfang an für die Sichtweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) und hätte ebenso gut auf der Bank der Beklagten Platz nehmen können. Die scharfen Argumente der Anwältin Anja Heinrich quittierte er mit einem süffisanten Lächeln und machte keinen Hehl aus seiner Auffassung, dass sozialistische und marxistische Politik in Deutschland verboten sein sollte.
Der Beklagtenseite folgend, argumentierte Peters, dass die Zeitung einen „Klassenstandpunkt“ vertrete und sich positiv auf Marx und Lenin beziehe. Dies sei bereits verfassungswidrig. Die Junge Welt könne sich nicht auf die Pressefreiheit berufen, weil sie sich nicht auf die Herausgabe einer Zeitung beschränke, sondern durch die Ausrichtung einer jährlichen Konferenz gegen den Kapitalismus „politische Bestrebungen“ an den Tag lege, die „gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ gerichtet seien.
Wenn dies die Maßstäbe sind, die an Pressearbeit angelegt werden, dann kann jede Zeitung als politische Vereinigung bezeichnet und geheimdienstlich verfolgt werden. Die grundgesetzlich „garantierte“ Pressefreiheit ist dann bloße Makulatur. Selbst der Publizist und Welt-Journalist Deniz Yücel bekräftigte das „Recht der sozialistischen Tageszeitung Junge Welt, gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz und ihre Erwähnung in den Berichten der Behörde zu klagen“ und stellte fest: „Eine grundsätzliche Kritik am Kapitalismus ist nicht nur legitim, sie ist auch durch das Grundgesetz geschützt.“
Tatsächlich ist das Vorgehen gegen die Junge Welt ein klarer Fall von Gesinnungsjustiz und wurde ausschließlich mit politischen Motiven gerechtfertigt. So erklärte das Gericht, die Zeitung lasse „linksextremistische Autoren“ zu Wort kommen, weise Bezüge zu Organisationen des „linksextremistischen Spektrums“ auf und habe sich in Teilen ihrer Berichterstattung über politische Kräfte, die Gewalt befürworten, angeblich nicht ausreichend von diesen distanziert.
Klägeranwältin Heinrich stellte dem entgegen, dass eine positive Bezugnahme auf Marx und Lenin nicht gleichbedeutend mit der Ideologie des „Marxismus-Leninismus“ sei, die mit dem KPD-Urteil von 1956 unter anderem wegen des Eintretens für eine Ein-Parteien-Diktatur für verfassungswidrig erklärt wurde. Zudem sei laut diesem Urteil lediglich „der Marxismus-Leninismus in der von Stalin geprägten Deutung“ verfassungswidrig. Die wirkliche Frage laute, ob die Junge Welt ein System propagiere, das dem Demokratieprinzip gegenüber feindlich sei. Dies sei nicht der Fall und werde von der Gegenseite auch nicht vorgetragen.
In seinem Urteil beharrte Peters darauf, dass das BfV die angeblich linksextreme Gesinnung zahlreicher JW-Autoren und -Redakteure aufgezeigt habe und erklärte, dass Lenin als historische Figur die grundgesetzliche Ordnung „in energischster Weise bekämpft“ hätte. Mit dieser Art der historischen Dekontextualisierung könnte man auch Abraham Lincoln vorwerfen, die demokratische Grundordnung attackiert zu haben! Mit dieser üblen Geschichtsklitterung rechtfertigt der Richter die Kriminalisierung jeder positiven Bezugnahme auf Lenin.
Darüber hinaus legte Peters den Streitwert des Verfahrens auf eine besonders hohe Summe von 115.000 Euro fest, wonach sich auch die Anwalts- und Gerichtskosten richten. Eigentlich beträgt der übliche Streitwert bezüglich der Verfassungsschutzberichte 5.000 Euro – doch weil es um insgesamt 23 – allerdings nahezu gleichlautende – Berichte gehe, seien diese Beträge zu kumulieren. Die Folge ist, dass die JW-Herausgeber nun hohe Summen an das Gericht überweisen müssen, obwohl die juristische Auseinandersetzung fortgesetzt wird und das Urteil noch nicht rechtskräftig ist. Jede weitere Instanz kostet den Verlag entsprechend mehr Geld.
Vor demselben Gericht und demselben Richter hatte die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) im November 2021 davor gewarnt, dass die herrschende Klasse Deutschlands an die reaktionäre Tradition des Gesinnungsjustiz anknüpft, wenn sie die Partei geheimdienstlich überwache und als verfassungsfeindlich brandmarke. Die Argumentation, die der Geheimdienst gegen die SGP ins Feld führt, so der Vorsitzende Christoph Vandreier, schaffe „die Grundlage für die geheimdienstliche Überwachung und Ächtung von Buchläden, die marxistische Literatur anbieten, kritischen Wissenschaftlern und streikenden Arbeitern“. Schließe sich die Justiz dieser Auffassung an, sei dies „der Schritt in einen Polizeistaat“.
Vandreier wies die Auffassung zurück, dass die staatliche Obrigkeit die Hüterin der Demokratie sei:
Ganz im Gegenteil wurden in diesem Land demokratische Grundrechte fast ausschließlich von der revolutionären Arbeiterbewegung erkämpft, die diesen Prinzipien folgte. So war es die marxistische Sozialdemokratie, die gegen das preußische Dreiklassenwahlrecht eintrat, und erst die revolutionäre Erhebung der Arbeiter und Soldaten 1918 erkämpfte schließlich überhaupt freie und gleiche Wahlen in Deutschland.
Die SGP verteidige die demokratischen Grundrechte und trete dafür ein, „sie endlich vollständig zur Geltung zu bringen, indem der Privatbesitz an den Produktionsmitteln abgeschafft und die Wirtschaft demokratisiert wird.“
Die Behauptung des Innenministeriums, eine marxistische Klassenanalyse widerspreche der Menschenwürde, sei der Tradition der Bismarckschen Sozialistengesetze und des Willensstrafrechts der Nazis entlehnt: „Demnach verstoßen nicht Kinderarmut, Obdachlosigkeit oder das Massensterben in der Corona-Pandemie gegen die Menschenwürde, sondern das Benennen dieser schreienden sozialen Ungleichheit.“
Die SGP fordert die Auflösung des deutschen Geheimdienstapparats, die sofortige Streichung der Jungen Welt und aller anderen linken Medien und Gruppierungen aus dem Verfassungsschutzbericht und ruft alle Leserinnen und Leser auf, den Angriffen auf die demokratischen Grundrechte aktiv entgegenzutreten. Unterstützt die Verfassungsbeschwerde der SGP gegen die Kriminalisierung des Marxismus und unterzeichnet unsere Petition auf change.org.