Perspektive

79 Jahre seit der Ermordung Leo Trotzkis


Leo Trotzki – einer der Führer der Russischen Revolution an der Seite Wladimir Lenins, Oberbefehlshaber der Roten Armee und Gründer der Vierten Internationale – erlag vor 79 Jahren den schweren Wunden, die ihm ein stalinistischer Attentäter am Tag zuvor zugefügt hatte.

Dieses Jahrhundertverbrechen war das Ergebnis einer riesigen internationalen Operation der Geheimpolizei der stalinistischen Bürokratie, der GPU. In einer Verschwörung wurden Agenten in die trotzkistische Bewegung und Trotzkis Haushalt im Bezirk Coyoacán in Mexiko-Stadt eingeschleust, um das blutige Werk des GPU-Attentäters Ramon Mercader zu ermöglichen.

Der Mord war der Höhepunkt der stalinistischen und faschistischen Reaktion. Ein Jahr zuvor hatte Stalin einen Nichtangriffspakt mit Hitler unterzeichnet, der dem NS-Regime freie Hand zu Beginn des Zweiten Weltkriegs ließ.

Trotzki befand sich schon seit 1929 im Exil und sah sich, wie er selbst sagte, mit einem „Planeten ohne Visum“ konfrontiert. Mexiko war das einzige Land, das ihm Asyl gewährte. GPU-Agenten hatten bereits viele seiner engsten Mitarbeiter ermordet, darunter Trotzkis Sohn Leon Sedow, seinen politischen Sekretär Erwin Wolf und den Sekretär der Vierten Internationale, Rudolf Klement.

In der Sowjetunion selbst versuchte die stalinistische Bürokratie in den Moskauer Prozessen von 1936–38 jede politische Opposition zu vernichten. Im Fadenkreuz des Terrors standen die Anhänger Trotzkis. Hunderttausende Sozialisten, die eine großartige Entwicklung der revolutionären Kultur sowohl in Russland als auch international widerspiegelten, wurden in einem politischen Völkermord massakriert. Wie Trotzki 1937 schrieb, trennte seitdem „ein Strom von Blut“ den Stalinismus vom echten Marxismus.

Stalin befürchtete zu Recht, dass mit dem Ausbruch des Krieges und einer damit verbundenen Krise in der UdSSR und international Trotzki an der Spitze eines neuen Aufschwungs der Arbeiterklasse stehen und eine revolutionäre Gefahr für die herrschende Bürokratie darstellen könnte.

Wie Victor Serge 1937 schrieb: „Es gibt für diese wahnsinnige Ächtung, die die Struktur des Regimes zerstört, keine andere Erklärung als Hass und Furcht … Die Reservearmee hat man sicherheitshalber erschossen. Nur der Alte ist noch da … Aber so lange der Alte lebt, kann die triumphierende Bürokratie nicht sicher sein.“

Der stalinistische Attentäter konnte zwar das Leben des großen Revolutionärs beenden, indem er ihm einen Eispickel in den Schädel rammte. Doch wenn es Stalins Ziel war, die Ideen Trotzkis und die Bewegung, die auf der Grundlage dieser Ideen aufgebaut worden war, zu vernichten, dann ist seine Operation kläglich gescheitert.

Die Vierte Internationale, die Trotzki 1938 gegründet hatte, überlebte nicht nur Stalin und seinen Attentäter, sondern die gesamte stalinistische Bürokratie, die sich selbst und die Sowjetunion ein halbes Jahrhundert nach Trotzkis Ermordung liquidierte.

Trotzki hatte gewarnt, dass die sowjetische Bürokratie die UdSSR zerstören und den Kapitalismus wiedereinführen würde, wenn es der Arbeiterklasse nicht gelingt, das stalinistische Regime in einer politischen Revolution zu stürzen. Während bürgerliche Vertreter die stalinistische Bürokratie als festen Bestandteil der Weltpolitik sahen und Pseudolinke und Revisionisten Gorbatschow und Jelzin als Anführer einer „politischen Revolution“ begrüßten, erwies sich Trotzkis Analyse als richtig, und die Vierte Internationale war die einzige Bewegung, die diese Entwicklung voraussah und darauf politisch vorbereitet war.

