In den Fabriken und an den Arbeitsplätzen in den USA wächst die Wut, während die Coronavirus-Pandemie dort außer Kontrolle gerät. Die Zahl der Todesopfer liegt inzwischen bei über 250.000. Die Zahlen der neuen Fälle und Krankenhauseinweisungen steigen in fast allen Bundesstaaten des Landes drastisch an. Doch die Arbeiter werden angewiesen, weiter zur Arbeit erscheinen, und gezwungen, ihr Leben und das Leben ihrer Angehörigen für die Profite zu riskieren.
Die Besorgnis und der Widerstand unter Arbeitern werden von den Leitmedien weitgehend ignoriert. Die auf der World Socialist Web Site veröffentlichten Artikel über die Ausbreitung des Virus an den Arbeitsplätzen werden von den Arbeitern jedoch weithin gelesen und in den sozialen Medien verbreitet.
Ein Arbeiter im GM-Montagewerk in Flint, Michigan, schrieb an die WSWS: "Ich bin der Meinung, dass jedes Werk alle Beschäftigten testen, uns für zwei Wochen nach Hause in Quarantäne schicken und alle Überstunden abbauen sollte, bis sich das Virus verlangsamt hat!“
Ein Arbeiter aus einem Fiat-Chrysler-Werk in Michigan schrieb: „Vergesst uns hier im Achsenwerk Marysville nicht. Dutzende Beschäftigte und Vorgesetzte sind wegen Covid raus und es gibt so gut wie keine Sicherheitsvorkehrungen außer Temperaturmessen am Tor. Nicht ein einziger hat hier das Gefühl, dass sein Leben eine Rolle spielt. Autoteile sind wichtiger als unser Leben.“
Im ganzen Land und in jeder Branche herrschen ähnliche Bedingungen. Mike Hull, Lehrer aus Texas und Gründer der Facebook-Gruppe „Lehrer gegen das Sterben“, erklärte gegenüber der WSWS: „Zu viele Menschen werden raus gedrängt, zu viele sterben, und was mich daran am meisten krank macht, ist, wie sehr das alles vermeidbar gewesen wäre. Es muss eine Dringlichkeit geben.“
Die Arbeiter fordern kollektive Maßnahmen. Im Fiat-Chrysler-Montagewerk im Detroiter Vorort Sterling Heights, wo vor kurzem mindestens ein Arbeiter – Mark Bianchi – gestorben ist, diskutieren die Arbeiter darüber, „an die blaue Linie zu gehen“, d. h. ihre Arbeit niederzulegen und sich in einen sicheren Bereich weg vom Fließband zu begeben. So taten es Mitte März die Beschäftigten in Sterling Heights und Arbeiter in anderen Werken von Fiat Chrysler in den Bundesstaaten Michigan, Ohio und Indiana sowie im kanadischen Windsor und erzwangen so die Schließung der nordamerikanischen Autoindustrie und weitere umfassende Maßnahmen, wodurch Zehntausenden Menschen das Leben gerettet wurde.
Lehrer, Krankenschwestern und andere Beschäftigte sind bereits aktiv geworden. Da die Krankenhäuser mit einer Flut von Covid-19-Patienten überschwemmt werden, bestreikten 800 Krankenschwestern am Dienstag das Saint Mary's Medical Center in Langhorne, Pennsylvania, um eine angemessene Personalstärke und Schutzausrüstung sowie angemessene Löhne zu fordern.
Da Pädagogen jedes Mal mit ihrem Leben spielen, wenn sie gezwungen werden, ein Schulgebäude zu betreten, organisierten Lehrer letzte Woche in Utah einen Streik durch massenhaftes Krankmelden, ebenso Lehrer in Midland, Texas. Dort war am Dienstag bekannt geworden, dass ein Lehrer der Midland High School, John Anthony, an Covid-19 starb. Heute organisieren Lehrer in Alabama eine Protestveranstaltung und rufen die Autoarbeiter im Hyundai-Werk in Montgomery zur Unterstützung auf. Nach wochenlangem Anwachsen der Infektionszahlen sowie Forderungen von Lehrern, den Schulunterricht einzustellen, wurden die Schulen in New York City heute geschlossen – trotz der entschiedenen Bemühungen der von der Demokratischen Partei geführten Regierungen auf städtischer und bundesstaatlicher Ebene, sie geöffnet zu halten.
