Vorwort zu „Die Kunst, die Welt zu sehen“ von Alexander K. Woronski

Am 15. Dezember wird die deutsche Erstausgabe der Essay-Sammlung 'Die Kunst, die Welt zu sehen' von Alexander K. Woronski in der herausragenden Übersetzung von Ingeborg Schröder und Erich Ahrndt ausgeliefert. Woronski war eine herausragende Persönlichkeit des intellektuellen Lebens in der frühen Sowjetunion, der Herausgeber der wichtigsten Literaturzeitschrift in den zwanziger Jahren und ein Unterstützer von Trotzki und der Linken Opposition in ihrem Kampf gegen den Stalinismus.

Wir veröffentlichen hier das Vorwort des vom Arbeiterpresse Verlag publizierten Bandes. Es stammt vom Woronski-Spezialisten und Übersetzer der englischsprachigen Ausgabe, Frederick S. Choate. Das Buch ist hier erhältlich.

Alexander Konstantinowitsch Woronski wurde im September 1884 in der Kleinstadt Choroschawka im russischen Gouvernement Tambow geboren. Am 13. August 1937 wurde er von einem stalinistischen Henker durch Erschießen hingerichtet und in einem Massengrab nahe Moskau verscharrt. Sein Leben umspannt eine der stürmischsten Perioden der modernen Geschichte: Er nahm aktiv an den Revolutionen von 1905 und 1917 teil und spielte eine wichtige Rolle beim Aufbau des ersten Sowjetregimes und im Kampf gegen dessen Degeneration. Er war im bolschewistischen Untergrund und in der politischen Verbannung, bekleidete Leitungsfunktionen in verschiedenen staatlichen politischen Komitees, gab mehrere einflussreiche Zeitungen und Zeitschriften heraus, wurde als Oppositioneller verbannt und als alter Bolschewik verfolgt, der wie die meisten marxistischen Revolutionäre seiner Generation nach Wegen suchte, in einem Regime zu überleben, welches allem, wofür er einst eingetreten war, zunehmend feindlich begegnete.

Als Sohn eines Dorfpfarrers besuchte Woronski das Geistliche Seminar in Tambow, wo er 1904 dem bolschewistischen Flügel der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (RSDAP-B) beitrat. Ein Jahr später wurde er als Anführer einer Studentenrebellion gegen die repressive Leitung aus dem Seminar relegiert.

Das Jahr 1905 sah nicht nur die Radikalisierung einiger theologischer Seminaristen im hinterwäldlerischen Tambow. Nach dem Blutsonntag in St. Petersburg fanden im ganzen Land Streiks statt, die in den revolutionären Kämpfen im Herbst kulminierten und die Hauptstadt erschütterten. Tausende Arbeiter, Bauern, Intellektuelle und Studenten beteiligten sich aktiv an den revolutionären Geschehnissen, doch dem zaristischen Regime gelang es, die Revolte zu zerschlagen.

Als ernsthafter, aber relativ unerfahrener Bolschewik nahm Woronski an der Revolution von 1905 in Petersburg teil und wurde wie viele andere junge Marxisten bald nach ihrem Scheitern verhaftet. 1906 wurde er in einem Prozess zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. Zehn Monate davon verbrachte er im Petersburger Kresty-Gefängnis, die letzten beiden im Provinzgefängnis von Tambow. Nach seiner Freilassung wurde er im Oktober 1907 erneut verhaftet und zu zwei Jahren Verbannung in Jarensk (Provinz Wologda) verurteilt.

Die Erlebnisse dieser Periode hat Woronski in seiner halbfiktiven Autobiografie „Auf der Suche nach dem Wasser des Lebens und des Todes“ (1) sehr lebendig geschildert. Aus der zeitlichen Distanz von zwanzig Jahren zeichnet der Autor anhand der Charaktere von Valentin und Alexander ein akkurates Porträt des an der Untergrundarbeit wachsenden jungen Bolschewiken. Der Leser begleitet Valentin/Woronski dann bis zur Prager Konferenz von 1912 und erlebt Porträts von Lenin, Sinowjew, Kamenew, Serebrjakow und Woronski selbst, die nun die eher lyrische Schilderung der Jugend ablösen.

Die Prager Konferenz war ein Wendepunkt in Woronskis Leben: Einerseits war sie der Anlass für seinen einzigen Aufenthalt in Europa (zu diesem Zeitpunkt studierten mehrere tausend Russen im Ausland, teils freiwillig, teils als Exilanten, die revolutionären Zirkeln angehört hatten), andererseits führte sie ihn mit vielen der zukünftigen Führer der russischen Revolution von 1917 zusammen. Woronski trat dort leidenschaftlich für eine revolutionäre Tageszeitung ein und wurde eingeladen, diese Idee auf einem Spaziergang mit Lenin zu diskutieren. Genossen wie Sinowjew, Kamenew, Serebrjakow und Ordshonikidse sollten eine Schlüsselrolle in Woronskis Leben spielen. Im Jahre 1912 fand Woronski Zugang zu den führenden Kreisen der bolschewistischen Partei; er verfehlte die Wahl zum Mitglied des Zentralkomitees mit nur einer Stimme weniger als Golostschekin. Woronski führte das Protokoll der Prager Konferenz und wurde beauftragt, vor bolschewistischen Gruppen in Nikolajew und Saratow über die Konferenz zu berichten.

Während eines solchen Berichts wurde Woronski 1912 erneut verhaftet. Die Zusammenkunft war durch einen Informanten an die zaristische Geheimpolizei verraten worden. Er wurde in die Stadt Kem nahe dem Polarkreis verbannt. Während des 1. Weltkriegs lebte er 1915-16 in Jekaterinoslaw, musste aber flüchten, um einer erneuten Verhaftung zu entgehen. Darauf diente er im Verband der Semstwos (Selbstverwaltungen) an der Westfront. Nach der Februarrevolution wurde er Vorsitzender des Soldatenrates von Koidanow im Gouvernement Minsk.

Im Frühjahr 1917 ging Woronski nach Odessa, wo er leitend an der Errichtung der Räterepublik beteiligt war und in der Bevölkerung für die Unterstützung der bolschewistischen Politik warb. Als die deutsche Armee Odessa 1918 besetzte, wurde Woronski nach Iwanowo-Wosnessensk geschickt, wo er drei in politischer und literarischer Hinsicht äußerst produktive Jahre verbrachte.

