Am Mittwoch hat der Bundesgerichtshof (BGH) die mehrjährige Haftstrafe gegen die 30-jährige Lina E. wegen körperlichen Angriffen auf Rechtsextreme und Bildung einer kriminellen Vereinigung bestätigt. Das Oberlandesgericht Dresden hatte sie 2023 zu fünf Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt.
Zusammen mit drei weiteren Angeklagten, die zu jeweils rund drei Jahren verurteilt wurden, soll Lina E. zwischen 2018 und 2020 Angriffe auf Anhänger der rechten Szene in Sachsen und Thüringen verübt haben. Sowohl der Generalbundesanwalt als auch die Verteidigung hatten Revision beantragt, welche nun vom BGH abgewiesen wurde.
Der Prozess gegen Lina E. war einer der medial aufsehenerregendsten der letzten Jahre und von Anfang an politisch motiviert. Spätestens seit der Generalbundesanwalt den Fall an sich zog, wurde die Gruppe um Lina E. zu einer linksextremistischen Terrorgruppe à la RAF hochstilisiert.
2020 wurde Lina verhaftet und mit dem Hubschrauber zum Haftrichter am BGH in Karlsruhe geflogen. Danach verbrachte sie zweieinhalb Jahre in Untersuchungshaft in Chemnitz. Das Dresdner Oberlandesgericht tagte 2023 im einstigen Abschiebegefängnis und jetzigen „Hochsicherheits-Gerichtssaal“ am Dresdener Hammerweg statt im Hauptgebäude in der Innenstadt. Während des ganzen Prozesses war Lina E. von vier Sicherheitsleuten umgeben und damit auch optisch mit Beate Zschäpe von der NSU-Terrorgruppe auf eine Stufe gestellt.
Die drakonischen Strafen, die das Oberlandesgericht verhängte, stützten sich auf fragwürdige Indizien, Mutmaßungen und die Aussagen des dubiosen Kronzeugen Johannes D.. So erklärte dieser, er sei beim Auskundschaften eines rechten Szenetreffs in Eisenach dabei gewesen, nicht aber beim eigentlichen Angriff. Somit konnte er auch keine Aussagen über diesen Angriff machen.
Auch ein Angriff auf einen Bauarbeiter in Leipzig wurde Lina angelastet, obwohl die einzige belastbare Zeugenaussage darin bestand, dass die Täterin eine Frau war. Ebenso kreativ agierte die Justiz bei anderen Straftaten. Der Diebstahl zweier Hämmer in einem OBI-Markt wurde als „Diebstahl mit Waffen“ (§ 244 StGB) ausgelegt.
„Weit ausgeholt“ betitelte daher passenderweise die taz ihren Artikel zum Urteil und schrieb: „Wann immer eine Frau am Tatort war, soll es Lina E. gewesen sein. Wann immer ein Indiz vorlag, wurde es gegen die Angeklagten ausgelegt.“ Das Alibi eines Angeklagten, das in den Akten der Bundesanwaltschaft schlummerte, behielt die Behörde – ob versehentlich oder gezielt – für sich.
Die sächsische Justiz hat eine lange Tradition darin, Nazi-Gegner mit viel Eifer zu attackieren, zu verurteilen und dabei sehr kreativ zu sein, was Beweismittel anbelangt. Bereits vor rund zehn Jahren brach die Klage gegen den Jugendpfarrer Lothar König in sich zusammen, nachdem bekannt geworden war, dass Videomaterial manipuliert und entlastendes Material zurückgehalten wurde. Bereits damals hatten die Behörden eine kriminelle Vereinigung namens „Antifa Sportgruppe“ erdichtet und dafür illegal millionenfach Handydaten gesammelt.
Mit der 2019 vom Landeskriminalamt gegründeten „Sonderkommission Linksextremismus“ (Soko LinX) nahm der berüchtigte sächsische Verfolgungswahn neue Fahrt auf. Zugleich fanden die sogenannten „Antifa Ost“-Prozesse auch bundesweite Aufmerksamkeit, boten sie doch eine willkommene Gelegenheit, von immer neuen Enthüllungen über rechtsextreme Netzwerke im Staatsapparat abzulenken. Nach der rechtsextremen Mörderbande NSU und dem sogenannten Hannibal-Netzwerk flogen kurz vor dem Urteil gegen Lina E. die Putschpläne der Reichsbürgergruppe um Heinrich Prinz Reuß auf.
