Brasilien: Ex-Präsident Jair Bolsonaro wegen faschistischen Putschversuchs angeklagt

Der ehemalige brasilianische Präsident Jair Bolsonaro und die Befehlshaber der Streitkräfte – Admiral Almir Garnier Santos (Marine), General Paulo Sergio Nogueira (Heer) und Oberstleutnant Carlos de Almeida Baptista Junior (Luftwaffe) [Photo: Marcos Corrês/PR]

Am Dienstag wurde gegen den ehemaligen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro und 33 weitere Personen vom brasilianischen Generalstaatsanwalt (PGR) Anklage erhoben wegen des Versuchs eines Staatsstreichs und der gewaltsamen Abschaffung des demokratischen Rechtsstaats in einem Komplott, das zum faschistischen Aufstand vom 8. Januar 2023 in Brasilia führte.

Sobald das brasilianische Oberste Bundesgericht (STF) die Anklage akzeptiert, was vermutlich in den nächsten Wochen passieren wird, werden die Beschuldigten zu Angeklagten in einem Strafverfahren und müssen mit Haftstrafen von bis zu 30 Jahren rechnen.

Die Anklage gegen Bolsonaro und seine Komplizen stützt sich auf das umfangreiche Beweismaterial, das die Bundespolizei (PF) in einem fast 900-seitigen Bericht zusammengetragen hat, der im November letzten Jahres veröffentlicht wurde.

Die Beweise zeichnen ein düsteres Bild der militärisch-faschistischen Kabale, die unter der Bolsonaro-Regierung an der Spitze des brasilianischen Staates stand. Es lässt sich nicht leugnen, dass ihre Wurzeln tief in die Streitkräfte hineinreichen. Unter den Angeklagten befinden sich 23 Militärangehörige, darunter sieben Generäle und ehemalige Kommandanten der Streitkräfte.

Der Generalstaatsanwalt kam zu dem Schluss, dass diese Gruppe für die planmäßige Führung „eines konspirativen Komplotts, das gegen die demokratischen Institutionen bewaffnet und ausgeführt wurde“, verantwortlich ist.

Wie der Bericht feststellt, begann die Verschwörung zur Errichtung einer Diktatur in Brasilien schon lange vor den Wahlen von 2022. Ursprünglich ging es schwerpunktmäßig darum, die Gewaltenteilung abzuschaffen, der Exekutive absolute Befugnisse zu verschaffen und den Versuch, Brasiliens Wahlsystem zu diskreditieren.

Ein beträchtlicher Teil der Beweise, die von der PF entdeckt wurden, stammt aus dem außergerichtlichen Vergleich mit Oberst Mauro Cid, der als Bolsonaros Adjutant für die Koordinierung des Putsches zwischen dem Präsidentenpalast Planalto und dem Militär verantwortlich war.

Cid erklärte, dass der ehemalige Präsident und seine Verbündeten nach seiner Wahlniederlage 2022 einen systematischen Plan ausarbeiteten, um die Wahlen zu kippen, einen Ausnahmezustand auszurufen, der die Macht in die Hände des Militärs legen und die rechtlichen Grundlagen für die Errichtung einer Diktatur schaffen sollte.

Zu diesen Plänen, die in den bei den Angeklagten beschlagnahmten Dokumenten detailliert beschrieben wurden, gehörten die Ermordung des gewählten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei (PT), seines Vizepräsidentschaftskandidaten Geraldo Alckmin und des Ministers Alexandre de Moraes, damals Präsident des Obersten Wahlgerichts (TSE).

Ein Dokument mit dem Titel „Grüner und gelber Dolch“ von General Mario Fernandes, einem der wichtigsten Verschwörer des Putsches, schilderte unterschiedliche Möglichkeiten zur Durchführung der Attentate, darunter den Einsatz von Schusswaffen, Sprengstoff oder Gift. Das Dokument wurde von Bolsonaros Vizepräsidentschaftskandidat, General Walter Braga Netto, am 12. November 2022 vorgelegt und bewilligt.

Am 15. Dezember wurde ein Versuch unternommen, den geplanten Mord an Moraes zu begehen, was jedoch fehlschlug. Die Operation wurde von Angehörigen der Spezialkräfte des Heeres, den so genannten „Schwarzen Kindern“, durchgeführt und direkt von Braga Netto finanziert.