In Iwanowo hatte Woronski verantwortungsvolle Funktionen inne und war nur Michail Frunse unterstellt, den er 1907 im Gefängnis kennen gelernt hatte. Nachdem Frunse an die Front ging, leitete Woronski das städtische Parteikomitee und das Exekutivkomitee und gab gleichzeitig die Zeitung 'Rabotschi krai' (Arbeiterregion) heraus, die bald als beste Parteizeitung der Gouvernements galt.

Die Tätigkeit als Herausgeber schloss nahtlos an Woronskis bisherigen Lebenslauf an. Seine Veröffentlichungen in Worowskis 'Jasnaja sarja' (Klare Morgenröte) im Jahre 1911 markierten den offiziellen Beginn seiner literarischen Karriere. Die vorliegende Ausgabe enthält zwei jener frühen Aufsätze: Darin wird sichtbar, dass schon Woronskis Frühwerk von revolutionärer Leidenschaft und feinem Gespür für literarische Qualität gekennzeichnet ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt bedeutete der Bolschewismus für Woronski den Kampf für die besten Kulturtraditionen der Menschheit und gegen Rückständigkeit und Ungerechtigkeit. Autoren wie Gorki, Hamsun u. a., für die er sich in seinen ersten Veröffentlichungen engagierte, verkörperten diesen Kampf, während die von ihm kritisierten Schriftsteller die Ideale aufgegeben hatten, an denen Woronski und andere junge Revolutionäre festhielten.

Reiche politische Erfahrungen während seines Aufenthalts in Iwanowo prägten Woronskis kritisches Verständnis. Die Stadt war nach Petrograd und Moskau vielleicht die drittwichtigste Hochburg der Bolschewiki. Iwanowo war eine Stadt großer Textilfabriken, und im Bürgerkrieg wurden von dort immer neue Arbeiterbataillone an die Fronten geschickt, wie Woronski in dem hier abgedruckten kurzen Artikel 'Das rote Gouvernement' beschreibt. Die Reihen der führenden Kader lichteten sich zusehends, weshalb in dieser kritischen Periode praktisch die ganze Parteiarbeit auf den Schultern von Woronski und Olga Woronzowa lastete.

Sichtet man das Archivmaterial und die Presse dieser Zeit, so scheint Woronski an allen Orten gleichzeitig gewesen zu sein - er schrieb Artikel, sprach auf Kundgebungen, hielt Vorträge, leitete Versammlungen, reiste zu Konferenzen und hielt Trauerreden auf Begräbnissen. Tatsächlich schaffte er es, allein zwischen 1918 und 1920 rund 400 Artikel für 'Rabotschi krai' zu schreiben, von denen wir aus Platzgründen leider nur vier in diese Ausgabe aufnehmen konnten. Aber die Auswahl spiegelt den Zeitgeist dieser Periode wider. Der alte Bolschewik M. S. Olminski forderte in der 'Prawda' 1918 andere Zeitungen auf, sich ein Beispiel an dem hohen Niveau von 'Rabotschi krai' zu nehmen.

Nach Beendigung des Bürgerkrieges erforderten die Demobilisierung der Roten Armee und der Aufbau der kriegsgebeutelten Wirtschaft alle Kräfte. Das kulturelle Niveau der breiten Masse zu heben, war für den Wiederaufbau des Landes absolut notwendig, und Woronski war einer von vielen, die sich dieser schwierigen Aufgabe widmeten. Die größten Herausforderungen in diesem Zusammenhang kamen von dort, wo man sie am wenigsten erwartete: nicht von offenen Feinden der Sowjetrepublik, sondern von ungebildeten Anhängern der Sowjetmacht und vor allem Vertretern der Bewegung für 'Proletarische Kultur' (Proletkult).

Die Proletkult-Bewegung geht auf vorrevolutionäre Zeiten zurück: 1909/10 formulierten verschiedene Bolschewiki um A. A. Bogdanow (Malinowski) die ersten Thesen der proletarischen Kultur. Bogdanow wusste sich in dieser Tendenz mit Lunatscharski, Stepanow, Pokrowski, Basarow und einigen anderen sozialdemokratischen Theoretikern einig und genoss die volle Unterstützung Gorkis.

Die Proletkult-Anhänger vertraten die Ansicht, dass der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft an drei Hauptfronten stattfinden müsse: Der ökonomische Kampf sollte von den Gewerkschaften, der politische von der Sozialdemokratischen Partei und der kulturelle von der Proletkult-Bewegung geführt werden. Offiziell im Sommer 1917 gegründet, entwickelte die Bewegung sich zur Massenorganisation, die 1920 etwa 400 000 Mitglieder hatte. Lenin missbilligte ihre Forderung nach Autonomie sowohl vom Sowjetstaat als auch von der bolschewistischen Partei, und 1921 stellte das Zentralkomitee den Proletkult unter die Aufsicht des Volkskommissariats für Aufklärung, dem Lunatscharski vorstand. Obwohl Bogdanow 1921 die Proletkult-Bewegung verließ, um wissenschaftlich zu forschen und die Leitung der Sozialistischen Akademie zu übernehmen, blieben viele seiner Anhänger in unterschiedlichen literarischen Organisationen aktiv, wie zum Beispiel der WAPP (Allrussische Vereinigung proletarischer Schriftsteller), der MAPP (Vereinigung proletarischer Schriftsteller Moskaus), in 'Kusniza' (Schmiede), 'Molodaja gwardia' (Junge Garde) und Gruppen um die Zeitschriften 'Oktjabr' (Oktober) und 'Na postu' (Auf Posten). Sie traten dafür ein, dass Staat und Partei lediglich proletarischen Schriftstellern volle Unterstützung gewähren sollten bei ihrem Bemühen, die bürgerliche Kultur vollständig abzulösen. Zugleich forderten sie, dass der neue proletarische Staat auf keinen Fall nichtkommunistischen Schriftstellern Unterstützung (in materieller oder ideeller Form) gewähren solle, da deren einziges Bestreben darin bestünde, bürgerliche Ideologie in Form apolitischer oder untendenziöser Kunst einzuschmuggeln. Viele Proletkult-Anhänger entwickelten eine übertriebene Tendenz, literarische und kulturelle Errungenschaften der Vergangenheit im Namen dessen, was sie unter neuer 'proletarischer Kultur' verstanden, abzulehnen.

