Die grobe Entstellung des wissenschaftlichen dialektischen Materialismus durch die Führung der britischen Sektion spielte innerhalb der WRP und des Internationalen Komitees im Laufe der Zeit eine gewaltige Rolle. Man muss daher darauf eingehen, um ein richtiges Bild von der politischen Degeneration der WRP zu gewinnen. Die Verteidigung einer richtigen philosophischen Methode, auf der Trotzki in seinem großen Kampf gegen Burnham und Shachtman 1939-40 beharrte, wurde von der Socialist Labour League in ihrem Kampf gegen den Revisionismus der amerikanischen Socialist Workers Party zu Recht weitergeführt. In der Tradition von Trotzki wies die SLL den inneren Zusammenhang zwischen dem politischen und Klassenstandpunkt von Hansen und dessen pragmatischer Methode nach, die am klarsten in seiner Definition des dialektischen Materialismus als „konsequentem Empirismus“ zum Ausdruck kam. Das Internationale Komitee kritisierte die objektivistische Methode der SWP und untersuchte deren Zusammenhang mit einer ganzen Reihe grundlegender Revisionen des Marxismus – insbesondere über die Rolle des bewussten Faktors im revolutionären Prozess. All dies wurde konkret an Hand einer ausführlichen Analyse der gesamten politischen Linie der SWP und deren pablistischen Verbündeten in Europa veranschaulicht.
In den folgenden Jahren neigte die SLL jedoch mehr und mehr der Ansicht zu, dass, da jeglicher Revisionismus mit einer falschen Erkenntnistheorie verbunden ist, eine eigentliche Analyse der politischen Formen, in denen sich der Revisionismus äußert, nicht länger nötig sei. Auf dieser Grundlage konnte man Spaltungen in der IV. Internationale mit Auseinandersetzungen über Fragen der Erkenntnistheorie rechtfertigen, ohne dass die politischen Differenzen geklärt wurden. Diese idealistische Anschauung wurde von Slaughter 1971-72 im Laufe des Kampfs gegen die OCI aufgebracht (die zu Unrecht geleugnet hatte, dass der dialektische Materialismus die Erkenntnistheorie des Marxismus ist), und von Healy begeistert übernommen. Eine ganz neue Grundlage für das politische und theoretische Leben des Internationalen Komitees wurde geschaffen: alle das Programm und die Prinzipien betreffenden Fragen wurden zu „unwesentlichen“ Formen der „grundlegenderen“ Probleme der dialektischen Erkenntnis erklärt. Das lief auf eine Leugnung der Einheit und des inneren Zusammenhangs der drei Bestandteile des Marxismus, wie Lenin sie dargestellt hatte, hinaus – der deutschen Philosophie, der englischen politischen Ökonomie und des französischen Sozialismus. Unter dem Druck feindlicher Klassenkräfte öffnete dies unweigerlich der übelsten theoretischen Quacksalberei Tür und Tor. Besonders nach der Eröffnung der unmarxistischen Schule 1975, zu einem Zeitpunkt, als sich die politische Krise innerhalb der WRP außerordentlich schnell entwickelte, wurde das äußerst einseitige und (im schlechten Sinne des Wortes) abstrakte Studium der „Momente der Erkenntnis“ zu einem Mittel, revisionistische Politik zu rechtfertigen.
Das systematische Studium der politischen, historischen und ökonomischen Werke von Marx, Engels, Lenin und Trotzki kam innerhalb der WRP ab 1977 völlig zum Erliegen. Ebenso stellte die WRP den Kampf des IKVI gegen den pablistischen Revisionismus ein und gab so ihr politisches Erbe auf. Das war untrennbar mit Healys „theoretischer“ Auffassung verbunden, dass alles Wissen nur relativ sei, und dass man „der äußeren Welt Gedankenbilder aufpfropft“, wenn man in politischen Diskussionen die großen marxistischen Klassiker zitiert. Im Verlauf seines ständigen Sturmangriffs gegen den historischen Materialismus schmiedete Healy eine „philosophische Methode“, die auf eine vollendete Verteidigung prinzipienloser Politik hinauslief.
