Tödliche Explosion im Chempark Leverkusen

Am Dienstagvormittag gegen 9:40 Uhr kam es zu einer schweren Explosion bei der Firma Currenta auf dem Gelände des Chemparks Leverkusen. Mindestens zwei Arbeiter kamen dabei ums Leben – ein Arbeiter von Currenta und ein Arbeiter von einer Fremdfirma. 31 weitere Arbeiter wurden teils schwer verletzt und fünf Arbeiter waren bei Redaktionsschluss noch vermisst.

„Wir müssen leider davon ausgehen, dass wir die fünf weiteren Vermissten nicht lebend finden werden“, erklärte der Geschäftsführer von Currenta, Frank Hyldmar, auf einer Pressekonferenz am Mittwoch.

Wenn sich das bestätigt, steigt die Zahl der Todesopfer auf sieben. Auch von den Schwerverletzten schwebt mindestens noch einer in Lebensgefahr. Laut dem Kölner Stadtanzeiger handelt es sich bei dem zweiten Todesopfer um einen Arbeiter, der mit schwersten Verbrennungen in die Klinik in Köln-Merheim geflogen worden war.

Der Chempark mit seinen Standorten in Leverkusen, Dormagen und Krefeld-Uerdingen ist einer der größten Chemieparks in Europa. Ende 2016 waren hier etwa 48.000 Mitarbeiter bei rund 70 angesiedelten Firmen und Dienstleistungsunternehmen beschäftigt.

Dazu gehört der Chemiekonzern Bayer sowie viele seiner ausgegliederten Unternehmen. Currenta ist die Betreibergesellschaft des Chemparks. Das Unternehmen gehörte bis 2007 als Bereich Industry Services zu Bayer. Bis vor zwei Jahren war Bayer noch mehrheitlich an Currenta beteiligt. Dann übernahm der australische Finanzinvestor Macquarie die Mehrheit an dem Unternehmen.

Die Explosion ereignete sich im Tanklager des Entsorgungszentrum des Chemparks in Leverkusen-Bürrig. Hier werden die Chemieabfälle aller anderen Unternehmen des Chemparks verwertet und entsorgt. Betroffen von der Explosion, die ein Feuer in dem Tanklager auslöste, waren drei Tanks mit organischen Lösungsmittel. Jeder der Tanks war mit etwa 200.000 bis 300.000 Litern befüllt. Sie alle seien „komplett oder in Teilen zerstört“, erklärte der Leiter des Chemparks Lars Friedrich.

Über viele Stunden drohte eine noch größere Katastrophe. Die herbei geeilten Feuerwehrleute mussten zunächst warten, bis eine beschädigte Stromleitung vom Netz getrennt werden konnte. Dann brachten sie das Feuer bis um die Mittagszeit unter Kontrolle und verhinderten ein Übergreifen auf ein weiteres Tanklager.

Die Explosion war kilometerweit im Umkreis zu spüren und zu hören. Mehrere Stationen des Geologischen Dienstes Nordrhein-Westfalen hätten die Explosion gemessen, berichtete ein Seismologe. Auch an einer Station im Hespertal, das sich rund vierzig Kilometer nördlich von Leverkusen befindet, sei die Erschütterung noch registriert worden.

Über dem Firmengelände, das in der Nähe einer der größten Giftmülldeponien Europas liegt, stieg eine riesige, grau-schwarze Rauchgaswolke auf. Auch sie war über viele Kilometer sichtbar und zog über Leverkusen, Leichlingen, Solingen, Remscheid, Mettmann, Wuppertal, Wülfrath, Heiligenhaus, Hattingen, Bochum und Essen. Selbst im siebzig Kilometer entfernten Dortmund gab es noch Geruchsbelästigungen.

Zunächst wurde von der Feuerwehr der Stadt Leverkusen die Warnmeldung „Extreme Gefahr“ herausgegeben. Anwohner wurden angewiesen, sich in geschlossene Räume zu begeben, Fenster und Türen geschlossen zu halten und kein Obst oder Gemüse aus Gärten zu essen. Spielplätze wurden gesperrt, da über der Stadt und näheren Umgebung schwarze Rußpartikel herunterregneten.

