Diese Woche in der Russischen Revolution

25.–31. Dezember: Sowjetregierung verstaatlicht die Banken

Zum Jahresende 1917 befindet sich die Russische Revolution in einer prekären Lage. Von außen bedrohen feindliche Armeen die neue Sowjetregierung, im Innern droht eine Hungersnot. Hinzu kommen Anarchismus und konterrevolutionäre Intrigen. Auf den Schlachtfeldern wütet nach wie vor der imperialistische Krieg. An der Oktobererhebung entzünden sich weltweit neue revolutionäre Kämpfe.

Bis zum Kriegsende im November 1918 wird der Große Krieg 18 Millionen Todesopfer und 23 Millionen Verwundete und Verkrüppelte fordern.

Charkow, 25. (12.) Dezember: Proklamation der Ukrainischen Volksrepublik der Sowjets

Der erste Gesamtukrainische Sowjetkongress proklamiert in Charkow die Ukrainische Volksrepublik der Sowjets (UNRS). Dieser Gründungsakt richtet sich ausdrücklich gegen die Ukrainische Volksrepublik (UNR), die der Zentralrat in Kiew einige Wochen zuvor ins Leben gerufen hat.

Im Gegensatz zur West- und auch zur Zentralukraine ist im Ostteil des Landes die ukrainische Nationalbewegung eher schwach. Das trifft in besonderem Maße auf große Industriestädte wie Charkow zu. Hier gibt es eine stark russisch und jüdisch geprägte Arbeiterklasse, die dem Projekt eines unabhängigen ukrainischen Nationalstaats und der damit einhergehenden Ukrainisierung gleichgültig, wenn nicht ablehnend gegenübersteht. Die Bolschewiki und die Linken Sozialrevolutionäre haben im Osten und weitgehend auch im Süden eine viel breitere Unterstützerbasis als im bäuerlich geprägten Westen.

Der allukrainische Sowjetkongress ist auf Initiative der Bolschewiki zusammengetreten. Sie haben erst wenige Wochen zuvor ihre eigene ukrainische Partei gegründet. Ursprünglich hat ihr Parteitag in Kiew begonnen, aber die Bolschewiki haben ihn nach Charkow verlegt, um gegen die Präsenz von 650 nicht eingeladenen Delegierten der „Bauernunion“ und 905 weiteren Delegierten der ukrainischen Streitkräfte zu protestieren. In Charkow halten sich am 24. (11.) Dezember, da der Kongress seine Arbeit aufnimmt, auch mehrere tausend Rotgardisten unter Führung von Wladimir Antonow-Owsejenko auf, die im Kampf gegen die Weißen unter General Kalenin stehen. Am 1. Januar (19. Dezember) wird der Sownarkom der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) in Petrograd den UNRS als einzig legitime Regierung der Ukraine anerkennen.

Mitglieder der UNRS-Regierung sind Jewgenja Bosch als Volkskommissarin des Innern, Fedor Sergejew (Artiom), ein russisch-australischer Revolutionär, als Volkskommissar für Handel, sowie Nikolai Skripnik als Volkskommissar für Arbeit.

In der Zeit von Dezember 1917 bis Januar 1918 wird in mehreren weiteren Industriezentren der Ost- und Südukraine die Sowjetmacht etabliert. Nach dem Friedensschluss mit Deutschland werden jedoch deutsche und österreichisch-ungarische Truppen, die in Übereinstimmung mit der Kiewer Zentralna Rada handeln, die UNRS in die Knie zwingen. Mehrere weitere Jahre des Bürgerkriegs werden ins Land gehen, ehe in der Ostukraine wieder eine Sowjetmacht existieren wird.

Kalkutta, 26. Dezember: Wahl Annie Besants zur Präsidentin des Indischen Nationalkongresses zeigt wachsende Opposition gegen britischen Imperialismus

Der 32. Parteitag des Indischen Nationalkongresses wählt Annie Besant, eine britische Staatsbürgerin, zur Präsidentin.

