Weitet den Berliner Lehrerstreik aus! Baut unabhängige Aktionskomitees auf!

Am Donnerstag findet in Berlin ein ganztägiger Warnstreik aller angestellten Lehrer des Bundeslandes statt. Folgende Erklärung werden Mitglieder und Unterstützer der SGP an die streikenden Lehrer verteilen.

Der Streik der Berliner Lehrer findet in einer Situation statt, in der Arbeiter angesichts einer eskalierenden Covid-19-Pandemie und massiver Preissteigerungen durch den Wirtschaftskrieg weltweit in Kämpfe getrieben werden. Er kann nur erfolgreich sein, wenn er massiv ausgeweitet und zum Ausgangspunkt einer breiten Mobilisierung gemacht wird. Dazu müssen Arbeiter der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) das Misstrauen aussprechen und unabhängige Aktionskomitees aufbauen, die den Streik in die eigene Hand nehmen.

Die GEW strebt Verhandlungen mit den Berliner Senatsparteien an, um das Verhältnis von Schülern zu Lehrkräften in einem Gesundheitstarifvertrag „verbindlich zu regeln“. Das „Ziel“ sei, „eine Verkleinerung der Klassen festzuschreiben“, um auf diese Weise die „Arbeitsbelastung“ der Lehrer zu verringern und ihren „Gesundheitsschutz“ zu verbessern.

Doch die Parteien des rot-rot-grünen Senats haben seit Jahren immer wieder deutlich gemacht, dass ihnen der Gesundheitsschutz und die Arbeitsbelastung der Lehrer egal sind. In der Pandemie verfolgen sie eine unerbittliche „Profite vor Leben“-Politik. So weigerte sich der Senat inmitten vierstelliger Corona-Inzidenzen zuletzt sogar, Berlin zum „Hotspot“-Gebiet zu erklären und besiegelte damit u.a. die Beseitigung der Maskenpflicht an den Schulen, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hatte.

Obwohl viele Lehrer zur Risikogruppe gehören und berufsbedingt jeden Tag mit überwiegend ungeimpften Schülern aus bis zu 100 Haushalten in Kontakt stehen, wurden keinerlei ernsthafte Maßnahmen ergriffen, um Ausbrüche an Schulen zu verhindern. Das Ergebnis ist, dass Lehrer – neben Erziehern – nachweislich zu den am stärksten durch Corona gefährdeten Berufsgruppen zählen. Mit der Ausbreitung des hochansteckenden BA.2-Subtyps der Omikron-Variante hat die Durchseuchung an den Schulen eine neue Dimension erreicht.

Anstatt für Coronaschutz zu sorgen und alle Beteiligten zu unterstützen, haben die Kultusminister die gesamte Mehrbelastung der Pandemie auf die Lehrer abgewälzt. In jeder neuen Welle – deren Ankunft von den Landesregierungen in der Regel wider besseres Wissen geleugnet wurde – mussten Lehrer innerhalb von Tagen quasi auf Zuruf völlig neue Unterrichtskonzepte erarbeiten. Während die Politiker sehenden Auges in die Katastrophe steuerten, haben Lehrerinnen und Lehrer Übermenschliches geleistet und alle Hebel in Bewegung gesetzt, um Distanz- und Wechselunterricht für alle Schüler zu ermöglichen.

Während die Kultusminister den Prüfungsdruck auf Geheiß der Wirtschaft vollständig aufrechterhielten, wurden Ausbrüche an Schulen systematisch vertuscht, Schutzmaßnahmen beseitigt und besonders gefährdete Familien behördlich drangsaliert. Die Schulen wurden in der Pandemie als Verwahranstalten missbraucht, damit Eltern weiter zur Arbeit gezwungen werden konnten, um die kapitalistische Profitwirtschaft am Laufen zu halten.

Diese rücksichtslose Pandemiepolitik – mit der die Spar- und Kürzungspolitik der letzten Jahrzehnte auf die Spitze getrieben wurde – hat von Lehrern einen immensen Tribut gefordert. In einer aktuellen Forsa-Umfrage gibt jede zweite deutsche Schulleitung an, dass die Zahl langfristiger Ausfälle von Lehrpersonal infolge psychischer und physischer Erkrankungen zugenommen hat. Für Brandenburg meldete die GEW Ende März unter Lehrerinnen und Lehrern einen Krankenstand von 14 Prozent – das Dreifache des „Normalwerts“.

Doch die GEW erwähnt in ihrem Streikaufruf weder die katastrophalen Auswirkungen der Corona-Politik noch die Sparmaßnahmen der letzten Jahre, weil sie dies alles in Wirklichkeit vollständig mitgetragen hat. Sie hat die ungesicherten Schulöffnungen auf Schritt und Tritt unterstützt und ist eng mit SPD, Grünen und Linkspartei verbunden, die in aufeinanderfolgenden Berliner Regierungen neue Maßstäbe in Sachen Austerität gesetzt haben.

