Slowakei: Über 8.000 VW-Arbeiter im unbefristeten Streik

Am gestrigen Dienstag begann ein unbefristeter Streik der Volkswagen-Arbeiter in der Slowakei. Rund 8.600 der 12.300 Arbeiter versammelten sich zu Streikbeginn vor dem Werk in Bratislava und legten es lahm. Es ist der erste Streik bei Volkswagen, seit sich der Konzern 1991 in der Slowakei angesiedelt hat, und der erste Streik in einer großen Autofabrik in dem osteuropäischen Land seit der Einführung des Kapitalismus.

Im VW-Werk, in dem die Geländewagen VW Touareg und Audi Q7 sowie die Kleinwagen VW Up, Seat Mii und Skoda Citigo produziert werden, mussten die Bänder angehalten werden. Auch die Karosserie-Produktion für den Porsche Cayenne stand still.

Die Arbeiter fordern eine Lohnerhöhung von 16 Prozent. Der VW-Konzern hatte dies zurückgewiesen und zuletzt 4,5 Prozent mehr Lohn für dieses und 4,2 Prozent mehr für das kommende Jahr sowie eine Einmalzahlung von 350 Euro angeboten.

Die Gewerkschaftsorganisation bei VW, „Moderné odbory Volkswagen“ (Moderne Gewerkschaft Volkswagen) musste dieses Angebot auch in der elften Runde am vergangenen Freitag ablehnen und zum Streik aufrufen. „Wir verdienen wenigstens eine zweistellige Erhöhung“, sagte der Gewerkschafts-Vorsitzende Zoroslav Smolinsky. Die VW-Beschäftigten in der Slowakei verdienen im Schnitt 1.800 Euro im Monat, das ist zwar weit mehr als der nationale Durchschnittslohn, der bei 980 Euro liegt, aber immer noch bedeutend weniger als in Deutschland.

Der Nachrichtenagentur AFP sagte der Arbeiter Stanislav Galva: „Es geht nicht ums Geld. Es geht um den Anstand des Unternehmens.“ VW habe „solch große Profite“, die müsse das Unternehmen mit den Arbeitern teilen.

Die wachsende Wut der Arbeiter in der Autoindustrie über diese augenscheinliche Ungerechtigkeit und die allgemeine Empörung über die wachsende soziale Ungleichheit – der Mindestlohn in der Slowakei liegt bei rund 400 Euro –, führte dazu, dass Premierminister Robert Fico von der sozialdemokratischen Smer-SD den Streik in Worten unterstützte.

„Warum sollte ein Unternehmen, das die hochwertigsten und luxuriösesten Autos mit einer hohen Arbeitsproduktivität baut, seinen slowakischen Arbeitern die Hälfte oder ein Drittel dessen zahlen, was es den gleichen Mitarbeitern in Westeuropa zahlt?“, sagte er.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Fico, der eine Koalitionsregierung mit extrem rechten Parteien führt, Nationalismus schürt, um von der sozialen Krise abzulenken. Seinen Wahlkampf Anfang letzten Jahres hatte er vollständig gegen Flüchtlinge ausgerichtet, obwohl 2015 in der Slowakei gerade einmal 330 Asylanträge gestellt und acht bewilligt wurden.

Die Autos, die die Arbeiter bei VW bauen, können sie sich auf jeden Fall selbst nicht leisten. Das Werk in Bratislava stellte im vergangenen Jahr fast 390.000 Fahrzeuge her, täglich mehr als tausend. Doch fast die gesamte Produktion ist für den Export bestimmt. Rund 99 Prozent werden in 148 Länder der Welt exportiert, vor allem nach Deutschland, die USA und China.

Die Karosserie, die Porsche für den Cayenne in der Slowakei herstellen lässt, geht ins VW-Werk nach Leipzig, wo sich die Endmontage des SUV befindet. VW stellt in Bratislava auch Getriebe her und hat im Land drei weitere Produktionsbetriebe in Martin, Stupava und Kosice. In diesen soll die Produktion „normal“ gelaufen sein.

VW ist in dem nur 5,4 Millionen Einwohner zählenden Land der mit Abstand größte private Arbeitgeber. Die Slowakei selbst ist gemessen an der Einwohnerzahl der größte Autohersteller der Welt. Mehr als eine Million Autos werden im Jahr produziert. Seit fast drei Jahrzehnten nutzen die großen Massenhersteller die niedrigen Löhne aus, um Teile der Produktion nach Osteuropa zu verlagern. Jaguar Land Rover will im nächsten Jahr ein Automobilwerk in der Slowakei in Betrieb nehmen.

In letzter Zeit steigen allerdings das Selbstbewusstsein der Autoarbeiter und deren Löhne. Die französische PSA-Gruppe (Peugeot/Citroën) und der südkoreanische Hersteller Kia haben die Löhne in ihren slowakischen Werken jüngst um 6,3 beziehungsweise 7,5 Prozent erhöht.

Aber auch Arbeiter in anderen osteuropäischen Ländern könnten sich die slowakischen VW-Arbeiter zum Vorbild nehmen. Denn sie verdienen meist noch weniger als ihre Kollegen in Bratislava. Im Nachbarland Tschechien verdient ein Arbeiter bei der VW-Tochter Skoda umgerechnet rund 1.400 Euro im Monat.

Am Dienstagnachmittag wies der Vorstandsvorsitzende von Volkswagen Slovakia, Ralf Sacht, in einer Pressekonferenz darauf hin: „Wir liegen an der Spitze der Vergütung innerhalb der V4“ – der Visegrád-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn. Die Löhne lägen auf dem gleichen Niveau wie in Portugal und Spanien.

Bereits letzte Woche hatte die Werksleitung in einer Pressemitteilung den Streikaufruf als „mangelnde Bereitschaft zu konstruktiven Verhandlungen“ bezeichnet. Die Forderungen der Gewerkschaft seien nicht annehmbar, würden die Konkurrenzfähigkeit des Betriebs und damit die Interessen des Unternehmens sowie der Mitarbeiter selbst schädigen, hieß es.

Am Montag legte dann eine VW-Sprecherin nach. Die Forderungen der Gewerkschaft seien „inakzeptabel“. Eine Lohnerhöhung um 16 Prozent gefährde die Wettbewerbsfähigkeit und die Zukunft des Unternehmens.

Der Deutsche Sacht hatte erst letztes Jahr den Vorsitz von VW Slovakia übernommen. Er ist es gewohnt, gemeinsam mit der IG Metall Streiks zu verhindern, und sagte gestern, er erwarte, dass die Gewerkschaft den ersten Schritt mache und sich wieder auf VW zubewege. Er wollte zu den Auswirkungen des Streiks keine Stellung nehmen, fügte jedoch an, „dass wir bereit sind“.

Die VW-Arbeiter in der Slowakei sind auch „bereit“. Sie gehen nicht von einem kurzen Streik aus. Um sich gegen den VW-Konzern durchzusetzen und behaupten zu können, müssen sie sich mit ihren über 600.000 Kollegen in aller Welt zusammenschließen.

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