Ein Interview mit Jim Allen aus dem Jahr 1995

Unmittelbar nach der Veröffentlichung von Land and Freedom hatten Barbara Slaughter und Vicky Short ein Interview mit dem Bühnenschriftsteller und Drehbuchautor Jim Allen geführt. Er sprach über seine Sicht auf den Verrat der spanischen Revolution durch die stalinistische Bürokratie und seine langjährige Zusammenarbeit mit dem Regisseur des Films, Ken Loach.

Jim Allen: Der Film hat ziemlichen Eindruck gemacht. Seit er uraufgeführt wurde, sind wir überall herumgereist: Ich habe in Wales, Manchester, Belfast und in der Schweiz gesprochen. Ken [Loach] war in Deutschland, in Hamburg und Berlin. Als ich letzte Woche in Belfast sprach, hatte ich ein fantastisches Publikum. Sie haben 26 Jahre des Kampfes hinter sich und begreifen, was das Wesentliche ist - ein in politischen Fragen sehr spitzfindiges Publikum. Der Generalsekretär der Irischen Kommunistischen Partei war anwesend. Er machte ein paar Bemerkungen, aber nach dem Film war er still. Mit einer kleinen Gruppe verschwand er auf dem Parkplatz. Das war unmittelbar nach der Kritik im Morning Star[der Parteizeitung der britischen KP], die ich glücklicherweise gelesen hatte. Sie haben sich furchtbar aufgeregt, weil ihre Argumente so armselig sind.

Ich war nur einmal in Spanien, Ken war die ganze Zeit dort. Er sagte, dass einige der jüngeren Leute, die an dem Film mitgearbeitet haben, immer wieder unterbrachen und fragten: Ist das wahr? Ist das wirklich passiert? Es war eine Erfahrung für sie. Daraus könnten ein Art Debatte, einige Diskussionen, einige Klarheit erwachsen.

Der Film war schwierig zu machen. Vier Jahre allein brauchten wir, um das Geld aufzutreiben. Ich schrieb das Buch, weil ich viel mit Ken diskutiert hatte, dass, als der Stalinismus zusammenbrach und die Mauer in Berlin fiel, es im Westen hieß: "Das war's. Der Kommunismus funktioniert nicht. Er ist am Ende!" Und Typen wie Tony Blair [damals Führer der britischen Labour Party, heute Premierminister] und Konsorten sprangen auf den Wagen auf. "Euer Gott ist gescheitert. Geht in Eure Fabriken, stellt Euch in die Schlangen vor den Arbeitsämtern und vergesst es. Die freie Marktwirtschaft, die allein funktioniert."

Wir wollten zeigen, dass Kommunismus und Sozialismus in der Sowjetunion niemals existierten und Stalin ein Ungeheuer war. Wir suchten nach einem Stoff, der dies deutlich machen konnte. Dabei stieß ich auf eine Broschüre des Komitees der Internationalen Brigaden in Manchester und dachte: Das ist es.

Wir gingen davon aus, dass wir vier Millionen Pfund zusammenbringen und einen anständigen Film daraus machen könnten. Aber nach vier Jahren hatten wir noch nicht einmal zweieinhalb Millionen Pfund beisammen. Das bedeutete, neue Skripte zu schreiben und sie immer wieder umzuschreiben. Die großen Szenen in Barcelona, besonders die Rolle der Frauen, all dies war in den verworfenen Entwürfen enthalten. Mir kam dann der Einfall, weil wir uns die Szenen finanziell nicht leisten konnten, eine Stimme aus dem Off erzählen zu lassen. Das ist das Mädchen in Liverpool, das den Leuten über die Briefe erzählt, was dort geschah, weil wir uns nicht leisten konnten, es zu zeigen. Wir mussten mit zweieinhalb Millionen für alles auskommen: für das Filmen, die Verpflegung, Maske, Flüge, Hotelunterkünfte, für alles - das war ein Witz. Soviel geben sie für ein Fernsehspiel aus! Wir haben Gelder von überall her bekommen, hier ein bisschen, dort ein bisschen. Aber es hat mindestens vier Jahre gedauert. Es ist immer dasselbe, bei jedem Film, den wir machen.

Warum war es so schwierig? Lag es am Stoff?

Wir hatten schon immer Probleme, Filme zu finanzieren. Hidden Agenda war sehr schwierig, weil er sich mit der IRA und der Politik der britischen Armee, ihrem "Schießen, um zu töten" auseinandersetzte. Raining Stones wurde vom Sender 4 der BBC finanziert. Da mussten wir mit nur 800.000 Pfund auskommen. Das große Problem nach der Fertigstellung des Films sind die Verleihe. Du bist vollkommen von ihnen abhängig. Sie entscheiden, ob der Film bekannt gemacht wird und wieviel dafür ausgegeben wird - und das ist in der Regel ziemlich wenig. Dann haben wir Glück, wenn der Film in Kinos gezeigt wird. Du kannst deinen Film machen, aber wenn sie ihn nicht zeigen, gibt es nichts, was du dagegen tun könntest.

