Am Freitag, den 13. Dezember, wurden 15 Mitglieder der Sozialistischen Arbeiterpartei (SLP), die sich selbst als trotzkistisch bezeichnet, darunter ihre Vorsitzende, sowie vier Mitglieder der Gewerkschaft Energie, Industrie und Bergbau und der Vereinigten Transportgewerkschaft bei Polizeirazzien verhaftet und der Mitgliedschaft in einer „terroristischen Organisation“ beschuldigt. Drei der Verhafteten wurden letzten Dienstag unter Hausarrest gestellt, während die anderen unter richterlicher Aufsicht freigelassen wurden.
Die Sozialistische Gleichheitsgruppe (Sosyalist Eşitlik Grubu, SEG) verurteilt diese polizeistaatliche Aktion aufs Schärfste und fordert die Einstellung des Verfahrens sowie die sofortige Aufhebung des Hausarrests. Die SLP und ihre Mitglieder, die mit fingierten Terrorismusvorwürfen in Verbindung gebracht werden, haben demokratische Grundrechte, darunter das Recht auf politische Betätigung. Diese Rechte müssen von der Arbeiterklasse mit Nachdruck verteidigt werden.
Dieses haltlose Vorgehen ist Teil zunehmender Polizeistaatsmaßnahmen gegen die politische Opposition in der Türkei. Sie findet zu einem Zeitpunkt statt, zu dem die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan ihre Angriffe auf die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen der Arbeiterklasse intensiviert und sich auf einen Krieg im Nahen Osten, vor allem in Syrien, vorbereitet. Am gleichen Tag, an dem die Operation stattfand, erließ Erdoğan ein Dekret, durch das Streiks der Metallarbeiter faktisch verboten wurden. In den letzten Monaten sind viele gewählte kurdische Bürgermeister abgesetzt und viele Menschen verhaftet worden, die an Protesten gegen die Komplizenschaft der Regierung beim israelischen Völkermord in Gaza teilnahmen.
Die Vorsitzende der SLP, Güneş Gümüş, erklärte am Mittwoch in einer Presseerklärung, die Gruppe sei Opfer eines umfangreichen Komplotts geworden. Laut den Akten seien die verhafteten Mitglieder vier Jahre lang physisch verfolgt worden. Die Polizei habe Telefonate, Social-Media-Konten und Finanzunterlagen von Parteimitgliedern untersucht. Legale Parteiaktivitäten wie „Besuche bei streikenden Arbeitern, Frauenaktivitäten, Sommercamps oder Interviews“ seien als strafrechtliche Beweise vorgelegt worden.
Gümüş erklärte, Mitglieder ihrer Partei seien beschuldigt worden, einer „bewaffneten terroristischen Organisation“ anzugehören, die unwahrheitsgemäß „Trotzkisten, 4. Linker Aufbau (Bolschewik-Trotzki)“ bezeichnet wurde. Sie fügte hinzu, die Akten enthielten nicht einmal ein Foto von einer Steinschleuder als Waffe. Fotos von Picknicks, Sommerschulungen oder vom Teetrinken in einem Kulturzentrum seien als Beweise für das „Verbrechen“ gezeigt worden.
Sie fügte hinzu, der Vorstand der SLP für die Provinz Izmir sei ohne jegliche Vorsichtsmaßnahmen in Begleitung eines verdeckten Ermittlers per Flugzeug nach Ankara gebracht worden, obwohl ihnen Mitgliedschaft in einer „bewaffneten Terrororganisation“ vorgeworfen wurde. Dies deute darauf hin, dass sogar die ausführenden Sicherheitskräfte wussten, dass die Anschuldigungen erfunden sind.