Die genaue Ursache der Explosion ist nach wie vor ungeklärt. Das Unternehmen machte bislang keine Angaben. Man müsse erst die polizeilichen Ermittlungen abwarten, die frühestens am Donnerstag beginnen könnten. Auch zu den freigesetzten, höchstwahrscheinlich giftigen, Stoffen gab es von Seiten Currentas bislang keine Information.

„Rauch ist immer giftig“, stellt Wilhelm Deitermann, Pressesprecher vom Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (LANUV) fest. Das Amt geht davon aus, dass über die Rauchwolke „Dioxin-, PCB- und Furanverbindungen in die umliegenden Wohngebiete getragen wurden“. Diese Stoffe sind hochgradig krebserregend.

Bei der Explosion im Chempark Leverkusen handelt es sich um einen der schwersten Arbeitsunfälle in der Chemieindustrie der letzten Jahre. Zuletzt wurde im Jahr 1980 ein Arbeiter bei einer Explosion in Leverkusen getötet.

Die Katastrophe wirft direkt die Frage nach der politischen Verantwortung und der Verantwortung der Unternehmen für die Sicherheit der Arbeiter auf.

Die Polizei und die Staatsanwaltschaft Köln haben ein Ermittlungsverfahren wegen des „Anfangsverdachts der fahrlässigen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und fahrlässiger Tötung“ eingeleitet. Das Verfahren richtet sich gegen unbekannt. „Menschliches Fehlversagen“ könne „nicht ausgeschlossen werden“, sagte der ermittelnde Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer dem Kölner Stadtanzeiger.

Die Stoßrichtung dieser Argumentation ist bekannt. „Menschliches Versagen“ wird meistens angeführt, um die Verantwortung für solche dramatischen Unfälle den Arbeitern selbst in die Schuhe zu schieben. Gleichzeitig soll damit von politischen Fragen und den wirklich Verantwortlichen in den Unternehmen und den mit ihnen aufs Engste zusammenarbeitenden Gewerkschaften und Betriebsräten abgelenkt werden.

Vieles deutet darauf hin, dass die Sicherheitsvorkehrungen entweder mangelhaft waren oder nicht existierten. Die unzähligen Firmenausgliederungen, die mit dem Chempark umgesetzt wurden, bedeuteten eine Auslagerung der Verantwortung für sichere Produktion und Entsorgung auf unzählige Unterfirmen. Dies ging einher mit verstärkter Ausbeutung und Gefährdung der Arbeiter, um die Profite der Aktionäre der verschiedenen Unternehmen zu steigern.

„Für Windräder gelten gigantische Abstandsregeln, aber Bayer und Co. dürfen in unmittelbarer Nähe zu Großstädten scheinbar tun und lassen, was sie wollen“, kritisierte Simon Ernst, Vorstandsmitglied des 1978 gegründeten Vereins Coordination gegen Bayer-Gefahren (CBG). Dabei gehe „es hier um einen der größten Umschlagplätze für Chemiegifte in der Region!“ Bayer und Currenta müssten „die Öffentlichkeit informieren, was da überhaupt explodiert ist und wie sie das in Zukunft verhindern wollen.“

CBG-Geschäftsführer Marius Stelzmann ergänzte: „Bayer/Currenta spielen mit dem Feuer. Dieser Beinahe-GAU zeigt einmal mehr, welche Gefahr von Produktion und Entsorgung chemischer Stoffe ausgeht, wenn diese der Profitmaximierung dienen.“

Die Katastrophe im Chempark Leverkusen ist ein weiterer Beleg für den zunehmend mörderischen Charakter des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Die Sicherheit und das Leben von Arbeitern gelten nichts, wenn es um wirtschaftliche Interessen und die Vergrößerung der Vermögen der Aktionäre und Superreichen geht. In der Pandemie hat die kapitalistische „Profite vor Leben“-Politik bislang allein in Deutschland über 91.500 Menschen den Tod gebracht. Bei der jüngsten Flutkatastrophe starben vor allem deshalb so viele Menschen, weil notwendige Warnsysteme, Klima- und Hochwasserschutzmaßnahmen, sowie Katastrophenschutzstrukturen nicht finanziert worden waren.

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