In Wirklichkeit war Healys Methode eine grobe Verzerrung der wissenschaftlichen Dialektik, die einen völligen Mangel an Verständnis des philosophischen Werks von Hegel wie von Marx verriet. Der wirkliche Inhalt von Healys „Erkenntnistheorie“ – die vorgab, den dialektischen Übergang von der individuellen sinnlichen Wahrnehmung zum abstrakten Denken und zur Praxis nachzuzeichnen – war nichts weiter als eine Verherrlichung des individuellen Verfahrens, durch das er seine eigene pragmatische Intuition in verschiedene Parteiaktivitäten umsetzte. Ein Autodidakt im schlimmsten Sinne des Wortes, gelangte Healy zu der Überzeugung, dass das Auswendiglernen einiger Hegelscher Kategorien in der richtigen Reihenfolge der Schlüssel zur allumfassenden Erkenntnis sei. Das ernsthafte Studium des Trotzkismus, der politischen Ökonomie, der Geschichte der Arbeiterbewegung und nicht zuletzt der historischen Entwicklung der Philosophie sollte durch einige Taschenspielertricks ersetzt werden.
Unter dem Vorwand der Einführung einer absonderlichen neuen Tagesordnung für die Zellensitzungen versuchte Healy im Juni 1980, einen pragmatischen Impressionismus für die tagtägliche politische Arbeit in den Organisationsstrukturen der WRP zu verankern. Healy fasste das in einem Brief zusammen, den er am 14. Juni 1980 an alle Zellensekretäre schrieb:
Der Zweck der Tagesordnung besteht darin, die Arbeit in unseren Zellen so zu reorganisieren, dass im Verlauf der Sitzungen die Theorie als Anleitung zur Praxis erscheint. Anders ausgedrückt, die dialektische Methode geht in die Art und Weise ein, wie unsere Praxis durchgeführt wird. Ziel ist es, Genossen darin zu schulen, was man am besten als unbewusste Anwendung der dialektischen Methode beschreibt, so wie man viele Fähigkeiten und Aktivitäten entwickelt, ohne sich unbedingt darüber bewusst zu sein. (Betonung hinzugefügt.)
In anderen Worten: Healy hatte entdeckt, dass man als Marxist handeln könne, ohne sich darüber bewusst zu sein – etwa 20 Jahre, nachdem der große amerikanische Pragmatiker Joseph Hansen diese Entdeckung in die Welt posaunt hatte. Healy propagierte nun dieselben Ansichten, die Trotzki 1940 empört bekämpft hatte. In Erwiderung auf Burnham schrieb Trotzki damals:
In der Verteidigungsrede von Shachtman mit dem Inhalt, dass Sie ein „unbewusster Dialektiker“ seien, muss die Betonung auf unbewusst gelegt werden. Shachtmans Ziel (auch zum Teil unbewusst) ist es, seinen Block mit Ihnen durch die Herabsetzung des dialektischen Materialismus zu verteidigen, Denn tatsächlich sagt Shachtman: Der Unterschied zwischen einem ‚bewussten‘ und ‚unbewussten‘ Dialektiker ist nicht so groß, dass man darüber streiten muss. So versucht Shachtman, die marxistische Methode in Verruf zu bringen. (Verteidigung des Marxismus, Verlag Neuer Kurs, S. 132.)
Wie Gogols Held, den es immer wieder in Erstaunen versetzte, dass sich Buchstaben zu Wörtern zusammenfügen, informierte Healy seine verblüfften Mitglieder: „Das Bewusstsein über die theoretischen Abstraktionen kommt später, wenn wir darüber nachdenken und analysieren, was wir getan haben.“
Wie kann diese Entdeckung einem Parteimitglied helfen, das eine komplizierte Entwicklung in der politischen Situation analysieren muss – wie etwa die Unabhängigkeitserklärung der Türken auf Zypern, oder die Statthaftigkeit oder Unzulässigkeit kritischer Unterstützung für bürgerliche Nationalisten, oder, um ein aktuelles Beispiel zu geben, die Unterzeichnung des englisch-irischen Abkommens. Brauchen wir für solche Ereignisse „Bewusstsein über theoretische Abstraktionen“ bevor oder nachdem wir unsere Analyse abgeschlossen haben und entscheiden, was zu tun ist? Die Antwort auf diese Fragen hat Engels schon vor langer Zeit gegeben, als er schrieb, dass
die Kunst, mit Begriffen zu operieren, nicht eingeboren und auch nicht mit dem gewöhnlichen Alltagsbewusstsein gegeben ist, sondern wirkliches Denken erfordert, welches Denken ebenfalls eine lange erfahrungsmäßige Geschichte hat ... (Anti-Dühring, MEW Bd. 20, S. 14)
Healy fuhr fort, indem er eine naturwüchsige Darstellung der Phänomenologie des Geistes lieferte, die sehr dem ähnelte, was einige amerikanische Pragmatiker als „Tintenklecks“-Erkenntnistheorie bezeichnen:
Bewusstsein ist kurz gesagt eine subjektive Form, in der sich die durch unsere Aktivitäten geschaffenen Beziehungen zeigen. Es entsteht daraus, dass neue und noch unbestimmte Gedankenerscheinungen von der Wahrnehmung übergehen in unser bestehendes abstraktes Wissen, und wird dadurch bestimmt. Das Neue stört das Alte auf und setzt den abstrakten theoretischen Prozess in Gang, der unsere Praxis anleitet. Das geschieht manchmal so schnell, dass, wenn wir nicht lernen, so schnell wie möglich nachzudenken über das, was wir gerade getan haben, viel wertvolles Wissen verloren gehen kann.