Die Debatte über dieses Thema wurde sowohl inner- als auch außerhalb der Partei geführt und war kompliziert und langwierig. Lenin entwickelte einige der ersten Hauptthesen gegen den Proletkult, er bemerkte darin, dass 'der Marxismus die wertvollsten Errungenschaften des bürgerlichen Zeitalters keinesfalls ablehnte, sondern sich umgekehrt alles, was in der zweitausendjährigen Entwicklung des menschlichen Denkens und der menschlichen Kultur wertvoll war, aneignete und es verarbeitete'. (2) Im Herbst 1922 ermutigte Lenin J. Jakowlew, in der 'Prawda' gegen den Proletkult-Anhänger W. Pletnew aufzutreten. Während der kommenden Monate erwiesen sich Trotzki und Woronski als beständige Gegner des Proletkults, und ihre Namen waren mit den immer härteren Auseinandersetzungen in der Presse verbunden.

Woronski hat die Argumente des Proletkults nie akzeptiert, und einige seiner besten Artikel thematisieren die Notwendigkeit, sich die Kultur der Vergangenheit anzueignen, bevor man über sie hinausgehe. 1921 war er nicht mehr Herausgeber einer bedeutenden Provinzzeitung, sondern hielt sich in Moskau auf, der Hauptstadt, in der ein hochwichtiger intellektueller Gärungsprozess in Gang gekommen war.

Nicht zuletzt durch Gorkis Anregung war Lenin auf die hohe Qualität von 'Rabotschi krai' aufmerksam geworden und rief Woronski nach Moskau. Dort gründete und edierte dieser das beste literarische Journal der 1920er Jahre, die Zeitschrift 'Krasnaja now' (Rotes Neuland).

Über 'Krasnaja now' ist viel geschrieben worden. (3) Festgehalten werden muss, dass die Zeitschrift für die Förderung der jungen, neuen Sowjetliteratur von einzigartiger Bedeutung war. Sie erschien einmal monatlich, in einem Umfang von jeweils 200-300 Seiten. Sie brachte Beiträge zu Philosophie, Wissenschaft, Politik und Ökonomie, doch ihre besondere Stärke lag im Bereich der künstlerischen Literatur und der Literaturkritik. Von der ersten Ausgabe an, die mit Wsewolod Iwanows 'Partisanen' eröffnet wurde, publizierte 'Krasnaja now' regelmäßig Schriftsteller, die als 'Weggenossen' in die scharf und polemisch geführte Parteidebatte über Literatur eingingen.

Der Begriff 'Weggenossen' trifft für ein breites Spektrum von Schriftstellern zu, angefangen von Gorki, Weressajew, A. Tolstoi und Ehrenburg über Pilnjak, Nikitin, Lidin bis zu Sostschenko. Im weiteren Sinne bezeichnet er Schriftsteller, die die Revolution zwar nicht ablehnen, aber auch nicht völlig mit dem marxistischen Standpunkt übereinstimmen. Nimmt man Majakowski, Jessenin, W. Iwanow, Sejfullina, Tichonow, Leonow und Babel hinzu, so wird offenkundig, dass 'Krasnaja now' ein umfassendes Programm der besten Schriftsteller der 1920er Jahre publizierte. Der neidische Herausgeber einer konkurrierenden Zeitschrift bezeichnete Woronski einmal als 'Iwan Kalita' (4) der Sowjetliteratur.

Neben seiner Editionsarbeit, die Auswahl und Publikation umfasste, schrieb Woronski literaturkritische Aufsätze zu beinahe jedem Themenschwerpunkt von 'Krasnaja now'. Die erste Ausgabe enthielt bereits fünf kurze Artikel. Manchmal steuerte Woronski lediglich eine umfangreichere Arbeit bei, doch seine literarische Produktion blieb Mitte der 1920er insgesamt auf hohem Niveau. (5)

Es überrascht, dass dieses beeindruckende Engagement Woronski keineswegs uneingeschränktes Lob eintrug. Die Zeitschrift 'Na postu', gegründet 1923 und existent bis 1925, attackierte ihn oft und bezichtigte ihn, den 'Weggenossen' den Vorrang vor den ideologisch richtiger orientierten proletarischen Schriftstellern zu geben. Lelewitsch, Rodow und andere Angehörige der 'Na-postu'-Redaktion suchten, wenn es um Angriffe gegen Woronski ging, den Schulterschluss mit ihren Rivalen der Zeitschrift 'LEF'. Tatsächlich verging von 1923 bis 1937 kaum ein Monat ohne eine an Woronski adressierte leidenschaftliche Tirade von einem übereifrigen Gegner. Eine dieser Tiraden operierte sogar mit dem abgewandelten Aufruf: 'Woronski-Karthago muss zerstört werden!' In vielen Schriften wurde die Formulierung 'Woronschtschina' gebraucht, ein pejorativer Begriff, der im deutschen 'Woronskijismus' nur eine schwache Entsprechung findet.

Woronski hatte auch Förderer, oft in sehr einflussreichen Kreisen: Lenin, Krupskaja und Gorki hatten die Gründung von 'Krasnaja now' 1921 begrüßt und ihn zur Weiterarbeit ermutigt. Sogar aus dem Ausland bot Gorki zu jeder sich bietenden Gelegenheit seine Hilfe an und schickte regelmäßig Beiträge. Frunse, mittlerweile ein bekannter Kriegsheld und bedeutender militärischer Kader geworden, blieb bis zu seinem Tod im Herbst 1925 ein vertrauter Genosse und Freund Woronskis. Später sollte Woronski oft sagen: 'Wäre Michail Wassiliewitsch (Frunse) noch am Leben, würde er nie zulassen, dass dieser Mob mich in Stücke reißt.'

Nahe standen ihm auch die Genossen Serebrjakow, Preobrashenski, I. N. Smirnow und Ter-Waganjan, die ihn oft in seinem Apartment im Ersten Haus der Sowjets (6) besuchten. Doch die wohl größte und beständigste Unterstützung in der Partei fand Woronski bei L. D. Trotzki, was mit der Verschärfung der innerparteilichen Auseinandersetzungen in den 1920er Jahren um so deutlicher zu Tage trat.

