Massenentlassungen und Sozialabbau: Deutschland im Zentrum der europäischen Krise

In Europa entwickelt sich eine soziale Konterrevolution, wie es sie seit den 1930er Jahren nicht mehr gab. Hunderttausende gut bezahlte Arbeitsplätze werden vernichtet, Renten, Gesundheitsversorgung und Sozialausgaben, von denen die Existenz von Millionen Menschen abhängt, zusammengestrichen. Gleichzeitig fließen gewaltige Summen in Aufrüstung und Krieg und in die Bereicherung der Reichen.

10.000 Beschäftigte demonstrieren vor dem Bosch-Hauptsitz in Gerlingen bei Stuttgart gegen die Vernichtung von 22.000 Arbeitsplätzen

Der Internationale Währungsfonds fordert in seinem jüngsten Europabericht „tiefgreifende Einschnitte in das europäische Modell und den Sozialvertrag“, um die Haushaltslöcher zu stopfen, die durch die Steigerung der Rüstungsausgaben und durch die Geldgeschenke an die Banken in der Finanz- und Coronakrise entstanden sind. Der Bericht trägt den bezeichnenden Titel: „Wie kann Europa für Dinge bezahlen, die es sich nicht leisten kann.“

In der Industrie und zunehmend auch in der Verwaltung findet ein beispielloses Arbeitsplatzmassaker statt. Die Fortschritte auf dem Gebiet der Elektromobilität, der Informationstechnologie und der Künstlichen Intelligenz, die das menschliche Leben enorm erleichtern und gesellschaftliche Probleme wie Armut und Klimakrise lösen könnten, werden eingesetzt, um die Profite zu steigern und auf dem Rücken der Arbeiterklasse einen erbitterten Kampf um Märkte, Rohstoffe und die Neuaufteilung der Welt auszutragen.

Es handelt sich nicht um einen Konjunktureinbruch, dem irgendwann wieder ein Aufschwung folgt, sondern um eine strukturelle Krise. Das ganze kapitalistische System ist bankrott. Alle Krankheitssymptome, die im letzten Jahrhundert zu Faschismus und zwei Weltkriegen führten, sind zurück: Hemmungslose Spekulation, erbitterter Kampf um Rohstoffe und Märkte, Handelskrieg, Krieg und Diktatur.

Deutschland im Zentrum der Krise

Deutschland, das mit einem Bruttoinlandsprodukt von 4,3 Billionen Euro für knapp ein Viertel der Wirtschaftsleistung aller 27 EU-Mitglieder aufkommt, steht im Mittelpunkt der Krise. Was lange als Stärke der deutschen Wirtschaft galt – der große Exportanteil und die hohen Außenhandelsüberschüsse –, erweist sich jetzt als ihre Achillesferse. Trumps Strafzölle und Chinas Aufstieg zum Hightech-Produzenten treffen sie besonders hart.

Die Exporte in die USA sind in den ersten neun Monaten dieses Jahres um 7,4 Prozent eingebrochen. Trump hat auf die meisten Einfuhren aus Europa pauschale Zölle von 15 Prozent plus weitere 50 Prozent für Metallbestandteile verhängt. Viele deutsche Autos und Maschinen sind dadurch in den USA nicht mehr verkäuflich.

Das Handelsdefizit mit China erreicht in diesem Jahr einen Rekord von 87 Milliarden Euro. Von 2010 und 2022 hatten sich die deutschen Exporte nach China noch verdoppelt und einen Höchstwert von 107 Milliarden Euro erreicht. Seither sind sie auf 80 Milliarden Euro zurückgefallen, während die Importe aus China weiter wachsen. Erstmals erzielt China in diesem Jahr nicht nur bei Konsumgütern, sondern auch bei Investitionsgütern einen Handelsüberschuss.

Der Marktanteil der drei großen deutschen Autokonzerne Volkswagen, BMW und Mercedes ist in den vergangenen zwei Jahren in China von 22,6 auf 16,7 Prozent und weltweit von 21,7 auf 19,3 Prozent gesunken. Bei Elektroautos ist der Rückgang noch größer.