Diese und andere gewalttätige Vorfälle – darunter eine Welle von Angriffen auf öffentliche Gebäude und Fahrzeuge in Brasilia am 12. Dezember während der Veranstaltung zur offiziellen Bekanntgabe von Lulas Sieg ­– sowie die Demonstrationen von Bolsonaro-Anhängern vor den Kasernen sollten als „Trigger-Ereignisse“ dienen, um per Dekret einen Ausnahmezustand zu verhängen, der die Macht an das Militär übertragen würde.

Diese Aktionen lieferten zwar nicht die notwendigen „Trigger-Ereignisse für den Einsatz der Sicherheitskräfte“, wie es General Fernandes in einer Nachricht an den Befehlshaber des Heeres, General Marco Antônio Freire Gomes, formulierte, doch der Angriff auf die Zentrale der drei Staatsgewalten am 8. Januar 2023 passte perfekt zu diesen Zielen.

Bei der Organisation dieser gewalttätigen Aktionen gingen Bolsonaro und seine Mitverschwörer systematisch vor, um Druck auf die schwankenden Elemente der Militärführung auszuüben, damit sie sich dem Staatsstreich anschließen, u.a. indem sie einen Aufstand unter den Offizieren der unteren Ränge anzettelten.

In der Zeit zwischen Bolsonaros Wahlniederlage im Oktober und Ende Dezember trafen sich der ehemalige Präsident und sein Verteidigungsminister General Paulo Sergio Nogueira de Oliveira mehrfach mit Kommandanten der Streitkräfte, um detailliert über ihre Putschpläne zu diskutieren. Dies wurde der Bundespolizei von den Befehlshabern des Heeres und der Luftwaffe selbst bestätigt.

Daneben traf sich Bolsonaro auch privat mit General Theophilio de Oliveira, dem Kommandanten des Landeoperationskommandos (COTER), der wichtigsten Abteilung des Heeres, der die Truppen für die Durchführung des Putsches zur Verfügung stellte.

Zwischen Bolsonaros Treffen mit den Befehlshabern veröffentlichten die Streitkräfte einen falschen Bericht über die Auszählung der Stimmzettel und konstruierten damit die Schlussfolgerung, es sei zu Wahlbetrug gekommen. Zwei Tage später, am 11. November, veröffentlichten die Kommandanten eine gemeinsame Erklärung, in der sie die faschistischen Demonstrationen für einen Militärputsch als „Volksdemonstrationen“ bezeichneten. Sie drohten den Behörden, die diese Demonstrationen behindert hatten und behaupteten, die Streitkräfte hätten „eine uneingeschränkte und unerschütterliche Verpflichtung gegenüber dem brasilianischen Volk“ und spielten eine historische Rolle als „mäßigende“ Kraft.

Obwohl die Klage des Generalstaatsanwalts diese beiden Episoden, an denen die gesamte Militärführung beteiligt war, als zentrales Elemente des Putschplans identifiziert, wird die Verantwortung dafür ausschließlich dem ehemaligen Präsidenten Bolsonaro angelastet. Der einzige angeklagte Militärkommandant ist Marineadmiral Almir Garnier, der bis zum letzten Moment auf der Durchführung des Putsches beharrte.

Der Staatsanwalt kommt zu dem irreführenden Schluss: „Man sollte bedenken, dass das Militär selbst Opfer der Verschwörung war.“

Der Prozess gegen Bolsonaro und die politische Krise in Brasilien

Laut den Medien arbeiten Richter Alexandre de Moraes und die erste Kammer des STF nun daran, sicherzustellen, dass der Prozess gegen Bolsonaro und seine Mitverschwörer zügig durchgeführt wird, damit er bis zum Beginn des Wahljahres 2026 abgeschlossen werden kann.

Die Arbeiterpartei (PT) wiederum verfolgt ausdrücklich das Ziel, den „technischen“ Charakter des Prozesses gegen die faschistischen Verschwörer zu wahren und eine „Politisierung“ zu vermeiden.

Diese Hoffnungen sind beide unrealistisch und reaktionär. Die Verbrechen, über die vor Gericht verhandelt wird, sind absolut politischer und historischer Natur. Der Versuch, diesen Prozess, der seit zwei Jahren im Geheimen, bürokratisch und hinter dem Rücken der Bevölkerung abläuft, abzuschließen, ist ein Ausdruck der extremen Schwäche der brasilianischen Demokratie.