Für diesen tiefgründigen Prozesses reicht jeder Geist aus – nicht nur der eines Menschen. Wie Trotzki bemerkte:
Sieht er einen Hasen, ein Kaninchen oder eine Henne, so schließt der Fuchs: Diese besonderen Wesen gehören zu der schmackhaften und nahrhaften Gruppe und – jagt der Beute nach. Wir haben hier einen vollständigen Syllogismus, obwohl der Fuchs vermutlich nie Aristoteles gelesen hat. Trifft der gleiche Fuchs jedoch mit dem ersten Tier zusammen, das ihn an Größe übertrifft (womit er den „abstrakten theoretischen Prozess in Gang“ setzt), zum Beispiel mit einem Wolf (eine „noch unbestimmte Gedankenerscheinung, die in das abstrakte Wissen übergeht ... stört das Alte auf“) schließt er schnell, dass die Quantität in Qualität übergeht, und wendet sich zur Flucht. („Das geschieht manchmal so schnell“, dass der Fuchs gar keine Zeit hat, festzustellen, dass er Experte in Healys Praxis der Erkenntnis ist.)
Healys politisches Ziel bestand darin, die theoretischen Überzeugungen des WRP- Kaders abzutöten und sie in unbewusste Aktivisten zu verwandeln, die sich von der opportunistischen Linie, die vom Politischen Komitee der WRP ausgearbeitet wurde, ins Schlepptau nehmen lassen. Er bläute ihnen bewusst eine geringschätzige Haltung gegenüber dem wirklichen Marxismus ein. Die politischen Traditionen des Trotzkismus – dessen sorgfältiges Studium aller politischen Erscheinungen und deren gründliche Diskussion in der gesamten Partei – wurden als das Grundübel von „Propagandagruppen“ verhöhnt.
Im Januar 1982 benutzte Healy den 58. Jahrestag von Lenins Tod als Gelegenheit, seine Verachtung für den Trotzkismus zur Schau zu stellen. In einer sechzehnseitigen Broschüre, die den Anspruch erhob, eine Analyse des Erbes von Lenin darzustellen, gab Healy keinen einzigen Hinweis auf Leo Trotzki, den Trotzkismus und die IV. Internationale – bis auf den letzten Satz, in dem ihm schnell noch einfiel, dass die Trotzkisten die besten Leninisten seien. Stattdessen behauptete er in einem unterschwelligen Angriff gegen die trotzkistische Bewegung, dass der Stalinismus „die heutigen Leninisten im Verständnis seiner theoretischen Errungenschaften und der revolutionären Praxis, die daraus herrührt, weit zurückgeworfen“ habe. (Leninism 58 Years On, New Park, S. 1)
Durch diese Erklärung wurde der theoretische Beitrag, den Trotzki nach dem Tode Lenins zur Entwicklung des Marxismus leistete, praktisch ausradiert.
Bezeichnenderweise identifizierte Healy die Kontinuität von Lenins Werk nicht mit Trotzki und der Linken Opposition, sondern mit „dem gewaltigen Fortschritt in der Physik seit Lenins Tod“. (ebd., S. 10) Healy nahm das Todesjahr Lenins – 1924 – nicht zum Anlass, um zu erklären. dass damit die Bucharin-Stalinsche „Theorie“ vom Sozialismus in einem Land und der Beginn des Kampfs der Linken Opposition dagegen einsetzte, sondern um in einer protzigen Zurschaustellung seiner Gelehrsamkeit darauf hinzuweisen, dass „in diesem Jahr der Physiker Louis de Broglie die Grundlage für die Quantenmechanik (Quantentheorie) legte, die die Bewegung von kleinsten Teilchen untersucht.“ (ebd.)