Die Wahl fällt auf die in Britisch-Indien lebende Besant, obwohl die britische Regierung ihr jede politische Betätigung verboten hat. In ihrer präsidialen Antrittsrede sagt Besant: „Zum ersten Mal in der Geschichte des Kongresses haben Sie eine Person zu ihrer Präsidentin gewählt, die zum Zeitpunkt der Wahl mit der Regierung über Kreuz liegt und sogar als gefährliche Person interniert ist.“

Besants Wahl ist ein Anzeichen der wachsenden Opposition in der aufstrebenden indischen Bourgeoisie und der englisch erzogenen professionellen Elite, die bis dahin immer als wichtige Stütze der britischen Herrschaft galt.

Besant ist Präsidentin der Theosophischen Gesellschaft. Im September 1916 hat sie die indische Home Rule-Bewegung gegründet. Diese stützt sich auf die irische Home Rule-Bewegung und setzt sich entsprechend für die Selbstregierung Indiens im Rahmen des britischen Empires ein. Das Konzept ähnelt dem Dominion Status Kanadas und Australiens.

Besant wurde 1847 in London geboren und beteiligte sich an verschiedenen sozialreformistischen Bewegungen wie dem Säkularismus, der Frauenrechtsbewegung und der Gesellschaft der Fabier. Eine Zeitlang stand sie dem Wissenschaftler Edward Aveling nahe, dem Partner von Eleanor Marx, Karl Marx‘ jüngster Tochter. Sie war auch auf der Arbeiterdemonstration in London am 13. November 1887 anwesend, die von der britischen Polizei und Armee gewaltsam angegriffen wurde. Diese Demonstration forderte Arbeitsplätze und wurde unter dem Namen „Blutiger Sonntag“ bekannt. Nach ihrer Übersiedlung nach Indien setzt Besant sich für verschiedene Reformen im Rahmen des Kapitalismus ein. Sie unterstützt den Ersten Weltkrieg als Kampf für „Demokratie“ und gegen die zentraleuropäische Autokratie.

Die Kontrolle des britischen Empires über den riesigen indischen Subkontinent lässt nach. Die Kolonialadministration rekrutiert durch Bestechung und Zwang mehr als 1,2 Millionen Inder, darunter 477.000 Hilfskräfte, die als Kanonenfutter für den imperialistischen Krieg nach Europa und in den Nahen Osten geschickt werden.

London nötigt dem indischen Staatsschatz einen Beitrag von 130 Millionen Pfund ab (mindestens neun Milliarden Pfund nach heutigem Geldwert). In einer Parlamentsdebatte im Juni 1917 gibt Außenminister Lord Balfour offen zu, dass „Indien für den Krieg weißgeblutet wird“.

Die Briten schaffen auch große Mengen an Nahrungs- und Futtermitteln von Indien in den Irak und an andere Kriegsschauplätze. Dadurch verursachen sie Hungersnöte in vielen Teilen Indiens.

Diese Bedingungen führen zu einer Verschärfung sozialer Gegensätze und zu Protesten. Die Kolonialverwaltung reagiert auf diese Aufstände mit einer Mischung aus Unterdrückung und Zugeständnissen. Als Reaktion auf soziale Unruhen auf dem ganzen Subkontinent sieht sich der britische Minister für Indien, Edwin Montagu, im August 1917 zum Eingeständnis gezwungen, dass in einem unbestimmten Zeitraum eine „verantwortliche Regierung“ für Indien das Ziel sei, was als implizites Zugeständnis an die Forderung nach Home Rule gelten kann.

Washington, 26. Dezember: Wilson unterstellt Eisenbahnen der Kontrolle der Bundesregierung

Auf der Grundlage des Federal Possession and Control Act unterstellt Präsident Woodrow Wilson die amerikanische Eisenbahnindustrie der Kontrolle der Bundesregierung. Schatzkanzler William McAdoo wird zum Generaldirektor der Eisenbahnen ernannt. Das riesige Eisenbahnnetz, das bei weitem größte der Welt, wird in die drei Regionen Ost, Süd und West unterteilt.

