Perspektive

Was der Amoklauf in Winder, Georgia, offenbart

Trauernde beten während einer Mahnwache bei Kerzenlicht für die getöteten Schüler und Lehrer der Apalachee High School, in Winder, Georgia [AP Photo/Mike Stewart]

Ein Amoklauf an einer Schule in den USA hat erneut, wie schon in den letzten 25 Jahren, die grausame Gewalt vor Augen geführt, die unter der Oberfläche der amerikanischen Gesellschaft liegt. Der mutmaßliche Schütze, Colt Gray, gerade einmal 14 Jahre alt, brachte an seinem zweiten Tag an der Apalachee High School eine halbautomatische Waffe mit in die Schule, an die er erst gerade gewechselt war.

Bei den Opfern handelte es sich um zwei 14-jährige Schüler, Mason Schermerhorn und Christian Angulo, sowie um zwei Mathematiklehrer, Richard Aspinwall (39), der auch stellvertretender Football-Trainer war, und Christina Irimie (53), die in den 1990er Jahren aus Rumänien in die USA gekommen war. Sieben weitere Schüler und zwei Lehrer wurden verwundet, ihre Verletzungen sind jedoch nicht lebensbedrohlich.

Am Donnerstagabend wurde der 54-jährige Vater des mutmaßlichen Schützen, Colin Gray, verhaftet und wegen vierfachen fahrlässigen Totschlags, zweifachen Mordes mit bedingtem Vorsatz (second-degree murder) und achtfacher Kindesmisshandlung angeklagt. Nur wenige Stunden später wurde auch gegen seinen Sohn Anklage wegen vierfachen Mordes erhoben; der 14-Jährige wird vor Gericht nach Erwachsenenstrafrecht behandelt.

Die Verhaftung des Vaters erfolgte, nachdem dieser dem Georgia Bureau of Investigation mitgeteilt hatte, dass er das halbautomatische Gewehr des Typs AR-15, das an der High School verwendet wurde, gekauft und seinem Sohn im Dezember letzten Jahres zu Weihnachten geschenkt hatte.

Die Polizei hatte Colin und Colt Gray im Mai 2023 in ihrem Haus aufgesucht, nachdem das FBI einen anonymen Hinweis erhalten hatte, dass ein Schüler der Jefferson Middle School, die Colt damals besuchte, mit einem bewaffneten Angriff drohte. Colt lebte nach der kürzlichen Scheidung der Eltern bei seinem Vater.

Die in den sozialen Medien geposteten Drohungen wurden zu einem von Colt Gray eröffneten Account zurückverfolgt, aber er behauptete, diesen gelöscht zu haben, weil er gehackt worden sei, und bestritt, die Drohungen ausgesprochen zu haben. Sein Vater sagte der Polizei, dass Colt keinen „unbeaufsichtigten“ Zugang zu den Jagdgewehren hatte, die er besaß.

Nur zwei Monate vor den Präsidentschaftswahlen in den USA ist das Massaker in Georgia zu einem gefundenen Fressen für die beiden großen kapitalistischen Parteien geworden, die den Verlust von Menschenleben bedauerten und dabei Scheinheiligkeit mit ihrer üblichen politischen Phrasen verbanden.

Im Gegensatz zu der von Donald Trump verbreiteten faschistoiden Propaganda gegen Immigranten war es kein „illegaler Ausländer“, der die Morde an der Apalachee High School verübt hat. Es war ein 14-jähriges Kind, das in Georgia geboren wurde. Trump bezeichnete den Jungen als „krankes und gestörtes Monster.“ Vielleicht hat er dabei in den Spiegel geschaut. Doch diese Beschreibung erklärt das schreckliche Ereignis in Georgia ebenso wenig wie die Gefahr, die von Trumps faschistoiden Machtbestrebungen ausgeht.

Was die Demokraten betrifft, so holten Joe Biden und Kamala Harris die altbekannten Gebete und Appelle hervor, man müsse die Verfügbarkeit von halbautomatischen Waffen einschränken. Harris sagte: „Wir müssen das stoppen. Es muss nicht so sein.“ Bei anderen Gelegenheiten hat sie erklärt, Amokläufe in Schulen seien „nicht das, was dieses Land ausmacht.“

Aber es gibt nichts „Amerikanischeres“ als ein Massaker an Schülern und Lehrern mit einer Schusswaffe. Laut einer von der Washington Post geführten Datenbank gab es in den letzten 25 Jahren 416 solcher Angriffe, die bis zum Amoklauf an der Columbine High School in Littleton (Colorado) im Jahr 1999 zurückreichen.

