Stadt Dresden verkauft sämtliche Wohnungen an einen Finanzinvestor

Mit dem Verkauf des gesamten kommunalen Wohnungsbestandes durch die Stadt Dresden ist eine der folgenschwersten Entwicklungen der letzten Jahre für kurze Zeit ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Bewegung auf dem Wohnungsmarkt wird in naher Zukunft die Zerstörung des Lebensstandards breiter Bevölkerungsschichten vorantreiben und die Klassenspaltung der Gesellschaft noch deutlicher machen.

Am 9. März stimmte der Dresdner Stadtrat dem Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Woba an die amerikanische Investorengruppe Fortress mit einer Mehrheit von 40 gegen 29 Stimmen bei einer Enthaltung zu. Damit geht der gesamte Bestand von etwa 48.000 Wohnungen für die Summe von 1,7 Milliarden Euro in private Hände über.

Dies war nur durch die aktive Unterstützung der Linkspartei (PDS) möglich, die die zweitgrößte Fraktion im Stadtrat stellt und den Verkauf mehrheitlich unterstützte - neun von 17 Abgeordneten stimmten mit Ja.

Der Erlös aus dem Verkauf übersteigt die gegenwärtige Schuldenlast der Stadt, was ihr vorübergehend den Titel der einzigen schuldenfreien Großstadt in Deutschland und eine breite öffentliche Aufmerksamkeit einbrachte. Zusammen mit der Wohnungsgesellschaft hatte die Stadt einen Schuldenberg von beinahe 1,5 Milliarden Euro aufgehäuft, den sie nun auf einen Schlag ablösen kann. Sie behält sogar noch etwas übrig. Manch eine Zeitung wähnte gar ein "Wunder von Dresden".

Betrachtet man die Kehrseite der Medaille, löst sich dieses Wunder schnell in irdisches Elend auf. Der Reinerlös von etwa 240 Millionen Euro wird der Bevölkerung keine Erleichterungen bringen. Allein die Hälfte davon wird durch die Transaktion selbst verschlungen. Nach einem Bericht der Financial Times Deutschland gehen für Honorare, Bankgebühren usw. noch mal rund 123 Millionen Euro drauf.

Doch entscheidender ist ein anderer Aspekt. Dresden ist nämlich auch die erste Großstadt, die das wohl wichtigste kommunale Instrument sozialer Regulierung beinahe vollständig aus der Hand gibt. In Zukunft wird es nicht mehr ohne weiteres möglich sein, Bedürftige mit angemessenem Wohnraum zu versorgen, selbst wenn man den bescheidenen Standard der sozialen Gesetzgebung in Deutschland zugrunde legt. Für lediglich 8.000 Wohnungen hat sich die Stadt ein zeitlich beschränktes Belegungsrecht vorbehalten. Dabei gab es schon Ende 2004 über 14.000 Langzeitarbeitlose in der Stadt, die heute dank ALG II auf kommunale Hilfe bei der Wohnungssuche angewiesen sind.

Bewegung auf dem Wohnungsmarkt

Trotz des großen medialen Interesses war die Dresdner Transaktion weder die erste noch die größte ihrer Art in Deutschland.

So hat die Bundesregierung bereits im Jahr 2000 über 100.000 Eisenbahnerwohnungen verkauft. Fortress, der neue Besitzer in Dresden, hat im Jahr 2004 etwa 3,5 Milliarden Euro für die Wohnungsbaugesellschaft Gagfah mit 81.000 Wohnungen hingeblättert, die sich bis dahin im Besitz der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) befand. Und im vergangenen Jahr übernahm ein Ableger der britischen Terra Firma, die Deutsche Annington, die Immobilientochter des Energieriesen E.ON, Viterra, und brachte für die Rekordsumme von sieben Milliarden Euro etwa 140.000 Wohnungen unter seine Obhut. Die rot-rote Regierung in Berlin hat schon vor zwei Jahren ihre größte Wohnungsbaugesellschaft GSW mit 66.000 Wohnungen für 2,1 Milliarden Euro privatisiert.