Damit soll im Kontext der amerikanischen Mobilisierung und des Eintritts in den Großen Krieg die Anarchie des „freien Marktes“ überwunden werden. Bei den Lieferungen herrscht Chaos. Weil es keine garantierten Profite gibt, haben die Eisenbahnbesitzer kein Interesse, Güter für die Kriegsindustrie und sogar für Energie verlässlich zu liefern. Das geht so weit, dass man von einer Kohle-Knappheit für das Heizen von Wohnungen spricht. In dieser grimmig kalten Weihnachtszeit kommt es sogar zu Kältetoten. Für den Fall, dass es zu Streiks der Eisenbahner kommt, droht ein Armeeeinsatz.

Wilsons Maßnahme hat den unbeabsichtigten Nebeneffekt, dass die Arbeiter lauter als bisher eine vollständige Verstaatlichung der Bahn- und der Kohleindustrie fordern, was das Profitmotiv in der Grundindustrie untergräbt. Arbeiter fragen: „Wenn die Eigentümer im Interesse einer rationalen Kriegsführung ausgeschaltet werden müssen, warum ist das dann nicht auch in Friedenszeiten angebracht?“ Die Bergarbeitergewerkschaft nimmt die Verstaatlichung in ihre Tarifforderungen auf.

Wilson hat allerdings nicht die Absicht, derart weitgehende Schritte zu tun. Nach dem Krieg werden die Eisenbahnbarone die volle Kontrolle über ihre Monopole zurückbekommen, einschließlich einer Entschädigung für die im Krieg entgangenen Profite.

Washington, 30. Dezember: Wilson lässt 500.000 Deutsch-Amerikaner als „feindliche Ausländer“ registrieren

Die Wilson-Regierung gibt bekannt, dass ab dem 4. Februar etwa 500.000 deutsche „feindliche Ausländer“ registriert und ihre Fingerabdrücke genommen werden sollen. Feindliche Ausländer sind nach der Definition von Justizminister Gregory alle deutschen Männer über 14 Jahren, die in den USA leben, aber noch nicht eingebürgert sind. Nach ihrer Registrierung bei der Polizei oder bei einem Friedensrichter müssen diese halbe Million deutsche Einwanderer eine „Feindliche-Ausländer“-Karte ständig bei sich tragen.

Die New York Times lobt die Anordnung mit der Begründung, deutsche Einwanderer seien „die Quelle feindlicher Verschwörungen und Propaganda“. Sie ermutigt „Zeitungen und Bürger“, bei der Jagd mitzumachen.

Zur Registrierung gehört außer einem Passfoto und Fingerabdrücken das Sammeln detaillierter Informationen über Geschäftsbeziehungen und Gewohnheiten der Deutschen. Nicht nur muss nach der Registrierung der Ausweis immer mitgeführt werden: Man darf auch seinen Wohnort nicht ohne Erlaubnis der Polizei oder des Postmasters wechseln. Regelverstöße werden mit Internierung für die Dauer des Kriegs bestraft. Die Informationen sollen Beamte dienen, die „feindliche Verschwörungen und Propaganda aufdecken und offenlegen, welche Deutsche genauer unter die Lupe genommen werden sollten“. Das Ganze ist besonders in Städten mit zahlreicher deutschstämmiger Bevölkerung eine Riesenaufgabe, und so werden Zeitungen und Bürger zur Mithilfe aufgefordert.