Seit 2019 ist die deutsche Wirtschaft nur um 0,3 Prozent gewachsen. Die chinesische Wirtschaft hat im selben Zeitraum um 27 und die der USA um 12 Prozent zugelegt, wobei das Wachstum in den USA zu einem großen Teil auf Spekulationsgewinnen beruht. Auch für das kommende Jahr sagt der Sachverständigenrat ein Wachstum von lediglich 0,9 Prozent voraus.

Die Konzerne wälzen diese Krise in vollem Umfang auf die Arbeiterklasse ab. Allein im Industriebereich sind in den letzten zwölf Monaten 160.000 Arbeitsplätze vernichtet worden, das sind 3000 pro Woche. Besonders betroffen sind die drei größten Branchen – Maschinenbau, Auto und Chemie –, in denen zusammen mehr als 2,5 Millionen Menschen arbeiten.

In der Auto- und der Zulieferindustrie mit insgesamt 760.000 Beschäftigten sind laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) seit 2019 55.000 Arbeitsplätze weggefallen, weitere 90.000 werden bis 2030 folgen. Während Großkonzerne wie VW, Bosch und ZF zehntausende Arbeitsplätze streichen oder sich – wie Ford und Stellantis (Opel) – schrittweise aus Europa zurückziehen, gehen kleinere Zulieferbetriebe reihenweise pleite.

Moritz Schularick, der Präsidenten des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, stellt in Frage, ob es die drei großen deutschen Autohersteller Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz zum Ende des Jahrzehnts in der jetzigen Form überhaupt noch geben wird. Betroffen wären über 600.000 Arbeitsplätze und Hunderttausende weitere, die direkt oder indirekt von ihnen abhängen.

Ähnlich ist die Lage im Maschinenbau mit rund einer Million Beschäftigten, die teils hochspezialisierte Produkte für den Weltmarkt herstellen. Hier ging die Produktion 2024 um 7 und 2025 um 5 Prozent zurück. In der Chemieindustrie mit 326.000 Beschäftigten brach der Absatz bereits 2022 um 10 und 2023 um 11 Prozent ein. Die Anlagen sind nur noch zu 71 Prozent ausgelastet, als profitabel gelten 82 Prozent. Die Stahlindustrie steht vor der völligen Abwicklung, von den verbliebenen 70.000 Arbeitsplätzen sind 55.000 akut bedroht.

Der einzige Industriezweig, der noch wächst, ist die Rüstungsindustrie. In den nächsten fünf Jahren werden in Deutschland eine Billion Euro in das Geschäft mit dem Tod gesteckt. Der Branchenführer Rheinmetall hat seinen Umsatz im vergangenen Jahr um 38 Prozent und in diesem Jahr um 30 Prozent gesteigert. Der Aktienkurs ist seit 2022 um das Zwölffache und seit Beginn dieses Jahres um das Dreifache gestiegen.

Während die Existenz von Arbeitern und ihren Familien zerstört und ganzen Regionen die wirtschaftliche Grundlage entzogen wird, bekommen die Reichen den Hals nicht voll. Sie bereichern sich trotz Krise weiter. Mittlerweile leben in Deutschland 3900 Menschen mit einem dreistelligen Millionenvermögen, 500 mehr als vor einem Jahr.

Mercedes kauft trotz Gewinneinbruch, Arbeitsplatzabbau und dringendem Investitionsbedarf eigene Aktien im Wert von zwei Milliarden zurück und treibt so den Kurs in die Höhe. Während der Konzern bis zu 20.000 Arbeitsplätze abbaut, sahnen die Mitglieder des Vorstands gleich doppelt ab: Durch den Anstieg ihrer an den Aktienkurs gebundenen Millionenvergütungen und als Besitzer großer Aktienpakete. Allein Konzernchef Källenius verfügt über rund 50.000 Mercedes-Aktien.

Krieg nach außen und innen

Die herrschende Klasse Deutschlands reagiert auf die wirtschaftliche Krise mit denselben Methoden wie in den 1930er Jahren: Indem sie der Arbeiterklasse den Krieg erklärt und zu ihren verbrecherischen militaristischen Traditionen zurückkehrt.