Seit nunmehr fünf Jahren schicken sich milliardenschwere Fondsgesellschaften an, ein der letzten Bastionen des so genannten Sozialstaates zu stürzen. Hatte die Politik des sozialen Ausgleichs noch zum Ziel, wenigstens Teilen der Bevölkerung einen angemessenen und bezahlbaren Wohnraum und damit die wichtigste Lebensgrundlage zu sichern, so ist heute die Zersetzung dieser Sicherheit bereits weit fortgeschritten.

Mit 230.000 Mietwohnungen in ihrem Besitz ist die Deutsche Annington inzwischen der größte Vermieter in Deutschland, eine halbe Million Wohnungen sollen es am Ende des Jahrzehnts sein. Fortress ist mit dem Deal in Dresden an die zweite Stelle mit nunmehr 160.000 Wohnungen aufgestiegen. Mehr als 900.000 Wohnungen sind bereits in der Hand verschiedener Fondsgesellschaften. Aus deren Sicht liegen aber noch über drei Millionen Wohnungen in Deutschland brach, d.h. sind in öffentlichem Besitz.

Die Bedingungen für die Fondsgesellschaften sind günstiger denn je. Die Immobilienpreise in Deutschland sind im internationalen Vergleich gering. Hochverschuldete Kommunen sind leicht erpressbar und schnell bereit, zu verkaufen, und zwar zu Schleuderpreisen. Die scheinbar riesige Gesamtsumme verdeckt, dass zum Beispiel in Dresden eine Wohnung für durchschnittlich 35.000 Euro über den Ladentisch ging. Großkredite sind im Moment besonders günstig, so dass der Käufer den Preis nur zu einem Bruchteil aus der eigenen Tasche bestreitet. Liegen die Mieteinnahmen über den Kreditraten, machen die neuen Besitzer vom ersten Tag an Gewinn. Und genau das sollen sie!

Ihr Kapital sammeln die Fondsgesellschaften bei Pensionskassen und Versicherungen ein, bei denen sich gigantische Geldsummen konzentrieren. Diese erwarten 20-prozentige Gewinne auf ihren Einsatz. Alle Maßnahmen der neuen Wohnungseigentümer richten sich nach diesem Bedürfnis.

Es beginnt mit dem Verkauf eines Teiles der Wohnungen an die Mieter zu wesentlichen höheren Preisen. Wie die Zeit berichtet, hat Fortress Wohnungen der BfA zu Quadratmeterpreisen von 700 Euro übernommen und bietet sie jetzt zu 1.300 Euro den Mietern zum Kauf. Es folgen Mieterhöhungen und Modernisierungen, wobei die neuen Vermieter peinlich darauf bedacht sind, nur zu modernisieren, was sich auch auf die Mieter abwälzen lässt, wie Küchen und Bäder. Wärmedämmende Fassaden oder schalldichte Fenster bleiben außen vor, weil sie der Vermieter selber bezahlen muss.

Das wird in kurzer Zeit die Bevölkerung neu sortieren: Die Zahlungskräftigen in die sanierten Wohnungen, die Armen in die herunter gekommenen Viertel, in die kein Investor mehr sein Geld stecken wird. Die Immobilienbranche selbst nennt diesen Vorgang zynisch "Mieter drehen".

Schließlich wird der gesamte Bestand wieder gewinnbringend abgestoßen, entweder an den nächsten Investor, der dasselbe Spiel auf höherer Ebene von neuem betreibt, oder direkt an die Börse.

Spätestens dann sind auch eventuell ausgehandelte Sozialpläne - wie auch im Falle von Dresden - wertlos, wenn sie nicht schon von Anfang an "eine reine Mogelpackung" sind, wie der Direktor des Deutschen Mieterbundes, Franz-Georg Rips, die Vereinbarung in Dresden nannte.