Russland, 27. (14.) Dezember: Zentralexekutivkomitee verabschiedet Dekret zur Enteignung der Banken

Am 27. Dezember übernehmen mehrere Abteilungen der Roten Garden in einer koordinierten Operation die Kontrolle über sämtliche Banken und Kredithäuser von Petrograd. Das Zentralexekutivkomitee verabschiedet die folgende Resolution:

„Im Interesse der richtigen Organisierung der Volkswirtschaft, im Interesse der entschiedenen Ausrottung der Bankspekulation und der vollständigen Befreiung der Arbeiter, Bauern und der gesamten werktätigen Bevölkerung von der Ausbeutung durch das Bankkapital und zwecks Schaffung einer wirklich den Interessen des Volkes und der armen Klassen dienenden einheitlichen Volksbank der russischen Republik beschließt das Gesamtrussische Zentralexekutivkomitee:

1. Das Bankwesen wird Staatsmonopol.

2. Alle jetzt bestehenden privaten Aktienbanken und Bankkontore werden mit der Staatsbank vereinigt.

3. Die Aktiva und Passiva der zu liquidierenden Unternehmen gehen an die Staatsbank über.

4. Die Reihenfolge der Verschmelzung der Privatbanken mit der Staatsbank wird durch eine besondere Verordnung festgesetzt werden.

5. Die provisorische Verwaltung der Privatbanken wird dem Rat der Staatsbank übergeben.

6. Die Interessen der Besitzer von kleinen Guthaben werden vollkommen garantiert.“

Lenin entwickelt indessen bereits Pläne zur Einführung noch radikalerer Sofortmaßnahmen, um die kritische Ernährungslage und die drohende Hungersnot zu bekämpfen.

Zum Beispiel schlägt er ein Dekret vor, das alle großen Konzerne verpflichtet, ihre Geschäftsbücher zu öffnen und ihre Geschäfte in den Dienst der Öffentlichkeit zu stellen. Große Unternehmen und reiche Individuen werden verpflichtet, den Sowjetbehörden regelmäßig über ihre Tätigkeiten und Finanzen zu berichten. Alle große Vermögen und Geldbestände werden eingefroren, nur mit Ausnahme des zur Befriedigung von Grundbedürfnissen Notwendigen. Auch werden sämtliche Staatsanleihen aus dem Ausland annulliert. Um die Erfassung und Verteilung knapper Lebensmittel zu erleichtern, soll sich jeder Sowjetbürger einer Konsumgenossenschaft anschließen.

Außerdem schlägt Lenin die Einführung der allgemeinen Arbeitspflicht vor. „Alle Bürger beiderlei Geschlechts von 16 bis 55 Jahren sind verpflichtet, die Arbeiten auszuführen, die von den örtlichen Sowjets der Arbeiter-, Soldaten- und Bauerndeputierten oder von anderen Organen der Sowjetmacht angeordnet werden.“ Zuwiderhandlungen gegen diese Maßnahmen sollen streng bestraft werden. „Zur gleichen Strafe sowie zu Gefängnishaft, Abtransport an die Front oder Zwangsarbeit werden alle Personen verurteilt, die diesem Gesetz zuwiderhandeln, wie auch Saboteure, streikende Beamte und Spekulanten“, schreibt Lenin. „Die örtlichen Sowjets und die ihnen angeschlossenen Institutionen sind verpflichtet, unverzüglich die revolutionärsten Maßnahmen zum Kampf gegen diese wirklichen Volksfeinde auszuarbeiten.“

In einer Rede, die Lenin am Tag, an dem das Dekret beschlossen wird, vor dem Zentralen Exekutivkomitee hält, antwortet er denjenigen, die behaupten, „dass wir dem sicheren Untergang entgegengehen“, mit folgenden Worten:

Niemand außer den utopischen Sozialisten hat behauptet, dass man ohne Widerstand, ohne die Diktatur des Proletariats und ohne die alte Welt mit eiserner Hand anzupacken siegen könne.