Die stalinistischen kommunistischen Parteien, die die Arbeiterklasse dominiert und in einem Land nach dem anderen verraten hatten, zerfielen – und bestätigten so Trotzkis Prognose von 1938: „Die großen Ereignisse, die über die Menschheit hereinbrechen, werden von diesen überlebten Organisationen keinen Stein auf dem anderen lassen.“

In seinem unerbittlichen Kampf gegen den Stalinismus legte Trotzki die Grundlagen für die Entwicklung einer revolutionären Strategie im 21. Jahrhundert sowie die programmatischen und politischen Grundlagen des Kampfs für Sozialismus. Keine andere Figur in der Geschichte der marxistischen Bewegung ist so bedeutend für die gegenwärtige Weltsituation und die Aufgaben der internationalen Arbeiterklasse und ihrer revolutionären Vorhut.

Trotzkis Kampf gegen die stalinistische Degeneration der Sowjetunion und der Dritten Internationale basierte auf einer globalen Perspektive und einem Verständnis der sozialistischen Revolution als internationalem Prozess.

Alle schrecklichen Verbrechen Stalins, auf die zukünftige Generationen mit Abscheu zurückblicken werden, dienten der sowjetischen Bürokratie zur Verteidigung ihrer Theorie vom „Sozialismus in einem Land“ und der Abkehr von einer internationalen sozialistischen Perspektive. Diese Konzeption, die UdSSR könne als autarker Nationalstaat aufgebaut werden, widerspiegelte die Erkenntnis der Bürokratie, dass ihre Privilegien von ihrer Kontrolle über den nationalen Staatsapparat abhingen.

Die rückschrittliche Theorie sollte rechtfertigen, dass die Weltrevolution den Interessen des konservativen bürokratischen Apparats untergeordnet wurde. Trotzki sah die Folgen dieser Politik für die internationale Arbeiterklasse voraus, die eine Reihe katastrophaler Niederlagen erlitt, die in der Machtübernahme Hitlers in Deutschland gipfelten.

Seit Gründung der Linken Opposition im Jahr 1923 stützte sich die von Trotzki geführte Bewegung auf die Theorie der permanenten Revolution, die die Oktoberrevolution 1917 angeleitet hatte.

Diese Theorie ging nicht von den rückständigen wirtschaftlichen Bedingungen und dem bestehenden Verhältnis der Klassenkräfte in Russland aus, sondern von einem Verständnis der russischen Revolution in ihrem weltgeschichtlichen Kontext. Trotzki erklärte, dass unter Bedingungen der Entwicklung einer Weltwirtschaft und einer internationalen Arbeiterklasse die demokratischen Aufgaben, die früher mit bürgerlichen Revolutionen verbunden waren, in Ländern mit einer verspäteten kapitalistischen Entwicklung wie Russland nur von der Arbeiterklasse erfüllt werden konnten. Die russische Arbeiterklasse sei gezwungen, die Macht zu übernehmen und sozialistische Maßnahmen zu ergreifen, aber diese Revolution könnte nur im Rahmen der sozialistischen Weltrevolution die Fesseln sprengen, die die Rückständigkeit Russlands ihr auferlegte.

Trotzkis Kampf gegen den Stalinismus entwickelte sich auf der Grundlage dieser Strategie der sozialistischen Weltrevolution, die ihren politischen Ausdruck in der Gründung der Vierten Internationale im September 1938 fand.

