Perspektive

78 Jahre seit der Ermordung Leo Trotzkis

Vor 78 Jahren, am 21. August 1940, starb Leo Trotzki in Mexiko-Stadt an den Verletzungen, die ihm Ramon Mercader del Rio, ein Agent der stalinistischen sowjetischen Geheimpolizei GPU, am Tag zuvor zugefügt hatte.

Der Mord an Trotzki – dem wichtigsten Führer der Russischen Revolution neben Lenin, Oberkommandierenden der Roten Armee und Gründer der Vierten Internationale – war ein monströses politisches Verbrechen. Es war der Höhepunkt der Welle konterrevolutionärer Gewalt, die mit der Machtübernahme des Faschismus in Deutschland 1933, der Niederlage der Spanischen Revolution 1936-1939 und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 über die Welt hinwegrollte.

Innerhalb der Sowjetunion verübte das stalinistische Regime damals einen politisch motivierten Völkermord an Arbeitern und Intellektuellen, die in der marxistischen Tradition ausgebildet worden waren. Fast alle wichtigen Anführer der Russischen Revolution fielen ihm zum Opfer. Über 800.000 Menschen wurden im Zuge des Großen Terrors von 1936-1939 ermordet. Wie Trotzki in seinem Aufsatz „Bolschewismus und Stalinismus“ 1937 schrieb: „Die heutige ,Säuberung‘ zieht zwischen Bolschewismus und Stalinismus nicht nur einen blutigen Strich, sondern einen ganzen Strom von Blut.“

Trotzki führte die politische Bewegung an, die sich der bürokratischen und nationalistischen Degeneration der Sowjetunion entgegenstellte. Trotzkis Kampf gegen Stalin war nicht, wie es unzählige Historiker fälschlicherweise darstellten, von subjektivem Streben nach persönlicher Macht bestimmt. Vielmehr spiegelte der Kampf zwei diametral entgegengesetzte politische Perspektiven wider.

Die Festigung von Stalins Macht in der Sowjetunion, die durch Lenins Tod im Jahr 1924 begünstigt wurde, war gleichbedeutend mit der Usurpation der Staatsmacht durch eine nationalistische und konservative bürokratische Kaste, die sich im wirtschaftlich rückständigen und international isolierten Arbeiterstaat herausbildete. Mit der Theorie des „Sozialismus in einem Land“, die erstmals 1924 aufgestellt wurde, wiesen die Stalinisten die internationalistische Perspektive der Russischen Revolution zurück und rechtfertigten die Unterordnung der Weltrevolution unter die Interessen des bürokratischen Apparates in der Sowjetunion.

Die Linke Opposition, die Trotzki 1923 initiierte, und die 1938 von ihm gegründete Vierte Internationale ließen sich von der Theorie der permanenten Revolution leiten, die auch die Grundlage der Russischen Revolution gebildet hatte. Die Errichtung einer wirklich sozialistischen Gesellschaft, so Trotzki, ist in einem einzelnen Land nicht möglich. Der Sturz einer nationalen kapitalistischen Regierung konnte lediglich der Beginn des Übergangs zum Sozialismus sein. Dieses historische Gesetz galt in einem wirtschaftlich rückständigen Land umso unausweichlicher. Die Verwirklichung des Sozialismus in der Sowjetunion setzte den Sturz des Kapitalismus durch die Arbeiterklasse in den fortgeschrittenen Ländern Westeuropas und Nordamerikas voraus.

In seinem Exil in Mexiko-Stadt war sich Trotzki bewusst, dass sein Leben ständig bedroht war. Seine Zuflucht in dem nordamerikanischen Land folgte auf seinen Ausschluss aus der Kommunistischen Partei Russlands im November 1927, seine Verbannung nach Alma Ata im Januar 1928, seine Ausweisung aus der Sowjetunion 1929 und seine Flucht aus der Türkei nach Frankreich sowie Norwegen, bis er 1937 seinen letzten Wohnort Mexiko erreichte.