Ob Land and Freedom eine große Verbreitung haben wird, ist nicht sicher. Mit Arnold Schwarzenegger machen sie mehr Geld, und auf den Profit kommt es ihnen schließlich an. Sie stehen dem politischen Inhalt des Films offensichtlich feindlich gegenüber. Aber sie würden auch ihre eigene Mutter opfern, wenn ihnen das Profit einbringt.

Wie hast Du den Film recherchiert?

Ich lebe in einer Bücherwelt. Über den spanischen Bürgerkrieg ist sehr viel geschrieben worden. Felix Morrows Revolution und Konterrevolution in Spanien und die Schriften von Trotzki. Ein ausgezeichnetes Buch, um die Stimmung der damaligen Ereignisse zu begreifen, ist George Orwells Mein Katalonien. Ich habe alles gelesen, dessen ich habhaft werden konnte. Einige Mitarbeiter von Ken reisten in Spanien herum und sprachen mit Leuten, die in der POUM waren, die selbst mitgekämpft hatten. Ihre Erzählungen und persönlichen Berichte landeten dann alle bei mir.

Ich habe wohl vier oder fünf Entwürfe geschrieben. Der letzte Entwurf wurde auf der Grundlage geschrieben, dass wir drei Millionen Pfund zur Verfügung haben könnten und dann schrumpfte das Budget noch weiter. Große Szenen wurden gestrichen, solche wie der Zusammenstoß zwischen Stalinisten und Mitgliedern der POUM. Der endgültige Entwurf stand, als wir uns einigten einen Erzähler zu benutzen: ein altes POUM-Mitglied in Liverpool, er stirbt und seine Tochter findet seine Briefe. So konnten wir die Handlung mit den Briefen verschmelzen lassen, die jene Bilder vermitteln, die wir uns nicht leisten konnten. Das war zweite Wahl, aber ich meine es funktioniert. Das ist Kens Verdienst, weil er eine gute Arbeit leistet.

Wie hast Du Ken Loach kennengelernt?

Ken und ich haben uns vor 27 Jahren kennengelernt. Ich hatte damals gerade einen Film gemacht mit dem Titel The Lump. Er hatte den Film Cathy Come Home gemacht. Der Produzent war Tony Garnett, der beste Produzent bei der BBC zur damaligen Zeit, und er brachte uns zusammen. Ich hatte am Hafen gearbeitet und wollte deshalb einen Film über unsere Besetzung der Docks mit dem Titel The Big Flame machen. Den Film haben wir dann 1969 zusammen gedreht, er kam 1970 heraus. Dann haben wir die Filme Rank and File, Pilkington und Days of Hope zusammen gemacht.

Es gab Dinge, die wir machen wollten, aber nicht konnten. Roland Joffe machte zwei Filme von mir, The Spongers und United Kingdom. Wir gewannen alle Auszeichnungen - Prix Italia und so weiter. Also sagten wir uns: "Gut, wenn Auszeichnungen irgendeinen Wert haben, dann dass sie uns Kraft geben die Dinge zu tun, die wir tun wollen." Wir gingen zur BBC und erklärten, wir würden gern einen Film über den Aufstieg des Faschismus in Deutschland machen. Vor dem Fall der Mauer fuhren wir nach Ostdeutschland und sprachen mit alten Mitgliedern der Kommunistischen Partei aus dieser Zeit; wir diskutierten über die stalinistische Politik, die die deutschen Arbeiter gespalten und Hitler den Weg geebnet hat. Ich hatte schon angefangen zu schreiben, aber dann wurde das Projekt gestoppt. Ich weiß nicht genau, ob es aus politischen Gründen gestoppt wurde. Manchmal macht einen so etwas verrückt.

Es könnten politische Gründe sein, aber Produzenten haben nun einmal ein Budget, und wenn sie es nicht vorteilhaft ausgeben, und mit vorteilhaft meine ich, dass sie große Zuschauerzahlen erreichen müssen, dann verlieren sie ihren Job. Daher sind sie sehr nervös, heute mehr denn je. Es ist nahezu unmöglich, heute Fernsehfilme wie Days of Hope[über den britischen Generalstreik von 1926] zu drehen, weil dir jeder dabei über die Schulter sieht. Sie sind wie eine Gruppe verängstigter Männer. Produzenten drängen dich in eine Ecke und sagen: "Ich stimme dir zu, dass wir diese Sachen machen sollten... aber du weißt schon." Er sagt es nicht, aber der Grund ist seine Hypothek, sein gewohntes Leben und so weiter. Niemand will ein Held sein. Sie bevorzugen das Sichere, Polizeimaterialien und so etwas.

