Auf einem Treffen der Euro-Finanzminister am 21. Juni einigten sich die EU-Länder auf den formalen Ausstieg Griechenlands aus den sogenannten „Rettungsprogrammen“ der Europäischen Kommission, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) – kurz Troika.
Seit 2010 hat Griechenland drei Kreditprogramme, bekannt als „Memorandum of Understanding“, unterzeichnet, die mit drastischen Sparmaßnahmen und einer beispiellosen Privatisierungswelle verknüpft sind. Die Folge ist eine ökonomische Depression und verheerende soziale Krise, wie sie kein europäisches Land in Friedenszeiten je erlebt hat.
Nur eine Woche vor dem jüngsten Euro-Gruppentreffen hatte die Regierung unter der pseudolinken Syriza („Koalition der radikalen Linken“) erneut ein umfassendes Sparpaket verabschiedet, um die Bedingungen der internationalen Geldgeber zu erfüllen.
Nach der langen Sitzung in Luxemburg, die am Donnerstag bis in die späten Abendstunden dauerte, beschwor der EU-Währungskommissar Pierre Moscovici einen „historischen Moment“ und verkündete hochtrabend: „Die griechische Krise ist heute Abend vorbei.“ Auch der griechische Finanzminister Euklid Tsakalotos (Syriza) sprach vom „Ende der griechischen Krise“.
Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission und einer der Hauptarchitekten der Spardiktate, twitterte zynisch: „Ich zolle den Griechen Tribut für ihre Widerstandsfähigkeit und ihre Unterstützung für Europa. Ihre Mühen waren nicht vergeblich.“
Noch am selben Tag veröffentlichte die EU-Kommission ein Werbevideo auf Twitter, das von den Twitter-Kommentaren zurecht als Verspottung der griechischen Bevölkerung aufgefasst wurde. In Orwell’schem Neusprech schwärmt das Video von einer wachsenden Wirtschaft und behauptet, „ein neues Kapitel für Griechenland“ würde beginnen. Dank der „Reformen“ und der „Unterstützung der EU-Partner“ – gemeint sind brutale Sparmaßnahmen und die Knebelung durch EU-Diktate – sei das Land „ wettbewerbsfähiger“ geworden.
Denselben Ton schlug Ministerpräsident und Syriza-Parteichef Alexis Tsipras an, als er am Tag darauf bei einem Festakt der Regierung im Athener Zappeion-Gebäude eine Rede hielt. Unter dem frenetischen Klatschen der Parteifreunde und Koalitionspartner der ultrarechten Anel (Unabhängige Griechen) schwadronierte er davon, dass „unser Land ein neues Kapitel aufschlägt“ und in eine Periode übergehe, in der „soziale Gerechtigkeit“, „Demokratie“ sowie „Stabilität und Würde“ anstelle von Austerität und Unsicherheit treten würden. „Griechenland kehrt voll und ganz an die Griechen zurück“, erklärte Tsipras in nationalistischer Manier und betonte seine enge Verbundenheit mit dem ultrarechten Anel-Chef Panos Kammenos.
Das groteske Schauspiel im Zappeion, das bei den griechischen Arbeitern nichts als Verachtung hervorruft, hat seine Logik. Was Syriza und die europäische Bourgeoisie feiern, sind acht Jahre soziale Konterrevolution im Interesse der internationalen Finanzoligarchie. Sie haben eine ganze Gesellschaft in Grund und Boden gespart, um Milliarden an Banken und Konzerne auszuschütten. Dieser Feldzug gegen die griechische Arbeiterklasse war Teil einer weltweiten Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums von unten nach oben nach Beginn der Finanzkrise 2008.
Angaben der EU-Kommission zufolge wurden allein in den letzten drei Jahren unter der Ägide der Syriza-Regierung 450 Einzelmaßnahmen durchgesetzt, darunter unzählige Renteneinschnitte, Lohnkürzungen, Entlassungen, Steuererhöhungen und Einsparungen im gesamten öffentlichen Sozial-, Bildungs- und Gesundheitswesen.
Das Land ist durch eine katastrophale Rezession gegangen, mit einem Rückgang der Wirtschaftsleistung um 25 Prozent. Jeder Fünfte ist arbeitslos. Laut den jüngsten Umfragen der griechischen Statistikbehörde Elstat, die am 22. Juni veröffentlicht wurden und auf Daten des Kalenderjahrs 2016 beruhen, sind in Griechenland 34,8 Prozent von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht; bei Menschen, die keine griechische Staatsbürgerschaft haben, sind es sogar 62,9 Prozent.
Über 21 Prozent der Griechen leiden unter materieller Entbehrung. Damit steht das Land im EU-Vergleich auf Platz 2 hinter Bulgarien. Fast die Hälfte aller Haushalte mit niedrigen Einkommen gab an, dass sie nicht ausreichend heizen können; 78 Prozent von ihnen seien nicht in der Lage gewesen, unerwartete Ausgaben von 475 Euro zu schultern. Über die Hälfte aller Haushalte – bei den ärmeren Familien sogar 80 Prozent – konnte sich keinen einwöchigen Urlaub leisten.
Das ist das Vermächtnis von drei Jahren Syriza und mehr als acht Jahren Sparpolitik.
