Tschechien: Roma stirbt während brutaler Festnahme durch Polizei

Nach einem brutalen Polizeieinsatz am 19. Juni gegen einen Angehörigen der Roma-Minderheit in der nordböhmischen Stadt Teplice verstarb der 46-jährige Stanislav Tomáš bei seiner Festnahme. Während Videoaufnahmen klar den gewalttätigen Einsatz der Sicherheitskräfte beweisen, erklärte die Regierung in Prag ihre volle Unterstützung für die Polizei und kündigte an, dass es zu keinerlei Ermittlungen gegen die Täter kommen wird.

Ein in den sozialen Medien verbreitetes Video zeigt, wie ein Polizist Tomáš minutenlang mit dem Knie auf Nacken und Hals zu Boden drückte. Auf einem weiteren Video ist zu sehen, wie ein halb entkleideter Mann, unkoordiniert auf ein am Straßenrand parkendes Auto einschlägt. Die dann anrückenden Polizeikräfte gingen mit ungeheurer Brutalität gegen den Mann vor, der bereits am Boden lag und offensichtlich in desolater körperlicher und geistiger Verfassung war.

Das zweite, fast sechs Minuten lange Video zeigte, wie Tomáš von drei Polizisten zu Boden gedrückt wird. Nachdem seine Hände auf dem Rücken gefesselt waren, drückte einer der Polizisten minutenlang sein Knie in den Halsbereich des Opfers – auch nachdem dieser schon regungslos am Boden lag und die zwei anderen Polizisten ihn nicht mehr festhielten. Man hört schreckliche Schreie, die ab einem gewissen Punkt verstummen.

Wenige Minuten später wurde der Mann für tot erklärt, nachdem Rettungskräfte vergeblich versucht hatten ihn zu reanimieren. Ein weiteres Video wurde laut Medienberichten von der Polizei bisher nicht freigegeben. Darauf soll das Eintreffen eines Krankenwagens zu sehen sein. Möglicherweise ließe sich in dem Video erkennen, dass das Opfer schon tot gewesen ist. Die Augenzeugen wurden von der Polizei ausdrücklich gebeten, nicht mit Medien über den Fall zu sprechen.

Der Tod des Roma erinnert in erschreckender Weise an den Tod von George Floyd im vergangenen Jahr in den USA. Nachdem dieser durch den mittlerweile verurteilten Polizisten Derek Chauvin auf ähnliche Weise zu Tote kam, löste dies eine Welle von Protesten weltweit aus. Millionen Arbeiter waren erschüttert über Floyds Ermordung, die für sie symptomatisch für den Polizeiterror in den USA und weltweit stand.

Viele reagierten entsetzt auf die Aufnahmen. „Das ist der Höhepunkt der Brutalität“, kommentierte der Roma-Aktivist Michal Miko. Am vergangenen Mittwoch kam es in der Hauptstadt Prag zu einer Demonstration gegen Diskriminierung von Roma und Polizeibrutalität. In Teplice demonstrierten am Samstagnachmittag nach einer Gedenkveranstaltung für Tomáš mehrere hundert Menschen und zogen spontan vor die örtliche Polizeiwache. Dort riefen sie „Komm und töte uns" .

Obwohl die europäischen Medien kaum über den Fall berichten, versammelten auch in Städten wie Berlin und Glasgow hunderte Menschen zu Protesten und Mahnwachen. Der Europarat fordert eine unabhängige Untersuchung. Die Aufnahmen des Polizeieinsatzes seien alarmierend, hieß es am Sitz der Organisation in Straßburg. Amnesty International fordert ebenfalls eine Untersuchung des Vorfalls.

Entgegen dem veröffentlichten Videomaterial, das keinerlei Zweifel an einem Zusammenhang zwischen dem Tod und dem brutalen Einsatz zeigt, wiesen die Sicherheitskräfte jede Verantwortung für den Tod des Mannes von sich. Die Generalinspektion der Sicherheitskräfte (GIBS) teilte am Donnerstag mit, es gebe keine Anzeichen für eine Straftat und es werde deshalb kein Strafverfahren gegen die Polizisten eingeleitet.

Angeblich gebe es nach Auswertung der polizeilichen Unterlagen, des Bildmaterials, sowie des Obduktionsberichtes, keinen Zusammenhang zwischen dem Tot des Roma und den Maßnahmen der Polizei. Laut diesem Bericht hatte der Verstorbene die Droge Crystal Meth im Blut, worauf der Tod zurückzuführen sei. Die angewandten Zwangsmaßnahmen durch die Polizei seien angemessen gewesen. Explizit hieß es in einer Mitteilung der tschechischen Polizei: „Es gibt keinen ‚tschechischen Floyd‘“.

