Vor geplantem Streik britischer Lastwagenfahrer: Regierung versetzt Militär in Alarmbereitschaft

Im Vorfeld eines landesweiten Streiks britischer Lastwagenfahrer, der am 23. August beginnen soll, wurde das Militär in Alarmbereitschaft versetzt. Die offizielle Begründung dafür lautet, einen drohenden Zusammenbruch der Versorgungsketten in Großbritannien zu verhindern, die aufgrund des Brexits, der Corona-Pandemie und des beispiellosen Mangels an Fernfahrern besteht.

Wie die britische Boulevardzeitung The Sun am Sonntag berichtete, werden Militärangehörige mit Fahrerlaubnis für Schwerlastfahrzeuge „für fünf Tage in Alarmbereitschaft versetzt und können landesweit zu Fahrdiensten im Umfeld wichtiger Verteilungszentren eingesetzt werden“.

Weiter hieß es in der Sun: „Die Soldaten werden, falls notwendig, in Hotels einquartiert und Überstunden leisten, um in der Krise zu unterstützen. Sie werden für die Verteilung von Lebensmitteln sowie den Transport von wichtigen Gütern und Medikamenten eingesetzt.“

Die Berichte beruhen auf anonymen Quellen aus Militärkreisen. Zuvor wurde bekannt, dass die Lastwagenfahrer einen landesweiten Streik planen. Laut Berichten der Sun, dem Telegraph und der Daily Mail würde der Einsatz des Militärs im Rahmen von Gesetzen erfolgen, die die konservative Regierung von Boris Johnson als Reaktion auf die Pandemie erlassen hat und die Teil der Operation Rescript sind. Das Verteidigungsministerium beschrieb diese als den „größten Militäreinsatz im Inneren in Friedenszeiten“, an dem 23.000 Soldaten einer speziellen Taskforce namens Covid Support Force (CSF) teilnehmen sollten.

Die Bedeutung des derzeit geplanten Militäreinsatzes geht weit über das ursprünglich erklärte Ziel hinaus, die Versorgung mit „grundlegenden Gütern und Medikamenten“ sicherzustellen. Er ist vielmehr eine unmissverständliche Drohung hinsichtlich der zunehmenden Unruhe in den Betrieben und weist darauf hin, dass sich der Staat auf eine direkte Konfrontation mit der Arbeiterklasse vorbereitet.

Die Lastwagenfahrer planen einen eintägigen Streik aus Protest gegen die Verlängerung der Arbeitszeiten, niedrige Löhne sowie unzumutbare Arbeitsbedingungen. Der Streik gilt weiterhin als Folge des fehlenden Fahrernachwuchses und einer hohen Fluktuation, die dazu geführt hat, dass in ganz Großbritannien 100.000 Fahrer fehlen.

Der Aufruf zum Streik kam von einer Facebook-Gruppe, die im März unter dem Namen HGV Drivers on Strike gegründet wurde und sich später in Professional Drivers Protest Group UK umbenannt hat. Berichten zufolge planen mehr als 3.000 Fahrer, am Streiktag zu Hause zu bleiben.

Das erklärte Ziel der Gruppe ist es, „alle Berufsfahrer in ganz Großbritannien zu vereinen, die Veränderungen in ihrem beruflichen Umfeld wollen“; dazu zählt das Ende „niedriger Löhne, langer Arbeitszeiten, allgemein fehlendem Respekt und Rücksicht auf die Probleme der Fahrer wie fehlende Toiletten, kein Familien- oder Sozialleben, immer neue Regeln und Erwartungen, gestiegene Verantwortung sowie massive Ausbeutung. Und das alles bei sinkenden Löhnen“.