Das Leben Trotzkis ist in vielen historischen Arbeiten hinreichend beschrieben. Er trat Ende des 19. Jahrhunderts der marxistischen Bewegung bei und spielte eine wichtige Rolle in der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (RSDAP). Zwischen 1903 und 1917 gehörte er nicht zu der bolschewistischen Fraktion Lenins, doch auch mit den Menschewiki arbeitete er nur sporadisch zusammen, da er eine Wiedervereinigung der seit 1903 gespaltenen RSDAP anstrebte. In der Zeit von 1904 bis 1906 erarbeitete Trotzki die Theorie der permanenten Revolution, die die theoretische Grundlage der Oktoberrevolution bildete. Nach dem Zusammenbruch der großen und mächtigen sozialdemokratischen Parteien Europas zu Beginn des 1. Weltkriegs näherte sich Trotzki in den meisten fundamentalen politischen Fragen den Bolschewiki an, und nach dem Sturz des zaristischen Regimes im Februar 1917 kehrte er aus dem New Yorker Exil nach Russland zurück, kurz nachdem Lenin die 'Aprilthesen' verfasst hatte. Deren Kernthese war die Unabhängigkeit von der neuen Regierung und der Aufruf zur sozialistischen Revolution. Da Trotzki diese Perspektiven guthieß, trat er im August 1917 in die bolschewistische Partei ein. Im Oktober leitete Trotzki den Petrograder Sowjet und organisierte die Machtübernahme in der Hauptstadt. Nach einigen Monaten als Kommissar für äußere Angelegenheiten übernahm er die Führung der Roten Armee, einen Posten, den er während des ganzen Bürgerkriegs bekleidete. Mit der Gründung der III. Internationale im März 1919 begann er eine wichtige Rolle in Angelegenheiten der Komintern zu spielen und fand Anerkennung bei den in dieser Zeit entstehenden kommunistischen Parteien auf der ganzen Welt. Zu diesem Zeitpunkt war Trotzki zweifellos das zweitbekannteste und prominenteste Mitglied der Partei der Bolschewiki, lediglich Lenin könnte als der 'primus inter pares' betrachtet werden. 1922 erlitt Lenin seinen ersten schweren Schlaganfall, der seine Parteiaktivitäten bis zu seinem Tod im Januar 1924 erheblich beeinträchtigte.

Bereits während Lenins Krankheit begann das 'Triumvirat', bestehend aus Sinowjew, Kamenew und Stalin, Trotzkis Position in der Partei zu untergraben. Eine Vielzahl von Fragen hing damit zusammen: Der Übergang vom Bürgerkrieg zum friedlichen Aufbau, die Neue Ökonomische Politik (NÖP), beunruhigende Symptome der Bürokratisierung der Partei, die Erschöpfung der Arbeiterklasse nach Krieg und Revolution, der internationale Druck der imperialistischen Länder, die das bolschewistische Regime zu ersticken versuchten, die Schwierigkeit, die russische Rückständigkeit zu beseitigen, die Notwendigkeit, die sozialistische Revolution in Europa voranzutreiben, und anderes mehr. Unter diesen Umständen bildeten sich verschiedene oppositionelle politische Gruppierungen gegen das Triumvirat, was in den Jahren 1923 bis 1927 zu scharfen Konflikten und Auseinandersetzungen innerhalb der Partei führte. Währenddessen formierte Trotzki die Linke Opposition, die einzige konsequente marxistische Opposition gegen das, was heute als Stalinismus bezeichnet wird.

Im Herbst 1923, als Trotzki eine Reihe grundlegender Fragen in der Partei aufwarf, trat die Linke Opposition bereits mit klaren Perspektiven auf. Anfang Oktober kritisierte er die beunruhigende Bürokratisierung der Partei, die Zunahme eigenmächtiger Ernennungen, Angriffe auf die Parteidemokratie sowie problematische ökonomische Praktiken, die das Bündnis zwischen Bauern und Arbeitern, bekannt als 'Smytschka' (Zusammenschluss), gefährdeten. Viele dieser Punkte vertieften und unterstrichen Lenins Analyse vom März 1923, die er kurz vor seinem Schlaganfall, der ihn aus dem Parteileben riss, formuliert hatte. Eine Woche nach Trotzkis erster Erklärung verfassten 46 altgediente Bolschewiki einen Brief, in dem sie Trotzki beipflichteten. Zu den Unterzeichnern gehörten E. Preobrashenski, L. Serebrjakow, I. N. Smirnow, G. Pjatakow, N. Muralow, A. Antonow-Owssejenko, B. Jelzin, M. Bogulawski und A. Woronski. Von nun an nahm Woronski aktiv an der Politik der Linken Opposition teil, bis er sie 1929 offiziell verließ, indem er einen von I. N. Smirnow und M. Boguslawski aufgesetzten Brief dieses Inhalts unterzeichnete.

Während der innerparteilichen Auseinandersetzungen hat Woronski seine literaturkritischen Konzeptionen, die mit denen Trotzkis in allen wesentlichen Punkten übereinstimmten, weiterentwickelt. Zahlreiche Artikel, Bücher und Auftritte in öffentlichen Versammlungen bezeugten diese Übereinstimmung. (Der bekannteste Fall ist die Debatte über die Position der Partei zu Fragen der Literatur am 9. Mai 1924 unter der Ägide der Presseabteilung des Zentralkomitees.) Sowohl Trotzki als auch Woronski sprachen sich gegen die Möglichkeit der Bildung einer neuen 'proletarischen Literatur' aus und verteidigten die 'Weggenossen' gegen die 'Na-postu'-Leute. Sie beharrten darauf, dass nach grausamen kriegerischen Auseinandersetzungen und Revolutionen der kommenden Jahrzehnte auf der ganzen Welt, wenn sich dem Proletariat die Gelegenheit böte, eine neue Kultur aufzubauen, bereits die Bedingungen für den Übergang in eine klassenlose Gesellschaft bestehen würden. Eine neue Kultur gründe sich daher auf klassenunspezifische, allgemein-menschliche Werte, auf die Ideale von Solidarität und Gleichheit. Die Prinzipien, die in dieser These auf die Frage der proletarischen Kultur angewendet werden, gehen auf Trotzkis Theorie der permanenten Revolution zurück, die als offizielle Parteidoktrin in den frühen 1920er Jahren allgemein anerkannt war, doch seit dem Herbst 1924 von der Bucharin-Stalin-Fraktion angegriffen wurde.

Die Kämpfe innerhalb der Partei verschärften sich von Monat zu Monat, und Woronski geriet immer mehr unter Druck. Nachdem er den Brief der 46 unterzeichnet hatte, besuchten ihn Frunse, Woroschilow und Ordshonikidse und versuchten erfolglos, ihn dazu zu bewegen, seine Unterschrift zurückzuziehen. Nach der Debatte um die 'Lehren des Oktober' im Herbst 1924, in der die Angriffe auf die Linke Opposition deutlich eskalierten, wurde Woronski vorübergehend seines Postens als Herausgeber von 'Krasnaja now' enthoben, was nach heftigen Protesten der Autoren Jessenin, Gorki und anderer wieder rückgängig gemacht wurde.