Wie ist die Zusammenarbeit mit Loach?

Meist kommt mir die Idee, und dann treffe ich mich mit Ken und wir setzen uns hin und erörtern, in welche Richtung es gehen soll. Dann geht er, und ich mache mich an die Arbeit. Ken ist in hohem Maße ein Regisseur, der mit Hand anlegt. Er ist an jedem Stadium des Drehbuchs beteiligt. Ich schreibe so ein halbes Dutzend Szenen, dann setzen wir uns hin, reißen alles auseinander und flicken es wieder zusammen. Nur so geht das. Weil wir politisch so ziemlich auf einer Linie liegen, ist das kein Problem.

Wenn du in Isolation schreibst, siehst du den Wald vor Bäumen nicht. Ken ist wie ein Laserstrahl. Manchmal verfluche ich ihn, aber er hat immer recht. Er kommt, schaut sich das Material an und sagt: "Das ist großartig, Jim, aber ich denke das und das." Und er hat recht, weil ich so vertieft in die Sache bin, dass ich etwas anderes nicht sehe. Das ist die Weise, wie wir gemeinsam das Skript entwickeln.

Dann ist da seine Art zu drehen. Im Film gibt es eine lange Szene, in der die Bauern über die Kollektivierung diskutieren. Sie war vollständig geschrieben und wir hatten zwei Amerikaner in Madrid, die sie übersetzten. Unter den Bauern befanden sich drei Schauspieler, die übrigen waren Laien. Aber eine ganze Reihe von ihnen kannte ihre eigene Geschichte nicht. Eine Stunde vor dem Dreh sagte Ken zu ihnen: "Vergesst eure Texte!" Sie hatten ihre Texte gelernt, aber viel wichtiger war, dass sie die politischen Fragen verstanden, über die sie diskutieren sollten.

Der Amerikaner zitiert Statistiken, die ihnen unbekannt sind, Verordnungen und so weiter. Dann sagt der Stalinist: "Ihr könnt dem Großgrundbesitzer das Land nicht wegnehmen" - dabei steht der Großgrundbesitzer auf der Seite von Franco. Dann kommt der Franzose oder einer von den Spaniern zurück und sagt: "Wir wollen das Land von allen Kapitalisten!" Dann fingen sie an über die Frage zu diskutieren, die ihnen bis dahin vielleicht noch nie in den Sinn gekommen war: ob es nicht wieder ein neuer Kein für den Kapitalismus ist, wenn man einem einzigen auch nur einen Morgen an Besitz überlässt. All diese Fragen kamen auf. Ken ließ sie diskutieren, und es klappte.

Ken dreht immer in Folge, so dass die Schauspieler nie wissen, was am nächsten Tag passiert. Ich habe Filme gemacht, wo am ersten Tag alle um den Tisch herum saßen und jeder das Skript las, was jegliche Verwirrung beseitigte. Ken wird ihnen nie erlauben das Skript zu sehen. Er gibt ihnen eine Seite bevor sie mit dem Drehen beginnen, vielleicht auch am Abend vorher. Sie haben keine Zeit den Dialog und die Situation im Kopf einzustudieren. Daher wird die Szene beim Dreh auf eine Art spontan erschaffen, ist etwas, was ihnen gerade eingefallen ist. Sie haben keine Zeit es intellektuell und rational zu verarbeiten, daher kommt es frisch heraus.

In Land and Freedom wussten die Schauspieler, dass sie im Krieg sind und dass einer getötet werden wird, aber sie erfuhren nie wer. Sie sagten: "Wer wird es sein, ich oder du?" Keiner wusste es und du kannst die Spannung in dem Film spüren.

Ken lässt es auf den Zufall ankommen, denn er arbeitet mit nur einer Kamera. Das scheint chaotisch zu sein, ist aber eingebunden in einen sehr disziplinierten Rahmen. Sie haben eine Kamera. Wenn sie die Szene einfängt, dann hat sie sie, wenn nicht, dann nicht. Daraus entsteht diese Art "Wochenschau-Effekt", eine ungeschliffene Sache. Du weißt nie, was als nächstes passiert.

Könntest du uns von den Problemen erzählen, die du mit Perdition, deinem Stück über die Kollaboration von Zionisten mit den Nazis, hattest?