Erst im vergangenen Oktober verhängte die Berliner Landesregierung einen monatelangen „Ausgabestopp“ für Berliner Schulen, mit dem alle Investitionen gestoppt und auf einen Schlag 27 Millionen Euro aus dem Bildungssystem herausgepresst wurden. Berlins GEW-Vorsitzender Tom Erdmann kritisierte lediglich den Zeitpunkt dieses atemberaubenden Angriffs und bezeichnete es als „nicht gerade vertrauensbildend“, dass „der Ausgabe-Stopp ausgerechnet in den Ferien verkündet wird“.

Und das war nur der Anfang. Im jetzigen Doppelhaushalt planen SPD, Grüne und Linkspartei, weitere vier Milliarden Euro jährlich einzusparen. Dafür sollen bei den Schulen jedes Jahr 13 Millionen Euro gestrichen werden, indem ihr Verfügungsfonds um bis zu 90 Prozent auf 3000 Euro reduziert wird. Ein Volksentscheid, der die dringend erforderliche Enteignung der Berliner Mietkonzerne fordert, wird vom Senat derweil strikt ignoriert.

Zur gleichen Zeit werden zusätzliche Milliarden für den Repressionsapparat mobilisiert. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) betonte im Innenausschuss, dass die Etaterhöhung ihres Ressorts auf 2,81 Milliarden Euro in diesem und 2,88 Milliarden Euro im nächsten Jahr noch längst nicht ausreiche. Allein für die Berliner Polizei, die mit einer neuen Hundertschaft und insgesamt 610 zusätzlichen Stellen gestärkt wird, seien weitere 1,24 Milliarden Euro erforderlich. Auf Bundesebene sollen 100 Milliarden Euro zusätzlich ins Militär fließen, was einer Verdreifachung des Jahreshaushalts und der größten Aufrüstung seit dem Ende der Nazi-Diktatur entspricht.

Vor diesem Hintergrund müssen Lehrer den heutigen Streik zum Ausgangspunkt machen, um schonungslos Bilanz zu ziehen und eine wirkliche Bewegung gegen Durchseuchung und Austerität und für sichere Bildung aufzubauen. Es geht nicht einfach um die notwendige Reduzierung der Klassenstärken, sondern um eine Rücknahme der Kürzungen der letzten 20 Jahre, eine sicher organisierte Bildung unter Corona-Bedingungen und einen Ausgleich für die horrende Inflation.

Der Streik ist Bestandteil einer Welle von Arbeitskämpfen und Protesten, die sich in diesen Tagen auf dem ganzen Globus entwickeln. Die Verwüstungen der Covid-19-Pandemie und der Stellvertreterkrieg in der Ukraine haben die Bedingungen für Milliarden Menschen untragbar gemacht und das soziale Pulverfass des Klassenkampfs entzündet.

Nachdem die kapitalistischen Oligarchen inmitten des Massensterbens der Pandemie ihren Reichtum verdoppelt haben und sich an den staatlichen Rettungspaketen bereicherten, sollen diese Gelder nun über die wachsende Inflation, steigende Treibstoff- und Lebensmittelpreise und die Kürzungen im Sozial- und Gesundheitswesen wieder aus den Arbeitern herausgepresst werden.

Arbeiter nehmen weltweit den Kampf gegen diese Klassenkriegspolitik auf. In Spanien hat ein wochenlanger Streik der Lkw-Fahrer den internationalen Frachtverkehr stark beeinträchtigt. In Sri Lanka finden aktuell Massenproteste gegen die dortige Regierung statt, die die ganze Last der Krise auf die Bevölkerung abwälzt. In den USA streiken nach einer zweiwöchigen Arbeitsniederlegung von Lehrern in Minnesota nun fünftausend Lehrer in Kalifornien. Auch in Indien und im Sudan streiken Lehrer gegen die Durchseuchung und untragbare soziale Bedingungen.

Diese weltweite Bewegung muss vereint werden. Die Gewerkschaften tun hingegen alles, um das Entstehen einer vereinten Bewegung der Arbeiterklasse zu verhindern. Die GEW hat Lehrer noch nicht einmal darüber informiert, dass just in diesen Tagen auch die Erzieher streiken – aus Angst, es könnte eine breitere Bewegung gegen Durchseuchung und Sozialkürzungen entstehen.

Die Sozialistische Gleichheitspartei kämpft seit Beginn der Pandemie dafür, unter Lehrerinnen und Lehrern unabhängige Aktionskomitees aufzubauen, um sie mit ihren Kollegen und allen anderen Arbeitern weltweit zu vereinen. Wir erklären, dass Appelle an Regierungen, die seit Beginn der Pandemie für den Profit der Kapitalbesitzer buchstäblich über Leichen gehen, sinnlos sind.

Stattdessen müssen die Aktionskomitees der Lehrer und Erzieher einen möglichst breiten Unterstützungsappell an die internationale Arbeiterklasse richten. Dem kapitalistischen Programm von Weltkrieg, Pandemie und sozialem Kahlschlag muss ein sozialistisches Programm entgegengestellt werden, das Leben vor Profite stellt, direkt gegen die Regierung und die Macht der kapitalistischen Oligarchen gerichtet ist und Arbeiter im Kampf für ihre Forderungen auf sozialistischer Grundlage vereint.

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