Das gesamte politische Establishment lehnt die elementarste Maßnahme, die zur Rettung von Leben erforderlich ist, strikt ab: die sofortige Schließung von nicht lebenswichtigen Betrieben, Schulen und Universitäten, bis die Pandemie unter Kontrolle ist.
In der vergangenen Woche löste der bloße Vorschlag des Epidemiologen Michael Osterholm, einen vier- bis sechswöchigen Lockdown bei vollem Einkommen für die Betroffenen zu verhängen, einen Ausverkauf an der Wall Street aus. Osterholm ist Mitglied von Joe Bidens Coronavirus-Taskforce. Bidens Übergangsteam distanzierte sich umgehend, während Trump erklärte, dass „diese Regierung keinen Lockdown verhängen“ werde, was zu einer Erholung der Aktienkurse führte.
Der massive Verlust an Menschenleben ist das Ergebnis einer klar umrissenen Politik, die eindeutigen Klasseninteressen dient. Zunächst verheimlichten sowohl die Trump-Regierung als auch die Demokratische Partei die Gefahren der Pandemie, um den Aktienmarkt abzusichern und umfassende Streiks der Arbeiter zu verhindern. Nach der Verabschiedung des überparteilich unterstützten CARES-Gesetzes Ende März setzten beide Parteien die „back to work“-Kampagne in Gang, um die Beschäftigten zu zwingen, für die gewaltigen Rettungspakete der Superreichen zu zahlen.
Der Kongress ließ es daraufhin absichtlich geschehen, dass die staatliche Arbeitslosenhilfe bis Juli ausläuft, was zu einem extremen Rückgang des Gesamtumfangs individueller Einkommen um eine halbe Billion Dollar führte. Er hat sich geweigert, ein neues Konjunkturpaket zu verabschieden. Rund 12 Millionen Arbeitslose sind somit akut dadurch bedroht, bis Weihnachten ihre Arbeitslosenhilfe zu verlieren. Das Ziel lautet, die Arbeiter auszuhungern, damit sie ihr Leben am Arbeitsplatz riskieren.
Die Arbeiter wollen Maßnahmen ergreifen, um die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Sie wissen, dass sie jeden Tag, an dem sie zur Arbeit gehen, ihr Leben und das ihrer Familienmitglieder riskieren. Viele fragen sich jedoch, wie sie über die Runden kommen können, wenn sie nicht arbeiten. „Ich weiß wirklich nicht, was ich tun soll, weil ich es mir nicht leisten kann, mit der Arbeit aufzuhören“, sagte ein Autoarbeiter in Flint, Michigan, gegenüber der WSWS. „Ich leide finanziell immer noch unter der Schließung im März. Aber andererseits möchte ich meine Lieben nicht mit der Krankheit infizieren.“
Die „Wahl“, vor die die Arbeiter gestellt werden, ob sie ihre Gesundheit oder ihr wirtschaftliche Grundlage opfern wollen, basiert auf der Voraussetzung, dass jede Reaktion auf die Pandemie den Profiten der Konzerne und dem Reichtum der herrschenden Klasse untergeordnet wird.
Die Socialist Equality Party fordert einen Stopp aller nicht lebensnotwendigen Produktion und die sofortige Schließung von Schulen und Universitäten. Masken und Social Distancing sind zwar notwendig, doch werden solche Maßnahmen die Ausbreitung des Virus an den Arbeitsplätzen nicht aufhalten. Was die Aussicht darauf betrifft, dass irgendwann im nächsten Jahr ein Impfstoff auf breiter Basis zur Verfügung stehen wird, so ist es umso notwendiger, jetzt alle Maßnahmen zu ergreifen, um Leben zu retten.