Unmittelbar nach der Tat wurde der tödliche Polizeieinsatz von höchsten Regierungskreisen gerechtfertigt. Der sozialdemokratische Innenminister Jan Hamáček erklärte auf Twitter: „Die einschreitende Polizei hat meine volle Unterstützung. Verstößt jemand unter Suchtmitteleinfluss gegen das Gesetz, muss er damit rechnen, dass die @PolicieCZ [tschechische Polizei] eingreift; vor allem dank der Arbeit von Polizisten gehören wir zu den zehn sichersten Ländern der Welt." Der Vorsitzende der Tschechischen Sozialdemokratische Partei (CSSD) bezeichnete die Polizisten als „großartige Profis“.

Regierungschef Andrej Babis rechtfertigte ebenfalls das mörderische Vorgehen der Sicherheitskräfte. „Wenn jemand Autos demoliert, aggressiv auftritt und sogar einen Polizisten beißt, dann kann er nicht erwarten, dass man ihn mit Samthandschuhen anfasst“, schrieb er auf Facebook. Ausdrücklich bedankte sich der Premierminister für die „Arbeit“ der Polizei in Teplice.

Der dramatische Vorfall ist der jüngste Höhepunkt von brutalen Übergriffen der Sicherheitskräfte gegen Roma. Im Oktober 2016 starb unter ähnlichen Umständen der psychisch kranke Miroslav Demeter als er rund 50 Kilometer von Teplice entfernt von der Polizei verhaftet wurde. Auch hier lautete die offizielle Todesursache eine Überdosis an Drogen; und auch hier gab es keinerlei Ermittlungen, geschweige den Sanktionen gegen die beteiligten Polizisten.

2017 wurde gegen zwei Polizisten wegen des Verdachts ermittelt, Roma gewaltsam zu Geständnissen gezwungen zu haben. Ein Polizist wurde verurteilt, in zweiter Instanz aber freigesprochen. Viele Polizeiübergriffe gegen Roma kommen erst gar nicht an die Öffentlichkeit.

In Teplice leben viele der etwa 300.000 tschechischen Roma. Die rund 75 Kilometer von Prag entfernte Stadt gilt als sozialer Brennpunkt mit hoher Arbeitslosigkeit. Die Roma sind davon besonders betroffen. In den Roma-Siedlungen liegt die Arbeitslosigkeit nicht selten bei 80 Prozent. Europaweit sind aktuell 62 Prozent der jugendlichen Roma ohne Arbeit oder Ausbildung.

Die Minderheit ist systematischer sozialer Schikane und rassistischer Hetze ausgesetzt. Nach einer Änderung der Sozialgesetze 2017 wurden bestimmte Zonen festgelegt, in denen die Bewohner keinen Anspruch auf Wohngeld haben. Diese Regelung beschränkt sich fast ausschließlich auf Gebiete mit hohem Roma-Anteil. Staatspräsident Milos Zeman forderte 2018 öffentlich, Roma zu schlagen, wenn sie sich „weigern zu arbeiten“.

Doch die von der Regierung legitmierte und öffentlich verteidigte Polizeibrutalität richtet sich nicht nur gegen die Minderheit der Roma. Sie ist ein Merkmal des kapitalistischen Systems, einer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung, in der die Arbeiter für die Profitgier einer kleinen Minderheit ausgebeutet werden.

Gerade in der Corona-Pandemie zeigten die etablierten Parteien sehr deutlich, wessen Interessen sie vertreten. Regierungschef Babis ist Unternehmer und die viertreichste Person Tschechiens. Seine Partei ANO bildet mit den völlig diskreditierten Sozialdemokraten eine Minderheitsregierung, die von der Kommunistischen Partei (KSCM) toleriert wird.

Infolge der Öffnungspolitik im Interesse der Wirtschaft verzeichnete Tschechien zeitweise die höchsten Infektions- und Todeszahlen in der EU. Mehr als zehn Prozent der Bevölkerung infizierten sich bislang mit dem Virus und über 30.000 Menschen starben. Wie überall in Europa geht die Pandemie mit massenhaften Entlassungen und steigender Arbeitslosigkeit und Armut einher.

Mit der öffentlichen Verteidigung von Polizeigewalt bereitet sich die Regierung in Prag auf heftige Klassenauseinandersetzungen vor und versucht rechte und rassistische Kräfte zu mobilisieren.