Die feige Haltung der PT gegenüber dem Putschversuch, der sich direkt gegen ihre Regierung und ihre wichtigsten Führer richtete, passt zu ihrem Verhalten während des gesamten Prozesses.

In dem kritischen Zeitraum zwischen den Wahlergebnissen und dem Aufstand in Brasilia am 8. Januar, als Bolsonaro und seine Bande von Faschisten und Militärs Provokationen inszenierten und die Wahl kippen wollten, versuchte die PT die am Putsch beteiligten Kräfte zu beschwichtigen, mit ihnen zu verhandeln und die brasilianische Bevölkerung davon zu überzeugen, dass die politische Krise gelöst sei.

Die Vorsitzende der PT, Gleisi Hoffmann, wandte sich ausdrücklich gegen die spontan ausgebrochenen Kämpfe von Arbeitern gegen die Straßensperren der Faschisten und warnte die Arbeiterklasse: „Der Präsident von Brasilien ist momentan Jair Messias Bolsonaro... Er muss das klären.“

In den letzten zwei Jahren haben Lula und die PT versucht, ihre Beziehungen zum Militär zu stärken, indem sie immer mehr Mittel in die Streitkräfte investieren, eine rechte nationalistische Ideologie propagieren und das öffentliche Image des Militärs aufpolieren. Dazu gehörten vor allem intensive Bestrebungen der Lula-Regierung, die Erinnerung an die Militärdiktatur von 1964–85 und deren historische Verbrechen auszulöschen, die ihre Fortsetzung in dem aktuellen Putschversuch finden.

Die unbestreitbare Rückkehr der militärisch-faschistischen Präsenz in der brasilianischen Politik zeigt, dass keines der grundlegenden Probleme gelöst wurde, die zum CIA-finanzierten Putsch von 1964 und der zwei Jahrzehnte andauernden Diktatur geführt haben.

Das zivile Regime, das durch die Verfassung von 1988 konsolidiert wurde, hat die Säulen der gewaltsamen Herrschaft der Bourgeoisie intakt gelassen, sodass sie für eine neue autoritäre Wende bereit sind. Die mörderischen Militärbefehlshaber wurden nie bestraft und bildeten weitere Generationen von Offizieren auf der Grundlage ihrer fanatischen antikommunistischen Ideologie und des Kults der „Revolution von 1964“ aus.

Jair Bolsonaro ist das authentischste Produkt dieser Bedingungen. Als junger Offizier in der Übergangszeit des Regimes machte er eine parlamentarische Karriere als vehementer Verfechter der brutalsten Verbrechen der Diktatur sowie als öffentlicher Propagandist der faschistischen Ideologie, die jahrzehntelang auf die Kasernen beschränkt war.

Bolsonaros Aufstieg zum Präsidenten Brasiliens im Jahr 2018 war kein Zufall. Er markierte eine entscheidende Rückkehr des Militärs ins Zentrum der Politik des Landes, angetrieben durch die explosive Verschärfung der sozialen Widersprüche, die von den etablierten Instrumenten zur Unterdrückung des Klassenkampfs – vor allem der PT und der mit ihnen verbündeten Gewerkschaften – nicht mehr eingedämmt werden konnten.

Während die politische Strategie der PT und der Pseudolinken, die völlig von den Interessen der Arbeiterklasse abgekoppelt sind und ihnen feindselig gegenüberstehen, auf der Notwendigkeit basiert, die verrotteten Institutionen des bürgerlichen Staats zu erhalten, bereiten die Faschisten aggressiv eine neue Offensive zur Machtübernahme vor.

Als Reaktion auf das juristische Vorgehen mobilisieren die faschistischen Kräfte aus Bolsonaros Umfeld ihre Anhänger für Demonstrationen und halten erneut die gleichen Banner hoch wie in ihrem ersten Putschversuch. Sie haben für den 16. März zu landesweiten Demonstrationen aufgerufen und ihre Behauptungen bekräftigt, die Wahlen im Jahr 2022 seien manipuliert worden, und sie selbst würden von einem autoritären und illegitimen „linken“ Regime verfolgt.

Die brasilianischen Faschisten fühlen sich durch Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus deutlich ermutigt. Der Putschversuch in Brasilien war im Grunde genommen eine politische Fortsetzung von Trumps Putschversuch vom 6. Januar 2021. Bolsonaro und seine Verbündeten stimmten ihr Vorgehen sorgfältig mit Trumps faschistischem politischen Kreis ab und orientierten sich an der politischen Strategie des US-Putsches und dessen Lehren.

