Der zynische Verrat an den Stahlarbeitern hing mit dem vorangegangenen Rückzug der WRP-Führung von der Arbeiterklasse zusammen. Er war nur nur der Auftakt. 1981 wurden die Prinzipien dann in großem Stil ausverkauft. Nachdem Healy den schwierigen politischen und theoretischen Kampf gegen die Sozialdemokratie in der Arbeiterklasse ungeduldig aufgegeben hatte, entwickelte er nun völlig opportunistische Arbeitsmethoden in der Arbeiterbewegung. Die gesamte Arbeit der WRP konzentrierte sich jetzt darauf, in der Massenbewegung nicht von „unten“ – das heißt, durch
die Rekrutierung von einzelnen Jugendlichen und Fabrikarbeitern und ihre Verwandlung in Kader – Einfluss zu gewinnen, sondern von „oben“ – das heißt, durch freundschaftliche Beziehungen zu Labour-Politikern und Gewerkschaftsfunktionären in strategisch wichtigen Positionen.
Wie Trotzki in einem Rückblick auf die Erfahrungen der Kommunistischen Partei Großbritanniens gewarnt hatte:
Eine der psychologischen Ursachen des Opportunismus ist oberflächliche Ungeduld, Mangel an Vertrauen in das stetige Wachsen des Einflusses der Partei, das Bestreben, mit Hilfe von organisatorischen Manövern und persönlichem Geschick die Massen zu gewinnen. Daraus entsteht die Politik der Absprachen hinter den Kulissen, des Schweigens, des Vertuschens, der Selbstaufopferung, der Anpassung an die Ideen und Losungen von anderen, und schließlich das völlige Übergehen zu den Positionen des Opportunismus. (Marxismus und Gewerkschaft, Essen 1976, S. 71/72).
Von allen Formen des Opportunismus am gefährlichsten und politisch fatalsten ist die Auffassung, dass der kapitalistische Staatsapparat still und heimlich eingenommen und in den Dienst der Arbeiterklasse gestellt werden könne. Der erste, der in dieser Frage fehlging, war Lasalle, und jeder spätere Versuch in diese Richtung führte nicht nur zu noch größeren Fehlern, sondern zu wirklichen Verbrechen und zu Verrat. Healy war jetzt bereit, auch diese Dummheit auszuprobieren.
Nach dem Stahlstreik erneuerte Healy seine Beziehungen zu einem Labour-Funktionär in Lambeth namens Ted Knight. Dieser Mann hatte bereits in den frühen sechziger Jahren mit Healy zu tun gehabt. Als er sich dann aber zwischen dem Trotzkismus und einer Karriere in der Labour Party entscheiden musste, folgte er dem Gebot seines Gewissens und brach entschieden mit der Socialist Labour League (Vorläuferorganisation der WRP). Jetzt, nach einer langen Unterbrechung, kreuzten sich ihre Wege wieder. Sie stellten fest, dass jeder von ihnen etwas hatte, was der andere brauchen konnte. Knight verfügte über wichtige Verbindungen in der Labour Party und stand sich gut mit einem aufstrebenden „Linken“ aus der Mittelklasse, Ken Livingstone. Healy seinerseits verfügte über einige Druckmaschinen und konnte Knight die Resourcen eines großen Apparats zur Verfügung stellen. Man wurde handelseinig. Healy würde Knight die Möglichkeit verschaffen, seinen Einflussbereich zu erweitern und gleichzeitig Kritiker von links abwehren. Knight würde Healy, oder zumindest behauptete das der „Rote Ted“, in Form des Bezirksrats von Lambeth (Londoner Stadtteil) und des Stadtrats von Groß-London (GLC) einen leidlichen Ersatz für die Arbeitermacht verschaffen.
Healy hatte die Diktatur des Proletariats abgeschrieben und war jetzt, wo er auf sein siebzigstes Lebensjahr zuging, bereit, sich mit etwas Einfluss auf die Größen des Reformismus in London zufriedenzugeben. 1928 hatte er den Weg der Revolution eingeschlagen, jetzt hatte er sich endlich – wie so viele, die er früher bekämpft und verachtet hatte – von der Sinnlosigkeit des langen Marsches überzeugt. Eine Abkürzung musste her, und so kam ihm eine neuartige Idee: wenn er die Arbeiterklasse schon nicht überzeugen konnte, das Parlament durch Sowjets zu ersetzen, warum nicht versuchen, einige Parlamentarier zu Volkskommissaren zu machen?
Mit Knight handelseinig zu werden, war eine Sache.
Eine andere Sache war es, diesen Deal der Partei zu verkaufen. Die politische Inszenierung dieser Schmierenkomödie musste mit entsprechenden „linken“ Phrasen ausgestattet werden, und so platzte aus heiterem Himmel die Revolutionäre Arbeiterregierung, gegründet auf Community Councils (Räte auf kommunaler Ebene) auf die Bühne.
Den einfachen Mitgliedern der WRP wurde zwar versichert, die Revolutionäre Arbeiterregierung, gegründet auf Community Councils, sei lediglich eine modernisierte, britische Version der Diktatur des Proletariats, gegründet auf Sowjets. Aber diese bislang unbekannte Form der Staatsmacht hatte einen ganz anderen Inhalt.