Syrizas Behauptung, der formale Austritt aus dem EU-„Rettungsschirm“ bedeute das Ende der Austeritätspolitik, ist eine offenkundige Lüge. Die Hauptelemente der bisherigen Memoranden-Politik bleiben auch nach Auslaufen des dritten Programms im August bestehen – sie werden lediglich neu verpackt. Was als Beendigung der Memoranden gepriesen wird, ist tatsächlich eine Fortsetzung der Spardiktate über die kommenden Jahrzehnte hinweg:
• Griechenland verpflichtet sich zu Primärüberschüssen der Haushalte bis 2060 (!), die mit einem harten Austeritätskurs aus der Arbeiterklasse gepresst werden. So sollen bis 2022 jährlich 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und danach 2,2 Prozent an Überschüssen erzielt werden, die vorwiegend der Schuldentilgung dienen.
• Laut EU-Kommission bleibt Griechenland unter strenger Aufsicht, bis mindestens 75 Prozent der Schulden bezahlt sind. Die Einhaltung der Sparvorgaben, die in den vergangenen Memoranden und im Zuge der neuen Vereinbarung beschlossen wurden, soll künftig alle drei Monate von den Geldgebern kontrolliert werden.
• Die Zins- und Rückzahlungsfrist von 96 Milliarden Euro der Kredite aus dem zweiten Memorandum wird um zehn Jahre verlängert – von 2023 auf 2033. Da der Wert der Gelder durch die Inflation mit den Jahren sinkt, läuft die Stundung der Schulden faktisch auf eine Verringerung der Schuldenlast hinaus. Doch angesichts des ungeheuren Schuldenbergs ist dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Im Rahmen des gesamten „Rettungsprogramms“, das angeblich zum Abbau der Schulden führen sollte, sind diese die Höhe geschnellt – von 129 Prozent des BIP im Jahr 2009 auf 180 Prozent heute. Dieser Teufelskreis wird sich fortsetzen.
• Die EU gewährt Griechenland eine Finanztranche von 15 Milliarden Euro, die als Sicherheitspuffer dafür sorgen soll, dass das Land 22 Monate überleben kann, ohne auf frisches Geld von den Finanzmärkten angewiesen zu sein. Diese Geldreserve stammt aus dem dritten Hilfspaket von 86 Milliarden, das bisher noch nicht vollständig ausgezahlt worden war. Über die Höhe des Finanzpuffers gab es auf dem Treffen zunächst Differenzen zwischen dem deutschen Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der den strikten EU-Austeritätskurs von Wolfgang Schäuble nahtlos fortsetzt, und seinen Amtskollegen.
• Griechenland erhält unter strengen Auflagen eine Auszahlung von rund eine Milliarde Euro aus den Zentralbank-Gewinnen. Das sind die jährlichen Profite, die die nationalen Zentralbanken der EU aus den griechischen Staatsanleihen einstreichen. Was hier als großzügige Gabe präsentiert wird, hatte man Griechenland schon im November 2012 versprochen, aber seitdem nicht ausgezahlt.
Die vereinbarten Maßnahmen, die von Syriza als Schuldenerleichterungen gefeiert werden, dienen in erster Linie dazu, Vertrauen an den Finanzmärkten zu schaffen und Investoren nach Griechenland zu locken. Ziel ist es, dass das Land künftig wieder Geld an den Kapitalmärkten leiht, statt wie bisher Darlehen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus zu erhalten.
Die knapp 274 Milliarden Euro an Kreditzahlungen, die Griechenland seit 2010 erhalten hat, flossen hauptsächlich in die Banken und die Schuldentilgung. Am Tag vor dem Euro-Gruppentreffen wurde bekannt gegeben, dass die deutsche Regierung sogar kräftig an der Ausbeutung Griechenlands verdient hat: Die Bundesbank strich seit 2010 rund 2,9 Milliarden Euro an Profiten ein, vor allem aus den Ankäufen griechischer Staatsanleihen im Rahmen des „Securities Markets Programme“ (SMP, Programm für die Wertpapiermärkte) der EZB.
Gleichzeitig profitieren internationale Großkonzerne von massiven Privatisierungen, der Deregulierung des Arbeitsmarkts, der Senkung der Löhne und Abschaffung von Arbeitgeberleistungen und der Einschränkung des Streikrechts.
Sollte Griechenland eine oder mehrere Schuldenraten nicht zurückzahlen können, dürfen die Kreditgeber sogar auf die Privatisierungsbehörde zugreifen und selbst griechischen Staatsbesitz im Wert von bis zu 25 Milliarden Euro verkaufen.
Außerdem verabschiedete das Parlament 2016 ein Maßnahmenpaket, das nicht nur die Gründung des Treuhandfonds vorsah, sondern auch einen „Mechanismus der Haushaltsanpassung“ beinhaltete, in Griechenland „Koftis“ genannt: Wenn Griechenland die Sparbedingungen nicht erfüllt, treten automatische Kürzungen in Kraft, einschließlich der Löhne und Renten.
Die Tsipras-Regierung wird den Weg der Sozialangriffe rücksichtslos weiterverfolgen. Dieser verheerenden Politik kann nur Einhalt geboten werden, wenn die Arbeiterklasse mit Syriza und all ihren pseudolinken Partnern auf der ganzen Welt politisch abrechnet. Das erfordert ein sozialistisches Programm und den Aufbau des Internationalen Komitees der Vierten Internationale.