Der Stopp der Produktion muss mit einer vollständigen Entschädigung aller von den Schließungen betroffenen Arbeiter einhergehen. Dazu gehören 1.000 Dollar pro Woche, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können, zusammen mit der Aussetzung von Studien- und Kreditkartengebühren, Mieten und Hypotheken. Kleine Unternehmen müssen abgesichert werden, damit sie überleben können, bis die Pandemie unter Kontrolle ist.
Die nötigen Ressourcen müssen in gewaltigem Ausmaß bereitgestellt werden, um dafür zu sorgen, dass Kinder und Jugendliche mit modernster Technologie und Hochgeschwindigkeits-Internetverbindungen an Distanzunterricht teilnehmen können, dass Eltern die Mittel haben, um sich um ihre Kinder zu kümmern, und dass die psychologischen und sozialen Probleme, die mit einer Zeit der Isolation verbunden sind, angemessen und auf einfühlsame Art und Weise angegangen werden. Es muss ein massives öffentliches Infrastrukturprogramm eingeleitet werden, um die Strukturen aufzubauen, die für die Verteilung des Impfstoffs erforderlich sind, sobald er verfügbar ist. Das gleiche gilt für regelmäßige Tests, die Rückverfolgung von Kontakten und kostenlose medizinische Behandlung zur Eindämmung und schließlich zur Ausrottung der Krankheit.
Die Ressourcen dafür sind vorhanden. Billionen von Dollar wurden an die Banken und Unternehmen verteilt, um einen Rekordanstieg der Aktienkurse inmitten von Massensterben und sozialer Verwüstung zu befeuern. Das Privatvermögen von Jeff Bezos, Elon Musk und das der übrigen Milliardäre Amerikas ist um 637 Milliarden Dollar gestiegen. GM, Ford und FCA haben allein im dritten Quartal Gewinne von fast 8 Milliarden Dollar eingefahren. Die riesigen profitorientierten Krankenhausketten HCA, Tenet und Universal, die alle mit Geldern aus öffentlichen Kassen gerettet wurden, verzeichneten im dritten Quartal Gewinnzuwächse.
Der Kampf gegen die Pandemie ist nicht einfach eine medizinische Frage. Er ist ein politischer Kampf. Die notwendigen Maßnahmen zur Rettung von Leben erfordern einen Frontalangriff auf den Reichtum und die Macht der Konzern- und Finanzoligarchie, die beide Parteien in den USA kontrolliert.
Um die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, brauchen die Arbeiter neue, von den Gewerkschaften unabhängige Kampforganisationen, um Unterstützung für Arbeitskämpfe und einen Generalstreik zur Einstellung der Produktion aufzubauen. Während der gesamten Krise waren die Gewerkschaften vollkommen irrelevant. Wo es sie gibt, haben sie schlicht die Lügen der Unternehmensleitungen und der Politiker über „sichere Wiederöffnungen“ verbreitet, während sie gleichzeitig Informationen über Ausbrüche versteckt hielten.
Autoarbeiter, Lehrer und Beschäftigte in weiteren Branchen sind dabei, ein Netzwerk von Sicherheitsausschüssen aufzubauen, um diesen Kampf zu koordinieren. Diese Initiativen müssen verbreitert und ausgeweitet werden, um alle Teile der Arbeiterklasse einzubeziehen und die Kämpfe der Arbeiter in den USA mit denen der Arbeiter in Europa, Lateinamerika und auf der ganzen Welt zu vereinigen.
Der Kampf zur Verteidigung der Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter muss mit dem Aufbau einer mächtigen politischen Bewegung der Arbeiterklasse in den USA und international verbunden werden. Diese Bewegung muss sich zum Ziel setzen, Arbeiterregierungen aufzubauen, das unrechtmäßige Vermögen der Superreichen zu beschlagnahmen und das Wirtschaftsleben nach sozialistischen Grundsätzen, basierend auf den Prinzipien der menschlichen Solidarität und der sozialen Gleichheit, neu zu organisieren.
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