Er hatte diese strategische Konzeption zehn Jahre vorher in seiner Kritik am Programmentwurf der Kommunistischen Internationale dargelegt:

„In unserer Epoche, welche die Epoche des Imperialismus, d. h. der Weltwirtschaft und der Weltpolitik unter der Herrschaft des Finanzkapitals ist, vermag keine einzige Kommunistische Partei ihr Programm lediglich oder vorwiegend aus den Bedingungen und Entwicklungstendenzen ihres eigenen Landes abzuleiten. Dasselbe gilt in vollem Umfang auch für die Partei, die innerhalb der UdSSR die Staatsmacht ausübt. Am 4. August 1914 hatte den nationalen Programmen unwiderruflich die letzte Stunde geschlagen. [...]

In der gegenwärtigen Epoche muss und kann die nationale Orientierung des Proletariats in noch viel größerem Maße als in der vergangenen nur aus der internationalen Orientierung hervorgehen und nicht umgekehrt. Darin besteht der grundlegende und ursächliche Unterschied zwischen der Kommunistischen Internationale und allen Abarten des nationalen Sozialismus.“ (Leo Trotzki, Die Dritte Internationale nach Lenin, Essen 1993, S. 24 f.)

Trotzkis Beharren darauf, dass eine revolutionäre Strategie nur auf der Grundlage einer Analyse der Weltwirtschaft und der Weltpolitik entwickelt werden kann, macht ihn zu einer durch und durch zeitgemäßen politischen Figur. Die beispiellose globale Integration der Produktion gerät in immer schärfere Konflikte mit dem kapitalistischen Nationalstaatensystem, und die Kämpfe der Arbeiterklasse können heute nur auf der Grundlage internationaler Strategie und Organisation erfolgreich geführt werden.

Trotzki hätte keine Schwierigkeiten, die Welt zu verstehen, in der wir heute leben. Sie wird von denselben wirtschaftlichen, sozialen und politischen Widersprüchen heimgesucht, die zu seinen Lebzeiten bestanden, und zugleich findet weltweit ein Wiederaufleben des Klassenkampfs statt. Obwohl Massen von Arbeitern nach links gehen, wenden sich die herrschenden Eliten auf der ganzen Welt nach rechts und unterstützen und befördern die Entstehung faschistischer und rechtsextremer Kräfte. Wie in den Jahren vor Trotzkis Ermordung rüsten die Großmächte, allen voran die USA, auf und bereiten sich auf einen globalen Krieg vor.

Leo Trotzkis zentrale Perspektive bei der Gründung der Vierten Internationale ­– dass sich die Welt in der Epoche des Todeskampf des Kapitalismus befindet und die wichtigste Frage für die Arbeiterklasse der Aufbau einer revolutionären Führung ist – behält ihre volle Macht und Dringlichkeit.

Diese Perspektive und die Kontinuität des Kampfes, den Trotzki während der turbulenten Ereignisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte, sind heute in der Arbeit des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, der World Socialist Web Site und der Sozialistischen Gleichheitsparteien auf der ganzen Welt verankert.

Gegen den Nationalismus und die rassistische und ethnische Spaltung, die die gesamte bürgerliche Politik dominieren – von Faschisten und Rechtsextremen bis hin zu Liberalen und Pseudolinken –, vertritt das IKVI eine klassenbasierte Strategie der sozialistischen Weltrevolution.

79 Jahre nach Trotzkis Ermordung trifft das Streben des IKVI, das Programm des Weltsozialismus, dem Trotzki sein Leben widmete, zu verteidigen und weiterzuentwickeln, mit einem weltweiten Wachstum des Klassenkampfes zusammen. An diesem Jahrestag würdigen wir nicht nur den ungeheuren Kampf, den Trotzki unter schwierigsten Bedingungen führte. Wir ehren sein Andenken, indem wir in die Kämpfe der Arbeiterklasse auf internationaler Ebene eingreifen, um die Weltpartei der sozialistischen Revolution aufbauen, die Trotzki sich vorgestellt hatte.

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