Weiter heißt es: „Wir sind das Rückgrat der Wirtschaft. Die Wirbelsäule und das Blut. Ohne das Transportwesen würde jedes Land innerhalb weniger Tage in die Knie gezwungen. Das gibt uns Macht. Wir sollten uns vereinen und zusammenhalten, um die Dinge zu verändern. Als erstes sollten wir eine Petition mit unseren Forderungen an die Regierung richten. Wenn sie nicht erfüllt werden, sollten wir mit Protestaktionen beginnen. Da momentan 100.000 Fahrer fehlen, gab es nie einen besseren Zeitpunkt.“

Die Lastwagenfahrer haben eine Liste mit Forderungen zusammengestellt, darunter einen Mindestlohn von 15 Pfund, die 45-Stunden-Woche, eineinhalbfache Bezahlung für Überstunden und doppelte Bezahlung für Sonntagsarbeit sowie Geldstrafen für Unternehmen, die Lastwagenfahrern Toilettenpausen verweigern. Sie fordern „Beschäftigung statt Selbstständigkeit“ und erklären: „Wenn eine Agentur ihren Kunden 30 Pfund pro Stunde berechnen kann, darf es nicht erlaubt sein, dass Fahrer nur elf Pfund erhalten.“

Auf Facebook äußern die Fahrer ihren Ärger über die Bedingungen und widersprechen der gängigen Berichterstattung der bürgerlichen Medien über den Mangel an Lastwagenfahrern.

Ein Schwerlastfahrer erklärte: „Es gibt keinen Mangel an Fahrern, es fehlt nur an billigen Fahrern. In Großbritannien gibt es 3,7 Millionen Fahrer, die wegen der langen Arbeitszeiten, schlechten Löhne und Bedingungen keine Schwerlasten fahren (…).“

Weiter sagte der Fahrer: „Der Industrie sind ihre Fahrer egal, sie wollen nur die Kosten so niedrig wie möglich halten, indem sie Fahrer aus ärmeren EU-Ländern ausbeuten. Jetzt geht das nicht mehr und plötzlich gibt es eine Krise.“

Ein anderer Fahrer schrieb: „Man wird von allen wie ein Niemand behandelt und man ist allen egal. Die gleichen Löhne wie vor 15 Jahren, die Unternehmen zwingen den Fahrern eine nicht tragbare Arbeitsbelastung auf, 24 Stunden am Tag, 13 oder 15 Stunden täglich, eineinhalb Stunden hin und zurück zur Arbeit... Dann nur fünf Stunden Schlaf... Das ist kein Arbeitsplatz, sondern ein Witz... Noch ein paar Monate und ich verlasse die Branche, dann gibt es noch einen Fahrer weniger.“

Andere Fahrer stimmten zu: „Die britische KFZ-Zulassungsbehörde hat in einer Anfrage der Regierung bestätigt, dass es genug Personen mit Fahrerlaubnissen für Schwerlastfahrzeuge gibt, um die Nachfrage zu befriedigen. Aber es gibt nicht genug Fahrer, die bereit sind, am Montagmorgen um 4 Uhr das Haus zu verlassen, dann 60 bis 70 Stunden pro Woche unterwegs zu sein, am Freitagabend zurückzukommen und einen der zehn gefährlichsten Jobs des Landes zu machen und dafür das gleiche Geld zu bekommen wie durchschnittlich für eine 37-Stunden-Woche. Einige Unternehmen in meiner Gegend werben in ihren Stellenangeboten für Fahrer noch mit dem gleichen Stundenlohn, den ich 2008 bekommen habe. Und dann wundern sie sich, dass sie keine Fahrer finden.“

Der letzte landesweite Streik der Lastwagenfahrer fand am 3. Januar 1979 statt, während des „Winters der Unzufriedenheit“. Damals beteiligten sich mehr als 1,7 Millionen Arbeiter an Streiks gegen die Maßnahmen zur Lohnmäßigung, die die Labour-Regierung unter James Callaghan auf Geheiß des Internationalen Währungsfonds durchgesetzt hatte. Obwohl Callaghan das Militär gegen die Lastwagenfahrer mobilisierte, konnten sie eine Lohnerhöhung um bis zu 20 Prozent durchsetzen.

Die Verrätereien von Labour, die von den Gewerkschaftsführern unterstützt wurden, schufen die Bedingungen für den Wahlsieg von Margaret Thatcher, deren konservative Regierung einen Prozess der Deregulierung einleitete. Dieser wurde von den nachfolgenden Labour- und Tory-Regierungen fortgesetzt und führte zu brutalen und entwürdigenden Arbeitsbedingungen für die Lastwagenfahrer. Der Erfolg dieser Offensive wurde ermöglicht durch die Unterstützung der Transportgewerkschaften, die vier Jahrzehnte lang alle Arbeitskämpfe unterdrückten. Heute sind nur noch 15 Prozent der 320.000 Schwerlastfahrer Mitglied einer Gewerkschaft.