Woronskis Veröffentlichungen dieser Zeit sind von wachsender Sorge über negative Tendenzen in der Literatur geprägt. Er konnte hohlen revolutionären Enthusiasmus nicht ausstehen und rief wiederholt zu größerer literarischer Ernsthaftigkeit auf: 'Bei uns herrscht kein Mangel an plakativen, schrillen und tönenden Glorifizierungen der Revolution, der Komintern, der Kommunistischen Partei und des Komsomol (Kommunistischer Jugendverband). Doch wie oft klingt das nichtssagend und wenig überzeugend!' (7) 'Es gibt bei uns Werke, die vom echten Pathos der besten Ideen und Gefühle unserer Epoche erfüllt sind, die meisten Werke jedoch sind deklamatorisch, oberflächlich, unaufrichtig und unwahr.' (8)

Auch die zunehmende staatliche Zensur bereitete ihm Unbehagen:

Ernsthafte Aufmerksamkeit muss man den eindeutig unsinnigen und unnötigen Aktivitäten unserer Zensoren in den Politabteilungen widmen. Unsere Zensur mischt sich in die künstlerische Bewertung eines Werks ein, lässt sich bei den Gutachten weitgehend von persönlichen Sympathien und Antipathien leiten, nörgelt an Kleinigkeiten herum, betrachtet die Darstellung der gogol-, stschedrin- und tschechowschen Seiten unseres Alltags als Anschlag auf die Revolution, so dass all diese Themen zum offensichtlichen Nachteil der Revolution, der Partei und der Literatur übergangen wurden. Von Künstlern der Zwischenschichten verlangt man eine kommunistische Ideologie und dergleichen mehr. Eine unhaltbare Situation, die geändert werden muss. (9)

Woronski, der Herausgeber von 'Krasnaja now', Mitherausgeber, neben Bucharin, der illustrierten Zeitschrift 'Proshektor' (Scheinwerfer), Vorsitzender des Verlagshauses 'Krug' (Kreis) und de facto auch Leiter der literarischen Gruppe 'Perewal' (Gebirgspass) war, befand sich in einer schwierigen Position. Alle genannten Funktionen waren gefährdet, als Stalin die ganze Macht von Orgbüro und Politbüro einsetzte, um die Kritiker der 'Parteilinie' ihrer Ämter zu entheben. Im Mai 1926, als Pilnjak seine 'Geschichte vom nichtausgelöschten Mond' 'Woronski in Freundschaft' widmete, erhielt Woronski seinen ersten Parteiverweis, da die von ihm angeregte Geschichte ein unverhohlener Angriff auf Stalin war (der auf der medizinisch unnötigen Operation bestanden hatte, die Frunse das Leben kostete).

Im Vorfeld des XV. Parteitages 1927 wurde ein Papier, später als 'Erklärung der 84' bekannt, von über 3 000 Angehörigen der Linken Opposition, darunter Woronski, unterzeichnet. Fast alle Unterzeichner wurden mit Parteiausschluss bestraft. Woronski wurde kurz danach endgültig als Herausgeber von 'Krasnaja now' abgesetzt und auch aus der Partei ausgeschlossen. Den Vorwand für den Ausschluss lieferte Woronskis gemeinsame Reise mit Sergej Sorin 1927 nach Iwanowo, die dem Zweck diente, zehn Kopien der Plattform der Linken Opposition zu verteilen. Karrieristen, Bürokraten und politische Ignoranten, die die Partei überschwemmt hatten, drängten Woronski jetzt, nach 24-jähriger Parteitätigkeit, aus der Partei und erzeugten ein Klima absoluter Feindseligkeit gegenüber den altgedienten Parteimitgliedern, die kaum noch ein Prozent der Partei ausmachten. Der russische Historiker A. A. Tschernobajew bemerkt dazu:

Mit Schmerz und Befremden betrachtete Alexander Konstantinowitsch die Degeneration der alten Parteimitglieder, die sich vor seinen Augen abspielte. 'Wie unbeschwert waren wir damals, wie leicht und leidenschaftlich haben wir an den Menschen geglaubt, an seine Kräfte, seine sozialen Instinkte, seinen Mut und seinen Heroismus', schrieb er. 'Wo war das alles geblieben?... Viele der Tapfersten waren tot, waren hingerichtet oder im Gefängnis zu Tode gefoltert worden, oder aber sie befanden sich im fernen und Kräfte zehrenden Exil, dennoch: Viele waren noch am Leben! Ich dachte an diese Überlebenden, ich kannte sie ganz anders. Als hätte der bösartige, garstige Dämon der Geschichte aus Rache alles Banale, Niederträchtige, Selbstgefällige, Feige, Gemeine, Kriecherische und Nichtige vom Grund des Lebens ans Licht gezerrt, um die qualvollen Anstrengungen der besten Menschen der Lächerlichkeit preiszugeben. - ‘Ich will dir geben den Morgenstern!' (10) Wo ist er denn, unser Morgenstern? Oder direkter gesagt - egal wie tapfer du kämpfst, welche an Wunder grenzenden Heldentaten du vollbringst, wie viel kostbares heißes Menschenblut du vergießt - wird am Ende, wenn alles gesagt und getan ist, immer die stupide bleierne Sattheit, werden die selbstgerechten und nichtigen Schmarotzer des Lebens triumphieren?!' Obwohl sich offenkundig viel verändert hatte, wollte der Verfasser die Veränderungen nicht akzeptieren, glaubte er nicht an den endgültigen Sieg dieser Kräfte: '... Und dennoch ... es kann nicht sein: Irgendwo sammeln sich meine Freunde, irgendwo sammeln sie sich!...' (11)

Dieser Optimismus angesichts der sich vertiefenden sozialen Krise in der Sowjetunion beruhte auf einer umfassenden historischen Perspektive und dem Grundvertrauen in die jüngere Generation, die, auch wenn die alte Generation in der Schlacht gefallen ist, den Kampf fortführen würde. Woronski fand Gehör bei einem bedeutenden Teil der Moskauer Jugendlichen, die oft die selbstlosesten Mitglieder der Opposition waren. In einem Brief an Gorki verweist er auf diese Aktivitäten:

Verzeihen Sie mein langes Schweigen: Alle möglichen Angelegenheiten und Ereignisse haben mir zu schaffen gemacht. Versammlungen, Kommissionen, Unterkommissionen, Diskussionen, Redaktionsarbeit, Resolutionen, Plattformen usw. ...

