Gut drei Wochen vor dem Wahltag in den Vereinigten Staaten machen sich innerhalb der Demokratischen Partei Sorgen über die Wahlchancen der Harris-Kampagne breit. Die Welle der Begeisterung, die von den Medienkommentatoren nach der Auswechselung von Biden durch Harris allgemein vorausgesagt wurde, ist nicht eingetreten. Ein Interview der New York Times vom 7. Oktober ist mit der nervösen Frage überschrieben: „Wie kann es sein, dass die Wahl so knapp ausfällt?“
Obwohl Trump bereits angekündigt hat, dass er den am 6. Januar 2021 mit dem Sturm auf das Kapitol begonnenen Putschversuch zu Ende bringen will, besteht eine sehr reale Möglichkeit, dass er ein zweites Mal Präsident wird. Die Umfragen zeigen ein statistisches Unentschieden. Das Rennen wird sicherlich knapp genug sein, um Trump einen Grund für die falsche Behauptung zu geben, dass jeglicher Vorsprung zugunsten von Harris auf die Stimmen „illegaler Einwanderer“ zurückzuführen ist, um damit seinen Plan ins Rollen zu bringen, die Wahl zu stehlen, falls er bei den Stimmen des Wahlmännerkollegiums unterliegen sollte. Harris liegt in den Umfragen weit hinter der Stimmenzahl zurück, die Hillary Clinton und Joe Biden zum gleichen Zeitpunkt drei Wochen vor den Wahlen 2016 und 2020 in den wichtigen Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan und Wisconsin auf sich vereinen konnten. In diesen hart umkämpften „battleground states“ hatte Clinton verloren und Biden nur knapp gewonnen. Laut Kandidaten der Demokraten bestätigen interne Umfragen diese Befürchtungen. Die Senats-Kandidatin Elissa Slotkin erklärte, Harris’ Wahlkampf in Michigan stehe „unter Wasser“.
Vor diesem Hintergrund entsandte die Demokratische Partei den ehemaligen Präsidenten Barack Obama nach Pittsburgh (Pennsylvania), wo er seine erste öffentliche Rede für die Harris-Kampagne hielt. Vor der Rede sprach Obama zudem mit freiwilligen Harris-Wahlkämpfern in einem Wahlkampfbüro im Stadtteil East Liberty.
Obama begann seine Rede mit folgenden Worten:
Diese Wahl wird knapp werden, weil viele Amerikaner immer noch kämpfen und danach streben, das Leben für sich, ihre Familien und ihre Kinder zu einem besseren zu machen. Wir haben in den letzten Jahren eine Menge durchgemacht. Eine historische Pandemie hat Gemeinden und Unternehmen stark in Mitleidenschaft gezogen, die Preise in die Höhe getrieben und die Familienbudgets belastet. Es herrscht das Gefühl, dass die Wünsche der arbeitenden Bevölkerung hinter den Prioritäten der Reichen und Mächtigen zurückstehen.
Der ehemalige Präsident gehört natürlich nicht zu denen, die darum kämpfen müssen, über die Runden zu kommen. Nachdem Obama die Schlüssel des Weißen Hauses an Trump übergeben, ihm „viel Glück“ gewünscht und die Wahl 2016 als „intramural scrimmage“, d. h. als Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern des gleichen Teams, bezeichnet hatte, verabschiedete er sich mit dem Milliardär Richard Branson zum Jetski fahren in die Karibik. Im Jahr 2017 wurde er für drei Reden mit 2 Millionen Dollar entlohnt und 2018 unterzeichnete er einen 50-Millionen-Dollar-Vertrag, um Filme für Netflix zu drehen.
Dennoch sind Obamas Äußerungen ein Ausdruck echter Besorgnis in der herrschenden Klasse über die wachsende soziale Unzufriedenheit angesichts der wirtschaftliche Lage und die Wut über die soziale Ungleichheit. In den letzten Jahren wuchsen mächtige Streiks und soziale Kämpfe unter den Industriearbeitern im Zentrum des Produktionsprozesses immer mehr an, u. a. bei der Bahn, in der Autoindustrie, in der Luft- und Raumfahrt, bei UPS und in den Häfen.
Die Demokratische Partei ist von der Angst getrieben, dass die potenzielle Macht einer anwachsenden Bewegung der Arbeiter den Fluss der Profite stören oder dafür sorgen könnte, dass der US-Imperialismus nicht mehr in der Lage ist, Kriege im Ausland zu führen. Deshalb ist die Demokratische Partei unfähig, einen echten Appell an die „Bestrebungen der arbeitenden Menschen“ zu richten, auf die sich Obama in seiner Rede bezog.
Stattdessen begann er mit einer herablassenden Denunziation schwarzer Männer aus der Arbeiterklasse und unterstellte ihnen, dass sie frauenfeindlich seien, weil sie nicht in ausreichender Zahl für Harris stimmten:
Nach den Berichten, die ich aus dem Wahlkampf und von den Gemeinden bekomme, habe ich den Eindruck, dass wir noch nicht in allen Vierteln unserer Stadtteile und Gemeinden die gleiche Energie und Beteiligung sehen, wie zu meiner Zeit als Kandidat. Dies scheint bei den Brüdern noch ausgeprägter zu sein.