Der Sohn des Ex-Präsidenten, Eduardo Bolsonaro, der im Januar 2021 in Washington zu Gast war, um die Lehren aus Trumps faschistischem Putsch zu studieren, befindet sich erneut in den USA, wo die nächsten Schritte der brasilianischen Faschisten beschlossen werden. Letzte Woche veröffentlichte Eduardo auf X den Vorwurf, der ehemalige US-Präsident Joe Biden habe mit USAID-Geldern einen betrügerischen Wahlprozess in Brasilien finanziert. Elon Musk unterstützte diese Fälschung sofort.

Eine noch bedeutendere politische Stellungnahme kam von Trump selbst. Er reagierte auf die Vorwürfe gegen Bolsonaro und seine faschistische Kabale mit einer Klage der Trump Media & Technology Group und des faschistischen sozialen Netzwerks Rumble gegen Richter Alexandre de Moraes. In der Klage wird behauptete, dass Moraes gegen den Ersten Zusatzartikel verstößt, indem er die Sperrung von Konten der Bolsonaro-Anhänger mit Wohnsitz in den USA fordert.

Die Vorwürfe von Bolsonaros Anhängern, die Biden-Regierung habe Lulas Sieg durch Wahlbetrug finanziert, ist eine glatte Lüge. Andererseits gibt es zahlreiche Berichte, laut denen US-Regierungsvertreter eine Reihe von Gesprächen mit brasilianischen Militärs geführt haben, um sie von der Teilnahme an Bolsonaros Putsch abzubringen. Diese Gespräche wurden jedoch nicht von irgendeiner internationalen „linken“ Agenda der Biden-Regierung motiviert, sondern von der Erkenntnis, dass ein Staatsstreich im größten Land Südamerikas zu einer Destabilisierung führen würde, die den Interessen des US-Imperialismus in der Region abträglich wäre.

Die Rückkehr einer zweiten Trump-Regierung markiert einen scharfen Kurswechsel in der US-Außenpolitik, die die Konfrontation mit China als Hauptachse in den Vordergrund rückt. Dazu gehören die aggressive Durchsetzung der Vorherrschaft des US-Imperialismus in Lateinamerika und die Abwehr der immer größeren Dominanz von Chinas wirtschaftlichem Einfluss in der Region.

Die politischen Beziehungen zwischen Trump, Musk und Bolsonaro stehen in direktem Zusammenhang mit diesen Zielen. Bolsonaro kündigte vor kurzem in der brasilianischen Zeitung Folha de São Paulo an, er werde im Falle seines Wahlsiegs im Jahr 2026 – was ihm rechtlich verboten ist – Brasilien aus den BRICS zurückziehen und im Rahmen eines „kühnen Militärabkommens“ mit den USA den Bau einer amerikanischen Militärbasis an der dreifachen Grenze des Landes erlauben.

Bei der CPAC-Konferenz am Donnerstag erklärte Eduardo Bolsonaro in einer aufschlussreichen Rede, sein Vater werde von der Justiz verfolgt, weil er „der einzige Kandidat ist, der die Linke bei den Wahlen 2026 schlagen kann... wenn er nicht antreten kann, wird Brasilien vollständig unter den Einfluss Chinas fallen... Angesichts von über 200 Millionen Einwohnern, der größten Volkswirtschaft Lateinamerikas und einer Landmasse, die fast der Größe der USA entspricht, ist Brasiliens geopolitische und wirtschaftliche Bedeutung unbestreitbar.“

Eine noch wichtigere Rolle als der Krieg zwischen dem US-Imperialismus und seinem strategischen Rivalen China spielt bei der wachsenden Gefahr eines von den USA gesponserten faschistischen Putsches in Brasilien der Krieg des Kapitalismus gegen die globale Arbeiterklasse. Brasilien, das über eine riesige und global vernetzte Arbeiterklasse verfügt, stellt für die sozialistische Weltrevolution eine entscheidende Bastion dar.

Die kapitalistische Oligarchie hat erkannt, dass sie ihre Macht nur durch immer schärfere Angriffe auf die Grundrechte und Bedingungen der Arbeiterklasse erhalten kann. Das setzt revolutionäre Kämpfe in Brasilien, in ganz Lateinamerika und in den USA selbst auf die Tagesordnung.