Ihr [d.h. Lenins Gegner] habt auch diese Diktatur prinzipiell akzeptiert, übersetzt man aber diesen Ausdruck ins Russische, nennt man ihn „eiserne Hand“ und wendet das praktisch an, dann weist ihr warnend auf die Kompliziertheit und Verworrenheit der Dinge hin …

Wir wissen, dass das eine komplizierte Maßnahme ist. Niemand unter uns – nicht einmal, wer eine ökonomische Bildung besitzt – wird die Durchführung dieser Maßnahme übernehmen. Wir werden die Fachleute auf diesem Gebiet zur Mitarbeit auffordern, aber erst dann, wenn die Schlüssel in unseren Händen sein werden. Dann werden wir sogar ehemalige Millionäre als Sachverständige beschäftigen können. Wer arbeiten will – bitte sehr! Ihr dürft nur nicht jedes revolutionäre Beginnen zu einem toten Buchstaben machen, darauf werden wir uns nicht einlassen. Das Wort ‚Diktatur des Proletariats‘ ist für uns ein ernstes Wort, und wir werden sie zur Wirklichkeit machen …

Der Erlass des Dekrets ist unaufschiebbar, sonst werden uns Widerstand und Sabotage zugrunde richten. (Beifall, in eine Ovation übergehend.)

[siehe: Lenin Werke, Bd. 26, S. 385–391.]

London, 28. Dezember: Labour Party-Konferenz billigt imperialistische Ziele Großbritanniens

Eine gemeinsame Konferenz der Labour Party und des Gewerkschaftsdachverbands TUC stimmt einem Memorandum zu, das die Kriegsziele der Labour Party formuliert. Es versucht; die räuberischen globalen Interessen der britischen Bourgeoisie in ein „demokratisches Gewand“ zu kleiden. Gleichzeitig bedient es sich rhetorisch der populären Forderung der Bolschewiki nach einem sofortigen Kriegsende.

Labour fordert, den Krieg „sobald wie irgend möglich“ zu beenden. Das ist eine Formel, die an den verbreiteten Wunsch nach Frieden anknüpft und gleichzeitig die brutale Fortsetzung des Krieges meint, bis Londons Ziele erreicht sind. Labours Dokument fügt hurtig hinzu, dass die Partei die Fortsetzung des Kriegs unterstützt, bis „die Welt künftig ein sicherer Ort für die Demokratie ist“. Diese heuchlerische Erklärung zielt auf die autokratischen Regimes in Berlin, Wien und Istanbul.

Die Konferenz legt eine höchst selektive Anwendung des Prinzips der Selbstbestimmung der Völker an den Tag. Sie fordert die Unabhängigkeit Belgiens und der Balkanstaaten, d.h. von Staaten, die sich gegenwärtig unter der Kontrolle Deutschlands, Österreich-Ungarns und der Türkei befinden, und sie fordert die Rückgabe Elsass-Lothringens an Frankreich. Dagegen schweigt Labour über die andauernde koloniale Beherrschung Irlands und Indiens durch den britischen Imperialismus. In Afrika, wo der britische und der französische Imperialismus über riesige Imperien gebieten, wird in dem Text nur schüchtern angeregt, diese Territorien an einen „Völkerbund“ zu übertragen. Ein solches Arrangement würde zur Kodifizierung brutaler kolonialer Unterdrückung unter dem Deckmantel internationalen Rechts führen. Lenin wird den Völkerbund später als „Diebesküche“ bezeichnen.

Labour unterstützt vorbehaltlos das zionistische Projekt in Palästina, dem die britische herrschende Klasse im November mit der Balfour-Deklaration ihren Segen erteilt hat. In dem Labour Party-Memorandum heißt es: „Palästina sollte von der harten, unterdrückerischen Regierung der Türken befreit werden, um einen freien Staat mit internationalen Garantien bilden zu können. Dorthin sollen die Mitglieder des jüdischen Volkes, wenn sie das wünschen, hingehen können, und sie sollen dort für ihre eigene Rettung arbeiten können, frei von der Einmischung fremder Rassen oder Religionen.“

Die Positionen der Labour Party sind eine Fortsetzung ihrer kriegsbefürwortenden Haltung, die die Partei seit Beginn der Schlächterei im August 1914 eingenommen hat. Sie hat gemeinsam mit den Gewerkschaften alle Streiks und Kämpfe der Arbeiterklasse unterdrückt und Propaganda für die nationale Einheit betrieben. Sie hat sich als loyale Dienerin der britischen herrschenden Klasse erwiesen, ist in mehrere Kriegskabinette eingetreten und dient zurzeit im Kabinett von Lloyd George.