Selbstredend machte Woronski in diesen Diskussionen mit Jugendlichen über 'literarische Fragen' aus seinen politischen Ansichten kaum einen Hehl. Einer der Jugendlichen, die Woronski damals beeindruckt hatte, war Warlam Schalamow, der Anfang zwanzig war, als 'Das Wasser des Lebens und des Todes' erschien. Jahre später schrieb Schalamow in einem Brief an Woronskis Tochter:

Mit großer Freude lese ich jetzt noch einmal jede Zeile von 'Das Wasser des Lebens und des Todes', denn das Buch ist ein lebendiger Klassiker unserer Jugend: Wir verschlangen damals Absatz für Absatz, verfolgten jede Wendung und Veränderung der Handlung, vertieften uns in jedes Bild; daran lernten wir, die Einheit von Wort und Tat in uns selbst herzustellen.

Aus Schalamows Äußerung geht hervor, dass Woronski seinem eigenen, in Aufsätzen der 1920er oft wiederholten Anspruch gerecht geworden war: 'Die Vergangenheit hinterließ uns den Untergrund, die strenge Schule der Berufsrevolutionäre, sie hinterließ uns den heroischen Kampf fest zusammengeschweißter kleiner Gruppen, einer Organisation, die Massenarbeit mit konspirativen Wohnungen zu kombinieren verstand. In der Kunst gibt es keine auch nur annähernd monumentale Widerspiegelung unseres einzigartigen bolschewistischen Untergrunds.' (14)

In der Gestalt des Valentin hat Woronski solch einen starken literarischen Charakter geschaffen, der Jugendliche wie Schalamow in seinen Bann zog, junge Menschen, die sich von der grotesken Geschichtsfälschung durch Stalinisten wie E. Jaroslawski abgestoßen fühlten. Weil viele Studenten den Kampf gegen den historischen Verrat begrüßten und Woronski bei der Jugend hohe moralische Autorität genoss, fürchtete ihn der Parteiapparat. Die Apparatschiks fühlten sich ins Mark getroffen, wenn Woronski von der verratenen Revolution sprach. Doch der philosophische Inhalt seines Buches geht tiefer und reicht weit über den unmittelbaren politischen Zusammenhang hinaus, in dem es geschrieben wurde.

Die Hauptmetapher seines Buches, die Suche nach dem Wasser des Lebens und dem Wasser des Todes, ist reich an Gehalt und nicht leicht zu deuten. Russischen Volksmärchen zufolge konnte das Wasser des Todes den zerteilten Körper eines in der Schlacht Gefallenen durch Zauberkraft wieder zusammenfügen, und das Wasser des Lebens konnte den Körper wieder zum Leben erwecken. Ein enger Mitstreiter Woronskis, der Literaturwissenschaftler A. Leshnew, behandelte unterschiedliche Aspekte dieser Frage: 'Wir haben den Sieg des Mozartismus über den Salierismus, der Kreativität über die Geschicklichkeit, der Kunst über das Handwerk auf unsere Fahne geschrieben. Salieri besitzt bestenfalls nur das Wasser des Todes, das die durch Analyse gespaltenen Teile wieder zusammenwachsen lassen kann. Aber um der Kunst Leben einzuhauchen, sie atmen und wirken zu lassen, braucht es das Wasser des Lebens. Und das besitzt nur Mozart.' (15)

Leshnew geht über die Überlegungen zur künstlerischen Kreativität hinaus und deutet an, dass die Metapher für die Perewal-Autoren insgesamt (und implizit für Woronski) die Heilung und Integration des menschlichen Geistes nach der Zerstückelung in unserer grausamen Gegenwart ausdrückt.

Für uns ist der Sozialismus nicht ein riesiges Arbeiterasyl, wie die vom Produktionismus Besessenen oder die Verfechter der 'Faktografie' 16) ihn sich vorstellen, und auch nicht eine triste Kaserne wie in 'Die Wanze' (von Majakowski), wo einheitlich gekleidete Menschen an Langeweile und Monotonie sterben. Für uns ist er die große Epoche der Befreiung des Menschen von all seinen Fesseln, wenn alle im Menschen angelegten Fähigkeiten sich voll entfalten können. Für uns ist er nicht grau in grau, sondern voller Wärme und Licht. Und wir wollen, dass sein Widerschein auch die heutige Kunst erfasst, damit sie nicht nur von aktuellen Zeitungslosungen, sondern auch von den großen Ideen der Zeit erhellt wird. (17)

Die Zeiten, die anbrachen, kurz nachdem diese Worte geschrieben wurden, unterschieden sich so extrem von den hier formulierten Gedanken, dass manche Woronski und seine Anhänger als Don Quixotes der 1920er bezeichneten. Dieser Interpretation kann sich nur anschließen, wer Stalin als den ultimativen Sieger über die besten Ideale der Menschheit und nicht als zeitweiligen (und durch den Lauf der Geschichte zum Scheitern verurteilten) Totengräber der russischen Revolution begreift. Denn was verkörpert Stalin? Seine Theorie vom 'Aufbau des Sozialismus in einem Land' war eine deutliche Absage an den marxistischen Internationalismus und eine gewaltige Konzession an die rückständigsten Formen des großrussischen Chauvinismus. Dazu schrieb Woronski ganz klar:

'Aber der Bolschewismus ist seinem Wesen nach internationalistisch. Nationalbolschewismus ist eine ebenso widernatürliche Verbindung von Worten wie Feuer und Wasser oder hölzernes Eisen. Die nationalen Wurzeln des Bolschewismus werden von internationalen Quellen gespeist. An dem Tag, an dem der Bolschewismus zum Nationalbolschewismus wird, hört er auf, Bolschewismus zu sein.' (18)

Der Kampf Woronskis und seiner Genossen gegen die nationalistische Zurückweisung des Marxismus durch die wachsende stalinistische Bürokratie, war mehr als ein Kampf gegen Windmühlen. Ihre von Tausenden Oppositionellen in der Kommunistischen Partei unterstützten Aktivitäten weckten den Zorn und die Furcht der herrschenden Elite. Parteiausschluss, Exil, Gefängnis und Unterdrückung in verschiedenster Form ließen das Leben der Oppositionellen zum Spießrutenlauf werden.