Perdition war eine sehr schlechte Erfahrung. Ich habe vor ein paar Tagen Nachricht von meiner Bank bekommen und meine Kontoüberziehung, die niedrigste seit langem, ist bei 3.000 Pfund, trotz der Tatsache, dass ich vier Filme in sechs Jahren geschrieben habe. Wir waren 20.000 Pfund wegen der Verleumdungsklage los und das war mörderisch. Ein Verleger war mit hineingezogen und bezahlte viel. Aber es hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Ich habe das sechs Jahre lang verfolgt. Ich erhielt eine Entschuldigung vom Telegraph und 5.000 Pfund, aber das hat in keiner Weise die Kosten gedeckt.

Wir brachten es nie auf die Bühne, mit Ausnahme einer gekürzten Version beim Filmfestival in Edinburgh, wo es an einem Abend gezeigt wurde. Der Kerl, der es ansetzte, sagte: "Ich habe niemals solchen Druck erfahren. Ich bin ein nervliches Wrack. Das Telefon klingelte die ganze Nacht, die Anrufe kamen aus der ganzen Welt." Ein zionistischer Führer in London sagte zu Ken: "Ich habe sechs Freunde, die sehr mächtig sind, und wir werden verhindern, dass es aufgeführt wird."

Ein großer Produzent im West End war einverstanden es aufzuführen. Innerhalb von 24 Stunden rief er Ken zurück und sagte zu ihm: "Tut mir leid, vergiss es. Ich hatte Anrufe und mir wurde gesagt, dass wenn ich Perdition aufführe, ich nie wieder etwas am Broadway bringen würde. Ich habe Verantwortung für Regisseure und so weiter. Tut mir leid."

Die Kampagne, die sie gemeinsam mit der Presse abstimmten, war unglaublich. Ich wurde in Amerika angegriffen. Ich bekam einen Artikel zugeschickt, der 20.000 Wörter umfasste und in der New Republic abgedruckt war. Ich antwortete in 1.000 Worten, um sicherzustellen, dass ich alles gesagt habe. Drei Monate später bekam ich einen Brief zurück, der bemerkte: "Sie bekommen die gleiche Freiheit wie jeder andere Autor in unserem Magazin" - 100 Wörter oder so ähnlich, auf der Leserbriefseite.

Und daraus erwuchs die Verleumdungsklage. Ich denke, über zwei Jahre lag mein Einkommen bei zehn Pfund pro Woche. Dazu kam, dass ich persönlich eine schwere Zeit durchmachte wegen der Krankheit meiner Frau - Anrufe, Beschimpfungen. Du kannst dir nicht vorstellen wie es war...

Eine Gruppe von uns führte es für eine Woche in London auf, in einer säkularen Gesellschaft. Wir zeigten die gekürzte Version und es lief eine Woche. Der Raum war voll, hauptsächlich jüdische Leute kamen, denn dies war ein Kapitel ihrer Geschichte, das sie nicht kannten, wie Land and Freedom für die Spanier. Ich übertreibe nicht, einige Menschen dort haben geweint - alte Menschen - wegen einiger Tatsachen, die im Stück herauskamen über die Zionisten, die taten was sie konnten, um die Juden in Ungarn zu desorganisieren. Ich sagte zu Ken: "Sollte ich jemals in der Lotterie gewinnen, ist das erste, was ich mache, ein Theater anmieten und Perdition auf die Bühne bringen." Eine andere Möglichkeit gibt es nicht.

Hast Du "Land and Freedom" geschrieben, um einen Weg zu finden, das Bewusstsein fortschrittlicher Arbeiter weiterzuentwickeln?

Alles, was wir machen, geht in diese Richtung. Ein solcher Stoff kann beides, ein gutes Stück hergeben und dazu dienen, die Leute zu lehren, ihre eigene Geschichte zu beobachten und zu verstehen.

Man muss dem aber eine dramatische Form geben. Fängt man an, Vorlesungen abzuhalten, dann wird es schlechte Literatur, schlechte Kunst. Man kennt die Triebkräfte. Dann aber muss man ein Drama daraus machen, die Struktur, die Charaktere schaffen, die die Ideen ausdrücken, ohne Reden zu halten. Manchmal vertut man sich. In Raining Stones gab es keine politischen Reden, aber die Politik war da. Der Film war durchtränkt von Politik, handelte von Menschen im Kampf ums Überleben. Das war für mich die treibende Kraft hinter Land and Freedom. Außerdem war die Geschichte einfach gut zu erzählen.

Siehe auch:
Jim Allen: ein Leben lang der historischen Wahrheit verpflichtet
(26. August 1999)
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