Das Memorandum zu Labours Kriegszielen wird eine wichtige Rolle in der Diskussion auf einer Konferenz „sozialistischer“ Parteien der alliierten Länder spielen, die Anfang 1918 stattfinden wird.

Petrograd, 31. Dezember: Rat der Volkskommissare anerkennt Unabhängigkeit Finnlands

Nachdem die finnische Regierung am 6. Dezember ihre Unabhängigkeit von Russland erklärt hat, anerkennt der Rat der Volkskommissare nun Finnland als unabhängige Republik an. Damit endet die 108 Jahre währende Herrschaft Russlands über Finnland, das als Großherzogtum zum Zarenreich gehörte.

Die Revolution hat die finnische Gesellschaft scharf in die verschiedenen Klassen aufgespalten. Für die Tatsache, dass es eine bürgerliche Regierung ist, die sich ihre Unabhängigkeit jetzt von den Bolschewiki bestätigen lässt, ist vor allem der Verrat der finnischen Sozialdemokraten verantwortlich. Sie haben unter dem Einfluss Karl Kautskys und der reformistischen Zweiten Internationale den Kampf der finnischen Arbeiter um die Macht systematisch sabotiert. Es ist erst sechs Wochen her, dass die finnischen Sozialdemokraten einen landesweiten Generalstreik abgewürgt haben, der von der Oktoberrevolution inspiriert war. Damit haben sie die Macht zurück an die Bourgeoisie gegeben, nachdem die Arbeiter schon die Kontrolle in fast allen großen Städten des Landes erobert hatten.

Schon braut sich ein weiterer revolutionärer Kampf zusammen. Ende Januar werden radikale Elemente innerhalb der Sozialdemokratie und unter den proletarischen roten Garden die Macht in Helsinki übernehmen. Sie werden die Finnische Sozialistische Arbeiterrepublik gründen, die etwas mehr als drei Monate lang existieren wird, ehe die rechten finnischen Nationalisten sie mit Hilfe des deutschen Imperialismus im Blut ertränken werden.

Auch in diesem Monat: Massenverhaftungen von sozialistischen Kriegsgegnern in Deutschland

Hunderte von sozialistischen Kriegsgegnern werden über Weihnachten von der Polizei verhaftet oder zwangseingezogen und an die Front geschickt. Die Massenverhaftungen finden in praktisch allen Industriezentren statt: darunter Köln, Karlsruhe, München, Düsseldorf, Magdeburg, Darmstadt, Nürnberg, Kassel, Mannheim, Duisburg und insbesondere Berlin. Damit hat das Vorgehen der Militärdiktatur von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff gegen Kriegsgegner und sozialistische Arbeiterführer einen Höhepunkt gefunden.

Revolutionäre wie Karl Retzlaff und Paul Frölich erinnern sich später in ihren Autobiographien, dass Polizei und Militärführung vor der Oktoberrevolution in Russland oft noch relativ dilettantisch gegen sozialistische Kriegsgegner vorgegangen waren. Doch mit der Machtergreifung der Arbeiterklasse in Russland und den darauffolgenden Verbrüderungsszenen an der Front ändert sich deren Haltung schlagartig. Außer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die bereits seit Jahren im Gefängnis sitzen, und Leo Jogiches, der praktisch während des ganzen Kriegs in der Illegalität lebt, werden nun viele andere Führer des Spartakusbundes verhaftet. Der politische Führer der „Bremer Linken“, Jan Knief, und seine Kampfgefährtin Lotte Kornfeld müssen für Monate in die Illegalität abtauchen.