Seitdem waren fünf Präsidenten im Amt – Clinton, Bush, Obama, Trump und Biden – drei Demokraten und zwei Republikaner. In diesen 25 Jahren haben die Republikaner den Kongress elf Jahre lang kontrolliert, die Demokraten sechs Jahre lang, und acht Jahre lang kontrollierte je eine Partei eine der beiden Kammern. Die Zahl der Amokläufe an Schulen hat in diesem Zeitraum stetig zugenommen.

Jede dieser Tragödien hat natürlich ihre eigenen Besonderheiten. Colt Gray ist die jüngste Person, die jemals wegen mehrfachen Mordes bei einem Amoklauf an einer Schule angeklagt wurde. Er hatte es eindeutig nicht auf bestimmte Personen abgesehen, denn es war erst sein zweiter Tag an seiner neuen Schule. Aus demselben Grund war seine Tat offensichtlich auch keine Reaktion auf Mobbing oder andere Misshandlungen. Seine Tante sagte der Presse, er habe mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt.

Entscheidend sind jedoch nicht die besonderen Merkmale solcher Ereignisse, sondern ihre Gemeinsamkeiten. Sie alle sind das Produkt einer Gesellschaft, die sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Zerfalls befindet, mit der größten Kluft in der Geschichte der Menschheit zwischen dem Reichtum derjenigen, die an der Spitze stehen, und dem täglichen Kampf um die Existenz der großen Mehrheit, die diesen Reichtum produziert.

Der schrecklichste Ausdruck dieser sozialen Krise ist die Hinwendung des amerikanischen Imperialismus zum Weltkrieg, um seine globale Vorherrschaft trotz seines wirtschaftlichen Niedergangs zu erhalten. Kinder wie Colt Gray haben ihr ganzes Leben in einer Zeit verbracht, in der Amerika sich im Krieg befindet. Gewalt ist die wichtigste Aktivität der US-Regierung im Ausland und eine der wichtigsten Aktivitäten der Regierungen in Washington und in den Bundestaaten im Inland. Mehr als 1.000 Menschen werden jedes Jahr von der Polizei getötet. Darüber hinaus mussten Colt Gray und andere seiner Generation mit ansehen, wie fast 1,5 Millionen Amerikaner an einem vermeidbaren Virus starben, einer Pandemie, die die herrschende Klasse nicht bekämpfen wollte, weil sie ihre Profite einschränken würde.

Die demokratische Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris erklärte: „Wir müssen die Epidemie der Waffengewalt in unserem Land ein für alle Mal beenden.“ Aber Amerika ist der größte Förderer und Verursacher von „Waffengewalt“ auf der ganzen Welt, vom Waffenexport bis hin zur Kriegsführung in all ihren Formen. Während Harris die „Waffengewalt“ in einer High School in Georgia beklagt, begrüßt sie mit Begeisterung die weitaus schlimmere Gewalt in den Schulen von Gaza, wo Zehntausende abgeschlachtet wurden.

Joseph Kishore, der Präsidentschaftskandidat der Socialist Equality Party, hat in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung auf die sozialen und politischen Faktoren hingewiesen, die hinter der Epidemie von Amokläufen an Schulen stehen. Zusätzlich zu den endlosen und sich ausweitenden Kriegen stellte er fest: „Die Normalisierung des Massensterbens in der Pandemie war eine prägende Erfahrung für junge Menschen, mit mehr als 1,4 Millionen Toten allein in den USA aufgrund der vorsätzlichen Verweigerung grundlegender öffentlicher Gesundheitsmaßnahmen durch die amerikanische herrschende Klasse.“

„Das politische System befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium der Degeneration“, erklärte Kishore, „eine der Parteien der herrschenden Klasse, die Republikaner, wird von einem faschistischen Demagogen angeführt, und die andere, die Demokraten, ist ganz auf die Eskalation des Krieges ausgerichtet. Das gesamte offizielle politische Klima und die Kultur versinken in Dreck und Schmutz, wobei die Verherrlichung des Reichtums im Mittelpunkt steht, während sich die wirtschaftliche und soziale Krise für die breite Masse der Bevölkerung verschärft.“

Weder unter einer demokratischen noch unter einer republikanischen Regierung wird es ein Ende der Amokläufe an Schulen geben. Nur wenn die Arbeiterklasse einen unabhängigen politischen Kampf gegen die eigentliche Ursache aller Gewalt und Unterdrückung – den Kapitalismus und das System aus Nationalstaaten – aufnimmt, können solche Ausdrucksformen sozialer Pathologie überwunden werden.

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