Die Arbeiterklasse muss vor der unternehmerfreundlichen Rolle, die die Gewerkschaften heute spielen, gewarnt werden. Letzten Monat unterstützten die Gewerkschaften die Ankündigung der Johnson-Regierung, die Arbeitszeiten auf zehn Stunden pro Tag zu verlängern. Die Gewerkschaft Unite veröffentlichte dazu lediglich eine unaufrichtige Erklärung, laut der die brutale und gefährliche Maßnahme der Regierung den Mangel an Lastwagenfahrern „nicht beheben“ würde und fügte hinzu: „Unite rät seinen Mitgliedern, sich nicht in Gefahr zu begeben. Wenn sie zu müde sind, um sicher zu fahren, haben sie den gesetzlichen Anspruch, sich zu weigern.“ Unite rief nicht zum Arbeitskampf auf, sondern versprach nur seine „volle Unterstützung“ für jeden, der die längeren Schichten nicht antreten wird.

Da sich die Wut der Fahrer dem Siedepunkt nähert, hat Unite Arbeitskämpfe bei den Logistikunternehmen GXO und Booker Retail Partners angekündigt. Bei GXO steht am 24. August ein 24-stündiger Streik von 1.000 Fahrern in 26 britischen Niederlassungen bevor, ein zweiter am 2. September. Bei einer Urabstimmung hatten 97 Prozent der Fahrer das Angebot einer erbärmlichen Lohnerhöhung um 1,4 Prozent für 2021 abgelehnt. GXO liefert 40 Prozent des Biers aus, das in der britischen Gastronomie verkauft wird.

Die Lastwagenfahrer des Großhandelsunternehmens Booker Retail Partners, das etwa 1.500 Lebensmittelgeschäfte in London und dem Südosten Großbritanniens beliefert, sollen in den letzten zwei Augustwochen über einen Arbeitskampf abstimmen. Abstimmungsberechtigt sind jedoch nur die 30 Unite-Mitglieder im Lagergebäude Thameside, die eine temporäre Lohnerhöhung um fünf Pfund fordern, die die Fahrer in Hemel Hempstead als Reaktion auf den landesweiten Fahrermangel erhalten haben.

Die Gewerkschaft nutzt den Mangel an Fahrern und die Drohung spontaner Streiks, um sich der Johnson-Regierung und den Logistikunternehmen als Friedensstifter anzudienen. Sie hat Verkehrsminister Grants Shapps einen Sechs-Punkte-Plan vorgelegt, in dessen Mittelpunkt die Forderung nach einem „nationalen Rat zur Festlegung von Industriestandards“ steht. Dieser würde „es skrupellosen Arbeitgebern deutlich schwerer machen, die Preise auf Kosten der Sicherheit, der Löhne und Arbeitsbedingungen der Fahrer zu unterbieten“.

Der Versuch von Unite, das Problem auf ein paar schwarze Schafe zu reduzieren, wird von den brutalen Ausbeutungsbedingungen in der gesamten Branche widerlegt.

Diese Anbiederung an die Tories erinnert an die früheren Versuche von Unite, der RMT und ASLEF, sich an der Rail Industry Recovery Group der Johnson-Regierung zu beteiligen und mit den Vorständen der Bahnbetreiber zusammenzuarbeiten. Auf diesem Weg sollen Kürzungen, der Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen, Rentenkürzungen sowie die volle „Flexibilität der Belegschaft“ durchgesetzt werden.

Der geplante Lastwagenfahrerstreik findet im Rahmen der größten Krise der globalen Versorgungsketten seit dem Zweiten Weltkrieg statt, die durch die Pandemie und den Brexit ausgelöst wurde. Der Besitzer von 2 Sisters, einem der größten Lebensmittelkonzerne Großbritanniens, forderte die Regierung letzte Woche zum Handeln auf, andernfalls „droht dem Land die schwerste Lebensmittelknappheit seit mehr als 75 Jahren“. Die Krise steht ab 1. Oktober unmittelbar bevor, wenn die neuen Grenzkontrollen von tierischen und pflanzlichen Produkten bei Einfuhr nach Großbritannien im Rahmen des Brexits in Kraft treten.