Diese Repressionen verhindern jedoch nicht, dass das neue Jahr im Januar in ganz Deutschland mit einem riesigen Massenstreik beginnt, in dem die Forderung nach einem Ende des Krieges eine zentrale Rolle spielt.

Auch in diesem Monat: Heinrich Vogelers „Weihnachtsmärchen“

Ende 1917 grübelt der Maler Johann Heinrich Vogeler (1872–1942) darüber nach, wie er persönlich auf die bösartigen Forderungen der deutschen Seite bei den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk reagieren könnte. Der durch seine Jugendstilbilder und Illustrationen berühmte Maler ist vor allem als Mitglied der Gründergeneration der Künstlerkolonie Worpswede bei Bremen bekannt geworden. Zu seinem Freundeskreis gehören u.a. Rainer Maria Rilke, Clara Westhoff, Paula Modersohn-Becker und ihr Ehemann Heinrich Modersohn.

Zu Kriegsbeginn hat er sich – mehr aus Verzweiflung als Überzeugung – als Kriegsfreiwilliger gemeldet. Naiv hat er zunächst der Propaganda geglaubt, dass durch diesen „Verteidigungskrieg“ der Menschheitsfriede wieder hergestellt werden könne. „Vaterlandsliebe“, „Kampfesmut“ und „Heldentod“ waren ihm als Sohn einer wohlhabenden Bürgerfamilie eingeimpft worden. Später erklärt er dazu, er sei damals ein „politischer Analphabet“ gewesen.

Vogeler erhält im Krieg die Möglichkeit, als „Armeezeichner“ zu wirken. Dabei vermeidet er allerdings bewusst jede Gewaltdarstellung. Seine Skizzen zeigen Soldaten bei ihren täglichen Verrichtungen, auf dem Marsch, beim Grabenbau und bei der Quartiernahme.

Je länger der Krieg dauert, desto klarer wird ihm, worum es dabei wirklich geht. Mit großer Aufmerksamkeit nimmt er die revolutionären Ereignisse in Russland wahr. Die Friedensbotschaft der Bolschewiki fällt bei ihm wie bei vielen einfachen Soldaten, auf fruchtbaren Boden. Dem Offizierskorps fällt er nun mit immer wütenderen Äußerungen über den Krieg auf. Um einer Bestrafung des bekannten Künstlers auszuweichen, will man ihn schließlich vom Unteroffizier zum Offizier befördern und an die Ostfront schicken. Er bittet dringend um Heimaturlaub, der ihm gewährt wird.

In Worpswede brütet er darüber, was er selbst gegen den Krieg tun kann. Offene Antikriegspropaganda ist aber nicht sein Ding. So schreibt er schließlich Anfang Januar 1918, gekleidet in ein „Märchen vom lieben Gott“, einen Brief an den Kaiser. Darin geht Gott zum Kaiser, beschimpft ihn als Sklaven des Scheins und fordert: „Werde Herr des Lichts, indem du der Wahrheit dienst … Vernichte die Grenzen, sei der Menschheit Führer … Sei Friedensfürst … Aufbau statt Zerstörung. In die Knie vor der Liebe Gottes, sei Erlöser, habe die Kraft des Dienens! Kaiser!“

Als Anrede setzt er über die Erzählung: „An den Kaiser. Protest des Unteroffiziers Vogeler gegen den Brest-Litowsker Gewaltfrieden“. Auf den Umschlag schreibt er die Adresse des Kaisers in Charleville, wo dieser momentan weilt. General Erich Ludendorff erhält eine Abschrift mit dem Zusatz: „Exzellenz, ziehen Sie ihre roten Hosen aus und setzen Sie sich ein paar Tage da vorne in den Dreck – nur dann werden Sie erfahren, was der Frontsoldat denkt.“ Beide Schreiben wirft er am 11. Januar tatsächlich in den Briefkasten und rechnet damit, erschossen zu werden.