Die Illusion der Schuldenfreiheit

Hauptargument des Dresdner Stadtrates für den Verkauf war die Schuldenlast der Stadt. Drittgrößter Posten im Haushalt sei der Schuldendienst, der gegenwärtig 70 Millionen Euro im Jahr umfasse, mit wachsender Tendenz.

Ein beliebtes Argument der Linkspartei ist, dass man Kinderbetreuung und Kultur weiter zusammenstreichen müsse, was doch kein Linker wolle. Grund genug, nicht nur die Warnungen des Deutschen Mieterbundes und der Gewerkschaften in den Wind zu schlagen, sondern auch über den Protest der Bewohner der Stadt hinweg zu schreiten, die gegen den Verkauf 45.000 Unterschriften sammelten. Das sind immerhin zehn Prozent der Dresdner Einwohner.

Dass die aktuelle Schuldenfreiheit die Handlungsmöglichkeiten der Stadt erweitern würde, ist eine Illusion oder besser - ein Betrug an der Bevölkerung. Jeder private "Haushälter" weiß aus eigener Erfahrung, dass laufende Verpflichtungen nur durch laufende Einnahmen gedeckt werden können, auch wenn er von Zeit zu Zeit ein geliebtes Möbelstück ins Pfandhaus bringen muss, um den finanziellen Ruin hinaus zu zögern. Selbst Lottomillionäre, heißt es, brauchen im Durchschnitt sieben Jahre, um wieder hoffnungslos verschuldet zu sein.

Wie im Kleinen so im Großen! Allein der Versuch des Oberbürgermeisters Roßberg (FDP) ein Verbot der Neuverschuldung in die Satzung der Stadt zu schreiben, würde die Handlungsfreiheit enorm einschränken. Zwar würde der Schuldendienst wegfallen, doch waren in der Vergangenheit stets darüber hinaus gehende Mittel notwendig, um wenigstens den unvermeidlichen öffentlichen Aufgaben gerecht zu werden, wie der Bezahlung der öffentlich Bediensteten, einem Mindestmaß an Instandsetzungen öffentlicher Einrichtungen und Schulen oder der Aufrechterhaltung des kulturellen Betriebes, von der wachsenden Zahl der Sozialhilfe- bzw. ALG II-Empfänger gar nicht zu reden.

Neue Schulden werden unausweichlich sein. Die laufenden Kosten werden sich auch in Dresden erhöhen, nicht zuletzt als Folge des Wohnungsverkaufs. Das Mietpreisniveau wird ansteigen. Billige Wohnungen werden rar. Gleichzeitig steigt die Zahl derer, die billigen Wohnraumes bedürfen. Sozialhilfeempfänger müssen stärker bezuschusst werden. Belegungsrechte müssen teuer zurück gekauft werden, weil keine eigenen Wohnungen mehr verfügbar sind, um die Armen der Stadt unterzubringen. In kurzer Zeit wird auch Dresden wieder am Tropf der Banken hängen.

Berlin, das inzwischen über 100.000 Wohnungen und andere Bereiche wie Wasser- und Stromversorgung privatisiert hat und damit bundesweit an der Spitze steht, ist mit 60 Milliarden Euro so hoch verschuldet wie nie zuvor.

Schein und Sein bei der Linkspartei (PDS)

Eine Schlüsselfunktion bei der Privatisierung der Wohnungen in Dresden kam der Fraktion der Linkspartei zu, die mehrheitlich dem Verkauf zugestimmt hat. Ihre neun Ja-Stimmen waren schließlich ausschlaggebend. Sieben Abgeordnete sind Mitglieder der Partei, zwei sind parteilos.

Einmal mehr zeigt sich, wie das Getöse dieser Partei gegen den Neoliberalismus in die Tat umgesetzt wird. Wie seit Jahren in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo sie in der Landesregierung sitzt, beweist sie auch in Dresden, dass, wann immer sie etwas zu entscheiden hat, sie die offizielle Politik gegen die Bevölkerung mitträgt und durchsetzen hilft.