Die Arbeiter nutzen die Krise – verursacht durch die herrschende Klasse –, um den Kampf für lange unterdrückte Forderungen als Teil des internationalen Wiederauflebens des Klassenkampfs voranzutreiben. Der Lastwagenfahrer Mark Schubert erklärte letzten Monat gegenüber dem Guardian, er habe in fast 40 Jahren kein solches Verlangen nach Veränderungen mehr gesehen: „Wir wurden zu viele Jahre ignoriert, ausgebeutet und als selbstverständlich genommen. Jetzt ist unsere Zeit gekommen, jetzt haben wir die Möglichkeit, gehört zu werden.“

Bemerkenswerterweise verurteilte Schubert die Behandlung ausländischer Arbeiter durch die britische Regierung. Lastwagenfahrer aus Polen, Rumänien und anderen osteuropäischen Ländern wurden von den Logistikunternehmen in Großbritannien und Westeuropa lange als billige Arbeitskräfte eingestellt. Wegen des Brexits haben angeblich mindestens 25.000 Schwerlastfahrer Großbritannien verlassen. Schubert erklärte gegenüber dem Guardian: „Wenn man sieht, wie [Innenministerin] Priti Patel und ihre Kumpanen im Innenministerium Ausländer behandeln, werden sie nicht besonders scharf darauf sein zurückzukommen. ... Selbst wenn sie es können, werden sie wie Kriminelle behandelt, wenn sie an der Grenze ankommen.“

In den letzten 40 Jahren sind die Lastwagenfahrer zu einer global vernetzten Berufsgruppe geworden, wodurch die nationalen Barrieren überwunden wurde. Die Lastwagenschlangen in Dover im Dezember 2020, ausgelöst durch Spannungen zwischen Großbritannien und Frankreich wegen des Brexits, haben die brutalen Arbeitsbedingungen von Fahrern aller Nationalitäten offenbart. Dass sie tagelang ohne Nahrung, Wasser oder Zugang zu Toiletten ausharren mussten, zeigte die Gleichgültigkeit der Logistikunternehmen und der kapitalistischen Regierungen auf beiden Seiten des Ärmelkanals gegenüber den Rechten und der Würde der Arbeiter, deren Leistung für das Alltagsleben von Millionen Menschen von entscheidender Bedeutung ist.

Der geplante Streik am 23. August verdient die Unterstützung der arbeitenden Bevölkerung der ganzen Welt. Wenn er erfolgreich sein soll, muss er jedoch völlig unabhängig von den unternehmensfreundlichen Gewerkschaften sein und einen Appell an einen vereinten Kampf der Arbeiter in der Transport-, Logistik- und Luftfahrtbranche in Großbritannien, Europa und der Welt richten. Die Pandemie, die nationalen Gegensätze innerhalb von Europa, die zum Brexit geführt haben, und das explosionsartige Wachstum der sozialen Ungleichheit sind globale Probleme und erfordern eine globale Lösung.

Die Pläne der Johnson-Regierung für den Einsatz des Militärs gegen streikende Lastwagenfahrer gehen Hand in Hand mit den Handelskriegsmaßnahmen gegen Europa und Asien, den verschärften Grenzschutzmaßnahmen gegen Flüchtlinge und Immigranten und der wachsenden Gefahr von Militarismus und Krieg. Diese autoritären Maßnahmen entspringen dem zentralen Widerspruch des kapitalistischen Systems: zwischen dem Weltmarkt und seiner Spaltung in rivalisierende Nationalstaaten, die den Reichtum und die Macht einer winzigen Finanzoligarchie verteidigen.

Ein global koordinierter Plan zur Beendigung der Pandemie und der Organisation des wirtschaftlichen und sozialen Lebens im Interesse der Weltbevölkerung erfordert die Einheit der internationalen Arbeiterklasse im Kampf für den Sozialismus.

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