Dieses Umschwenken von der Politik zur Physik (von der Healy praktisch nichts verstand) als Orientierungspunkt für den dialektischen Materialismus innerhalb der revolutionären Partei war untrennbar damit verbunden, dass die WRP-Führung den Trotzkismus verwarf. Die grundlegenden Texte, auf die Healy nun bei der Vorbereitung seiner Vorlesungen zurückgriff, stammten von sowjetischen Akademikern, die vergeblich versuchten, Lenin in einen Staatsphilosophen umzuwandeln. (Die Bedeutung der Beiträge von verschiedenen sowjetischen Philosophen wie T. Oiserman und E. W. Iljenkow verdienen ernsthafte und sorgfältige Diskussion in der trotzkistischen Bewegung. Dies erfordert eine Untersuchung der Geschichte der sowjetischen Philosophie seit der Unterdrückung der Mechanisten und Deborinisten Ende der zwanziger Jahre. Wir wollen hier nur festhalten, dass solche Fragen von Healy niemals angeschnitten wurden.)
Anfang 1982 schrieb WRP-Mitglied Chris Talbot in einer WRP-Publikation eine Kritik des Buches „Dialektik in der modernen Physik“ des sowjetischen Philosophen Omeljanowski. Dies löste eine gehässige Antwort Healys aus, der Omeljanowski gegen die Kritik Talbots, der übrigens Berufsmathematiker ist, verteidigte. Seit Stalin Schostakowitschs 4. Symphonie („Schmutz statt Musik“) beschimpfte, hat sich kein Politiker jemals wieder so unbefugt in ein Gebiet eingemischt, für das er nicht zuständig ist. Healys Antwort, die dem bevorstehenden 6. Kongress der WRP als bedeutsamer Beitrag vorgelegt wurde, zeigte nicht nur seine Neigung, über Dinge zu schreiben, von denen er rein gar nichts verstand. Wichtiger ist, dass sie einen Einblick in Healys politische Orientierung und die wirkliche Bedeutung seiner dialektischen Fassade gewährte.
Wie Mao das Tischtennisspiel als Mittel benutzte, um China den Vereinigten Staaten zu öffnen, versuchte Healy, die Physik als Köder zu gebrauchen, um Beziehungen mit den Stalinisten und anderen konterrevolutionären Kräften anzuknüpfen. Er schmeichelte den Stalinisten mit der verlogenen Behauptung, dass „sowjetische Wissenschaftler und Physiker auf Grund der vergesellschafteten Eigentumsverhältnisse in der UdSSR trotz des Stalinismus führend“ seien. (Internes Bulletin Nr. 1, 25. Mai 1982, S. 3). Niemand, der sich in dem gegenwärtigen Stand der Physik auskennt, hätte je etwas Derartiges behauptet. Diese angebliche Überlegenheit den vergesellschafteten Eigentumsverhältnissen zuzuschreiben hieß außerdem, von der Analyse Trotzkis über die kulturelle und intellektuelle Entwicklung der UdSSR schwerwiegend abzuweichen.
Healys Dokument verfolgte aber noch eine weit hinterhältigere Absicht. Er entstellte bewusst Lenins berühmten Artikel „Über die Bedeutung des streitbaren Materialismus“ von 1922 und versuchte, den Beweis anzutreten, dass ohne ein Bündnis „mit ‚Nichtkommunisten‘, Wissenschaftlern und anderen, die an der materialistischen Interpretation der Hegelschen Dialektik interessiert sind, eine siegreiche Revolution nicht möglich wäre.“ (ebd. S. 1)
Lenin schrieb in seinem Artikel ausdrücklich über die Aufgabe, des „erfolgreichen kommunistischen Aufbaus“ in der Sowjetunion nach dem Sieg der bolschewistischen Revolution. Es ist bekannt, dass Lenin selbst wohl bekannte ehemalige Menschewiken, wie Axelrod, auf staatlichen akademischen Posten einsetzte (so lange sie bereit waren, die Sowjetmacht zu akzeptieren). Er betonte die Notwendigkeit, alle dem sowjetischen Staat zur Verfügung stehenden Kräfte zu sammeln, um das Erbe der kulturellen Rückständigkeit in der UdSSR zu überwinden. Der Artikel macht unmissverständlich klar, was Lenin meinte. Healys bewusst in unverständlicher Sprache verfasster Artikel erweckte dagegen den Eindruck, dass ein politisches und theoretisches Bündnis mit „Nichtkommunisten“ – einschließlich der Stalinisten und Gott weiß wem alles – die Voraussetzung für den Sieg der sozialistischen Revolution sei. Damit war der Angriff gegen Talbot ganz klar eine politische Rechtfertigung für die Linie der Klassenzusammenarbeit der WRP.