Ohne sein Zutun wird die Erzählung immer wieder als Flugblatt gedruckt und verteilt. Am 30. Januar 1918 soll er von einem Unteroffizier und einem Soldaten verhaftet werden. Nachdem er die beiden bewirtet und ihnen das Märchen vorgelesen hat, ziehen sie ab. Er kommt nicht ins Gefängnis, sondern in die Beobachtungsabteilung eines Lazaretts für Geisteskranke in Bremen.

Vogeler beginnt nun, die Werke von Marx, Engels und Bakunin zu studieren. Nach 1919 versucht er vergeblich, seinen Barkenhof zu einer sozialistischen Kommune und einem Kinderheim mit angeschlossener Arbeitsschule zu machen. Er arbeitet intensiv für die Rote Hilfe und geht schließlich 1931 in die Sowjetunion, um dort beim Aufbau des Sozialismus zu helfen.

Seine am Futurismus und Kubismus orientierten „Komplexbilder“ fallen bei der Bürokratie schnell in Ungnade, und er versucht, sich am „sozialistischen Realismus“ zu orientieren. 1941 wird er mit zahlreichen anderen Deutschen nach Kasachstan deportiert, wo er Schwerstarbeit leisten muss und fast verhungert. Am 14. Juni 1942 stirbt er im Krankenhaus des Kolchos „Budjonny“, vermutlich aufgrund eines Blasenleidens und körperlicher Schwäche.

Auch in diesem Monat: Alexandra Kollontai, Volkskommissarin für Soziales

Der Rat der Volkskommissare hat sich als Regierung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) etabliert. Nun wird Alexandra Kollontai zur Volkskommissarin für Soziales ernannt. 1919 wird sie auch das „Zhenotdel“ oder „Frauen-Departement“ gründen und leiten.

Kollontai, eine führende Bolschewikin, ist der Partei 1899 beigetreten. In der Revolution 1905 hat sie das Massaker vom Blutsonntag miterlebt und sah sich 1908 gezwungen, ins Exil zu gehen. Sie bereiste Grußbritannien, die Vereinigten Staaten, Schweden, Norwegen, Frankreich und Deutschland und befreundete sich mit vielen Führern der internationalen Arbeiterbewegung, darunter auch Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.

Es ist erst zwei Jahre her, da hat sie mit Lenin über ihre Arbeit in den Vereinigten Staaten korrespondiert, was durch die langen Distanzen erschwert wurde. Lenin hat ihr 1915 aus dem schweizerischen Bern geschrieben: „Also wenn es in Amerika Leute gibt, die sogar das Zimmerwalder Manifest fürchten, dann pfeifen Sie auf sie und wählen Sie nur solche aus, die links vom Zimmerwalder Manifest stehen“.

Während ihrer Reisen durch die USA sprach Kollontai schließlich auf 123 Versammlungen in achtzig Städten. Sie sprach auf Englisch, Deutsch, Französisch, Russisch, Finnisch und Norwegisch. In New York kämpfte sie mit Trotzki zusammen gegen die konservative Führung der American Socialist Party und ihres Führers Morris Hillquit, der den Vaterlandsverteidigern angehörte.

Alexandra Kollontai ist in ihrer Eigenschaft als Volkskommissarin für Soziales die erste Ministerin Europas.

Ende der Chronik

Hiermit beenden wir die Chronik: „Diese Woche in der Russischen Revolution“. Wir hoffen, dass sie unsern Lesern eine nützliche Einführung in die Ereignisse und Auseinandersetzungen jenes unvergleichlichen Jahres geboten hat.

Clara Weiss
Roger Jordan
Sybille Fuchs
Tom Carter
Tom Eley
Wolfgang Weber

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