Die Bundesregierung hatte bereits vor zehn Jahren verkündet, Deutschland wolle in der Welt wieder eine militärische Rolle spielen, die seinem Gewicht als drittgrößte Wirtschaftsnation entspricht. Der von der Nato provozierte russische Einmarsch in der Ukraine diente dann als willkommener Vorwand, diese Pläne in die Tat umzusetzen.

Die Regierung Scholz beschloss ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung der Bundeswehr. Die Regierung Merz stellt Kredite in zehnfacher Höhe dafür zur Verfügung und will die stärkste konventionelle Armee Europas aufbauen. Sie soll spätestens 2029 in der Lage sein, einen Krieg gegen Russland zu führen. Bis dann werden die deutschen Militärausgaben auf 168 Milliarden Euro steigen, etwa sechs Mal so viel wie zu Beginn des Jahrhunderts.

Allein zur Unterstützung des Ukrainekriegs hat Deutschland bisher 76 Milliarden Euro ausgegeben und ist damit der größte Geldgeber hinter den USA. Es geht ihr dabei nicht um „Verteidigung“ und „Freiheit“, sondern um die wirtschaftliche Dominanz in Osteuropa und der Ukraine und um die Unterwerfung Russlands mit seinen gewaltigen Bodenschätzen. Dieselben Kriegsziele hatte Deutschland bereits im Ersten und Zweiten Weltkrieg verfolgt.

Die Kosten dieser gewaltigen Aufrüstungs- und Kriegsoffensive wälzt die Regierung auf die Arbeiterklasse, auf Rentner und Bedürftige ab. Bundeskanzler Merz hat im Sommer verkündet, der Sozialstaat sei in seiner heutigen Form nicht mehr finanzierbar. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche droht, die Rente werde „trotz hoher Beiträge später vermutlich nicht zum Leben reichen“. Sie fordert längere Lebensarbeitszeiten und eine „Agenda 2030“ – ein „umfassendes Fitnessprogramm nach dem Prinzip mehr Wettbewerb, weniger Staat“.

Selbst die Beibehaltung des gegenwärtigen Rentenniveaus, das nach 45 Jahren durchschnittlicher Beitragszahlung bei 48 Prozent eines Durchschnittsgehalts – und damit deutlich unter der Armutsgrenze – liegt, wird von Teilen der Regierung abgelehnt.

Die Financial Times bezeichnet die „gefährliche Illusion, dass großzügige Sozialleistungen mit hoher Produktivität koexistieren können“, als Ursache für Deutschlands Malaise und mahnt, mit gutem Beispiel voranzugehen. Deutschland, „der Anker der Haushaltsdisziplin und der industriellen Stärke auf dem Kontinent“, müsse „Europa lehren, wie man sich der Wahrheit über Sozialstaaten stellt – bevor sie unter ihrem eigenen Gewicht zusammenbrechen“.

Sozialistische Perspektive

Der Angriff auf Arbeitsplätze, Renten und soziale Errungenschaften, die sich die Arbeiterklasse nach dem Zweiten Weltkrieg erkämpft hat, ist weltweit in vollem Gang und stößt zunehmend auf Widerstand.

In Frankreich hält Präsident Macron an seiner Rentenreform fest, obwohl ihn Massenproteste zwangen, fünf Mal den Ministerpräsidenten auszuwechseln. Der verhasste „Präsident der Reichen“ hält sich nur noch im Amt, weil ihm die Sozialisten den Rücken stärken. In Italien, Belgien und Portugal finden in den kommenden Wochen Generalstreiks und Massenproteste gegen Sozialabbau und Sparhaushalte statt.

In den USA streicht Präsident Trump Sozialleistungen zusammen, auf die Millionen angewiesen sind. Amerikanische Unternehmen haben in diesem Jahr 1,1 Millionen Entlassungen angekündigt. In China sind in den letzten Jahren Millionen Arbeitsplätze der Automatisierung und der Krise im Baugewerbe zum Opfer gefallen, die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten liegt bei 19 Prozent. In afrikanischen und asiatischen Ländern protestiert die Generation Z seit drei Jahren gegen das Fehlen jeder Zukunftsperspektive.