1940 hatte Stalin bereits viele führende Vertreter der Vierten Internationale ermordet: Trotzkis politischen Sekretär Erwin Wolf im Juli 1937, den GPU-Überläufer und Unterstützer der Vierten Internationale Ignaz Reiss im September 1937, Trotzkis Sohn Leo Sedow im Februar 1938 und den Sekretär der Vierten Internationale Rudolf Klement im Juli 1938, am Vorabend des Gründungskongresses.

Am 24. Mai 1940 startete ein Mordkommando unter Führung des erzstalinistischen Malers David Siqueiros einen Angriff auf Trotzkis Haus. Mit Maschinengewehren durchlöcherten die Angreifer das Schlafzimmer, in dem Trotzki und seine Frau Natalia Sedowa schliefen. Zwar kamen beide mit dem Leben davon, doch Trotzki war klar, dass es nicht der letzte Mordversuch sein würde. Nach dem Überfall schrieb er: „Ich lebe auf dieser Erde nicht in Übereinstimmung mit der Regel, sondern als Ausnahme von der Regel … In einer reaktionären Zeit wie der unsern muss ein Revolutionär gegen den Strom schwimmen.“

Dann, am 20. August 1940, als die Aufmerksamkeit der Welt auf den Zweiten Weltkrieg gerichtet war, führte ein Attentäter Stalins den endgültigen Schlag aus, der den größten lebenden Marxisten und Strategen der Weltrevolution niederstreckte.

Trotz der tragischen und weitreichenden Folgen von Trotzkis Ermordung war dieses Verbrechen nie ernsthaft untersucht worden, bevor das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) 1975 die Untersuchung „Sicherheit und die Vierte Internationale“ begann.

„Sicherheit und die Vierte Internationale“ führte zu einer Reihe von Enthüllungen, die beweisen, dass die Ermordung Trotzkis und seiner Anhänger mithilfe eines weltweiten Netzwerks aus Spionen und Attentätern bewerkstelligt wurde, die die trotzkistische Bewegung infiltrierten. Dazu gehörten Mark Zborowski, Robert Sheldon Harte, Floyd Cleveland Miller, Sylvia Callen und Joseph Hansen.

Callen war die persönliche Sekretärin des Vorsitzenden der Socialist Workers Party, James P. Cannon. Sie nutzte diese Position, um entscheidende Informationen über Trotzkis Aktivitäten an die GPU weiterzuleiten. (siehe: „An ‘Exemplary Comrade’: The Socialist Workers Party’s 40-year-long cover-up of Stalinist spy Sylvia Callen“). Hansen war ein Sekretär Trotzkis in Mexiko-Stadt. In dieser Stellung konnte er Entscheidungen treffen, die die Verschwörung zum Anschlag auf Trotzkis Leben stark begünstigten.

Weil eine Untersuchung dieses Verbrechens ausblieb, wurde nicht nur die Rolle der daran Beteiligten vertuscht, sondern auch das Wesen der stalinistischen Konterrevolution verdunkelt. Der Grund waren in erster Linie politische Interessen. 1953 wurde die Vierte Internationale durch eine prostalinistische Fraktion unter Führung von Michel Pablo und Ernest Mandel gespalten. Während sie weiterhin versuchten, sich als Trotzkisten darzustellen, vertraten die Pablisten die revisionistische Theorie, dass die stalinistische Bürokratie zur Umsetzung revolutionärer Politik gedrängt werden könne.

Diese politische Ausrichtung auf den Stalinismus ging mit der wütenden Ablehnung jedes Versuchs einher, dessen Verbrechen aufzudecken. Als die Untersuchung des IKVI das Netzwerk der GPU-Agenten enttarnte, die in die Vierte Internationale eingedrungen waren, und Beweise für zuvor nicht bekannte Beziehungen zwischen Hansen und der GPU sowie dem FBI aufdeckte, reagierten die Pablisten mit einer internationalen Verleumdungskampagne. Die Forderung des IKVI nach einer paritätischen Kommission – bestehend aus einer gleichen Anzahl an Vertretern des IKVI und der internationalen pablistischen Organisation – zur Prüfung der vom Internationalen Komitee aufgedeckten Beweise lehnten sie kurzerhand ab.