Auch die Soko selbst ist mit rechtsextremen Kreisen vernetzt. Der Neonazi Mario Alexander Müller hatte Einblick in die kompletten Ermittlungsakten zu Lina E., und das rechtsextreme Magazin Compact berichtete darüber. Die daraufhin eingeleiteten Ermittlungen wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen verliefen natürlich im Sand.
Wie selektiv das LKA bei seiner Arbeit vorgeht, wurde ein Jahr nach Gründung der Soko LinX sichtbar. Als im November 2020 trotz Beschränkungen infolge der Corona-Pandemie zehntausende Rechtsextreme und Querdenker durch die Leipziger Innenstadt marodierten und dabei Journalisten und Polizisten angriffen, erließ die Soko ausschließlich Fahndungsaufrufe wegen mutmaßlicher linker Gewalt von Gegendemonstranten.
Weitere Verfahren gegen das Umfeld der angeblichen Gruppe um Lina E. laufen weiter. Der erst im November 2024 inhaftierte Johann G. wird beschuldigt, Mitglied der „kriminellen Vereinigung“ um Lina E. sowie einer Antifa-Gruppe zu sein, die im Februar 2023 in Budapest agierte. In der ungarischen Hauptstadt findet jährlich ein rechtsextremes Szenetreffen namens „Tag der Ehre“ statt. Eine weitere Beschuldigte dieses „Budapest Komplexes“, Maja T., wurde an das rechtsextreme Regime von Viktor Orbán ausgeliefert.
Der Fall von Maja T. bestätigt, dass Vertreter des Staates immer offener zu autoritären Mitteln greifen. Obwohl die ungarischen Behörden systematisch gegen Menschenrechte verstoßen, wie Berichte des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter (CPT) sowie der Nichtregierungsorganisation Hungarian Helsinki Committee belegen, stimmte das Kammergericht Berlin der Auslieferung am 27. Juni 2024 zu und berief sich auf Zusicherungen des ungarischen Justizministeriums. Am selben Tag um 17:16 erfuhr Majas Anwalt davon.
In einer Nacht- und Nebelaktion wurde Maja dann vom LKA noch am selben Tag von ihrer Zelle in der JVA Dresden per Hubschrauber nach Österreich geflogen und dort um 6:50 am folgenden Tag an der Grenze den ungarischen Beamten übergeben. Die Soko LinX schuf Tatsachen, bevor der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung um 7:38 beim BVerfG einging. Wenige Stunden nach der Auslieferung wurde dem Antrag stattgegeben und das höchste Gericht erklärte, die „Rückführung“ sei zu erwirken. Tatsächlich unternahmen die deutschen Behörden nichts, und seit Januar läuft in Budapest der Prozess gegen Maja T.
Die Fälle Maja und Lina zeigen, dass Polizei- und Justizbehörden rücksichtslos gegen Antifaschisten vorgehen. Gestützt auf Paragraph 129 StGB, der die Bildung einer kriminellen Vereinigung unter Strafe stellt, gehen die Behörden nicht nur gegen einzelne verdächtigte Personen, sondern gegen das gesamte Umfeld der Betroffenen vor und durchleuchten und kriminalisieren es.
In der Vergangenheit wurden die Exzesse der sächsischen Polizei- und Justizbehörden noch von bürgerlichen Medien und Politikern kritisiert. Der einstige Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse sprach kritisch von der besonderen „sächsischen Demokratie“. Doch das Urteil des BGH und die Reaktionen darauf zeigen, wie sehr sich das ganze politische Establishment nach rechts gewandt hat.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und der damalige Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatten die Verurteilung von Lina E. bejubelt. Das BGH hat diesen Schauprozess nun für rechtmäßig und Lina E. zum „Mitglied einer militant-linksextremistischen Gruppierung“ erklärt.