In den programmatischen Erklärungen der WRP wurden die Community Councils als politische Ableger der lokalen kapitalistischen Regierungen definiert, und nicht als unabhängige Organe der Arbeitermacht. Die WRP wies diesen Räten die spezifische Funktion als Anhängsel von Labour-Stadträten zu, die zwischen der finanziellen Ausblutung der Tories auf der einen und der Arbeiterklasse auf der anderen Seite in der Klemme saßen.
Besonders bezeichnend war, dass die WRP den Gewerkschaften als Massenorganisationen bei der Bildung und Führung dieser Räte nur eine geringfügige Rolle zuwies, obwohl die Gewerkschaften im politischen und sozialen Leben der Arbeiterklasse eine enorme Rolle spielen. Wir zitieren aus dem Manifest '81,das der Fünfte Kongress der WRP im Februar 1981 verabschiedete:
Die Gewerkschaften werden den Kern der Community Councils bilden. Aber die Community Councils werden den Kampf um Arbeitsplätze, Lebensstandard und demokratische Grundrechte gemeinsam mit der gesamten Bevölkerung in den Kommunen führen und ihn nicht nur örtlichen Organen wie den Lohnausschüssen übertragen. (S. 8, unsere Hervorhebung).
In der Praxis sollte die WRP bald fordern, dass die Gewerkschaften ihre Kämpfe vollständig den Interessen der von Labour kontrollierten lokalen Regierungen unterordnen, die sich in England im Verlauf von 400 Jahren zu Organen des kapitalistischen Staates entwickelt haben. Noch nicht einmal zwei Jahre zuvor hatte die WRP noch darauf beharrt, dass die Labour-Politiker sich auf die Tories stützten, aber jetzt ließ sie völlig außer acht, dass die „lokalen Regierungen“ unter Labour entscheidend daran beteiligt waren, die Herrschaft des kapitalistischen Staates über die Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten. Die Politik der WRP beinhaltete die völlig reformistische Auffassung, dass lokale Regierungsorgane zu Organen der Arbeitermacht werden, wenn Labour in ihnen über eine Mehrheit verfügt. Das lief darauf hinaus, die alten und diskreditierten Ideen über „Gemeinde-Sozialismus“ wieder hervorzukramen, die während der Epoche der Zweiten Internationale geblüht hatten und heute das Kernstück der stalinistischen Strategie in Italien bilden.
Seit der Zeit als sie sich weigerte, die Arbeiterklasse der Bourgeoisie, und selbst so radikalen kleinbürgerlichen Führern wie Castro unterzuordnen, war die WRP einen weiten Weg gegangen: Jetzt begeisterte sie sich für die Möglichkeit, die Organe des kapitalistischen Staates zu demokratisieren und sie im Interesse der Arbeiterklasse zu nutzen.
Die folgende Forderung zeigt eindeutig, dass die Community Councils wie sie die WRP vorschlug, keinen proletarischen Klassencharakter hatten:
Die Community Councils müssen bestehende örtliche Gemeindeorgane in sich aufnehmen, die in einigen Gebieten fast über Nacht entstanden sind – zum Beispiel Stadtteilgruppen gegen Polizeiübergriffe, gegen Rassismus, gegen Schul- und Krankenhausschließungen,gegen Kürzungen bei örtlichen Dienstleistungen wie Spielplätzen oder Büchereien, gegen die Kürzungen in der medizinischen Versorgung und der Hochschulausbildung und außerdem Organisationen von Mietern und Steuerzahlern. (ebd., unsere Hervorhebung)
Das klang alles sehr volkstümlich und demokratisch, lief aber in Wirklichkeit auf den Versuch hinaus, den Schwerpunkt des revolutionären Kampfes weg vom Proletariat und seinen unabhängigen Klassenorganisationen, und hin zu verschiedenen, gesellschaftlich uneinheitlichen „örtlichen Organen“ zu verschieben, die Ableger des kapitalistischen Staates sind. Dieses Abrücken von der proletarischen Orientierung führte unausweichlich zum offenen Eintreten für Klassenzusammenarbeit in einer Volksfront. Die Community Councils, darauf beharrte die WRP,
müssen jedem offen stehen, der gegen die Tories kämpft – Labour-Ortsgruppen, anderen politischen Organisationen in der Arbeiterklasse und sonstigen Leuten, ohne Rücksicht auf ihre Religion, Hautfarbe und Nationalität, und selbst dann, wenn sie irrtümlich (!) in den letzten Wahlen für die Tories gestimmt haben. (Ebd., unsere Hervorhebung)
Ob zu diesen „anderen Leuten“ auch „abweichlerische“ Tories gehören sollten, die „irrtümlich“ in früheren Tory-Regierungen gedient hatten, und, wie Ted Heath, „irrtümlich“ versucht hatten, die Gewerkschaften zu zerschlagen, wurde nicht erläutert. Das ließ Healy als „offene Frage“ dahingestellt.