Obwohl aus der Partei ausgeschlossen, setzte Woronski seine politische Arbeit fort, er leitete eine Rote-Kreuz-Organisation für Exilanten und inhaftierte Oppositionelle. Im Januar wurde er selbst von der OGPU verhaftet und nach Lipezk verbannt, wo seine Gesundheit sich verschlechterte. Da er an Herzerweiterung litt, wurde ein Antrag an Ordshonikidse gerichtet, ihm die Rückkehr nach Moskau zwecks medizinischer Behandlung zu gestatten. Wie Nadeshda Joffe in ihren Memoiren berichtet, 'regelten in solchen Fällen die Abfahrten die Ankünfte'. (19) Woronski konnte nur in Moskau 'ankommen', weil er die Opposition 'verließ'. Ob er seine oppositionellen Ansichten tatsächlich aufgab, ist nicht eindeutig zu klären, denn es existieren Beweise, dass er mindestens bis 1932 in der Opposition aktiv blieb. Von da an änderten sich die Formen der oppositionellen Arbeit, und die Lebensbedingungen der Oppositionellen in Moskau unterschieden sich kaum noch von denen während der geheimsten Untergrundarbeit unter dem Zarismus.

Eine Folge seiner Rückkehr nach Moskau Ende 1929 ist mit Sicherheit, dass 'ihm die kritische Feder zerbrach', ein bitterer Euphemismus für die Tatsache, dass es ihm nie wieder erlaubt wurde, größere kritische Artikel in Literaturzeitschriften zu publizieren.

Dennoch schrieb Woronski weiter: 1934 veröffentlichte er im Rahmen der von Gorki herausgegebenen Reihe 'Über das Leben bedeutender Menschen' eine Biografie Scheljabows. Des weiteren konnte er später einen Band über Gogol vollenden, eine Auflage, die bis auf eine Handvoll Exemplare vernichtet wurde. Doch sein wahrscheinlich wichtigstes Werk war die Fortsetzung seiner Autobiografie. Es gelang ihm, die Arbeit an dem Buch 'Bursa' (Priesterseminar), das seine Jahre als Seminarist behandelt, abzuschließen. Und, wie bereits erwähnt, setzte er 'Das Wasser des Lebens und des Todes' fort, das nun bis über das Jahr 1921 reichte, und schloss viele Studien über ihm bekannte Schriftsteller ab. Diese Werke sind, mit Ausnahme des in dieser Anthologie enthaltenen Aufsatzes über Gorki, ebenfalls 1937 in der Lubjanka verschollen.

Obwohl Woronski 1930 wieder in die Partei aufgenommen wurde, gestattete man ihm lediglich einen Posten bei Gosisdat (Staatsverlag), wo er die Herausgabe der Klassiker betreute. Es gibt ausreichend Belege dafür, dass er unter zunehmender politischer Verfolgung zu leiden hatte, bis er 1935 erneut aus der Partei ausgeschlossen wurde. Im Februar 1935 wurde er das letzte Mal verhaftet. Anders als viele seiner engen politischen Verbündeten wurde er nicht in einem der berüchtigten Moskauer Schauprozesse verurteilt, sondern nach einem 20-minütigem Verfahren vor einem dreiköpfigen Schnellgericht des Militärischen Kollegiums des Obersten Sowjets am 13. August 1937 durch Erschießung hingerichtet. Sein Leichnam wurde mit vielen anderen in einem unbezeichneten Massengrab in Butowo nahe Moskau verscharrt. Bis Ende 1937 wurden auch seine Parteigenossen Serebrjakow, I. N. Smirnow, Ter-Waganjan, B. Jelzin und Boguslawski erschossen.

Ebenfalls hingerichtet wurden führende Mitglieder von 'Perewal': Boris Guber und Nikolai Sarudin am 13. August 1938, Abram Leshnew am 8. Februar 1938 und Walerian Prawduchin am 28. August 1938; sowie mehrere Schriftsteller, die eng mit Woronski zusammen gearbeitet hatten: Iwan Katajew am 19. August 1937, Artjom Wessjoly am 8. April 1938, Boris Pilnjak am 21. April 1938 und Isaak Babel am 27. Januar 1940, ferner ein ehemaliger Gegner, G. Lelewitsch, am 10. Dezember 1937. Auch seine beständigen Gegner Leopold Awerbach und Wladimir Narbut entgingen der stalinistischen Hinrichtungsmaschinerie nicht († 14. August 1937 und 14. April 1938).

Woronskis Tochter Galina wurde 1937 als 23-jährige Studentin verhaftet und lebte 22 Jahre als Gefangene und Verbannte in Kolyma. Unter Aufbietung aller Kräfte überlebte sie Gefangenschaft und Verbannung und erreichte 1957 die Rehabilitierung ihres Vaters. Sie betrieb auch die Wiederveröffentlichung seiner Artikel, die sich über dreißig Jahre hinzog. In Kolyma gebar Galina zwei Töchter, die Enkelkinder Woronskis. Eine von ihnen, Tatjana Issajewa, lebt heute in Moskau und hat viel dazu beigetragen, Material über ihren Großvater zusammenzutragen. Die Tragödie dieser drei Generationen wird wohl am besten verständlich, wenn man die vorliegende Anthologie der Schriften Woronskis liest. Was Woronski hätte leisten können, wäre er nicht so früh durch den Stalinismus zum Schweigen gebracht worden, lässt sich nur vermuten. Er geht nun in die Geschichte ein als Angehöriger jener Generation herausragender Revolutionäre, deren Erbe heute angetreten werden muss.

* * *

Diese Anthologie liefert einen repräsentativen Querschnitt der literarischen Essays und der literaturkritischen Arbeiten Alexander Woronskis. Die Auswahl beginnt mit einem frühen Essay über Maxim Gorki und endet mit den letzten über diesen Autor verfassten Gedanken - niedergeschrieben kurz vor seiner letzten Verhaftung 1937. Die wichtigsten theoretischen Artikel Woronskis jedoch erschienen in der relativ kurzen Periode zwischen 1922 und 1928, bevor der Stalinismus ihn der Möglichkeit beraubte, seine literaturkritischen Ansichten in gedruckter Form zu äußern.