Doch dieser Bewegung der internationalen Arbeiterklasse und Jugend fehlt eine tragfähige Perspektive.

Die korporatistischen Gewerkschaften, die früher im Rahmen der „Sozialpartnerschaft“ soziale Kompromisse ausgehandelt hatten, sind zur Speerspitze des Sozialabbaus und der Massenentlassungen geworden. In Deutschland arbeiten die DGB-Gewerkschaften und ihre Betriebsräte im Rahmen der gesetzlich geregelten Mitbestimmung die Entlassungspläne aus und unterdrücken den Widerstand dagegen. Sie sitzen in den Aufsichtsräten und wechseln nicht selten in den Vorstand.

Der Grund dafür ist nicht nur die – zweifellos weitverbreitete – Käuflichkeit der hochbezahlten Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte, sondern die nationalistische Perspektive, auf die sich die Gewerkschaften stützen. Sie ist darauf ausgerichtet, die Wettbewerbsfähigkeit der „eigenen“ Unternehmen zu stärken, weil – so die gewerkschaftliche Logik – nur so die Arbeitsplätze erhalten werden können.

Auf dieser Grundlage stimmen die Gewerkschaften Stellenabbau, Lohnsenkungen und schlechteren Arbeitsbedingungen zu. Sie spielen einen Standort gegen den anderen aus, spalten die Arbeiter von ihren Kollegen in anderen Ländern und boykottieren jeden ernsthaften Widerstand. Typisch ist in dieser Hinsicht der sogenannte Bieterwettbewerb zwischen den Ford-Werken im deutschen Saarlouis und im spanischen Almussafes, bei dem sich die Betriebsräte gegenseitig mit Zugeständnissen unterboten, bis schließlich beide Werke weitgehend stillgelegt wurden.

Die Gewerkschaften unterstützen auch die Kriegspolitik ihrer Regierungen. Hatte die IG Metall früher den Slogan „Schwerter zu Pflugscharen“ propagiert, setzt sich nun für die Umwandlung von Autofabriken in Panzerschmieden ein.

Arbeitsplätze und soziale Errungenschaften können nur mit einer sozialistischen Perspektive verteidigt werden, die die gesellschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiterklasse über die Profitinteressen der Kapitalisten stellt und mit dem Kampf gegen Krieg und Kapitalismus verbindet.

Tieferer Grund der kapitalistischen Krise ist die Unvereinbarkeit der modernen, globalen Produktion, die hunderte Millionen Arbeiter in einem einzigen, grenzüberschreitenden Prozess vereint, mit dem Privateigentum an den Produktionsmitteln und dem Nationalstaat, auf denen der Kapitalismus beruht.

Die imperialistischen Mächte versuchen diesen Konflikt durch die gewaltsame Neuaufteilung der Welt auf Kosten ihrer Rivalen zu lösen, was unweigerlich in einen dritten Weltkrieg führt. Darin besteht der Kern von Trumps MAGA-Bewegung und allen, die ihr nacheifern. Die Arbeiterklasse, die den gesamten gesellschaftlichen Reichtum produziert, kann ihn durch den Sturz des Kapitalismus, die Überwindung der nationalen Grenzen und die Vergesellschaftung der großen Konzerne und Vermögen lösen.

Im wirtschaftlich eng verflochtenen, in mehr als 40 Staaten gespaltenen Europa ist dies besonders wichtig. An die Stelle der Europäischen Union, die ein Werkzeug der mächtigsten Staaten und Konzerne ist, müssen Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa treten.

Arbeiterinnen, Arbeiter und Jugendliche müssen sich unabhängig von den Gewerkschaften und allen Parteien, die den Kapitalismus verteidigen, in Aktionskomitees zusammenschließen und die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Schwesterorganisationen im Internationalen Komitee der Vierte Internationale zu sozialistischen Massenparteien aufbauen.

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