Der Rechtsanwalt Cenk Yiğiter beschrieb den Fall auf seinem X/Twitter-Account als Beispiel für schwarzen Humor. Er schrieb, die einzige Grundlage dafür, die SLP als „illegale Organisation mit legalem Anschein“ darzustellen sei das Telefonat eines 24-Jährigen gewesen, der gerade der Partei beigetreten war. Er hatte am Telefon mit seinem ehemaligen Lehrer darüber gescherzt. Dieser zog den jungen Mann mit den Worten auf: „Du bist also Revolutionär geworden, als ob du irgendwas schaffen könntest.“ Darauf antwortete der 24-Jährige, ebenfalls scherzhaft: „Wir werden mit einem bewaffneten Volksaufstand die Macht übernehmen.“
In diesem Jahr hat die polizeistaatliche Unterdrückung zugenommen, vor allem nach den Verhandlungen über eine „Entspannung“ zwischen Erdoğan und dem Vorsitzenden der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP), Özgür Özel, nach den Kommunalwahlen am 31. März. Diese Annäherung zwischen Erdoğan und der CHP war Teil der Bestrebungen der herrschenden Elite, angesichts der Verschärfung des Kriegs im Nahen Osten die „innere Front zu stärken“, wie es Erdoğan später formulierte.
Am 1. Mai hatte die Regierung den Taksim-Platz trotz eines Urteils des Verfassungsgerichts rechtswidrig sperren lassen. Die Polizei ging mit Gewalt und Vergeltungsmaßnahmen wie Verhaftungen gegen Arbeiter und Jugendliche vor, die dennoch auf dem Platz zu feiern versuchten.
Die kurdisch-nationalistische Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker (DEM), von der mehrere gewählte Bürgermeister abgesetzt und durch Treuhänder ersetzt wurden, gab bekannt, dass im Verlauf des letzten Jahres 3.128 ihrer Mitglieder festgesetzt und 409 verhaftet wurden.
Letzten Monat wurden neun Menschen verhaftet, die gegen Erdoğan protestierten, weil die Türkei weiterhin mit Israel Handel treibt und Öl liefert. Zuvor hatte die Regierung Mitglieder der Gruppe „Tausend Jugendliche für Palästina“ verhaftet, die zum Abbruch der Beziehungen zu den Zionisten aufgerufen hatten. Ein palästinensischer Student wurde in ein Haftzentrum gebracht und mit Abschiebung bedroht, weil er bei einer Podiumsdiskussion über Palästina, die von TRT World organisiert wurde, gegen die Vermittlung der Türkei bei Öllieferungen von Aserbaidschan an Israel protestiert hatte.
Ende November waren mehr als 200 Menschen inhaftiert worden, darunter Gewerkschafter, Journalisten und Rechtsanwälte. Fünf Personen, darunter die Vizepräsidentin der unabhängigen Revolutionären Textilarbeitergewerkschaft, Fatma Alökmen, und zwei Arbeiter wurden unter fingierten Anschuldigungen verhaftet.
Die Erdoğan-Regierung nutzt Inhaftierungen, Verhaftungen und Prozesse ohne jegliche Rechtsgrundlage, um politische Opposition zu unterdrücken und zu kriminalisieren. Das jüngste Vorgehen gegen die SLP hat jedoch einen anderen Aspekt: Zum ersten Mal wurde ein so umfangreicher Prozess und ein Polizeieinsatz gegen eine Partei organisiert, die sich selbst als „trotzkistisch“ bezeichnet.
Die Sozialistische Gleichheitsgruppe hat umfassend dokumentierte, grundlegende historische und politische Differenzen mit der Sozialistischen Arbeiterpartei. Aber ungeachtet dieser Differenzen ist der Versuch des Staates, den Trotzkismus in den Augen von Arbeitern und Jugendlichen zu diskreditieren, indem er ihn mit Terrorismus gleichsetzt, eine ernsthafte politische Bedrohung.
Die SEG ruft Arbeiter und Jugendliche dazu auf, ein Ende aller politischen Prozesse, die die Regierung als Unterdrückungsmittel einsetzt, und die Freilassung aller politischen Gefangenen zu fordern und sorgfältig die Geschichte und Perspektiven des Trotzkismus zu studieren, die auf der World Socialist Web Site dokumentiert sind.