Am 14. Januar 1977 organisierte das pablistische Vereinigte Sekretariat eine öffentliche Veranstaltung gegen „Sicherheit und die Vierte Internationale“ und Gerry Healy, den damaligen Kopf der britischen Sektion des Internationalen Komitees. Zwei Stunden lang schrien führende Pablisten und ihre Verbündeten – darunter Ernest Mandel, George Novack, Pierre Lambert und Tariq Ali – Beleidigungen und Beschimpfungen vom Rednerpult herunter. Nicht einer von ihnen bezog sich indessen auf die Beweise, die vom Internationalen Komitee veröffentlicht worden waren.

Als Gerry Healy, auf den die Tiraden in erster Linie abzielten, sich aus dem Publikum erhob, um auf die Schmähungen zu antworten und den Aufruf des IKVI zur Einsetzung eines paritätischen Ausschusses zu wiederholen, verwarnte ihn der Veranstaltungsleiter, Tariq Ali, und verweigerte ihm das Wort. Es sollte festgehalten werden, dass Ali später zu einem glühenden Verehrer von Michail Gorbatschow und Boris Jelzin wurde und sich bereits vor Jahrzehnten von jeder Verbindung zum Trotzkismus losgesagt hat.

Die von der Untersuchung „Sicherheit und die Vierte Internationale“ aufgedeckten Beweise sind vollständig untermauert. Doch bis heute leugnen die Überreste der pablistischen Parteien und ihre Führer, dass ihre Angriffe auf das Internationale Komitee Verleumdungen waren.

Dem IKVI diente „Sicherheit und die Vierte Internationale“ nicht nur dazu, staatliche Agenten zu enttarnen. Es galt, grundlegende politische Fragen im Zusammenhang mit dem konterrevolutionären Charakter der stalinistischen Bürokratie und des kapitalistischen Staates zu klären. Die Untersuchung war untrennbar mit dem Kampf gegen den pablistischen Revisionismus und alle Bemühungen verbunden, die Verbrechen des Stalinismus zu vertuschen.

Ihre große Leistung bestand darin, bisher unbekannte Fakten über die Mechanismen und das Ausmaß der stalinistischen Verschwörung aufzudecken und den trotzkistischen Kader über die historischen Erfahrungen der Bewegung, den Charakter des Stalinismus und die Rolle des pablistischen Revisionismus aufzuklären.

Für die neue Generation von Arbeitern und Jugendlichen, die in einer Zeit der massenhaften staatlichen Überwachung und polizeilichen Unterdrückung politisiert wird, ist der Schutz der Unabhängigkeit der Arbeiterbewegung, sowohl physisch als auch politisch, eine Frage von Leben und Tod. Für sie enthält „Sicherheit und die Vierte Internationale“ entscheidende politische Lehren zur Verteidigung der Arbeiterbewegung und der sozialistischen Bewegung gegen die Agenturen des kapitalistischen Staates.

Die Untersuchung „Sicherheit und die Vierte Internationale“ ist ein außerordentlich wichtiger Teil des revolutionären Erbes des Internationalen Komitees. Das IKVI ist die einzige Organisation, die bereit war, einen Kampf zu führen, um die Verbrechen der GPU aufzudecken, als die stalinistischen Regime noch die Staatsmacht in ihren Händen hielten und immensen politischen Einfluss ausübten. Das IKVI bewies in der Praxis, dass es an den Prinzipien des Trotzkismus festhielt und einen kompromisslosen Kampf gegen den Imperialismus und alle seine politischen Organisationen führte.

Am 78. Todestag Trotzkis ehrt das Internationale Komitee das Andenken an diesen herausragenden Revolutionär und setzt heute den Kampf für die Prinzipien und das Programm des Weltsozialismus fort, denen Trotzki sein Leben gewidmet hat.

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