Jeder, der von der Annahme ausgeht, die bolschewistische Partei sei in theoretischen Fragen monolithisch gewesen, wird über Woronskis Artikel überrascht sein. Aber der Marxismus war nie eine verknöcherte Doktrin, und wir müssen uns vergegenwärtigen, dass in Russland in den 1920er Jahren eine breitgefächerte Debatte über nahezu alle theoretischen Fragen geführt wurde. Es war eine Zeit großer Herausforderungen: Wie sollte die Partei nicht nur auf die unzähligen tagespolitische Probleme reagieren, sondern auch auf die neuen physikalischen Theorien Einsteins, die psychoanalytische Schule Freuds oder die große Zahl der künstlerischen Avantgarderichtungen? Allein im Bereich der Kunst konkurrierten die Überbleibsel der Symbolisten mit Akmeisten, Futuristen, Kosmisten, Imaginisten, Proletkult-Anhängern und einer Menge weniger bekannter Tendenzen.

Drei große Lager lassen sich ausmachen: Die proletarischen Schriftsteller in einer Vielzahl von Organisationen, die Anhänger der Gruppe 'LEF' (eng verbunden mit den Futuristen und Formalisten) und die eher locker organisierten Gruppen oder einzelnen Schriftsteller um Woronski ('Perewal', 'Krug', viele der 'Weggenossen'). Keine dieser Gruppen ist in sich durchgängig homogen. Verbündete wechseln die Lager, Abgrenzungen werden aufgehoben, manchmal scheint es, als würden mehr Manifeste als andere literarische Werke verfasst. Die Fülle dieses intellektuellen Gärungsprozesses legt es nahe, von einem sowjetischen 'Goldenen Zeitalter' zu sprechen, auch wenn es nur eine sehr kurze Blütezeit erlebte, bevor ihm von Stalin und seinen Gefolgsleuten der Garaus gemacht wurde.

Rückblickend mag es so scheinen, als seien die Stadien der stalinistischen Unterdrückung unerbittlich aufeinander gefolgt. 1927 die Zerschlagung der Linken Opposition, 1929 die Demütigung der Rechten Opposition, 1932 die Liquidierung aller literarischen Gruppen und ihre Zwangsvereinigung zu einer einzigen stalinistisch geprägten Organisation, 1926 bis 1939 die Vernichtung der bolschewistischen Intelligenz während des Großen Terrors. Jedenfalls vertritt ein großer Teil der westlichen Osteuropaforschung die These, dass der Stalinismus das logische und unvermeidliche Ergebnis des Bolschewismus gewesen sei. Um dies behaupten zu können, müssen diese Sowjetforscher die Beiträge von Trotzki, Preobrashenski und Woronski zu Politik, Wirtschaft und Literatur ignorieren, ganz zu schweigen von den Arbeiten Rakowskis, Joffes und einer beträchtlichen Anzahl anderer Linksoppositioneller.

Unglücklicherweise wird die Geschichte oft von den Siegern geschrieben, und der Stalinismus unternahm alles, um diese Namen aus der sowjetischen Geschichtsschreibung zu tilgen. Trotzki und seine Unterstützer waren jedoch zuversichtlich, dass diese monströse Schule der Fälschung vor den Gesetzen der Geschichte nicht standhalten würde. Es ist zu hoffen, dass diese Anthologie dazu beitragen wird, die historischen Tatsachen zurechtzurücken, indem durch sie die Schriften eines der aktivsten Teilnehmer der theoretischen Auseinandersetzungen der 1920er Jahre zugänglich gemacht werden.

Anmerkungen

1) Eine gekürzte Fassung von Woronskis Autobiografie erschien 1936 in englisch als 'Waters of Life and Death', 1975 von Hyperion Press nachgedruckt.

2) W. I. Lenin, Über proletarische Kultur. In: Werke Bd. 31, S. 308.

3) Die beste Arbeit stammt von Robert Maguire, Red Virgin Soil: Soviet Literature in the 1920s. Princeton 1968.

4) Iwan I. oder 'Iwan Geldsack', Fürst von Moskau, regierte als Großfürst von 1328-1341. Er erhielt durch die Goldene Horde die Erlaubnis, sich als Khan der anderen russischen Fürsten zu bezeichnen. Während seiner Regentschaft erreichte Moskau großen Wohlstand und Landbesitz und wurde das religiöse Zentrum Russlands. Er gilt als Symbol erfolgreicher Aneignungen, Verwaltung und Expansion.

5) Woronskis literaturkritische Hauptwerke sind in folgenden Büchern veröffentlicht: Na styke (Am Scheideweg), 1923; Iskusstwo kak posnanije shisni i sowremennost (Kunst als Erkenntnis des Lebens und die Gegenwart), 1924; Iskusstwo i shisn (Kunst und Leben), 1924; Ob iskusstwe (Über Kunst), 1925; Literaturnyje tipy (Literarische Typen), 1926; Literaturnyje sapissy (Literarische Aufzeichnungen), 1926; Mister Britling pjot tschaschu do dna (Mister Britling leert den Kelch bis zur Neige), 1927; Iskussstwo videt mir (Die Kunst, die Welt zu sehen), 1928; Literaturnyje portrety (Literarische Porträts), in zwei Bänden, 1928-1929.

6) Das ehemalige und heute wieder so benannte Hotel 'National'.

7) Woronski, Literaturnyje sapissi (Literarische Aufzeichnungen). Moskau 1926, S.62.

8) Ebenda, S. 69

9) Ders., O 'tekuschtschem momente' i sadatschach RKP w chudoshestwennoi literature. In: Proshektor Nr. 5, 1924, S. 26.

10) Bibel, Offenbarung 2/28. Wörtlich heißt es: 'Ich will ihm geben den Morgenstern.'

11) Nowy mir Nr. 1, 1929, S. 201-202.

12) M. Gorkii i sowjetskaja petschat. Archiw A. M. Gorkogo. T. X. Kniga wtoraja, 1965, S. 45-46.

13) Aus: Michail Lermontow, Das Geisterschiff (1840). In: Ausgewählte Werke, Gedichte und Poeme. Berlin 1987, S. 156. Nachdichtung von Friedrich Fiedler.

14) Woronski, Literaturnyje sapissi. Ebenda, S. 65.

15) A. Leshnew, Wmesto prologa (Statt eines Prologs). Rowessniki (Zeitgenossen) Nr. 7 (1930), S. 15.

16) Tatsachenliteratur

17) A. Leshnew, ebenda, S. 20.

18) A. Woronski, Mister Britling pjot tschaschu do dna (Mister Britling leert den Kelch bis zur Neige). Moskau 1927, S. 188.

19) Nadeshda A Joffe, Rückblende: Mein Leben, mein Schicksal, meine Epoche. Essen 1997, S. 96.

Siehe auch:
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