An die Adresse der schwarzen Männer gerichtet, sagte Obama: „Ihr kommt mit allen möglichen Gründen und Ausreden“ – eine schräge Anspielung auf die Klagen über die wirtschaftlichen Bedingungen. Dann fuhr er fort: „Ein Teil davon führt mich zu der Annahme, dass ihr den Gedanken einfach nicht fühlen könnt, eine Frau als Präsidentin zu haben.“ Der ehemalige Oberbefehlshaber tat so, als stehe er mitten unter den schwarzen Jugendlichen aus der Arbeiterklasse, die sich gegen Polizeigewalt wehren, und sagte: „Wenn wir in Schwierigkeiten geraten und das System nicht für uns funktioniert, sind sie [schwarze Frauen] diejenigen, die da draußen marschieren und protestieren.“ Er beendete seine Predigt, indem er Harris als jemanden bezeichnete, „der wie ihr aufgewachsen ist, der euch kennt, der mit euch aufs College gegangen ist, der die Kämpfe, den Schmerz und die Freude versteht, die aus diesen Erfahrungen kommen.“
Es hat etwas zutiefst Antidemokratisches und Widerwärtiges an sich, wenn dieser millionenschwere, schwarze Vertreter des amerikanischen Imperialismus schwarzen Arbeitern erklärt, dass sie Harris ihre Stimme schulden würden, weil sie derselben, auf ihrer Hautfarbe begründeten „Gemeinschaft“ angehörten. Obama selbst spielt mit rassistischen Vorurteilen, wenn er schwarze Männer als „Frauenfeinde“ beschimpft, falls sie im November nicht wählen gehen.
Was Obama als „Ausreden“ abqualifiziert, ist in Wirklichkeit legitime Wut über brennende soziale Probleme, die in der gesamten Arbeiterklasse zu spüren sind. Die obersten 10 Prozent der Haushalte besitzen 67 Prozent des Vermögens, während die unteren 50 Prozent nur 2,5 Prozent besitzen. Über 20 Millionen Menschen sind weltweit an Covid-19 gestorben und in den Vereinigten Staaten sinkt zum ersten Mal in der Geschichte die Lebenserwartung.
Was die schwarzen Männer betrifft, so haben nur 27 Prozent einen Hochschulabschluss. Ein Fünftel der afroamerikanischen Männer lebt unterhalb der nationalen Armutsgrenze, und einer von 15 ist derzeit inhaftiert. Die ehemalige Staatsanwältin Harris hat sich zu der Hinrichtung von Marcellus Williams, einem unschuldigen Afroamerikaner, in Missouri noch nicht einmal geäußert.
Diese Zustände sind das Ergebnis der jahrzehntelangen Abkehr der Demokratischen Partei von den Sozialprogrammen des New Deal und der Great Society, jeweils Programme, die den Übergang der Afroamerikaner von den Republikanern auf die Seite der Demokraten in der Mitte des Jahrhunderts erst ermöglicht haben. Stattdessen haben die Demokraten jene Art von Politik übernommen, die mit ihrer Betonung von Hautfarbe und Geschlecht die rechte, imperialistische Karriere von Barack Obama hervorgebracht hat.
Trump und die Republikanische Partei schlachten nun die Desillusionierung der Afroamerikaner über die Demokratische Partei aus – ein Prozess, der sich über einen längeren Zeitraum vollzog und in den Wahlergebnissen von 2016 deutlich wurde.
Trump und sein Vizepräsidentschaftskandidat J.D. Vance haben in demagogischer Weise die Massenentlassungen kritisiert, die kürzlich in der gesamten Automobilindustrie durchgesetzt wurden. Betroffen ist auch Stellantis, wo letzte Woche 2.400 Arbeiter im Warren Truck Assembly Plant in einem Vorort von Detroit entlassen wurden. Einige Tage später sagte Vance auf dem Eastern Market in Detroit: „Ich glaube, die Autoarbeiter in Michigan würden sich mir anschließen, wenn ich sage, dass wir unsere eigenen Autos bauen müssen und dass die Amerikaner fahren können, was sie wollen, denn dies sind die Vereinigten Staaten von Amerika und wir glauben an die Freiheit.“ Trump und Vance verbinden diese nationalistische Demagogie mit faschistischen Angriffen auf Einwanderer, die Trump beschuldigt hat, sie würden Afroamerikanern die Arbeitsplätze „stehlen“.
Die Socialist Equality Party (SEP), die Schwesterpartei der Sozialistischen Gleichheitspartei in den USA, weist die faschistische Demagogie von Trump und die Kriegstreiberei von Obama, Harris und den Demokraten, die mit rassistischen Untertönen daherkommt, zurück. Die Möglichkeiten, dass ein revolutionäres Programm Gehör findet, werden größer. Dies zeigt sich im wachsenden Einfluss und der wachsenden Autorität des IKVI auf internationaler Ebene und der SEP in den USA.