Bei dem Deal in Dresden haben die Stadträte der Linksfraktion die Sozialcharta maßgeblich mit ausgearbeitet, derentwegen sich die Woba nun brüstet, ein "Mieterparadies" zu sein. Der Chef von Fortress war ehrlicher und nannte sie ein "gutes Marketinginstrument". Angeblich entworfen, um die Finanzinvestoren abzuschrecken, plauderte der PDS-Abgeordnete Roland Weckesser, der im sächsischen Landtag den Finanzausschuss führt, in der PDS-nahen Zeitung Neues Deutschland die Wahrheit aus: Die Sozialcharta sorge für "ein gutes Gewissen vor den Mietern, Beschäftigten und der Stadt".

Sozialabbau ist mit der Linkspartei immer nur dann "nicht zu machen", wenn es auf ihre Stimmen ohnehin nicht ankommt. Aber wehe, sie kommt in eine Situation, wo sie die soziale Lage der Bevölkerung verteidigen könnte. Sofort erinnert sie sich aller politischen Sachzwänge und geht in die Offensive - gegen die Bevölkerung.

Wenn das Programm der Linkspartei erklärt, "die Einschränkung öffentlicher Verfügungsmacht, die mit der fortschreitenden Privatisierung von öffentlichem Eigentum verbunden ist, lehnen wir ab", so beweist das vor allem, dass das Programm und die ungezählten Statements dieser Partei das Papier nicht wert sind, auf dem sie gedruckt wurden.

Ihr ewig wiederkehrendes Argument lautet, wegen der Finanzmisere habe es keine Alternative gegeben. Dabei verliert sie kein Wort über die Ursachen dieser Misere und bleibt obendrein den Beweis dafür schuldig, wieso ihre Entscheidung einen Ausweg aus dem Dilemma weist.

Einmal die Gelegenheit erfasst, gehen die "linken" Entscheidungsträger mit einer Arroganz über öffentliche Proteste und selbst eigene Beschlüsse hinweg, die einem den Atem verschlägt. Noch im August letzten Jahres hatte sich eine Mitgliederversammlung der Dresdner PDS gegen den Verkauf ausgesprochen. Die Protestkampagne gegen den Verkauf mit den vielen Tausend Unterschriften wurde durch die Basis der örtlichen Linkspartei getragen. Selbst Oskar Lafontaine nutzte einen Auftritt in Dresden, um gegen den Verkauf zu wettern.

Doch keine Chance! In einem offenen Brief an Lafontaine erklärten Weckesser und die ehemalige Bundestagsabgeordnete der PDS, Christine Ostrowski, Konsolidierung der öffentlichen Finanzen sei "keine neoliberale Spinnerei, sondern sozialpolitischer Imperativ".

Die Vorgänge in Dresden sollten jedem eine Lehre sein, der noch immer in der Linkspartei eine soziale und politische Alternative zur großen Koalition zu sehen meint. Dabei spielt es auch keine Rolle, wie viele Tendenzen sich in dieser Partei tummeln. Wenn es etwas zu entscheiden gibt, sind es immer die Exponenten des "realpolitischen" Flügels, die Holters, Wolfs und Weckessers, die sich durchsetzen. Eine Partei, die sich die Verteidigung der bürgerlichen Ordnung zur Grundlage macht, wird immer jene an die Oberfläche spülen, die das am konsequentesten tun.

Es kann keinen Zweifel geben, dass die Interessen der Bevölkerung, sei es nun Wohnen, Arbeiten oder in Frieden Leben, nicht durch die Linkspartei, sondern nur gegen sie verteidigt werden können.

Siehe auch:
Der Streik im öffentlichen Dienst und die Linkspartei
(23. Februar 2006)
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